Zeitel, Gerhard Friedrich Hermann 

Geburtsdatum/-ort: 25.11.1927; Rostock
Sterbedatum/-ort: 26.01.1991;  Weinheim
Beruf/Funktion:
  • Volkswirt, MdB-CDU, Finanz- und Kultusminister des Saarlandes
Kurzbiografie: 1944–1945 Abitur am Realgymnasium Berlin, ab Okt. 1944 militärische Ausbildung, ab Jan. 1945 Kriegsdienst, letzter Dienstgrad Fahnenjunker, bis Juni 1945 britische Kriegsgefangenschaft
1945–1949 Erwerbstätigkeit in Wirtschaftsbetrieben in Hameln, ab 1946 in Berlin
1948–1951 Studium d. Volkswirtschaftslehre an d. FU Berlin
1951/2 Tätigkeit bei d. Bank für Handel u. Industrie in Berlin
1953–1955 wiss. Assistent an d. FU Berlin, 1955 Promotion zum Dr. rer. pol. bei Prof. Dr. Woldemar Koch: „Zur Methodologie internationaler Vergleiche von Steuerbelastung u. Steuerdruck“
1955–1960 wiss. Assistent an d. Universität Tübingen bis zur Habilitation 1960: „Die Steuerlastverteilung in d. Bundesrepublik Deutschland“, dann Lehrtätigkeit Universität Tübingen u. WH Mannheim
1962 Ordinarius für Volkswirtschaftslehre u. Statistik, insbes. Finanzwissenschaft an d. WH (ab 1967 Universität) Mannheim, 1970 bis 1973 Rektor
1960 Mitglied des Institut International des Finances Publiques u. d. Internationalen Steuervereinigung
1966–1971 Mitglied des wiss. Beirats beim Bundesminister d. Finanzen, 1968 bis 1969 Mitarbeiter im Planungsstab des Bundeskanzleramts, 1969 bis 1971 Mitglied d. Großen Steuerreformkommission
1969 Eintritt in die CDU, 1970 bis 1981 Vorsitzender des CDU-Bezirksverbands Nordbaden u. ab 1971 Mitglied des Präsidiums u. Landesvorstands d. CDU Baden-Württemberg, 1972 Mitglied des Bundesvorstands d. Mittelstandsvereinigung d. CDU, 1977 bis 1987 Bundesvorsitzender d. Mittelstandsvereinigung, dann Ehrenvorsitzender, 1973 bis 1987 Mitglied des CDU-Bundesvorstands
1972–1980 MdB, o. Mitglied im Finanzausschuss u. bis 1977 stv. Mitglied des Ausschusses für Bildung u. Wissenschaft
1975–1982 Präsident des Bundesverbands Dt. Volks- u. Betriebswirte e.V. Bonn, dann Ehrenpräsident
1980–1985 Minister d. Finanzen des Saarlands bis 1984, dann Minister für Kultus, Bildung u. Sport des Saarlands
1987 Vizepräsident d. europ. Mittelstandsvereinigung
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens d. Bundesrepublik Deutschland (1981); Handwerkszeichen in Gold d. Handwerkskammer (1982); Friedrich-List-Medaille in Gold (1983)
Verheiratet: 1953 (Berlin) Edith Friedel Amalie, geb. Becker
Eltern: Vater: Willi Hermann, Steuerinspektor
Mutter Anna Maria, geb. Lenz
Geschwister: keine
Kinder: 4; Christina, Ulrich, Katharina u. Natascha
GND-ID: GND/1012401472

Biografie: Günter Buchstab (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 484-487

Zeitel war einer der in Deutschland seltenen Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Politik, der beides miteinander zu verbinden und in Einklang zu bringen suchte. Eigentlich hatte er sich nicht parteipolitisch betätigen wollen. Doch als er sah, dass die von den Studenten angestrebte Politisierung der Hochschule in eine falsche Richtung zu geraten drohte, trat er 1969 in die CDU ein. Wer in der Politik mitbestimmen wolle, so seine Erkenntnis aus der Studentenrevolte, müsse in die politische Arena. Zeitels parteipolitische Karriere begann mit einem Blitzstart: Im gleichen Jahr kandidierte er bereits – wenn auch vergeblich – für den Bundestag, er wurde Vorsitzender des wirtschafts- und sozialpolitischen Ausschusses der Landes-CDU, und ein Jahr später wählte ihn der CDU-Bezirksverband Nordbaden zu seinem Vorsitzenden. In seiner Partei setzte er sich für eine stärkere Ausprägung der Willensbildung von unten nach oben ein und versuchte stets, die divergierenden Meinungen mit gewitztem Verstand, hemdsärmeliger Geselligkeit und volkstümlicher Liebenswürdigkeit zu harmonisieren, um zu einem parteipolitisch geschlossenen Bild nach außen zu gelangen. Sein Schwerpunkt war und blieb zwar immer die Wirtschafts- und Finanzpolitik, doch interessierte sich der Hochschullehrer geradezu zwangsläufig auch für die Bildungspolitik, zumal deren Diskussion ihm viel zu abstrakt erschien. Erste praktische Einblicke in dieses Politikfeld gewann Zeitel als Rektor der Universität Mannheim von 1970 bis 1973.
Geboren wurde Zeitel in Rostock und seinen mecklenburgischen Akzent legte er nie ganz ab. In Berlin machte er sein Abitur, unmittelbar danach folgten Kriegsdienst und -gefangenschaft. Nach seiner Rückkehr betätigte er sich zunächst in der Wirtschaft, bevor er 1948 an der FU Berlin das Studium der Volkswirtschaft aufnahm, das er 1951 mit dem Diplom abschloss. Nach einer Tätigkeit bei der Dresdener Bank und der Landeszentralbank in Berlin kehrte er als Assistent an die Universität zurück und arbeitete an seiner Dissertation, mit der er 1955 zum Dr. rer. pol. promoviert wurde. Seit 1955 war Zeitel wissenschaftlicher Assistent an der Universität Tübingen, an der er sich 1960 habilitierte. 1962 folgte er dem Ruf als Ordinarius für Volkswirtschaftslehre, insbesondere für Finanzwirtschaft, an die WH, ab 1967 Universität Mannheim; ihr blieb er trotz Rufen nach Bochum, Berlin und München bis zum Lebensende treu.
Aufgrund seiner Veröffentlichungen über Steuerbelastung und Steuerdruck im internationalen Vergleich und die Steuerlastverteilung in der Bundesrepublik Deutschland wurde das Bundeskanzleramt auf ihn aufmerksam und berief ihn als „Kapazität seiner Branche“ 1968 in seinen Planungsstab, dem er bis zum Ende der Amtszeit Kurt Georg Kiesingers angehörte. Von 1969 bis 1971 wirkte er in der Großen Steuerkommission im Bundesministerium der Finanzen mit, die der Finanzminister der sozial-liberalen Koalition, Alex Möller, eingesetzt hatte. Ihre Aufgabe, ein gerechtes, einfaches und überschaubares Steuersystem zu schaffen und gleichzeitig das Steueraufkommen nicht zu mindern, erwies sich als Quadratur des Kreises. Im Frühjahr 1971 legte die Kommission ihr Gutachten vor. Schon während ihrer Beratungen hatte Zeitel öffentlich heftige Kritik an der Politik der SPD/FDP-Koalition geübt, der er Effekthascherei und emotionale Aufladung der Politik vorwarf. Aufgrund ihrer zahllosen Verheißungen habe sie einen Kosten- und Preisauftrieb verursacht und die Bundesbank zum Anziehen der Kreditschraube gezwungen, wohl wissend, dass sie damit den Mittelstand stärker belaste als die anderen Bevölkerungsgruppen. Die Nachteile, über eine weitere Staatsverschuldung die Arbeitsplätze sichern zu wollen, lägen auf der Hand: Sinnvolle Vermögensbildung werde unmöglich, der Kapitalmarkt sei überfordert, die Geldentwertung nehme kein Ende. Zu einer großen Steuerreform werde es also nicht kommen. Tatsächlich konnte nach einem mühsamen Gesetzgebungsverfahren von einer wirklichen Neuordnung des Steuersystems keine Rede sein; dazu blieb es in vielfacher Hinsicht zu unübersichtlich und in sich unstimmig.
1972 und 1976 wurde Zeitel über die baden-württembergische CDU-Landesliste in den Bundestag gewählt. In beiden Wahlperioden betätigte er sich als Ordentliches Mitglied im Finanzausschuss und bis November 1977 auch als stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft. In all seinen Ämtern und Funktionen wurde sein Engagement für den Mittelstand zu Zeitels Markenzeichen. Immer wieder betonte er die Bedeutung des Mittelstands für die Entwicklung der bundesdeutschen Wirtschaft und für die marktwirtschaftliche Ordnung: Er habe die Aufgabe, jene Bereiche abzudecken, die die Großindustrie nicht bearbeiten könne, vor allem auf dem Gebiet der Dienstleistungen; er leiste einen erheblichen Beitrag zum Wettbewerb und zur Mobilität der Arbeitskräfte, ihm komme eine Pionierrolle bei der Einführung technischer Ideen und somit eine große gesamtwirtschaftliche Bedeutung zu. So mutet es nicht verwunderlich an, dass Zeitel 1977 zum Vorsitzenden der CDU-Mittelstandsvereinigung gewählt wurde, die er bis 1987 führte. Mit Zeitel trug dort erstmals ein Politiker Führungsverantwortung, der nicht aktiver Unternehmer war. Zeitel verfügte nun über eine Hausmacht, die nach seiner Angabe über 200 000 Selbständige repräsentierte, die tatsächliche Mitgliederzahl der Vereinigung lag freilich unter 10 000.
Da der Mittelstand von allen Politikfeldern berührt wird: seien es Wirtschaft, Steuern und Finanzen, Vermögensbildung, Forschung und Bildung, Fragen der Arbeitszeitverkürzung, Ladenschlusszeiten, Gesundheitspolitik, Familienpolitik u. s. f., meldete sich Zeitel mit Stellungnahmen in vielen Gremien und in der Öffentlichkeit zu Wort. Seine umfassende Präsenz war von der Überzeugung getragen, die Vereinigung brauche eine gewisse Mobilisierung, um ihr gesamtgesellschaftliches Interesse zur Geltung zu bringen. Er griff aber nicht nur Themen auf, die auf der jeweils aktuellen politischen Agenda standen, wobei er vor allem in der Oppositionszeit seiner Partei die Kurzfristigkeit finanz- und wirtschaftspolitischer Maßnahmen der sozial-liberalen Koalition kritisierte und ein politisches Gesamtkonzept forderte, das konjunkturpolitische Maßnahmen besser mit den mittel- und langfristigen struktur- und ordnungspolitischen Maßnahmen verbinde. Er spürte auch neue, zukunftsträchtige Themen auf, wie die technologischen Herausforderungen, die neuen Medien oder die Energiepolitik.
Schon 1977, also drei Jahre vor der Gründung der Bundespartei der „Grünen“, forderte Zeitel politische Weichenstellungen für eine alternative Energiepolitik: u.a Fortentwicklung der Energieanwendung, besonders Reduzierung des Energieverbrauchs, ohne das Wirtschaftswachstum zu beeinträchtigen, Schonung und Substitution sich erschöpfender fossiler Energiequellen durch die Kernenergie, Energierückgewinnungsanlagen, Einsatz der Wärmepumpe zur Nutzung der Umweltwärme aus ökologischen Gründen. Naturgemäß hatte Zeitel bei diesen Vorschlägen im Blick, dass der Ausbau und Export neuer Technologien für den Mittelstand von besonderer Bedeutung waren, um Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Tatsächlich gelang es ihm mit dieser Mischung aus Kritik, grundsätzlichen Stellungnahmen und innovativen Vorschlägen bis zu seinem Amtsverzicht 1987, die Mittelstandsidee aus der Enge eines gewissen Krämerdenkens herauszuführen und die für ihn als so wichtig und tragend angesehene Gruppe der Volkswirtschaft mit Selbstbewusstsein und Geschlossenheit auszustatten. Die Folge war, dass die Mitgliederzahl seiner Vereinigung damals auf rund 36 000 anwuchs. Bei aller Kritik, die Zeitel auch gegenüber Vorstellungen und Maßnahmen der Regierung Kohl äußerte, war ihm stets wichtig, dass die Mittelstandsvereinigung die politische Grundlinie der Union mittrage, „auch wenn uns das eine oder andere nicht gefällt“.
Aufgrund seiner umfassenden Präsenz im Politikbetrieb war Zeitel verschiedentlich als Anwärter auf einen Ministerposten im Gespräch, so in Niedersachsen 1976 und 1978. Auch als Bundesfinanz- oder -wirtschaftsminister war er im Gespräch. Schon 1972 hatte Zeitel sich um das baden-württembergische Wirtschaftsministerium beworben. Finanzminister wurde er aber 1980 in der Regierung von Werner Zeyer im Saarland. Zu seiner Berufung meinte Zeitel, Opposition sei ein relativ hartes Brot, und er möchte, da er nicht in den Sielen der Politik sterben wolle, gerne aus einer administrativen Position heraus politisch etwas gestalten können. Doch kaum ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt erlitt er einen Herzinfarkt, der ihn zunächst für mehrere Monate außer Gefecht setzte. Die Chance, in seinem Amt nun seine finanzwissenschaftliche Reputation mit der Praxis zu synchronisieren, fiel zudem in eine wirtschaftlich sehr schwierige Zeit, so dass Zeitel für seine finanzpolitischen Vorstellungen kaum Spielräume hatte. Einbrüche bei den Steuereinnahmen aufgrund der allgemeinen Wirtschaftslage, der Ausbau der Saar und vor allem die Kohle- und Stahlkrise machten ihm schwer zu schaffen. Deshalb gelang es ihm nicht, Steuern zu senken und die öffentliche Neuverschuldung zu begrenzen. Der Landeshaushalt musste vielmehr über die Grenze der Erträglichkeit hinaus belastet werden.
Bei einer Kabinettsumbildung, mit der Ministerpräsident Zeyer den schlechten Umfragewerten der Regierung gegensteuern wollte, wechselte Zeitel Mitte 1984 in das Ministerium für Kultur, Bildung und Sport und konnte ungeachtet seiner nur achtmonatigen Amtszeit einige Akzente setzen: Neueinstellung von Lehrern oder eine Stunde Deutschunterricht mehr bei Erstklässlern, damit deren Ausdruckfähigkeit zunehme. Wichtig waren ihm auch Kunst und Sport und bereits der Umgang mit Computern. Schulziel müsse – so sein Credo – „Lebenstüchtigkeit“ herausbilden. Die Wahlniederlage der CDU vom 10. März 1985 beendete die Ministerkarriere Zeitels.
In den politischen Ruhestand verabschiedete er sich damit allerdings nicht, sondern setzte sich weiterhin für Themen des Mittelstands ein: Steuerentlastungen, Abbau von Subventionen, Privatisierung der Post. 1987 übernahm Zeitel die Vizepräsidentschaft der Europäischen Mittelstandsunion und forderte eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen und eine rasche Unternehmenssteuerreform sowie eine Fusionskontrolle, da der europäische Binnenmarkt nicht zur „Spielwiese von Spekulanten“ werden dürfe. Auch an der Universität Mannheim blieb er weiterhin aktiv und arbeitete am Aufbau eines Instituts für Mittelstandsforschung, dessen erster Direktor er wurde. In den letzten Monaten seines Lebens bemühte er sich um den Aufbau eines funktionierenden Mittelstands in der ehemaligen DDR. Zeitel starb im Alter von 63 Jahren an seinem zweiten Herzinfarkt.
Quellen: ACDP 04–004 Mittelstandsvereinigung d. CDU, 08–008 Diskussionskreis Mittelstand d. CDU/CSU Fraktion im Dt. Bundestag, Ordner Zeitel; G. Buchstab (Hg.), Protokolle des CDU Bundesvorstandes 1973 bis 1976, vorauss. 2014.
Werke: Lebensdaten u. Bibliographie in: 200 Jahre Wirtschafts- u. Staatswissenschaften an d. Eberhard-Karls-Universität, bearb. von Helmut Marcon, Heinrich Strecker u. Günter Randecker, 2004, 671-677. – Auswahl: Zur Methodologie internationaler Vergleiche von Steuerbelastung u. Steuerdruck, 1956; Die Steuerlastverteilung in d. Bundesrepublik Deutschland, 1959; (Hg. mit Jürgen Pahlke) Konjunkturelle Stabilität als wirtschaftspolit. Aufgabe, 1962; Gutachten über die Methodenwahl zur Durchführung eines Vergleichs d. öff. Steuerlast von Unternehmen in den Mitgliedsstaaten d. EWG, 1968.
Nachweis: Bildnachweise: Portrait im A d. Konrad-Adenauer-Stiftung.

Literatur: Annelies I. Klug (Hg.), Mit dem Mittelstand die Zukunft gestalten. FS für Gerhard Zeitel am 25. November 1987, 1987. Nachrufe: Saarbrücker Ztg. vom 29.1.1991; FAZ vom 30.1.1991 u. Die Welt vom 30.1.1991.
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