Plieninger, Hans Albert 

Geburtsdatum/-ort: 17.01.1914; Zürich
Sterbedatum/-ort: 23.12.1984; London
Beruf/Funktion:
  • Chemiker
Kurzbiografie: 1926-1932 Jan. Internatsschule „Schloß Salem“ Bodensee
1932 Apr.-Okt. Studium an der Universität Frankfurt/M.
1932 Nov.-1935 Okt. und 1937 Nov.-1938 Dez. Studium an der Technischen Hochschule München
1935 Nov.-1937 Okt. und 1939 Aug.-1940 Mär. Militärdienst
1938 8. Dez. Diplomexamen: „Die katalytische Hydrierung von Acetylen und Aethylen an Palladium-Katalysatoren“
1939 Jun.-1942 Mär. und 1941 28. Jul. Dr.-Ing.: „Zur Konstitution des Bilirubins und über Tripyrrene“
1942 Mär.-1944 Dez. Mitarbeiter bei IG Farbenindustrie, Ludwigshafen
1945 Jan.-Apr. Wissenschaftliche Hilfskraft an der Technischen Hochschule München
1946 Mai-1953 Aug. Forschungschemiker bei der Knoll AG, Ludwigshafen
1953 5. Dez. Habilitation an der Technischen Hochschule Darmstadt aufgrund seiner bisherigen Publikationen; Habilitationsvortrag: „Auf- und Abbau des Blutfarbstoffs“; Antrittsvorlesung: „Anlagerungs- und Abspaltungsreaktionen mit Radikalmechanismus“, ab Okt. Wissenschaftlicher Assistent am Chemischen Institut der Universität Heidelberg, 1954 Umhabilitierung an der Naturwissenschaftlich-mathematischen Fakultät der Universität Heidelberg
1958-1979 29. Jul. Diätendozent, ab 1960 außerplanmäßiger Professor, 1961 Wissenschaftlicher Rat, 1964 Extraordinarius, 1967 Ordinarius bis zur Emeritierung
1984 4. Jun. Umweltschutzmedaille der Deutschen Umweltstiftung
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1942 (Heidelberg) Herta, geb. Freudenberg (geb. 1916)
Eltern: Vater: Reginald (1885-1914), Dr. ing.
Mutter: Adele, geb. Hauck, verwitwete Plieninger, verheiratete Deckert (1892-1988)
Geschwister: 2:
Halbschwester Lilo, geb. Deckert, verheiratete Pohlmann (geb. 1924)
Halbbruder Klaus Deckert
Kinder: 3:
Thomas (geb. 1943)
Mathias (geb. 1945)
Peter (geb. 1947)
GND-ID: GND/101256942X

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 274-276

Plieninger entstammte väterlicherseits einer bürgerlichen Familie aus Stuttgart, mütterlicherseits einer großbürgerlichen Familie aus Frankfurt am Main. Seinen Vater kannte Plieninger nicht, er war im September 1914 in Lothringen gefallen, worauf seine Mutter bald wieder einen Freiburger Arzt heiratete. Plieninger verbrachte in Freiburg seine Kindheit, besuchte die Volksschule und zwei Klassen eines Gymnasiums. Mit 12 Jahren kam Plieninger in die Zweigschule Spetzgart des bekannten Landerziehungsheims Salem am Bodensee, wo er bis zum Abitur blieb. Diese Zeit prägte seine Einstellung zur bescheidenen Lebensweise und zur Selbstdisziplin.
Plieninger studierte zuerst ein Semester Chemie in Frankfurt, wo seine Mutter mit der Familie wohnte, dann einige Jahre an der Technischen Hochschule München, wobei sein Studium durch Militärdienst unterbrochen wurde. 1938 konnte Plieninger eine gute Diplomarbeit im Grenzgebiet zwischen der physikalischen und der organischen Chemie vollenden. Anschließend begann er seine Doktorarbeit in organischer Chemie bei dem Nobelpreisträger H. Fischer. Ab Juni 1939 wurde Plieninger als wissenschaftliche Hilfskraft am Organisch-Chemischen Institut der Technischen Hochschule angestellt, bald aber wieder zum Heeresdienst berufen. Auf Antrag des einflussreichen Doktorvaters Geheimrat Prof. Hans Fischer wurde Plieninger im März 1940 vorläufig beurlaubt und ab 20. Juni desselben Jahres von der Technischen Hochschule München unabkömmlich gestellt. H. Fischer, durchaus ein anspruchsvoller Chef, charakterisierte Plieninger als „einen ausgezeichneten Chemiker“, den er menschlich nur von der besten Seite kennengelernt habe. Den Grad eines Doktor-Ingenieurs erwarb Plieninger mit dem Gesamturteil „sehr gut“.
In diese Zeit fiel ein noch größeres Ereignis: Durch seinen Internatsfreund Hermann Freudenberg hatte Plieninger dessen Schwester Herta kennengelernt, die bald seine Lebensgefährtin wurde. Wie schon vor der Promotion hatte Plieninger eine geteilte Assistentenstelle inne. Ende 1941 wurde es aber klar, dass seine Befreiung vom Militärdienst nicht weiter verlängert werden könnte. So ging Plieninger in die Industrie und arbeitete bei der IG Farben, Werk Ludwigshafen bei Walter Reppe bis zum Ende 1944, als H. Fischer wieder eine Möglichkeit fand, Plieninger als unabkömmlich an der Technischen Hochschule München einzustellen.
Nach dem Zusammenbruch sollte Plieninger während eines Jahres, so er selbst, „außerberuflich tätig“ sein, bis er eine Stelle bei der Knoll AG in Ludwigshafen fand. Dort führte er erfolgreich Synthesen mehrerer Eiweiß-Aminosäuren wie auch der Stoffe der Lysergsäurereihe durch. Aus seiner Zeit in der Industrie stammen 19 Patente über verschiedene Syntheseverfahren in der organischen Chemie. Als das Leben sich wieder stabilisierte, konnte Plieninger schließlich eine akademische Laufbahn antreten. Aufgrund seiner publizierten Arbeiten habilitierte er sich an der Technischen Hochschule Darmstadt; die Habilitation in Heidelberg war aus formalen Gründen unmöglich, weil der Direktor des Chemischen Instituts K. Freudenberg sein Schwiegervater war. Anschließend kam Plieninger als Assistent an das Chemische Institut Heidelberg, wo er gleichzeitig als Forscher und Lehrer arbeitete.
Als Forscher verstand sich Plieninger als synthetischer Organiker mit dem Schwerpunkt der Anwendung und Entwicklung neuer Methoden insbesondere in der Naturstoff-Chemie. Schon nach Plieningers Vortrag in Freiburg im Jahre 1952 urteilten die dortigen Chemieprofessoren: „Wir hatten den Eindruck eines ganz seltenen und originellen synthetischen Talentes“ (aus dem Gutachten zur Vorschlagsliste 1953). Plieninger liebte experimentell zu arbeiten und wusste immer neue Möglichkeiten in seinem Bereich ausfindig zu machen. Insbesondere führte er seit 1962 das Hochdruck-Verfahren (bis 10 000 bar) in die organisch-präparative Methodik ein, welches als große Leistung weltweite Anwendung fand. Wie die Fachliteratur zeigt, fanden auch andere synthetische Innovationen Plieningers eine weite Beachtung. Einige seiner 200 Publikationen werden noch heute zitiert. Für breit angelegte Darstellungen fand er dagegen keine Zeit. Erst bei seiner Emeritierung verabschiedete sich Plieninger mit einem Übersichtsvortrag, in dem er die Leitgedanken seiner Arbeiten darlegte: den biosynthetischen Weg der von ihm bearbeiteten Stoffklassen in der Natur aufzuspüren.
Als akademischer Lehrer widmete sich Plieninger einer bisher meist vernachlässigten Aufgabe: die Ausbildung der naturwissenschaftlichen Lehramtskandidaten und Biologen in Chemie, deren Ausbildungsgang er reformierte und attraktiver gestaltete. Dazu gehörte auch eine Überarbeitung des bekannten Lehrbuchs Freudenbergs über die „Organische Chemie“, das als „Freudenberg-Plieninger“ 7 Auflagen in Deutsch und mehrere Übersetzungen im Ausland erfuhr. Dass Plieninger als Professor sehr beliebt war, zeigt der Fackelzug, den seine Schüler und Mitarbeiter ihm zum 65. Geburtstag bereiteten, ein Vorgang, der im Heidelberg der 1970er Jahre schon außergewöhnlich war. In diesem Jahrzehnt war Plieninger zweimal geschäftsführender Direktor des Chemischen Instituts und hat das Institut betont liberal und demokratisch geleitet, wie sein Nachfolger G. Ege festhielt.
Auch als besonders engagierter Staatsbürger, der zusammen mit seiner Frau „Kristallisationspunkt vielfältiger Initiativen des kritisch-bürgerlichen Heidelberg“ (C. Girndt, 1985) war, tat er sich hervor, sei es, wenn er sich für die Friedensbewegung einsetzte oder für die Verbesserung der Umwelt. Die Stadt Heidelberg ist den Plieningers für mehrere Umweltschutzmaßnahmen verpflichtet. Drei Jahre vor der Emeritierung erwarb Plieninger einen Bauernhof in der Toskana, wo er seine Vorstellungen über Ökologie und biologischen Ackerbau zu verwirklichen suchte. 1982 unternahm er eine ungewöhnliche Aktion, die weite Resonanz, u. a. in der UdSSR, erfuhr: Kaum war das Buch von J. Shell „Das Schicksal der Erde: Gefahr und Folgen eines Atomkriegs“ in deutscher Übersetzung erschienen, bestellte Plieninger 519 Exemplare beim Verlag und schickte sie allen 519 Mitgliedern des Bundestages. Diese einmalige Tat, die ihn etwa 10 000 DM kostete, verdeutlicht seine große Sorge wegen der atomaren Aufrüstung.
Plieninger starb nach seiner dritten Bypass-Operation, für die er sich entschieden hatte, weil er kein Leben in Abhängigkeit und Einschränkung führen wollte. Für seine Mitmenschen war Plieninger ein Muster bürgerlicher Verantwortung, ein Kämpfer für eine lebenswerte Umwelt und für den Frieden, dessen wissenschaftliches Werk über Jahrzehnte Bestand hatte.
Quellen: Hist. A d. TU München Promotionsakte Plieninger; A d. TU Darmstadt TH 45 Chemie/Ehem. Dozenten u. Honorarprofessoren, Habilitation Dr. Plieninger; UA Freiburg B15, Nr. 132; UA Heidelberg Personalakte 2909 u. 8473, Rep. 14-23 u. Rep. 14-565; Institut d. Organischen Chemie d. Univ. Heidelberg Sammlung d. Veröffentlichungen von Plieninger u. von Materialien über ihn; UnternehmensA d. Fa. Freudenberg, Weinheim Nr. 1/00338; UnternehmensA d. BASF Auskünfte; Auskünfte u. Materialien von Herta Plieninger.
Werke: (mit H. Fischer) Synthese des Biliverdins (Uteroverdins) u. Bilirubins, d. Biliverdine XIIIa u. IIIa sowie d. Vinylneoxanthosäure, in: Zs. für physiolog. Chemie 274, 1942, 231-260; Die Aufspaltung des g-Butyrolactons u. a-Amino-g-Butyrolactons mit Natriummercaptid bzw. -selenid. Eine Synthese des Methionins, in: Chem. Berr. 83, 1950, 265-268; (mit G. Werst), Einfache Methode zur Darstellung von Aldehyden, in: Angew. Chemie 67, 1955, 156-157; (mit M. Decker), Eine neue Synthese für Pyrrolone, insbesondere für „Isooxyopsopyrrol 2 u. 2 Isooxyopsopyrrol-carbonsäure“, in: Ann. d. Chemie 598, 1956, 198-207; (mit K. Freudenberg), Organische Chemie, 1958 8. Aufl., 1984 14. Aufl.; (mit H. Bauer u. a.), Über D3-Pyrrolone u. Alkoxypyrrole, in: Ann. d. Chemie 654, 1962, 165-180; (mit H. Bauer u. a.), Synthese von Pyrrol- u. Indol-Derivaten, ebd. 680, 1964, 69-82; (mit W. Lehnert), Eine neue Synthese für Hydro-benz[cd]indol-Derivate, in: Chem. Berr. 100, 1967, 2427-2434; (mit D. von der Brück u. a.), Reaktionen unter hohem Druck, eine Bereicherung d. organisch-präparativen Methodik, in: Chem. Ztg. 94, 1970, 183-189; (mit F. El-Barkawi u. a.), Neue Synthese u. 14C-Markierung von Bilirubin-IXα, in: Ann. d. Chemie 758, 1972, 195-201; The Influence of High Pressure on Organic Reactions in the Fluid Phase, in: High Temperatures – High Pressures 9, 1977, 513-514; (mit A. Gossauer), Synthesis, Purification and Characterization of Bile Pigments and Related Compounds, in: The Porphyrins VI , D. Dolphin Editor, N. Y., 1979, 585-650; (mit I. Preuss), Ein neuer synthetischer Weg zu Phytochromobilin-ähnlichen Gallenfarbstoffen, in: Liebigs Ann. d. Chemie 1983, 585-598.
Nachweis: Bildnachweise: UA Heidelberg; UnternehmensA d. Fa. Freudenberg; Bibliothek des Chemischen Instituts d. Univ. Heidelberg; Communale (= Heidelberger Wochenztg.) vom 10.1.1985, 5 (vgl. Quellen u. Lit.).

Literatur: G. Ege, H. Plieninger 70 Jahre, in: Ruperto Carola Jg. 36, H. 70, 1984, 147; G. Ege, Zum Tode von H. Plieninger, ebd. Jg. 37, H. 72/73, 1985, 534; C. Girndt, Großbürger u. Wandervogel. Zur Erinnerung an H. Plieninger, Communale (= Heidelberger Wochenztg.) vom 10.1.1985, 5 (mit Bild).
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