Venedey, Martin Georg Christoph 

Geburtsdatum/-ort: 08.04.1860;  Badenweiler (Oberweiler)
Sterbedatum/-ort: 22.04.1934;  Konstanz
Beruf/Funktion:
  • Jurist, (FVP-/DDP-) Politiker, Mitglied des Landtags
Kurzbiografie: 1870-79 Schüler an den Gymnasien in Weinheim, Freiburg i. Br., Rottweil, Abitur in Ellwangen
1879-ca. 1883 Studium der Rechtswissenschaft in Würzburg, Tübingen, Berlin, ab 1881/82 in Freiburg i. Br., anschließend Vorbereitungsdienst und juristische Staatsprüfungen
1885-86 Militärdienst (Einjähriger) in Freiburg i. Br., anschließend Rechtsanwalt in Karlsruhe
1891-1934 Rechtsanwalt in Konstanz
1891-99 und 1903-19 Abgeordneter der Demokratischen Partei (seit 1914 „Fortschrittliche Volkspartei“) in der 2. Kammer des Badischen Landtags, Fraktionsvorsitzender, Vizepräsident des Landtags
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1901 Mathilde, geb. Unglert (1877-1946)
Eltern: Vater: Jakob Venedey (1805-71), Dr. jur., Politiker
Mutter: Henriette, geb. Obermüller (1817-93) (in erster Ehe mit ihrem Vetter Gustav Obermüller verheiratet, der wegen Teilnahme am badischen Aufstand 1849 zu 15 Monaten Einzelhaft im Zuchthaus Bruchsal verurteilt wurde; gest. 1852)
Geschwister: 2
Kinder: 5:
Hans (1902-1969)
Hermann (1904-1980)
Jakob (geb. 1915)
Gustav (1916-1981)
Michael (geb. 1920)
GND-ID: GND/1012407284

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 3 (1990), 276-277

Venedey entstammt jener Elite des linksliberalen Bildungsbürgertums in Südwestdeutschland, die Generationen hindurch mit Leidenschaft für die freiheitliche Demokratie stritt. Ihr bekanntester Vertreter, Theodor Heuss, beschrieb in seiner Inaugurationsrede als Bundespräsident im Jahre 1949, wie sein Vater „in die Seelen seiner jungen Söhne die Legenden des Jahres 48 eingegossen hat“, und in derselben Weise waren für Venedey die Ziele dieses Revolutionsjahrs „nicht bloß Worte, sondern lebensgestaltende Werte“ (Heuss). Sein Vater Jakob Venedey hatte am Hambacher Fest teilgenommen, wurde wegen Hochverrats angeklagt und floh aus dem Gefängnis in die Emigration nach Frankreich (1832-48); er war einer der führenden Köpfe in der Paulskirche und im Stuttgarter Rumpfparlament und gab das Erbe dieser stürmischen Jahre unverkürzt an seinen Sohn Martin weiter. Der Kampf für die demokratische Republik und für soziale Gerechtigkeit, gegen die Monarchie und gegen den Krieg – in seinen späten Jahren wurde er zum überzeugten Pazifisten – waren denn auch für Venedey die lebensbestimmenden Leitmotive. „Es ist nicht nur ein unwürdiger Zustand, wenn ein Volk von 60 Millionen seine Geschicke in die Hand eines einzelnen Mannes legen muß, es ist auch ein gefährlicher Zustand“. Gegen Ende seiner parlamentarischen Laufbahn, am 17. 1. 1918, konnte er mit Fug und Recht im Landtag erklären, daß er „zu allen Zeiten und aus der Überzeugung seines Herzens“ für das Ziel der Demokratisierung gekämpft habe.
Schon mit 31 Jahren rückte Venedey in den Badischen Landtag ein; er eroberte den Wahlkreis Konstanz – gegen den heftigen Widerstand der damals in Baden mächtigen Nationalliberalen – und hielt ihn, mit Ausnahme der Legislaturperiode 1899-1903, bis 1919. Fast 25 Jahre lang focht er im Badischen Landtag mit den scharfen Waffen seines kämpferischen Intellekts und seiner glänzenden Eloquenz, mit Sachkunde und Vehemenz gegen die imperialistische Rüstungs- und Außenpolitik des Kaiserreichs und warnte unablässig vor Krieg und Kriegsfolgen. Noch am 23. 7. 1914 forderte er sarkastisch im „Badischen Landesboten“, „die Kriegshetzer durch einen kalten Wasserstrahl zur Vernunft zu bringen“: „Statt dessen tröstet sich die 'Norddeutsche Allgemeine Zeitung' mit dem unerlaubt naiven Gedanken, daß die Auseinandersetzung zwischen Oesterreich und Serbien 'lokalisiert' werden könne; ein Gedanke, der ganz auf der sonstigen Höhe unserer auswärtigen Politik der letzten Jahrzehnte steht!“ Selbstverständlich wandte er sich scharf gegen die offiziellen Kriegsziele mit ihren maßlosen Gebietsansprüchen und setzte sich energisch für einen Verständigungsfrieden ein.
Aus den Landtagswahlen – nach dem Zusammenbruch – am 5. 1. 1919 gingen die „Fortschrittlichen“, mit 25 Sitzen, als drittstärkste Partei hervor (Zentrum 40, Sozialdemokratie 36, Deutschnationale Volkspartei 6). Venedey, der weithin, auch beim politischen Gegner, geachtete furchtlose Vorkämpfer der jetzt verwirklichten demokratischen Republik konnte erwarten, bei der Regierungsbildung berücksichtigt zu werden, und tatsächlich wurde er auch als badischer Außenminister in der aus Zentrum, Sozialdemokraten und Fortschrittlichen bestehenden Koalition nominiert. Mit der Übertragung dieses verantwortungsvollen Amtes hätte er sich am Ziel eines sich über Jahrzehnte erstreckenden politischen Kampfes sehen können. Infolge infamer innerparteilicher Intrigen jedoch wurde ihm der „Dreiviertelkonservative, Vaterlandsparteiler und Alldeutsche“ („Der Neue Alb-Bote“ vom 23. 12. 1919) Hermann Robert Dietrich, ein Monarchist und Gegner der Venedeyschen Parlamentarisierungsbestrebungen, vorgezogen. Diese beschämende Entscheidung traf Venedey tief und verursachte sein Ausscheiden aus der aktiven Landespolitik.
Die letzten drei Lebenslustren waren düster. Venedey verlor in der Inflation sein Vermögen, und in der Anwaltspraxis kam er auf keinen grünen Zweig, da sie wegen seiner politischen Einstellung empfindlich beeinträchtigt wurde. Venedey war einer der maßgeblichen Führer des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, übernahm den örtlichen Vorsitz in der Deutschen Friedensgesellschaft und stand mit Pazifisten wie L. Quidde und H. von Gerlach in enger Verbindung. Alle diese Aktivitäten führten zu Diffamierungen von Seiten der immer mehr erstarkenden Nationalsozialisten und brachten die große Familie in wachsende Bedrängnis, die sich noch entscheidender bemerkbar machte, als die braune Springflut des Jahres 1933 alle Dämme niederriß. Die beiden ältesten Söhne, aktive und erklärte Gegner des NS-Regimes, mußten sofort emigrieren, die jüngeren Jakob und Gustav wurden wegen der stadtbekannten Gegnerschaft der Familie gegen die NSDAP gezwungen, das städtische Realgymnasium zu verlassen. Der jüngste Sohn Michael konnte mit Mühe und Not die Teilnahme am Abitur am staatlichen Konstanzer Gymnasium durchsetzen. Venedey selbst blieb unbehelligt; vor seiner respektgebietenden Person duckten sich selbst die NS-Proleten. Aber er überlebte die „Machtübernahme“ nur kurze Zeit; „es wird ein schlimmes Ende geben“, sagte er im Mai 1933.
Als er starb, waren zwei seiner Söhne im Exil. Es waren gerade etwas über hundert Jahre vergangen, daß sein Vater Jakob als politisch Verfolgter ins Ausland fliehen mußte. Mathilde Venedey erlebte noch, kurz vor ihrem Tod, das Glück der Heimkehr ihrer fünf Söhne. Die drei jüngeren waren in der Anonymität der Wehrmacht untergetaucht und überlebten.
Nachweis: Bildnachweise: im Privatbesitz von Herrn Jakob Venedey, Berlin.

Literatur: Alois Raus, Erinnerungen an M. Venedey, in: Das Neue Baden, Zeitung der Demokratischen Partei für Süd- und Mittelbaden, vom 19. 5. 1948; Musers und Venedeys Abschied, in: Der Neue Alb-Bote, Ebinger Tagblatt, vom 23.12.1919 (ohne Verf.-Angabe); Manfred Bosch, Hermann Venedey, in: Der Widerstand im deutschen Südwesten 1933-45 (Stuttgart Berlin Köln Mainz 1984, 237-245).
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