Heiss, Kurt 

Geburtsdatum/-ort: 13.08.1909;  Mannheim
Sterbedatum/-ort: 26.11.1976; Berlin (Ost)
Beruf/Funktion:
  • Leiter des DDR-Rundfunks
Kurzbiografie: 1927 Beitritt zur KPD
1929-1931 Studium der Rechtswissenschaften in Berlin und Heidelberg
1931-1933 Redakteur der Mannheimer „Arbeiter-Zeitung“ (KPD)
1933 „Schutzhaft“ im KZ Kislau, nach Flucht im Oktober Emigrationsversuch nach Frankreich, Abschiebung ins Saargebiet
seit 1935 Mitarbeit bei Radio Moskau, dazwischen
1936 Kampf im spanischen Bürgerkrieg bei internationalen Brigaden
1947 Rückkehr nach Deutschland, Mitglied der SED
1947/48 Leiter der Hauptabteilung Politisches Wort im Berliner Rundfunk
1949 Intendant Mitteldeutscher Rundfunk, Leipzig
1949-1951 Intendant Berliner Rundfunk und Deutschlandsender
1951 Generalintendant der Rundfunkanstalten der DDR
1952-1956 Vorsitzender des Staatlichen Rundfunkkomitees der DDR
1957 Generalsekretär der Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland
1959-1961 Chefredakteur des SED-Bezirksorgans „Ostsee-Zeitung“, Rostock
1961-1972 Chefredakteur der Zeitschrift „Humanitas“
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Vaterländischer Verdienstorden der DDR in Silber (1955), in Gold (1969)
Verheiratet: 1932 (?) Liselotte, geb. Allespach (1912-1979)
Eltern: Vater: Johann (Jean), Postbote (1879-1960)
Mutter: Maria, geb. Martis (1880-1961)
Geschwister: 3:
Otto Wilhelm (geb. 1906)
Leo (1910-1957)
Viktor Walter (1912-1945 amtlich für tot erklärt)
Kinder: 2:
Gerda (geb. 1935)
Ursula (geb. 1941)
GND-ID: GND/1012558290

Biografie: Konrad Dussel (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 135-138

Der Blick auf die marode, durch und durch verknöcherte Herrschaft der SED in der Endphase der DDR lässt leicht das moralische Kapital übersehen, von dem die ostdeutschen Kommunisten in den Nachkriegsjahren zunächst einmal zehren konnten – trotz des übermächtigen Schattens, den die Diktatur Stalins auf ihren Versuch warf, ein besseres Deutschland aufzubauen. Dieses Kapital war von Männern wie Heiss angesammelt worden, die in der Weimarer Republik ihren Traum von einer kommunistischen Gesellschaft ohne nationalistische und rassistische Engstirnigkeit entwickelt und ihn trotz aller Widernisse und Verfolgungen während der nationalsozialistischen Jahre bewahrt hatten. Nach dem Sieg der Roten Armee glaubten sie ihre Chance zur Gestaltung eines menschenfreundlicheren politischen Systems zu bekommen. Die Antwort auf die Frage, ob – und wie schnell – sie sahen, dass ihr Idealismus von einem Machtapparat instrumentalisiert wurde, der in seiner Inhumanität in vielem an den nationalsozialistischen erinnert, gehört zu den schwierigsten Problemen ihrer Biographien.
Heiss stammte aus einfachen Verhältnissen, in denen er schon früh mit sozialistischem Gedankengut in Berührung kam. Hoch begabt, wurde es ihm ermöglicht, das Realgymnasium seiner Geburtsstadt Mannheim zu besuchen und das Abitur abzulegen. Bereits KP-Mitglied, ging er 1929 nach Berlin, um Jura zu studieren. Schon nach einem Semester kehrte er jedoch aufgrund politischer Probleme nach Mannheim zurück, um in Heidelberg weiter zu studieren. Doch auch dort hatte es der junge Kommunist unter den zunehmend nationalsozialistisch eingestellten Studenten schwer. Nach drei Semestern verließ er die Universität im Frühjahr 1931 und wurde Redakteur der Mannheimer kommunistischen „Arbeiter-Zeitung“. In dieser Zeit lernte er Liselotte Allespach kennen, die nach einer Lehre beim „Mannheimer Tageblatt“ 1930 der KPD beigetreten und neben ihrer Arbeit als Stadtteilinstrukteur für die Partei tätig war. Sie heirateten, wahrscheinlich im Sommer 1932. Während es seinem Bruder Otto, der 1931 ebenfalls der KPD beigetreten war, nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten gelang, unterzutauchen und noch bis 1935 illegal in Mannheim politisch weiter zuarbeiten, wurde Heiss in Schutzhaft genommen und ins KZ Kislau eingeliefert. Nach wenigen Wochen gelang ihm jedoch die Flucht. Allerdings wurde er in Frankreich nicht aufgenommen, sondern ins Saargebiet abgeschoben. Als das Saargebiet nach der Volksabstimmung wieder an Deutschland angeschlossen wurde, floh Heiss zunächst nach Paris, dann aber nach Moskau, wo er schnell Mitarbeiter bei Radio Moskau wurde. Seine Frau wurde nach der Flucht von Heiss aus Kislau verhaftet, jedoch nach kurzem wieder entlassen, weil die Gestapo so an Heiss herankommen wollte. Im Frühjahr 1934 emigrierte sie ins Saargebiet, wo sie Heiss wieder traf, und folgte ihm weiter nach Paris, wo das erste Kind, Gerda, geboren wurde.
Im spanischen Bürgerkrieg kämpfte Heiss wie sein Bruder Leo auf der Seite der Internationalen Brigaden. Während dieser aber dann nach Frankreich ging, wo er im Mai 1940 von deutschen Truppen gefangen genommen und ins KZ Dachau deportiert wurde und am Aufstand am 28./29. April 1945 beteiligt war, kehrte Heiss nach Moskau und zum Rundfunk zurück. Frau und Tochter wurden nach dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion im August 1941 nach Sibirien gebracht, wo im Dezember die zweite Tochter, Ursula, geboren wurde. Auch Liselotte arbeitete zeitweise für den Rundfunk, u. a. zusammen mit dem späteren Politbüro-Mitglied Fred Oelßner. Erst im April 1943 war die Familie wieder in Moskau vereint.
Zu denen, die im Gefolge Walter Ulbrichts schon im Mai 1945 begannen, einen neuen deutschen Rundfunk in der Sowjetischen Besatzungszone aufzubauen, gehörte Heiss nicht. Er folgte erst 1947, wurde Mitglied der SED und Leiter der Hauptabteilung Politisches Wort im Berliner Rundfunk. Erfahrene Rundfunkmänner und überzeugte Kommunisten waren damals knapp. Als Rudolf Pfützner, der Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks Leipzig, für neue Aufgaben in Berlin gebraucht wurde, stand für Heiss seine Stelle in Leipzig zur Verfügung. Heiss amtierte zwar nur wenige Monate in Leipzig, aber immerhin gelang ihm eine wichtige Personalverpflichtung: Mit dem 1. August 1949 begann die Amtszeit von Hermann Abendroth als Chefdirigent des MDR-Rundfunkorchesters. Wenig später kehrte Heiss wieder zurück nach Berlin.
Am 17. Oktober 1949 war Heinz Schmidt, der damalige Intendant des Berliner Rundfunks, wegen „nationalistischer Überheblichkeit und ‚englischer’ Krankheit“ entlassen worden. Sein Schicksal teilten 16 weitere leitende Mitarbeiter des Berliner Rundfunks. Die Aktion war Teil einer Überprüfung aller Parteifunktionäre, „die länger als 3 Monate in englischer, amerikanischer oder jugoslawischer Kriegsgefangenschaft oder in den westlichen Ländern in der Emigration waren“. Nur so glaubte die SED-Führung die bedingungslose Unterwerfung unter das Diktat Moskaus nach dem „Verrat“ Titos gewährleisten zu können. Sowjet-Emigrant Heiss blieb nicht nur unbehelligt, er wurde auch zum neuen Intendanten des Berliner Rundfunks und des Deutschlandsenders berufen.
Im Rundfunk wurde um diese Zeit nicht nur für die neu eingeführte sozialistische Planwirtschaft geworben, die konkrete Arbeit selbst wurde zunehmend nach Perspektivplänen organisiert. Darüber hinaus stand die „operative Rundfunkarbeit“, die immer wiederkehrende Anweisung zum konkreten sozialistischen Handeln, im Vordergrund. Beliebtes Mittel waren „Einblendungen“, wobei mit Vorliebe musikalische Unterhaltungssendungen unverhofft von politischen Parolen unterbrochen wurden. Auch auf der neuen Position arbeitete Heiss zur vollen Zufriedenheit der Machthaber. Dies zeigte sich nicht zuletzt, als der seit 1947 amtierende Generalintendant des deutschen demokratischen Rundfunks, Hans Mahle, im Juli 1951 seines Postens enthoben wurde.
Als Nachfolger wurde Heiss berufen. Unter dem neuen Generalintendanten wurden gravierende neue Weichenstellungen vorgenommen. Im September 1951 wurde mit dem Bau eines neuen Funkhauses in Ost-Berlin, an der Nalepastraße in Oberschöneweide, direkt an der Spree, begonnen: Schließlich lag (aufgrund komplizierter interalliierter Absprachen unmittelbar nach Kriegsende) das bisher genutzte Funkhaus mitten im britischen Sektor, an der Masurenallee (heute Sitz des SFB bzw. RBB). Im Sommer 1952 konnte der Sendebetrieb komplett verlagert werden. Dies geschah gerade rechtzeitig, um die von Walter Ulbricht während der II. Parteikonferenz ab 9. Juli ausgegebenen neuen Parolen umsetzen zu können. Der „Aufbau des Sozialismus“ wurde aus-gerufen, wozu nicht nur die Reste des traditionellen deutschen Föderalismus beseitigt wurden und an die Stelle von fünf Ländern 14 Bezirke traten. Um die „neuen großen Aufgaben zur Schaffung der Grundlagen des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik“ besser bewältigen zu können, musste der eigene Rundfunk nach dem Vorbild der Sowjetunion umgeformt werden.
Am 14. August 1952 wurde die „Verordnung über die Bildung des Staatlichen Rundfunkkomitees“ erlassen. Die bisherige Generalintendanz wurde genauso abgeschafft wie die traditionelle, im Wesentlichen regional gegliederte Senderstruktur. Stattdessen wurden alle mit der Rundfunkproduktion Beschäftigten in der einheitlichen Institution des Staatlichen Rundfunkkomitees zusammengefasst, das einer zentralen Leitung unterstand. Personelle Kontinuität wurde nicht zuletzt dadurch gewahrt, dass der alte Generalintendant Heiss, der bedingungslos hinter Ulbricht stand, auch den Vorsitz in der neuen Leitung erhielt.
Mit dieser Neuerung brach eine Phase des permanenten Reformierens an, um mit den nach und nach zu Tage tretenden zahllosen Problemen einigermaßen fertig zu werden. Dass es ab 14. September 1952 keinen „Berliner Rundfunk“, keinen „Deutschlandsender“ und keinen „Mitteldeutschen Rundfunk“ mehr gab, sondern nur noch „Berlin I“, „II“ und „III“, werden die Hörer noch verschmerzt haben. Schlimmer war, dass sie in der Praxis nur ausnahmsweise tatsächlich alle drei Sender empfangen konnten; zumeist waren es nur ein oder zwei davon. Die angekündigten Schwerpunktsetzungen sorgten nur in der Theorie für mehr Auswahl; in der Praxis beschnitten sie das Angebot. Auch andere Experimente, die nach der Studienreise einer DDR-Delegation im Winter 1952/53 im ostdeutschen Rundfunk eingeführt wurden, führten nur zu Verdruss. Schließlich blieb auch der Rundfunk von den Unruhen des 17. Juni 1953 nicht verschont. Kritisiert wurde vor allem das wortlastige, stark SED-politikhaltige Programm, in dem einfach nur unterhaltende und unterhaltungsmusikalische Elemente Seltenheitswert besaßen.
Die Leitung des Rundfunkkomitees reagierte rasch, übte viel von der Parteidisziplin erzwungene Selbstkritik und nahm nach und nach fast alles des in der letzten Zeit Eingeführten wieder zurück. Es gab mehr Unterhaltung (zu den größten Erfolgen gehörte die am 12. September 1953 gestartete neue Unterhaltungsreihe „Da lacht der Bär“). Und es gab am Ende einen Sender, der ganz programmatisch für die Bürger der DDR senden sollte – Radio DDR, das ab 20. Mai 1956 zu empfangen war.
Heiss schien alle diese Irrungen und Wirrungen unbeschadet zu überstehen. Ihm war es nämlich gelungen, zumindest ein Ziel der Zentralisierung zu erreichen: eine Menge Personal einzusparen. Es lag dabei nahe, dass vor allem „schlechte Erscheinungen im Rundfunk ausgeschieden wurden“, wie Heiss 1954 dem Politbüro berichtete. Endlich konnte auf etliche derer, die als politisch unzuverlässig galten, verzichtet und sozialistische „Kaderpolitik“ betrieben werden. Am Ende scheint es ihm aber doch an ideologischer ‚Beweglichkeit’ gemangelt zu haben. Mitte März 1956 wurde er aus seinem Amt gedrängt, weil er es an „Freude und Begeisterung für die Durchführung der Aufgaben der 3. Parteikonferenz“ der SED hatte fehlen lassen, wie ihm intern vorgeworfen wurde. Er war wohl nicht deutlich genug auf den von Nikita Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU kurz zuvor vorgegebenen Kurs der Entstalinisierung eingeschwenkt. Nach längerem Hin und Her wurde von der Parteileitung als Nachfolger für die Leitung des Staatlichen Rundfunkkomitees Hermann Ley berufen, ein studierter Zahnarzt, der mittlerweile dialektischen Materialismus an der TH Dresden lehrte. Während aber um die Wende von den 1940er zu den 1950er Jahren derartige Amtsenthebungen geradezu lebensgefährlich waren, beschränkte man sich nun auf bloße, wenn auch drastische Degradierung. Heiss wurde zunächst als Generalsekretär der Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland kaltgestellt, ehe man ihm 1959 noch einmal eine Chance gab, sich als Chefredakteur des Rostocker SED-Bezirksorgans „Ostsee-Zeitung“ zu bewähren. Schon 1961 wurde er jedoch aus dem tagesaktuellen Betrieb herausgezogen und zum Chefredakteur der neu begründeten „Zeitung für Medizin und Gesellschaft“, „Humanitas“, ernannt. Ganz geriet er jedoch nicht in Vergessenheit. Nachdem ein gewisser Vorwurf der Parteiführung darin sichtbar geworden war, dass ihm 1955, anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Deutschen Demokratischen Rundfunks, nur der Vaterländische Verdienstorden in Silber verliehen worden war, wurde ihm 1969 doch noch die Stufe in Gold zuteil.
Heiss, dessen Gesundheit durch sein genauso bewegtes wie arbeitsreiches Leben schwer angegriffen war, musste zunehmend mit Herzproblemen kämpfen, die auch durch zwei Bypässe nicht zu beseitigen waren. 1972 wurde er deshalb berentet, vier Jahre später verstarb er. Er liegt in einem Urnengrab auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde, dem sogenannten „Friedhof der Sozialisten“, begraben.
Quellen: BA Berlin DR 6 (Staatl. Rundfunkkomitee d. DDR); Auskünfte des StadtA Mannheim, UA Heidelberg u. von Ursula Neuber, geb. Heiss.
Nachweis: Bildnachweise: Dussel, 2002, 75 (vgl. Lit.).

Literatur: Der Rundfunk Heiss 41, 1952, 3 u. 25; Gerhard Walther, Der Rundfunk in d. Sowjet. Besatzungszone Deutschlands, 1961, passim; Röder/Strauss, Biograph. Handb. d. deutschspr. Emigration nach 1933 Bd. 1, 1980, 282; Herbst/Ranke/Winkler, So funktionierte die DDR Bd. 3, 1994, 133; Barth/Links/Müller-Enbergs, Wer war Wer in d. DDR? 1995, 285; Baumgartner/Hebig, Biograph. Handbuch d. SBZ-DDR Bd. 1, 1996, 295; Konrad Dussel, Hörfunk in Deutschland 1923-1960, 2002, bes. 74-80.
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