Hirschler, Franz 

Geburtsdatum/-ort: 07.03.1881;  Mannheim
Sterbedatum/-ort: 16.06.1956; Buenos Aires, Argentinien
Beruf/Funktion:
  • Rechtsanwalt, Kommunalpolitiker, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1900-1905 Jurastudium in Heidelberg, Lausanne, München und Erlangen, abgeschlossen mit Promotion
1905-1907 Rechtsreferendar
1907-1933 niedergelassener Anwalt in Mannheim
1918-1919 Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats Mannheim
1919-1933 Mitglied des Mannheimer Bürgerausschusses, dort seit 1927 Vorsitzender der SPD-Fraktion
1933 Mär. Flucht über das Saarland nach Frankreich
1933-1940 Rechtsberater in Paris
1935-1940 Vorsitzender der „Vereinigung der deutschen nach Frankreich emigrierten Juristen“
1940 Emigration nach Übersee
1940-1956 Rechtsanwalt in Buenos Aires
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Verheiratet: 1911 (Mannheim) Berta, geb. Freund (1878-1955)
Eltern: Vater: Aron (1840-1915), Kaufmann
Mutter: Cäcilie, geb. Lakisch (1841-1887)
Kinder: 2:
Hans Martin (geb. 1913)
Otto Ernst (geb. 1913)
GND-ID: GND/1012558398

Biografie: Andrea Hoffend (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 151-152

Als jüdischer Intellektueller und Sozialdemokrat in exponierter Position entsprach Hirschler den von den Nazis kultivierten Feindklischees in geradezu idealer Weise. Seit 1927 Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Mannheimer Stadtverordnetenversammlung, war der Jurist in den letzten Jahren der Weimarer Republik denn auch Hauptadressat der Hassattacken örtlicher NS-Vertreter und nach der „Machtergreifung“ der NSDAP der Erste, der sich aus der Stadt in die Emigration retten musste.
Hirschler war freilich alles andere als ein typischer Sozialdemokrat: Aus gutbürgerlichem Mannheimer Elternhaus stammend, war er nach Studium und Promotion von seinem Freund und Anwaltssozius Dr. Ludwig Frank für die SPD gewonnen worden und hatte sich umgehend an vorderster Stelle in ihr engagiert. 1918/19 findet er sich als Vertreter seiner Partei im örtlichen Arbeiter- und Soldatenrat, den er auf den Weg der parlamentarischen Demokratie zu bringen suchte.
Enge Freundschaften pflegte Hirschler insbesondere mit anderen so genannten „Parteiintellektuellen“ Mannheims wie dem Psychiater und Kulturpolitiker Heinrich Stern, dem Parteiredakteur Heinrich Harpuder oder dem reichsweit bekannten Parteitheoretiker Alexander Schifrin, der als Menschewik von Russland nach Deutschland hatte fliehen müssen.
Eine Figur des öffentlichen Lebens seiner Heimatstadt wurde Hirschler vor allem durch seine ehrenamtliche Tätigkeit als Vertreter der Bürgerschaft. 1919 erstmals in die Mannheimer Stadtverordnetenversammlung gewählt, gehörte er dem Gremium während der gesamten Weimarer Republik an, war Mitglied zahlreicher Ausschüsse und engagierte sich vor allem für kulturpolitische Belange. Seit 1927 führte er den Vorsitz der SPD-Fraktion und setzte sich in dieser Eigenschaft nicht zuletzt vehement gegen alle Versuche zur Wehr, durch Einstellung der Betriebszuschüsse zum Nationaltheater den strapazierten städtischen Haushalt zu sanieren.
Hirschler auch war es, der beherzt die Chance ergriff, die sich der Mannheimer Sozialdemokratie am Jahreswechsel 1927/28 durch den überraschenden Rücktritt des parteilosen Oberbürgermeisters Theodor Kutzer und das gleichzeitige Ausscheiden des Baubürgermeisters unversehens bot: Denn auch wenn sie die mit Abstand stärkste Fraktion im Mannheimer Bürgerausschuss stellten, hätten die Sozialdemokraten Vertreter des „bürgerlichen“ Lagers unter normalen Umständen nur schwer davon überzeugen können, einen SPD-Kandidaten mit zu wählen. Nun aber ließ sich „ein Paket schnüren“: Der in Mannheim vergleichsweise schwachen katholischen Zentrumspartei sicherte Hirschler namens seiner Fraktion zu, einen der ihren ins Bürgermeisteramt zu befördern, wenn das Zentrum umgekehrt einen Sozialdemokraten unterstützte. Auf diese Weise wurde am 30. Januar 1928 der bisherige Kieler Bürgermeister Hermann Heimerich als erster und bis zur NS-„Machtergreifung“ auch einziger Sozialdemokrat zum Oberbürgermeister einer badischen Kommune bestimmt.
In der bürgerkriegsähnlichen Atmosphäre der letzten Jahre vor 1933 fungierte Hirschler in zahlreichen Gerichtsverfahren als Rechtsvertreter sozialdemokratischer Arbeiter, die Opfer tätlicher Übergriffe durch NS-Terror geworden waren. Die politische Befangenheit der deutschen Justiz bekam er dabei unmittelbar zu spüren und zog zugleich den Hass der örtlichen NSDAP-Vertreter auf sich. Indem Hirschler zudem die Ehefrau eines SA-Standartenführers in deren Scheidungsprozess vertrat, gesellte sich aber auch persönliche Rachlust des Ex-Manns seiner Mandantin hinzu.
Seit dem Herbst 1930 war die NSDAP in Mannheim nicht nur auf der Straße, sondern auch im Kommunalparlament vertreten und dieses deshalb über weite Strecken gar nicht mehr verhandlungsfähig. Hauptzielscheiben von NS-Entgleisungen waren hier wie andernorts die Vertreter der Linksparteien, in diesem Falle vor allem der SPD: Ihr Vorsitzender Hirschler wurde als „Judenlümmel“ beschimpft, seine Fraktionskollegen als „Judenschutztruppe“ und das Verlagsgebäude des Mannheimer SPD-Organs „Volksstimme“ als „Redaktions-Synagoge“ diffamiert. Als Anfang 1932 bei einer Bürgerausschusssitzung wieder einmal Verunglimpfungen dieser Art auf die Sozialdemokraten niederprasselten und einer der ihren nun gar mit einem Fauststoß traktiert wurde, endete dies in einer wüsten Prügelei, die erst die herbeigerufene Polizei beenden konnte.
Nach der NS-„Machtergreifung“ an Leib und Leben bedroht wie kein Zweiter in der Stadt, konnte Hirschler am 10. März 1933 vor seiner bevorstehenden Verhaftung im Rahmen einer „Schutzhaft“-Aktion gewarnt werden und mit seiner Frau und den kaum 20-jährigen Zwillingssöhnen ins Saarland flüchten. Von dort aus gelangte er später nach Paris, wo er sich eine Existenz als Rechtsberater aufbaute und in verschiedenen Flüchtlingsorganisationen mitarbeitete. Nach dem Überfall deutscher Truppen auf Frankreich im Frühjahr 1940 für einige Wochen interniert, gelang Hirschler noch im Juni dieses Jahres die Flucht über Casablanca nach Argentinien, wo seine Söhne bereits seit 1937 lebten. In Buenos Aires baute er sich eine neue Existenz als Anwalt auf und betrieb von dort aus nach 1945 unter anderem zahlreiche Wiedergutmachungsansprüche anderer nordbadischer Emigranten. Seinen nach Kriegsende mehr und mehr herangereiften Wunsch, die alte Heimatstadt wenigstens noch einmal wieder zu sehen, konnte Hirschler nicht mehr verwirklichen; im Juni 1956 – einige Monate nach dem Tod seiner Frau – starb er 75-jährig in Buenos Aires.
Quellen: Landesamt für die Wiedergutmachung, Karlsruhe, EK 7000/A, Entschädigungsakte Hirschler; StadtA Mannheim „Judendokumentation“, Nachlass Heimerich u. a.
Werke: Der Tatbestand des Gläubigerverzuges nach gemeinem Recht u. dem Bürgerlichen Gesetzbuch, Diss. jur. Erlangen 1906.
Nachweis: Bildnachweise: StadtA Mannheim Bildsammlung.

Literatur: Hans-Joachim Fliedner, Die Judenverfolgung in Mannheim 1933-1945, 1991 2. Aufl., passim; Karl-Otto Watzinger, Ludwig Frank, 1995, passim; Ursula Langkau-Alex, Dt. Volksfront 1932-1939, 3 Bde., 2004, Bde. 1 u. 2 passim.
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