Behr, Carl Friedrich 

Geburtsdatum/-ort: 07.05.1849;  Balingen
Sterbedatum/-ort: 27.01.1925;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Textilunternehmer
Kurzbiografie: 1871 Aufnahme einer Flanellhemden- und Filzfabrikation
1876 Übernahme der Firma „C. F. Behr, Trikotwaren-Fabriken“
1881-1888 zusätzlich stiller Teilhaber der Trikotagenfabrik „Vollmoeller&Behr oHG“ in Vaihingen auf den Fildern
1889 Übergabe der väterlichen Tuchhandlung an Rudolf Behr
1900 Ernennung zum Kommerzienrat
1900-1917 Vorstandsmitglied der Industrie- und Handelskammer Reutlingen
1905-1909 Gemeinderatsmitglied in Balingen
1906 Verkauf eines Teils seines Unternehmens an die neugegründete Kommanditgesellschaft „C. F. Behr“ und anschließender Umzug nach Stuttgart
1915 Gründung der offenen Handelsgesellschaft „C. F. Behr Nachfolger“ mit Frühwald Delling und Gustav Rößle als Alleininhaber
1921 Erwerb des Bürgerrechts in Stuttgart
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1881 Berta, geb. Reinhardt (1857-1929)
Eltern: Vater: Christian Friedrich Behr (1816-1876), Kaufmann in Balingen
Mutter: Luise, geb. Sumser (1826-1896)
Geschwister: Mathilde Regine; Emilie; Gustav; Rudolf
Kinder: Else (1882-1960) und Theodora (1887-1966)
GND-ID: GND/1012407012

Biografie: Uwe Fliegauf (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 11-13

Die kleine Oberamtsstadt Balingen bildete das Zentrum einer rohstoffarmen, von kleinbäuerlicher Subsistenzlandwirtschaft geprägten Region, die erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts langsam Anschluss an die industrielle Entwicklung fand und die dennoch mit Behr einen heute fast vergessenen Industriepionier und herausragenden Textilunternehmer hervorbrachte. Auf Betreiben seines Vaters machte sich Behr 1871 mit einer kleinen Flanellhemdenproduktion erfolgreich selbstständig. Das Familienunternehmen, das aus einer florierenden Textilhandlung und einem kleinen Konfektionsbetrieb für Unterwäsche bestand, baute er in den kommenden Jahrzehnten zum führenden Großbetrieb der neu entstehenden Trikotwarenindustrie im Raum Hechingen, Balingen, Ebingen und Tailfingen aus.
Behr begann 1878 mit der Fabrikation von Trikotagen, wobei er die günstigen Rahmenbedingungen geschickt zu nutzen wußte. So profitierte sein neugegründeter Betrieb nicht nur von dem im Gefolge der Reichsgründung 1871 einsetzenden Wirtschaftsaufschwung, der bei steigendem Volkseinkommen eine kaufkräftige Massennachfrage für konfektionierte Trikotunterwäsche schuf, sondern auch von der verbesserten Verkehrsanbindung Balingens durch den 1874 erfolgten Anschluß an die Eisenbahnlinie Tübingen-Stuttgart und deren Verlängerung nach Sigmaringen bis 1878 sowie insbesondere von dem aus der weitgehend handwerklich geprägten und verlagsmäßig organisierten Strumpfwirkerei stammenden, billigen Arbeitskräftepotential. Dank eines Darlehens seiner Mutter und des stetig wachsenden Vermögens verfügte Behr dabei stets über ausreichend Eigenkapital, um die für das Unternehmenswachstum erforderlichen Produktionskapazitäten zügig aufzubauen, ohne in finanzielle Engpässe oder Abhängigkeiten zu geraten.
Die von Behr genutzten Hintergebäude des elterlichen Geschäftshauses in der oberen Kirchstraße, die zudem am 27. 9. 1887 einem Brand zum Opfer fielen, reichten schon nach wenigen Jahren nicht mehr aus. So erzwang das zügige Wachstum des jungen Textilunternehmens, das nach der 1880 erschienenen Oberamtsbeschreibung bei einem Umsatz von 400 000 Mark bereits 200 Arbeiter beschäftigte, in Verbindung mit der Notwendigkeit zu weiterer Rationalisierung der Produktion 1890 den Umzug in einen geräumigeren Fabrikneubau, der durch weitere umfangreiche Neubauten bis 1900 wesentlich erweitert und arrondiert wurde. Schließlich entstand ein geschlossener Gebäudekomplex zwischen Wilhelmstraße und Bahnlinie. Um 1890 verfügte das Werk über moderne Rundwirkstühle der Firma Fouquet&Frauz, eine Abteilung für die Ausrüstung (Waschen, Färben, Bleichen, Kalandern) und eine Dampfkraftanlage. Die arbeitsintensiven Näharbeiten vergab man dagegen in Heimarbeit. Im Jahr 1906 entstand ein Neubau für den Filialbetrieb in Dotternhausen, daneben bestanden weitere Zweigwerke in Endingen, Geislingen, Heselwangen, Owingen, Tieringen und Weilheim. Anläßlich des 25jährigen Betriebsjubiläums, das 1898 mit einer großen Feier von der Stadt Balingen und der Werksbelegschaft begangen wurde, konnte Behr, auf dem Zenit seines unternehmerischen Schaffens stehend, verkünden, dass er, der mit 20 handbetriebenen Wirkmaschinen begonnen hatte, nun „in und außer Haus viele hundert Rundstühle und Nähmaschinen, im ganzen ca. 6-700 Leute“ beschäftigte.
Einen Beleg für das kaufmännische Gespür Behrs bildete die Partnerschaft mit seinem Freund und Schwager Robert Vollmoeller. Beide erwarben 1881 eine kleinere, in Konkurs geratene Trikotfabrik in Vaihingen auf den Fildern, aus der später die bedeutende Firma Vereinigte Trikotfabriken Vollmoeller AG hervorging. Dieses Engagement, bei dem Behr bis zu seinem Ausscheiden 1888 als stiller Teilhaber fungierte, erwies sich als erfolgreich. Robert Vollmoeller zahlte 1888 seinem Schwager Behr dessen Einlage von 300 000 Mark zurück.
Trotz seines guten Einkommens pflegte Behr geschäftlich wie privat einen sparsamen Lebenswandel und begnügte sich in Balingen mit einem großbürgerlichen, aber vergleichsweise bescheidenen Domizil in Fabriknähe, der „Villa Behr“. Auch an seinem Alterswohnsitz Stuttgart bezog er eine schlichte Mietwohnung im Hause Herdweg 35, während er die Sommermonate weiterhin in Balingen verbrachte. Im persönlichen Umgang stets angenehm bescheiden und zurückhaltend, leistete er sich dennoch gelegentlichen Luxus, etwa 1907 bei der Teilnahme an einer Gesellschaftsreise nach Ägypten und Palästina. Ein Kuraufenthalt im berühmten Marienbad wurde 1887 zu einem unvergesslichen Erlebnis, da er die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Fürst von Bismarck fand, den er wie viele Angehörige seiner Generation als Idealbild eines Politikers bewunderte. Dieser schwäbische Unternehmer verfügte durchaus über genügend politischen Sachverstand und geistigen Esprit, um mit dem Reichskanzler ein anregendes Gespräch zu führen. Zudem pflegte Behr freundschaftliche Kontakte zur Familie der Freiherren Cotta von Cottendorff auf Schloß Dotternhausen sowie zu den Freiherren von Stauffenberg in Geislingen. Offizielle Anerkennung für seine vielfältigen Verdienste um die heimische Wirtschaft und sein Engagement „auf dem Gebiete der Volkswohlfahrt“ wurde ihm schon 1900 mit der Verleihung des Ehrentitels Kommerzienrat zuteil.
Im Jahr 1906 zog sich Behr aus dem operativen Geschäft zurück und übersiedelte nach Stuttgart. Seinem in eine neugegründete Kommanditgesellschaft überführten Unternehmen blieb er als Kommanditist und Ratgeber weiterhin verbunden, bevor er sich 1915 endgültig ins Privatleben zurückzog. In seinen letzten Lebensjahren war Behr weitgehend mit der Verwaltung seines umfangreichen Portefeuilles beschäftigt. Sein Vermögen wurde in dem im Jahr 1914 erschienen Jahrbuch der Millionäre auf 10 Millionen Mark geschätzt – er gehörte damit zu den wohlhabensten Industriellen im Königreich Württemberg.
Obgleich Behrs Führungsstil als patriarchalisch charakterisiert wurde, war er nach eigenem Bekunden weit davon entfernt, seinen geschäftlichen Erfolg allein sich selbst zuzuschreiben. Er anerkannte den wichtigen Beitrag seiner Mitarbeiter, die er zu verschiedenen Anlässen mit großzügigen Geldgeschenken bedachte. Darüber hinaus zeigte er sich bei mehreren Bauprojekten seiner Heimatstadt als großzügiger Mäzen und spendete beispielsweise 14000 Mark für eine städtische Turn- und Festhalle sowie 3000 Mark für die Restauration von drei Chorfenstern der Balinger Stadtkirche zum Andenken an seine Mutter. Das nach der Inflation 1922/23 entwertete Vermögen der von Behr 1898 errichteten gemeinnützigen Stiftung wurde nach seinem letzten Willen wieder einbezahlt. Unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit wurde dieser verdiente Unternehmer auf dem Stuttgarter Pragfriedhof bestattet.
Quellen: StadtA Balingen NL-Urkunde Behr 1876, Nr. 872, Vermögensaufstellung zur Eheschließung K. Behrs 1882, Nr. 1401; Gewerbekataster B 576-581, Feuerversicherungsbuch der Firma B 650, Bauakten. Ev. Kirchenregisteramt Balingen, Familienregister.
Nachweis: Bildnachweise: WABW; Ölgemälde und Fotosammlung im Besitz von Hermann Tafel, Stuttgart.

Literatur: R. Martin, Jb. des Vermögens und Einkommens der Millionäre in Württemberg mit Hohenzollern, 1914, 131 und 181 f.; Erinnerungsblatt an das 50jährige Geschäftsjubiläum der Firma C. F. Behr Nachfolger, 1925; Schwäbischer Merkur 43 (1925), 6; W. Foth, Von der Textilfabrik zum Fitnesscenter, in: Zollernalb-Profile 2 (1990), 191-199.
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