Paeslack, Volkmar Gustav 

Geburtsdatum/-ort: 24.07.1925; Berlin
Sterbedatum/-ort: 19.09.1998;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Rehabilitationsmediziner, Initiator der Paralympics
Kurzbiografie: 1935-1943 Berlinisches Gymnasium zum Grauen Kloster bis Abitur
1943-1944 Reichsarbeitsdienst und Wehrdienst, schwer verwundet an der Ostfront bei Tilsit
1945 Entlassung aus französischer Kriegsgefangenschaft in Bad Kreuznach
1945-1946 Pfleger in der Psychiatrischen Klinik der Bodelschwingschen Anstalten in Bethel
1946-1951 Studium der Medizin an der Universität Mainz, 1951 Staatsexamina mit „sehr gut“, Dr. med. „magna cum laude“: „Kasuistischer Beitrag zur Frage der Chorea-Psychosen“ bei Hanns Ruffin, Ordinarius für Psychiatrie an der Universität Mainz
1952-1953 Pflichtassistent an der Medizinischen Klinik der Städtischen Krankenanstalten Darmstadt; 1953 Hilfsarzt, danach Wissenschaftlicher Assistent an der Medizinischen Universitäts-Poliklinik Heidelberg
1953-1963 Ausbildung im Fach „Innere Medizin“ an dieser Klinik; 1962 Facharzt für Innere Krankheiten, 1963 Habilitation: „Internistische Aspekte der Querschnittlähmung“
1963-1964 Studienaufenthalte am „National Spinal Cord Injuries Centre of the Stoke Mandeville Hospital“, Aylesbury, England, bei Sir Ludwig Guttmann
1965 Wissenschaftlicher Rat
1965-1986 Oberarzt an der Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg; Planung und Realisierung eines Querschnittgelähmtenzentrums in der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg, 1968 dessen Leiter
1969-1972 Beratung beim Aufbau und ärztliche Leitung (nebenamtlich) des Südwestdeutschen Rehabilitationskrankenhauses Karlsbad-Langensteinbach
1970 außerplanmäßiger Professor
1972 Planungsbeauftragter der International Stoke Mandeville Games – Paralympics (Weltspiele der Gelähmten) in Heidelberg
1975 Ordinarius für Allgemeine Rehabilitationsmedizin an der Universität Heidelberg
1993 Entpflichtung, bis 1995 Vertretung des Lehrstuhls
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Albert-Schweitzer Medaille (1990); Ludwig-Guttmann-Preis (1993); Bundesverdienstkreuz am Bande (1997); Ehrenmitglied der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegie (1998)
Verheiratet: 1962 (Heidelberg) Anneliese Elisabeth, geb. Büchler
Eltern: Vater: Meinhard (1895-1954), Dr. phil., Studienrat, Theologe
Mutter: Theodora, geb. Püschel (1897-1985)
Geschwister: 2
Kinder: 2
GND-ID: GND/1012575969

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 254-256

Wie den meisten seiner Generation blieben auch Paeslack Kriegsdienst, Verwundung und Kriegsgefangenschaft nicht erspart. In den erlebten Notsituationen entstand wohl der Entschluss, dem leidenden Menschen im Arztberuf beizustehen. Dafür sprechen auch der in Bethel geleistete Dienst an psychisch Kranken und die aus dem Elternhaus mitgebrachte religiöse Bindung. Das medizinische Studium bewältigte Paeslack zügig und schloss es mit sehr guten Examina ab. Als seinen wichtigsten Lehrer sah er den Direktor der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg, Professor Herbert Plügge (1906-1972), an. Das Thema der Dissertation, das Phänomen des Veitstanzes, weist auf in Bethel gesammelte praktische Erfahrungen zurück. Fast zehn Jahre dauerte die folgende Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin; in diese Zeit fällt allerdings auch eine ausgedehnte Tätigkeit als Konsiliararzt an der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg und die Übernahme der internistischen Verantwortung für die dortigen Querschnittgelähmten. Das Thema der Habilitationsschrift – „Internistische Aspekte der Querschnittlähmung“ – zeigt denn auch an, dass zu dieser Zeit schon ein von dem anfänglichen medizinischen Werdegang her nicht unbedingt zu vermutendes neues Interessen- und Aufgabengebiet in Paeslacks Blickfeld getreten war: die Querschnittlähmung.
1963 berief ihn der damalige Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg, Professor Kurt Lindemann (1901-1966), als Assistenzarzt an diese Klinik. Lindemann war als Vorsitzender der Deutschen Vereinigung zur Förderung der Körperbehindertenfürsorge an einem Mitarbeiter mit der bei Paeslack erkennbaren Interessenrichtung besonders gelegen. 1965 wurde ihm, nun Oberarzt, die Leitung einer 25-Betten-Station für Querschnittgelähmte anvertraut. Zu dieser Zeit hatte sich die ärztliche Lebensaufgabe Paeslacks, die Rehabilitation Gelähmter, schon ganz klar abgezeichnet. Grundlegende Erfahrungen auf diesem Gebiet konnte er in den Jahren 1963 und 1964 während mehrmonatiger Studienaufenthalte bei Sir Ludwig Guttmann (18991980) im Stoke Mandeville Hospital in Aylesbury, Südengland, sammeln. Die bahnbrechende Methode Guttmanns basierte vor allem auf zwei Prinzipien: auf der „Rehabilitation der ersten Stunde“, d.h. der möglichst sofortigen und konsequenten medizinischen Versorgung nach Eintritt der Lähmung, und der „Rehabilitation der Person“, d.h. der beruflichen und sozialen Eingliederung der Gelähmten in die Gesellschaft – Prinzipien, an die noch vor Jahrzehnten nicht zu denken war, als die Lebenserwartung querschnittgelähmter Patienten relativ gering bemessen schien, während sie sich in der Gegenwart dank dem Fortschritt in der Rehabilitationsmedizin dem durchschnittlichen Lebensalter annähert.
Als wesentliches und unverzichtbares Element der Wiedereingliederung erwies sich der Behindertensport. Dies wurde einer breiten Öffentlichkeit bewusst, als 1972 in Heidelberg die Weltspiele der Behinderten, die „Paralympics“, veranstaltet wurden. Paeslack, der mittlerweile weithin bekannte Rehabilitationsfachmann, hatte die immens schwierige Aufgabe der Planung dieser Spiele übernommen, und sie verliefen dank der sorgfältigen und gewissenhaften Ausrichtung des von der „Stiftung Rehabilitation, Heidelberg“ gestellten qualifizierten Mitarbeiterstabes und der anerkannten Autorität des ärztlichen Leiters Paeslack so erfolgreich, dass dieser sie später als eine der wichtigsten Stationen seiner Laufbahn ansah.
1975 wurde an der Universität Heidelberg ein Lehrstuhl für Allgemeine Rehabilitationsmedizin geschaffen, der erste Lehrstuhl mit dieser Aufgabenstellung an einer deutschen Universität. Die Vorgeschichte der Einrichtung dieses Lehrstuhls hängt aufs engste mit der von Paeslack seit den 1970er Jahren erbrachten Leistung auf dem Gebiet der Rehabilitationsmedizin zusammen. Es war deshalb zu erwarten, dass Paeslack, der sich inzwischen mit einer großen Zahl wissenschaftlicher Arbeiten als erstrangiger Fachkenner ausgewiesen hatte, auf diesen Lehrstuhl berufen wurde. Gleichwohl reagierten Fachkreise auf die Übernahme einer Abteilung in einer großen orthopädischen Universitätsklinik durch einen Nicht-Orthopäden überrascht. Paeslack ließ sich nicht beirren. Schon bei der Übernahme der Querschnittgelähmtenabteilung 1965 hatte er damit begonnen, ein kompetentes und sich der Verantwortung für die Patienten voll bewusstes Team aufzubauen, das er in jeder einzelnen Sparte seiner Abteilung – Ärztlicher Dienst, Pflege, Ergotherapie, Physiotherapie, Sozialdienst, Psychologischer Dienst – dazu anleitete, stets „den eigenen beruflichen Auftrag neu zu überdenken und sich fachlich zu qualifizieren, um den gemeinsamen rehabilitativen Handlungsprozess inhaltlich mitzugestalten und ständig neu zu verbessern“ (Anne Pape). So konnte sich die von Paeslack geleitete Abteilung zu einem der führenden Querschnittzentren nicht nur in Deutschland entwickeln. Die bei den Paralympics 1972 bekräftigte internationale Geltung der von Paeslack auf der Grundlage der Guttmannschen Prinzipien eingeführten Rehabilitationsmethoden wuchs schnell und kam in mehreren ehrenvollen Berufungen zum Ausdruck. Schon 1971 bis 1974 war Paeslack Präsident der „International Medical Society of Paraplegy“ (IMSOP) und gab viele Jahre das Organ dieser Gesellschaft „Paraplegia (Spinal Cord)“ mit heraus. Enge Beziehungen unterhielt er nach Italien, wo er die Associatione Paraplegici in Rom beim Aufbau einer modernen Behandlungs- und Versorgungsstruktur beriet. Viele italienische Patienten wurden in Heidelberg behandelt. 1989 berief ihn das Internationale Rote Kreuz nach der Erdbebenkatastrophe in Armenien nach Eriwan, wo er die Errichtung eines ersten Spezialklinikums für Gelähmte beratend unterstützte. Die Beziehung zu Sir Ludwig Guttmann blieb über die Jahrzehnte bestehen; mit ihm war Paeslack kollegial und freundschaftlich verbunden.
Neben seinen vielfältigen Aufgaben in der ärztlichen Selbstverwaltung wirkte Paeslack in vielen Fachgremien mit. So war er schon 1963 bis 1967 Vorsitzender des Fortbildungsausschusses der Bezirksärztekammer Nordbaden. Dem Vorstand der Heidelberger Ärzteschaft gehörte er über 35 Jahre an. Seit 1969 war er als Vertreter der Landesärztekammer Baden-Württemberg ständiges Mitglied im Ausschuss für Rehabilitation beim Sozialministerium Baden-Württemberg. Von 1975 an war er Vorsitzender des Ausschusses „Rehabilitation“ der Landesärztekammer und des Wissenschaftlichen Beirats der „Deutschen Stiftung Querschnittlähmung“. Führend tätig war er in der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegie, 1985 bis 1987 als deren Präsident.
Aber bei all den vielen Ämtern und Ehrenämtern – im Mittelpunkt stand für Paeslack immer der gelähmte Patient. Seine ärztliche Kunst, seine Noblesse und seine Güte verhalfen vielen, deren Lebensumstände durch die Lähmung radikal verändert worden waren, zu einem neuen Beginn. Die Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegie bleibt das Diskussionsforum für die Weiterführung des von Paeslack begonnenen Werks. „Die Geschichte der Rehabilitation in Deutschland und insbesondere die Rehabilitation Querschnittgelähmter ist untrennbar mit seinem Namen verbunden“ (Hans Jürgen Gerner).
Quellen: Mitteilungen von Elisabeth Paeslack u. Anne Pape, Heidelberg.
Werke: Über 300 Buch- u. Zeitschriftenbeiträge, Aufsätze u. Artikel; verzeichnet in: Schriften-Verzeichnis d. Heidelberger Dozenten, 1963-1994, dann unter dem Titel: Heidelberger Dozentenbibliographie, 1995-1997, hg. v. d. Univ.-Gesellschaft Heidelberg, 1964-1998.
Nachweis: Bildnachweise: H. J. Gerner, in: Paraplegiker 4, 1998.

Literatur: Kees Pons, „In memoriam Prof. Dr. med. V. Paeslack“ u. Hans Jürgen Gerner, „Prof. Dr. med. V. Paeslack“, beide in: Informationsbl. d. Deutschsprach. Medizin. Ges. für Paraplegie, Febr. 1999; Hans Jürgen Gerner/Friedrich-Wilhelm Meinecke, Obituary V. Paeslack, in: Spinal Cord, 1999, 37; Hans Jürgen Gerner, Nachruf auf V. Paeslack, in: Paraplegiker 4, 1998; Anne Pape, Abschied von Prof. Dr. med. V. Paeslack, in: Krankengymnastik, 1999, Nr. 2.
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