La Fontaine, Julius August Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 21.10.1891;  Gondelsheim (Kreis Bruchsal)
Sterbedatum/-ort: 25.01.1947;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Verwaltungsjurist, Verfolgter des NS-Regimes, Ministerialrat, Landespolizeidirektor
Kurzbiografie: 1898-1901 Volksschule (Mannheim-)Seckenheim und Kehl am Rhein
1901-1910 Gymnasium Baden-Baden und (seit 1902) Saarburg
1910-1915 Studium der Rechtswissenschaft in Straßburg und München
1915-1918 Ziviler Sanitätsdienst
1922 (4. 1.) Regierungsassessor in der badischen Innenverwaltung, dann (26. 8. 1922) Amtmann am Bezirksamt – Polizeidirektion Mannheim
1928 Regierungsrat und Vorstand der Polizeischule Karlsruhe
1933 (Frühjahr) Regierungsrat am Bezirksamt Karlsruhe
1939 (15. 9.-16. 10.) abgeordnet als kommissarischer Landrat des Kreises Blonie in Grodzisk (Polen); nach Krankheitsurlaub
1940 (20. 2.) Regierungsrat am Landratsamt Heidelberg
1942 (22. 9. - 8. 11.) verwendet bei der Feststellungsbehörde für Fliegerschäden beim Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe
1943 (27. 1.) verhaftet und nach Verurteilung durch Volksgerichtshof in Berlin am 20. 12. 1943 aus dem Beamtenverhältnis entlassen
1943-1945 (9. 4.) Haft im Zuchthaus Bruchsal, dann im Württembergischen Arbeitshaus Vaihingen/Enz
1945 (10. 4.-30. 9.) Regierungsrat und Direktor des Arbeitshauses Vaihingen, 15. 7. 1945 dort zugleich kommissarischer Landrat
1945 (1. 10.) Ministerialrat beim Präsidenten des Landesbezirks Baden – Abteilung Innere Verwaltung –, 14. 11. 1945 auch Amtsbezeichnung Landespolizeidirektor
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1920 Elisabeth, geb. Spraul (geb. 1898 Saarburg)
Eltern: Vater: Julius La Fontaine (gest. vor 1920), Apotheker in (Mannheim-)Seckenheim
Mutter: Emma, geb. Mull
Kinder: 2:
Yvone Elisabeth Charlotte Martha (geb. 1920 Mannheim)
Julius Karl Wilhelm Felix (geb. 1924 Mannheim)
GND-ID: GND/1012561755

Biografie: Michael Ruck (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 175-177

Als einziger höherer Beamter der badischen Innenverwaltung ist La Fontaine während des Zweiten Weltkrieges in offenen Gegensatz zu der Unrechtspolitik des NS-Regimes geraten und dafür vom Volksgerichtshof abgeurteilt wurden.
Die Mehrheit der höheren Beamtenschaft Badens sah ihre politische Heimat auch zehn Jahre nach der Revolution von 1918 im Grenzbereich zwischen republikanischen und obrigkeitsstaatlichen Kräften. Der langjährige Innenminister Adam Remmele mußte und konnte damit leben. Weniger gleichmütig zeigte sich der sozialdemokratische Politiker, wenn es um den sicherheitsrelevanten Kernbereich seines Ressorts ging. Ende der zwanziger Jahre konzentrierte sich Remmele darauf, die Verwaltung der Landespolizei mit unbedingt republiktreuen Beamten zu durchsetzen. Parallel dazu versuchte die Karlsruher Regierung, zumindest herausgehobene NSDAP-Aktivisten aus dem Staatsdienst zu entfernen – darunter 1929 auch jenen Heidelberger Polizeioberleutnant Karl Pflaumer, der im Mai 1933 als enger Gefolgsmann des NSDAP-Gauleiters Robert Wagner die Führung des Innenressorts übernahm.
Die Bilanz der republikanischen Personalpolitik Remmeles im Bereich der Polizeiverwaltung war eindrucksvoll. Zu Beginn der dreißiger Jahre amtierten in Heidelberg, Karlsruhe und Pforzheim drei Polizeidirektoren, die nicht nur wegen ihrer DDP-Mitgliedschaft als zuverlässige Republikaner galten. An der Loyalität ihrer Kollegen in Mannheim und Freiburg wurde ebenfalls nicht gezweifelt, wenngleich die beiden deutlich weiter rechts standen. Auch als zweite Beamte wurden gezielt Persönlichkeiten mit gutem demokratischem Leumund eingesetzt – was in Anbetracht des besonderen Renommees der Polizeiverwaltung zugleich einer individuellen Karriereförderung gleichkam.
La Fontaine gehörte von Beginn an zu diesem Kreis. Parteipolitisch war er nicht gebunden, galt aber als SPD-Sympathisant. In seinem Fragebogen zur Entnazifizierung gab er allerdings an, bei den Reichstagswahlen 1932 Zentrum und 1933 DDP gewählt zu haben. Aus seiner Altersgruppe, der „Frontkämpfer-Generation“, rekrutierten sich auch in Südwestdeutschland besonders viele Verwaltungsjuristen, die der Parteien- und Verbändedemokratie von Weimar mehr oder minder distanziert gegenüberstanden. Sie waren geprägt worden durch das Kriegserlebnis, die Mitgliedschaft in einer studentischen Korporation und gegenrevolutionäre Freikorpseinsätze in den unruhigen Anfangsjahren der Republik. La Fontaine war insofern ein untypischer Vertreter seiner Generation, denn er hatte sich weder einer Verbindung angeschlossen noch jemals Militärdienst geleistet. Überdies war er nur locker in die personellen Netzwerke des badischen Verwaltungsnachwuchses eingebunden. Denn La Fontaine hatte – entgegen den üblichen Gepflogenheiten – nicht an den beiden Landesuniversitäten, sondern in Straßburg und – nach seiner Ausweisung Ende 1918 – in München studiert. Offenkundig fühlte sich der Abkömmling französischer Vorfahren aus dem Elsaß nicht ausschließlich als badisches Landeskind, obwohl er selbst dort geboren und aufgewachsen war.
In mehrerlei Hinsicht ein Außenseiter der Frontkämpfer-Generation, trat La Fontaine Anfang 1922 bei der Polizeidirektion Mannheim in die badische Innenverwaltung ein. Die linksrheinische Separatistenbewegung war noch in frischer Erinnerung, und die harte Gangart der Pariser Regierung im Reparationskonflikt mit Berlin schürte die nationalen Emotionen an der Grenze zur besetzten Pfalz erneut. Davon unbeeindruckt pflegte La Fontaine in Mannheim weiter private Kontakte zu einem Franzosen, der 1922 als Geheimagent enttarnt und vom Reichsgericht in Leipzig verurteilt wurde. Im Laufe dieses Prozesses konnte sich La Fontaine von dem Verdacht entlasten, die Spionagetätigkeit seines Bekannten bewußt oder unwissentlich begünstigt zu haben. Gleichwohl wurde ihm seine frankophile Haltung im Vorfeld des „Ruhrkampfes“ noch zwanzig Jahre später vorgehalten.
Unter der Ägide Remmeles tat dieser Vorfall dem beruflichen Fortkommen des gut beurteilten Beamten allerdings keinerlei Abbruch. Immerhin bekleidete La Fontaine als stellvertretender Polizeidirektor in der nordbadischen Industriemetropole sechs Jahre lang eine wichtige Position. Dies offenbar zur Zufriedenheit seines Dienstherren, denn 1928 übertrug ihm Remmele die Leitung der neugegründeten Landespolizei- und Gendarmerieschule in Karlsruhe. Eine außerordentliche Laufbahn schien damit vorgezeichnet zu sein.
Im Frühjahr 1933 zerstörte die NS-Machtübernahme diese Aussichten abrupt. Im Zuge jenes umfassenden Personalrevirements, mit dem Wagner und Plaumer der Polizeiverwaltung alsbald das republikanische Rückgrat brachen, wurde La Fontaine an das Bezirksamt Karlsruhe abgeschoben. In der Regionalhauptstadt war der mißliebige Beamte einer besonders intensiven Überwachung unterworfen. Angesichts dessen verhielt sich La Fontaine unauffällig und paßte sich äußerlich an. 1935 trat er dem Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund, 1937 sogar der NSDAP bei. Und als ihm nach dem deutschen Überfall auf Polen eine Landratsstelle im besetzten Gebiet angeboten wurde, versuchte er im Gegensatz zu den meisten seiner gleichaltrigen Kollegen nicht, sich dem zu entziehen. Offenbar hoffte La Fontaine auf diese Weise endlich seine berufliche Blockade durchbrechen zu können. Stattdessen mündete der Osteinsatz in eine persönliche Katastrophe.
Kaum war La Fontaine Mitte September 1939 an seinem neuen Dienstort in Grodzisk nahe Warschau eingetroffen, mußte er mitansehen, wie SD-Einsatzgruppen und deutsche Soldaten systematisch Juden und andere polnische Bürger niedermetzelten. La Fontaine vermochte daraufhin keine Nahrung mehr zu sich nehmen; nach wenigen Tagen erlitt er einen körperlichen und nervlichen Totalzusammenbruch. Nach monatelanger Rekonvaleszenz wurde La Fontaine Ende Februar 1940 dem Landratsamt Heidelberg zugeteilt.
Erst die grauenvollen Erlebnisse in Polen gaben den entscheidenden Impuls für das Oppositionsverhalten eines Beamten, der sich gerade angeschickt hatte, seinen – zumindest äußeren – Frieden mit dem NS-Staat zu machen. Nun kamen auch wieder La Fontaines frankophile Neigungen zum Tragen. An seinem Wohnort Mannheim traf der Fünfzigjährige bald mit einer Gruppe junger Lehrer aus dem Elsaß zusammen, deren antinazistische Einstellungen er mehr denn je teilte. Daß die Junglehrer heimlich französische Kriegsgefangene unterstützten, in einem Fall sogar bei der Flucht, war ihm allerdings nicht bekannt. Gemeinsam mit seiner Frau hörte La Fontaine seit 1941 im Kreise der neuen Freunde ausländische Radiomeldungen ab. Bei diesen Gelegenheiten gaben die Teilnehmer immer wieder ihrer Hoffnung Ausdruck, daß Hitler-Deutschland den Krieg recht bald verlieren möge. La Fontaine erzählte bei diesen Treffen von den Massakern im Osten, und aus Anlaß der Rundfunkmeldungen über die Landung amerikanischer Truppen in Nordafrika stieß die Runde auf die kommende Niederlage der deutschen Wehrmacht an.
Ende Januar 1943 wurde die „staatsfeindliche Abhörgemeinschaft“ von „Feindsendern“ durch eine Denunziation aufgedeckt. La Fontaine kam sofort in „Schutzhaft“; die Gestapo in Karlsruhe und das Sondergericht Mannheim strengten Ermittlungen gegen den Beamten an. Am 25. Oktober 1943 verurteilte ihn der 1. Senat des Volksgerichtshofs zu zehn Jahren Zuchthaus und „Ehrverlust“, seine Ehefrau kam mit zwei Jahren davon; eine der Mitangeklagten erhielt die Todesstrafe zudiktiert. La Fontaine blieb dieses Schicksal erspart, obwohl ihm das NS-Tribunal zur Last legte, ausgerechnet er als Staatsbeamter in leitender Position sei die treibende Kraft des fortgesetzten „Rundfunkverbrechens“ gewesen. Doch Freisler und sein „Gericht“ billigten ihm unter Würdigung seiner „im Grunde nicht reichsfeindlichen Gesinnung“ zu, lediglich infolge seiner angespannten Gemütslage so gehandelt zu haben; im übrigen habe schon der Oberreichsanwalt weder die La Fontaine zur Last gelegten „defaitistischen Reden“ noch die Gründung eines „hochverräterischen Kreises“ zum Gegenstand der Anklage gemacht.
Diese vergleichsweise Zurückhaltung hatte ihre Ursache schwerlich allein in der geschulten Verteidigung des badischen Regierungsrats oder darin, daß der Hauptbelastungszeuge, ein Gestapo-Verbindungsmann, nicht mehr greifbar war. Augenscheinlich sollte La Fontaine „geschont“ werden. Möglicherweise rettete in diesem Falle seine soziale Stellung dem Verwaltungsjuristen das Leben; vielleicht war es auch eine politische Fürsprache aus Karlsruhe. Immerhin hatte ihm der Heidelberger Landrat Naumann nach der Verhaftung ein demonstrativ gutes Dienstzeugnis ausgestellt. Im übrigen verdrängte der Reichsführer SS den bisherigen Reichsinnenminister Frick erst von seinem Posten, als das Verfahren gegen La Fontaine bereits im vollen Gange war.
Nach seiner Befreiung wurde La Fontaine zwar bald als Chef der badischen Polizeiverwaltung nach Karlsruhe zurückgeholt. Doch nachhaltigen Einfluß auf deren (personelle) Reorganisation konnte er nicht mehr nehmen. Der Zuchthausaufenthalt hatte seine Gesundheit unwiederbringlich ruiniert. Nachdem er immer wieder durch Krankheit an der Ausübung seines Dienstes gehindert worden war, starb La Fontaine nur anderthalb Jahre nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft. Wenig später setzte der Rückstrom jener früheren Kollegen ein, die mit dem Hitler-Regime ohne größere Reibungen kooperiert und kollaboriert hatten.
Quellen: GLAK: 466, 1979/2, Nr. 4484/1 (Rest-PA; Bd. 2/3 im GLAK vermißt); 356, 1969/10, Nr. 1905 (Dienstakten Landratsamt Heidelberg); 481, Nr. 1245, Bl. 8 (Lebenslauf v. 1945); 507, Nr. 9944 (Sondergericht Mannheim); GLAK, 465a, Az. 51/11/10521 (Spruchkammerakten). BA Dahlwitz-Hoppegarten: Z-C-8528, Bd. 1 u. 2. (Volksgerichtshof), BDC [jetzt BA Berlin-Zehlendorf]: NSDAP-Karteikarte, Volksgerichtshof.
Werke: Lichtbildwettbewerb d. Beamten d. bad. staatl. Sicherheitsdienstes bei d. Bad. Polizeischule, in: Zs. f. d. ges. Kriminalistische Wiss. u. Praxis 4 (1930), 203-205.

Literatur: Dieter Schiffmann, „Volksopposition“. Unmut, Ungehorsam u. Nonkonformität. Unorganisierte Opposition u. polit. Verfolgung in Mannheim 1933-1945, in: Erich Matthias/Hermann Weber (Hg.), Widerstand geg. d. Nationalsozialismus in Mannheim, Mannheim 1984, 460 f; Jürgen Sikinger/Michael Ruck, „Vorbild treuer Pflichterfüllung?“ Bad. Beamte vor dem Sondergericht Mannheim, in: Cornelia Rauh-Kühne/Michael Ruck (Hg.), Regionale Eliten zw. Diktatur u. Demokratie. Baden u. Württemberg 1930 bis 1952, München 1993, 116 f.; Michael Ruck, Administrative Eliten in Demokratie u. Diktatur. Beamtenkarrieren in Baden u. Württemberg v. d. zwanziger Jahren bis in d. Nachkriegszeit, in: ebd., 58 f.; Horst Ferdinand, Rezension von: Johnpeter H. Grill: Robert Wagner – Der „Herrenmensch“ im Elsaß, in: Eberbacher Geschichtsblatt 1994, 166-170; Michael Ruck; Kollaboration – Loyalität – Resistenz. Administrative Eliten u. NS-Regime am Beispiel d. südwestdt. Innenverwaltung, in: Thomas Schnabel/Angelika Hauser-Hauswirth (Hg.), Formen d. Widerstandes im Südwesten 1933-1945. Scheitern u. Nachwirken, Stuttgart u. a. 1994, 143 u. 146; ders., J. La Fontaine, in: Die Amtsvorsteher d. Oberämter, Bezirksämter u. Landratsämter in B.-W. 1810 bis 1972, Hg. Arbeitsgemeinschaft d. Kreisarchivare b. Landkreistag B.-W, Stuttgart 1996; ders., „Der Korpsgeist hat alles überstanden.“ Zur Rolle d. administrativen Eliten in Südwestdt., München 1996.
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