Lechleiter, Georg 

Geburtsdatum/-ort: 14.04.1885;  Appenweier
Sterbedatum/-ort: 15.09.1942;  Stuttgart (hingerichtet)
Beruf/Funktion:
  • Kommunalpolitiker und MdL-KPD, Widerstandskämpfer, Opfer des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1892–1900 Volksschule Appenweier
1900–1903 Lehre als Schriftsetzer bei Druckerei Sturm, Oberkirch
1903–1906 Buchdrucker bei Fa. F. Seitz in Bretten, in St. Blasien u. Emmendingen
1912–1918 Aufenthalt in d. Schweiz: Chur, 1914 –1917, Schaffhausen, 1917–1918, u. Davos, 1918
1919 II. Umzug nach Mannheim, Leiter einer Buchhandlung für sozialistische Literatur, Mitbegründer d. KPD-Ortsgruppe
1922–1933 Mitglied des Mannheimer Gemeinderats u. hauptamtl. KPD-Funktionär
1923 Verurteilung zu 13 Monaten Festungshaft
1924–1933 MdL-KPD
1933–1935 „Schutzhaft“ in den KZ Ankenbuck u. Kislau
1935–1942 arbeitslos, Notstandstands- bzw. Hilfsarbeiter, Schriftsetzer
1941 Bildung d. „Widerstandsgruppe Lechleiter“ in Mannheim
1942 Verhaftung u. Hinrichtung
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk., später konfessionslos
Verheiratet: 1930 (Mannheim) Anna, geb. Häberli, verw. Lüthi (1882–1964)
Eltern: Vater: Georg (1852–1914), Schuhmacher
Mutter: Theresia, geb. Wiedemer (1858–1929)
Geschwister: 9
Kinder: Jakob (Adoptivsohn, 1911–1994)
GND-ID: GND/1012568946

Biografie: Karl-Heinz Schwarz-Pich (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 251-254

Während seines Aufenthalts in der Schweiz über die Zeit des I. Weltkrieges schloss sich Lechleiter der dortigen Sozialdemokratischen Partei an und besuchte marxistische Zirkel, in denen Grundwissen über den Sozialismus vermittelt und die Allgemeinbildung gefördert wurde. Das spiegelt sich später in den von Lechleiter verfassten Artikeln deutlich wieder. Lechleiter zitiert viel: Karl Marx, Heinrich Heine, Friedrich von Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Nietzsche; er verfasste auch Gedichte. Während seiner Schweizer Zeit lernte Lechleiter im Zusammenhang mit seiner politischen Betätigung seine spätere Ehefrau kennen, die aktives Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz war.
Nach Ende des I. Weltkriegs kehrte Lechleiter nach Deutschland zurück und nahm seinen Wohnsitz in Mannheim. Lechleiter zählte zu den Aktivisten beim Aufbau des Mannheimer Ortsverbands der KPD, die sich am 1. Januar 1919 in Berlin gegründet hatte. Er wurde zum verantwortlichen Redakteur der „Roten Fahne“ berufen, die neben dem Zentralorgan der KPD mit gleichem Namen als Regionalzeitung für Mannheim und Baden erschien. In gleicher Funktion war er von 1922 an für die „Arbeiterzeitung“ tätig, die damals für Baden an die Stelle der „Roten Fahne“ getreten war. Lechleiters Begabung als Redner und seine schriftstellerische Veranlagung begünstigten seine schnelle Karriere. Auf deren 5. Parteitag 1920 wurde er in den Zentralausschuss gewählt und nahm im selben Jahr als Mitglied der Organisationskommission am Vereinigungsparteitag von USPD (Linke) und KPD teil. 1920/1921 war Lechleiter politischer Sekretär der Bezirksleitung Baden der KPD. 1922 wurde er in den Mannheimer Stadtrat gewählt und 1924 in den Landtag von Baden, wo er in der Fraktion für Kommunalfragen verantwortlich war. Bis 1932 betätigte sich Lechleiter als Vorsitzender der Landtagsgruppe der KPD. Innerhalb der KPD wurde Lechleiter zum Flügel der Gemäßigten gerechnet.
In seiner Funktion als verantwortlicher Redakteur der Arbeiterzeitung wurde er im Februar 1923 vom Staatsgerichtshof in Leipzig wegen Aufrufs zum Hochverrat zu 13 Monaten Festungshaft verurteilt, die er in Gollnow in der Nähe von Stettin absaß. Es kam zu einer ganzen Reihe weiterer Verurteilungen wegen Veröffentlichungen in der Arbeiterzeitung, auch für Artikel die Lechleiter nicht selbst verfasst hatte. Nach der NS-„Machtübernahme“ wurde Lechleiter am 22. März 1933 in „Schutzhaft“ genommen und ins KZ-Lager Ankenbuck eingewiesen und nach dessen Auflösung 1934 ins KZ Kislau bei Karlsruhe verlegt. Als er eine „Loyalitätserklärung“ abgegeben und sich verpflichtet hatte, sich täglich auf dem Polizeirevier in Mannheim-Waldhof zu melden, wurde er am 18. April 1935 „probeweise beurlaubt“, so zumindest lautete die amtliche Bezeichnung für den Status von Lechleiter nach der Entlassung. Er war dann zunächst anderthalb Jahre arbeitslos, anschließend kam er bis Januar 1938 als Notstandsarbeiter beim Bau des Westwalls zum Einsatz, und arbeitete ab 1939 bis zu seiner Verhaftung wieder auf seinem Beruf als Schriftsetzer.
Größere Widerstandaktionen der KPD in der Illegalität lassen sich für die mittleren 1930er Jahre bis zur Bildung der sogenannten „Lechleiter-Gruppe“ in Mannheim nicht nachweisen. Das hing auch damit zusammen, dass zum einen die führenden Funktionäre der Partei wie Lechleiter und Paul Schreck (vgl. S. 362) verhaftet waren, Gruppen der KPD aber, die den Kampf aufnahmen, von der Gestapo schnell zerschlagen wurden. Zu großer Irritation und Lähmung der Aktivitäten führte auch der am 24. August 1939 zwischen Hitler-Deutschland und der Sowjetunion unterzeichnete Nichtangriffspakt, der „Hitler-Stalin-Pakt“. Das änderte sich schlagartig mit dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. In diese Zeit fällt die Bildung der nach Lechleiter benannten Widerstandsgruppe der KPD, die im Raum Mannheim agierte. Sie war die bedeutendste kommunistische Widerstandsgruppe Südwestdeutschlands, in der neben Kommunisten auch Sozialdemokraten und Parteilose tätig waren. Die Führung lag bei den Kommunisten; Lechleiter war ihr Initiator und führender Kopf. Der harte Kern dieser Gruppe umfasste ca. 20 Personen.
Ziel der Gruppe Lechleiter war es, in Großbetrieben in Mannheim und Umgebung, wie Benz, Lanz, dem Strebelwerk, kommunistische Zellen aufzubauen. Diese Zellen, die aus drei Personen bestanden, wurden zentral angeleitet. Zwischen den einzelnen Gruppen gab es aus Sicherheitsgründen keine Querverbindungen. Wie im Ansatz erkennbar wird, sollten die Aktivitäten über Mannheim hinaus ausgeweitet werden. Zur Information vor allem über die tatsächliche militärische Lage an den Fronten des II. Weltkriegs wurde für die Zellenmitglieder ein Informationsblatt, „Der Vorbote“, herausgegeben. Den Namen hatte die Zeitung geliefert, die der aus Frankenthal stammende Revolutionär Philipp Becker (1809–1886), ein enger Freund von Karl Marx und Friedrich Engels, 1866 in Genf herausgegeben hatte. Die erste Nummer des „Vorboten“ erschien im September 1941 in Mannheim. Insgesamt wurden bis Dezember 1941 vier Nummern verteilt. Verantwortlich für die Zeitung war Lechleiter, der auch die meisten Artikel verfasste. Der Verteiler der Zeitung war genau festgelegt, eine eigenmächtige Weitergabe war untersagt.
Die Informationen zur militärischen Lage wurden überwiegend aus dem „Deutschen Volkssender“ der KPD bezogen, der von der Sowjetunion aus Nachrichten über Kurzwelle verbreitete; dazu kamen deutschsprachige Sendungen des Moskauer Rundfunks und der BBC London. Berichtet wurde auch über die soziale Lage in Deutschland, den von Deutschland besetzten Ländern und solchen, die mit Deutschland verbündet waren. Außerdem waren in dem Blatt Anweisungen und Anleitungen für die illegale Arbeit zu finden. Über die Auflage gibt es keine sicheren Angaben; von der zweiten Nummer an sollen 60 Exemplare gedruckt worden sein; die folgenden dann mehr als 100 betragen haben. Verantwortlich für den technischen Ablauf war Jakob Faulhaber, ein ehemaliger Funktionär der KPD. Hergestellt wurde die Zeitung im Keller von Philipp Brunnemer in der Margeritenstraße, heute Philipp-Brunnemer-Weg in Mannheim-Gartenstadt. Brunnemer hatte vor dem Verbot der SPD angehört. Im Unterschied zu früher üblichen Texten, die vom Agitpropstil geprägt waren, waren die Artikel des „Vorboten“ sachlich gehalten, für den Leser nachvollziehbar, insofern also auch glaubhaft und überzeugend.
Am 26. Februar 1942 wurden Lechleiter, Jakob Faulhaber, Rudolf Langendorfer, Ludwig Moldrzyk und Anton Kurz festgenommen. Weitere Verhaftungen folgten. Am 16. Mai 1942 verurteilte der Volksgerichtshof Lechleiter und weitere 13 Mitglieder der Widerstandsgruppe wegen Vorbereitung zum Hochverrat, Feindbegünstigung, Wehrkraftzersetzung und Verbreitung ausländischer Rundfunksendungen zum Tode. Die Hinrichtung erfolgte in Stuttgart durch das Fallbeil; die Sterblichen Überreste von Lechleiter und anderer Hingerichteter wurden noch am selben Tag der Anatomie in Heidelberg überstellt und im März 1943 eingeäschert, die Asche auf dem Bergfriedhof in Heidelberg anonym eingescharrt, dann aber erneut am 22. Juli 1950 zusammen mit anderen Opfern des Nationalsozialismus feierlich beigesetzt.
Darüber, wie es zur Enttarnung der Gruppe gekommen ist, gibt es unterschiedliche Versionen, schlüssige Beweise allerdings fehlen. Lechleiter selbst verdächtigte Gustav Süß aus Ludwigshafen, vor 1933 aktives Mitglied der KPD, den er in seine Pläne im Juni 1942 eingeweiht hatte. Für die Annahme, dass Süß für die Gestapo gearbeitet hat, sprechen Indizien. Sicher zumindest ist, dass gegen ihn keine Anklage erhoben wurde, obwohl er mit Lechleiter und anderen Widerstandskämpfern der Gruppe im engen Kontakt gestanden hatte. Süß’ Verbleib galt ist bis auf den Tag ungeklärt; er schien seit 1946 spurlos verschwunden. Im Jahr 2010 hat das „Roten Kreuz“ in Moskau auf eine Anfrage des Suchdienstes des „Roten Kreuz“ in München mit Schreiben 189 432 vom 19. März mitgeteilt, dass Süß am 12. Juli 1946 durch Organe der sowjetischen Besatzungsmacht festgenommen wurde und am 30. Dezember 1947 im „NKWD-Speziallager Sachsenhausen“ verstorben ist.
Zum Gedenken an Lechleiter wurde der „Platz des 30. Januar“ in Mannheim-Schwetzingerstadt am 21. Juli 1945 in „Georg-Lechleiter-Platz“ umbenannt und dort am 24. Februar 1988 eine von Prof. Manfred Kieselbach gestaltete Bronze enthüllt. Aus Anlass des 30. Todestages wurde 1972 in der Alten Frankfurterstraße 30 in Mannheim-Waldhof, dem letzten Wohnsitz Lechleiters, eine Erinnerungstafel angebracht. Am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem Bergfriedhof in Heidelberg ist Lechleiter seit 2001 genannt.
Quellen: BA Berlin R 3003/13, J 1006/23, Anklageschrift wg. Hochverrat; GLA Karlsruhe 507/9427, Sondergericht Mannheim 1942, u. 480 EK 14863, Wiedergutmachungsverfahren nach 1945; KirchenA Appenweier, Geburtseintrag Lechleiters; StadtA Mannheim S1/1208, S2/771, Personenstandsbögen; Stadtarchive Appenweier, Bretten, Mannheim, Lahr sowie Chur, Schaffhausen u. Davos (CH), Melderegister; ZS-Bestand in F 32020; F4; „Der Vorbote“ Nr.1 – 4, in: Fritz Salm, Im Schatten des Henkers, [1973], Dokumentarteil; Nachlass Lechleiter beim Sohn Georg Lechleiter, Zürich; FamilienA Lechleiter beim Neffen Georg Lechleiter, Appenweier; Auskünfte von Prof. Dr. Joachim Kirsch, Direktor d. Anatomie d. Univ. Heidelberg vom Februar 2009, u. a. über Akten zum Umgang mit den sterbl. Überresten von Lechleiter; Prof. Dr. Dieter Fehrenzt, VVN Heidelberg, vom März 2009, d. Witwe Anna Lechleiter u. d. Nichte Maria Konzili-Kieffer, St. Gallen, vom März 2009.
Nachweis: Bildnachweise: Bronzestatue Lechleiterss von Manfred Kieselbach, von 1988 auf dem Georg-Lechleiter-Platz in Mannheim-Schwetzingervorstadt; Fotos bei Georg Lechleiter, Appenweier (vgl. Quellen).

Literatur: Handbuch für den Bad. Landtag, IV. Sitzungsperiode 1929–1933, 1929; Fritz Salm, Im Schatten des Henkers, 2 [1973]; Geschichte d. dt. Arbeiterbewegung Bd. 5, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee d. SED, 1966, 315; Autorenkollektiv, Geschichte d. Arbeiterbewegung. Biogr. Lexikon, 1969, 270 ff.; Hermann Weber, Die Wandlung des dt. Kommunismus. Die Stalinisierung d. KPD in d. Weimarer Republik Bd.2, 1969; Max Oppenheimer, Der Fall Vorbote, 1970; Christian Zentner (Hg.), Das große Lexikon des Dritten Reichs, 1985; Texte zur Ausstellung „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ in Mannheim, Geschichtswerkstatt des Bürgervereins Gartenstadt, 2002; Hermann Weber, Deutsche Kommunisten, 2004; Michael Caroli, in: Geschichte d. Stadt Mannheim Bd. 3, 2009, 389–390.
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