Gütermann, Alexander 

Geburtsdatum/-ort: 17.07.1858; Wien
Sterbedatum/-ort: 17.11.1941;  Gutach i. Br.
Beruf/Funktion:
  • Fabrikant
Kurzbiografie: 1868-1875 Nach einer Hauslehre Absolvierung der Mittelschule in Freiburg, der École professionelle in Mulhouse, der Höheren Bürgerschule in Freiburg und der Handelsschule in Miltenberg a. M.
1875-1877 Lehrling im Bankhaus J. Nordschild jr., Frankfurt a. M., zuletzt als Kassierer
1877-1880 Kaufmännische Tätigkeit im elterlichen Betrieb, unterbrochen durch Reisen 1880-1882 Tätigkeit in der Seidenfabrikation in Lyon
1885 Teilhaber der Firma Gütermann
1886 Eintritt in die Geschäftsleitung
1896 Besuch des Großherzogspaares in der Firma
1899 Mitbegründer des Autoclubs Freiburg
1906 Mitbegründer des Verbandes Südwestdeutscher Industrieller
1910 Verleihung des Ordens vom Zähringer Löwen
1918 Mitbegründer des Landesverbandes der badischen Textilindustrie
1920 Verleihung der Ehrenbürgerwürde von Gutach
1934 Ausscheiden als persönlich haftender Gesellschafter der Firma
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1885 (Gutach i. Br.) Elise, geb. Schöniger (geb. 14.6.1859 Konstanz, rk., gest. 20.1.1937 Freiburg)
Eltern: Vater: Max Gütermann (1828-1895), Fabrikant
Mutter: Sophie Gütermann geb. Cohn (Kuhn-Mayer, 1832-1870)
Geschwister: Fanny (1855-1941)
Carl (1856-1912)
Julius (1857-1918)
Emma (1860-1877)
Ludwig (1862-1930)
Rudolf (1863-1931)
Minna (1865-1887)
Eugen (1866-1869)
Kinder: Max (1886-1930)
Paul (1887-1959)
Erna (1889-1938)
Helene (1890-1945)
Johanna (1892-1984)
GND-ID: GND/1012561682

Biografie: Heiko Haumann (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 112-114

Schon bald nach Gütermanns Geburt gründete sein Vater Max in Wien, wo er zuvor bereits ein Handelshaus betrieben hatte, 1864 die Nähseidenfirma Gütermann. Wenige Jahre später erwarb er geeignetes Fabrikgelände, zunächst in der Schweiz, dann – 1866/ 67 – in Gutach im Elztal, wo wegen der guten Wasserqualität und der vorhandenen, teilweise schon geschulten Arbeitskräfte der Hauptsitz des Unternehmens errichtet wurde. Hier verlebte Gütermann seine Jugend. Später erinnerte sich Gütermann, wie er 1868, als das Wohnhaus der Familie noch nicht fertig war und diese vorübergehend in der Waldkircher „Löwenpost“ lebte, im dortigen Postamt beim Telegraphieren „helfen“ durfte. Nach gründlicher schulischer und fachlicher Ausbildung trat er 1877 in die Firma und am 10. Januar 1886, als sich sein Vater zurückzog, mit seinen Brüdern in die Geschäftsleitung ein und wurde schließlich Seniorchef. In seine Zeit fällt die große Expansion der Firma. Der Absatz der Nähseidenröllchen ging bis nach Übersee, in vielen Ländern entstanden Filialen, mit modernsten Mitteln wurde Werbung betrieben, das Vertriebssystem war straff durchorganisiert. Gütermanns Vater hatte in Gutach mit 30 Arbeitskräften begonnen, bis zum Ersten Weltkrieg stieg ihre Zahl auf 1800, 1927 waren es hier kaum weniger und weltweit fast 3000. Der Gutacher Betrieb holte sich seine Belegschaft hauptsächlich aus dem Elztal. Um Arbeiterinnen zu gewinnen, richtete die Firma 1893 einen regelmäßigen Leiterwagenverkehr von und nach Elzach ein. Darüber hinaus kamen zahlreiche Mädchen und Frauen aus Oberitalien.
Gütermann ließ nicht nur das Werk wesentlich erweitern: Daneben entstanden Wohnungen – auch ein Mädchenwohnheim –, ein „Consumgebäude“ für Waren des täglichen Bedarfs, eine Krankenanstalt, ein Kindergarten; ein eigener Gutshof lieferte landwirtschaftliche Produkte. Weitere Fürsorgemaßnahmen und Sozialleistungen traten hinzu, dafür verlangte die Firma im Gegenzug immer wieder Steuererleichterungen. Gütermann stiftete in Gutach eine katholische Kirche und unterstützte nachhaltig den Bau der Elztalbahn, der 1901 abgeschlossen wurde. Auch um die Freizeit der Belegschaft kümmerte sich das Unternehmen und förderte den Sportverein – etwa durch den Bau einer Turnhalle – sowie Gesang- und Musikvereine. Umfangreicher Grundbesitz, ein Sägewerk, eine Ziegelei und vor allem ein eigenes Elektrizitätsnetz verstärkten den Einfluß Gütermanns, den er im übrigen auf zahlreiche Betriebe im Elztal ausdehnen konnte. Arbeitskonflikte blieben begrenzt.
Aufgrund dieser Verbindung von erfolgreicher Geschäftsführung und außergewöhnlichem sozialen Engagement, das die Arbeitskräfte an den Betrieb band, sie integrierte und kontrollierte, kann Gütermann als einer der bedeutendsten Unternehmerpersönlichkeiten seiner Zeit angesehen werden. So verwundert es nicht, daß er zum Kommerzienrat ernannt wurde und auch Funktionen in Industrieverbänden übernahm. Viele Jahre war er etwa Vorsitzender des Verbandes der Nähseidenfabrikanten und 2. Vorsitzender des 1906 gegründeten Verbandes Südwestdeutscher Industrieller, dessen Abteilung Wasserwirtschaft er auch leitete. Seine unternehmerische Leistung entfaltete sich insbesondere in den Krisen nach dem 1. Weltkrieg. Noch während des Krieges hatte Gütermann eine Stiftung gegründet, die für in Not geratene Familien von eingezogenen Werksangehörigen sorgte. Den Heimkehrern verschaffte er teilweise Arbeit in Nebenbetrieben, bis die Firma wieder ihre volle Produktion aufnehmen konnte. In der Inflationszeit ließ er eigene, auf US-Dollar ausgestellte Geldscheine drucken, so daß sich die Beschäftigten je nach Bedarf gemäß Kurswert auszahlen lassen konnten und ihr Lohn nicht sofort verfiel. Durch vertriebsorganisatorische und preispolitische Maßnahmen wurde, trotz härtesten Konkurrenzkampfes, auch der Absatz wieder gesteigert. Die Weltwirtschaftskrise seit Ende 1929 hatte auf die Firma keine nachteiligen Auswirkungen, da es Gütermann gelungen war, mit einem britischen Konkurrenten zu einem Ausgleich zu kommen, und infolgedessen die Produktion sogar noch gesteigert werden mußte. Um die Not der von der Krise Betroffenen zu lindern, führte Gütermann die 40-Stunden-Woche ohne Lohnkürzung ein und glich den Produktionsausfall durch die Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte aus. Dies stieß auf erheblichen Widerstand in Unternehmerkreisen und trug Gütermann den Beinamen des „roten Arbeitgebers“ ein.
Gütermann engagierte sich auch in der Kommunalpolitik. 1897 hatte die Firma die Wasserversorgung der Gemeinde Gutach übernommen. Jahrzehntelang wirkte Gütermann dort als Gemeinderat und Bürgermeisterstellvertreter und wurde wegen seiner Verdienste um die Gemeinde mehrfach geehrt, so am 18. April 1920 mit der Ehrenbürgerwürde. Seine Villa bildete ein Zentrum gesellschaftlichen Lebens. Häufig fanden Hausmusik-Veranstaltungen statt. Daneben war Gütermann ein passionierter Jäger und erregte immer wieder Aufsehen, wenn er mit seinem Benz-Automobil, Modell „Victoria“, das er 1894 erworben hatte, durch das Elztal fuhr.
1934 zog sich Gütermann aus der Geschäftsleitung der Firma zurück, blieb aber noch aktiv. Im „Dritten Reich“ hatten sich die Rahmenbedingungen für das Geschäft verschlechtert. Die jüdische Herkunft der Familie spielte nun eine wichtige Rolle. Schon 1919 hatte General außer Dienst Max von der Gallwitz, Ehrenbürger der Stadt Freiburg und späterer Reichstagsabgeordneter der Deutschnationalen Volkspartei, eine deutlich antisemitische Äußerung in sein Tagebuch notiert, als er Gütermann anläßlich der Aussicht auf eine familiäre Verbindung kennenlernte. 1920 war er dann froh gewesen, daß die Verbindung nicht zustande kam. Seit 1933 wurde die Judenfeindschaft zur offiziellen Politik. Die Familie Gütermann war zwar wegen ihrer schweizerischen Staatsbürgerschaft verhältnismäßig geschützt, erfuhr aber doch immer wieder heftige Angriffe der Nationalsozialisten. Trotz Anpassung an das NS-System blieben Benachteiligungen gerade im privaten Bereich nicht aus. 1938 mußte Gütermann schließlich noch eine schwere Krise von Familie und Firma erleben. Nachdem es schon über die Exportpolitik des Unternehmens zu einem Konflikt gekommen war, nutzten die Behörden eine Denunziation, um gegen Familienmitglieder wegen Devisenvergehen zu ermitteln. Bei den Verhören im Betrieb sagten Arbeiter aus, sie hätten auch Gütermann gesehen, wie er eigenhändig im Keller Akten verbrannt habe. Dieser bestritt den Vorwurf und blieb – nach kurzer Untersuchungshaft – straffrei, während zwei Familienangehörige verurteilt wurden. Aufgrund der Untersuchung und der vorübergehenden Inhaftierung der Beschuldigten nahm sich ein weiterer das Leben, einer starb unter nicht ganz geklärten Umständen, einer mußte sich einer psychiatrischen Behandlung unterziehen. So waren die letzten Lebensjahre Gütermanns von diesen Schicksalsschlägen überschattet, zumal er bereits seine Frau und zwei seiner Kinder verloren hatte.
Quellen: Privatarchiv Gütermann; StAF LA Emmendingen, BA Waldkirch, zahlreiche Faszikel, hier bes. 2280, 2284, 2316a; GLAK 233/21822, 237/47624; Gewerbeaufsichtsamt 455 (FR)/670, 507/990a-1005; StadtA Freiburg C 3/376/2; StadtA Waldkirch 5017; Notariat Waldkirch H. T. N. 68/37, 2 H 167/41; BAMA N 710/36; umfangreiche Bestände in: KreisA Emmendingen, Gemeindearchive Kollnau und Gutach; Heimat-Chronik, Beilage zum „Elztäler“ – „Waldkircher Tagblatt“ 9.10.1927.
Nachweis: Bildnachweise: Bürgersaal des Rathauses Gutach (Photo); Das Schachbrett 36, 1989, Nr. 207, 81; Photos in Privatbesitz.

Literatur: 100 Jahre Gütermann. O. O. u. J. (1964); Heiko Haumann, Ein Wald von Fabriken, Fabrikantenvillen u. Arbeiterwohnungen. Probleme d. Industrialisierung im Elztal, in: „s Eige zeige“, Jb. des Landkreises Emmendingen f. Kultur u. Gesch. 1, 1987, 107-128; Das Schachbrett, Werkszeitschrift der Mitarbeiter von Gütermann 36, 1989, Nr. 207 (125jähriges Firmenjubiläum); August Vetter, Kollnau. Die Gesch. einer mittelalterl. Ausbau- u. ländl. Streusiedlung, einer Industrie- u. Wohnsiedlung im Elztal. 700 Jahre Kollnau 1290-1990, hg. v. d. Stadt Waldkirch, Waldkirch 1990; Harald Mager, Gewerbetreibende als Angeklagte vor dem Sondergericht Mannheim, in: Regionale Eliten zwischen Diktatur u. Demokratie. Baden u. Württemberg 1930-1952, hg. von Cornelia Rauh-Kühne und Michael Ruck, München 1993, 263-282, bes. 277-280.
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