Großwendt, Elisabeth Friederike 

Geburtsdatum/-ort: 26.06.1881; Metz
Sterbedatum/-ort: 16.02.1960;  Brettach, Lkr. Heilbronn
Beruf/Funktion:
  • Kommunalbedienstete, Frauenrechtlerin, Redakteurin
Kurzbiografie: 1906–1919 Gewerbeaufsichtsbeamtin beim Gewerbeaufsichtsamt Colmar, ab 1914 beurlaubt
1914–1916 Leiterin d. Zentrale für Kriegsfürsorge d. Stadt Colmar
1916–1918 Referentin für Arbeiterinnenfragen bei d. Kriegsamtstelle Straßburg
1919 II–VII Referentin für den weiblichen Arbeitsnachweis beim württ. Landesamt für Arbeitsvermittlung
1919 VII–1920 IV Erste Geschäftsführerin des Jugendamts d. Stadt Halle/Saale
1920 IV–1934 III Erste Vorsteherin des Jugendamts d. Stadt
1934 III Entlassung aus dem städtischen Dienst
1946 III–1949 XII Redakteurin bei den Badischen Neuesten Nachrichten
1946 X Mitbegründerin d. Karlsruher Frauengruppe
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: Ledig
Eltern: Vater: Theodor (1847/48–1901)
Mutter: Anna, geb. Lindenberger
Geschwister: 3; Hans,(1879–1969), Architekt, Otto, Steuerinspektor, u. Emma
Kinder: keine
GND-ID: GND/1012583236

Biografie: René Gilbert (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 154-156

Nach Abschluss der Höheren Mädchenschule in ihrer Geburtsstadt Metz half Großwendt zunächst ihrem Vater bei der Leitung kaufmännischer Betriebe. Anschließend besuchte sie mehrere Seminare für Nationalökonomie an der Universität Straßburg. 1905 arbeitete sie sechs Monate in verschiedenen Fabriken in Baden, Bayern und im Elsass, um die Lage der Arbeiterinnen der wesentlichen Industriezweige Süddeutschlands aus eigener Anschauung kennenzulernen. Hierfür lebte Großwendt auch in Mädchenwohnheimen und Arbeitervierteln. Über ihre Beobachtungen schrieb Großwendt zwei, wohl nicht erhaltene Berichte, „Die Lage der Arbeiterinnen“ und „Die Arbeit in der Tabakindustrie“, aufgrund derer sie 1906 zur ersten Gewerbeaufsichtsbeamtin in Elsass-Lothringen ernannt wurde. Die Stilllegung der elsässischen Industrie während des I. Weltkriegs führte zu ihrer Beurlaubung. Großwendt übernahm von 1914 bis 1916 die Leitung der Zentrale für Kriegsfürsorge der Stadt Colmar. Dann war sie von Januar 1917 bis November 1918 Referentin für Arbeiterinnenfragen in der Kriegsamtstelle Straßburg.
Nachdem das Elsass wieder französisch geworden war, verließ Großwendt ihre Heimat und ging nach Württemberg, wo sie 1919 als Referentin für den weiblichen Arbeitsnachweis beim Landesamt für Arbeitsvermittlung in Stuttgart arbeitete. Da ihr Vertrag nicht verlängert wurde, bewarb sich Großwendt für den Posten der ersten Geschäftsführerin des städtischen Jugendamts in Halle an der Saale, den sie bereits Mitte Juli 1919 antrat. Trotz unbefristeter Anstellung verließ Großwendt Mitteldeutschland nach weniger als einem Jahr, da sie als „Süddeutsche in dieser Landschaft und dieser Stadt an […] Heimweh“ litt und Halle „eine in menschlicher Beziehung eigenartige Bevölkerung [habe], in der heimisch zu werden, dem Süddeutschen schwer fällt.“ (StadtAK 1/POA1/1011; alle weiteren Zitate ebd.).
Nach Süddeutschland zurückgekehrt wurde sie Vorsteherin des Karlsruher Jugendamts, das ihr im April 1920 vom Karlsruher Stadtrat übertragen wurde. Damit war Großwendt die erste Frau in der Geschichte der Fächerstadt, die ein Amt leitete. Zu ihren wichtigsten Aufgaben zählten die Betreuung und Fürsorge minderjähriger Waisen, unehelicher Kinder und lediger Mütter. Damals trat sie auch in die DDP ein, besonders wegen der darin vertretenen „Führerinnen der Frauenbewegung.“
Mit der NS-„Machtübernahme“ kam auch für Großwendt das Aus ihrer beruflichen Laufbahn. Im Juli 1933 meldete ihr Vorgesetzter, der damalige Leiter des städtischen Fürsorgeamts, Franz Fichtl, Bedenken bezüglich ihrer weiteren Verwendung im Kommunaldienst an. Er bezweifelte, dass sich Großwendt wegen ihres parteipolitischen Engagements „heute rückhaltlos für den nationalen Staat“ einsetzen werde. Nach dieser Einschätzung beschloss der Karlsruher Stadtrat Großwendts vorzeitige Versetzung in den Ruhestand. Die zu diesem Zeitpunkt 52-jährige erklärte aus Gründen der „Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ hierzu zunächst ihre Zustimmung, widerrief diese aber wenig später wieder – ohne Erfolg. Ende März 1934 wurde Großwendt zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Neben dem Verlust ihrer mit Überzeugung ausgeübten Tätigkeit hatte sie finanzielle Einbußen hinzunehmen und musste in eine kleinere Wohnung im Dammerstock umziehen. Trotz dieser Nachteile unternahm Großwendt keine Versuche, sich mit dem NS-Regime zu arrangieren. Noch im März 1934 erklärte sie die Einstellung ihrer Spenden an das Winterhilfswerk des Deutschen Volkes. Und als 1937 die NS-Volkswohlfahrt Großwendt zum Eintritt in deren Organisation aufforderte, lehnte sie dies mit den bemerkenswerten Worten ab: „Ich habe […] kein Interesse, Volkswohlfahrt mittels der Partei auszuüben.“ Die NS-Ortsgruppe ihres Stadtteils forderte von der Karlsruher Stadtverwaltung auch prompt Konsequenzen: „Wir verzichten in diesem Fall unerhörter Dreistigkeit vorerst, uns mit dieser asozialen Volksgenossin auseinanderzusetzen und geben die Angelegenheit an Sie weiter, da es Ihnen am geeigneteren Platz auf kürzerem Wege möglich ist, auf die unglaubliche Unverschämtheit die nötige Lektion zu erteilen.“
Nach Kriegsende hoffte Großwendt aufgrund ihrer belegten Gegnerschaft zum NS-Regime ihre Arbeit für die Stadt Karlsruhe wieder aufnehmen zu können. Doch wie bei bemerkenswert vielen anderen Nichtbelasteten zerschlug sich diese Hoffnung. Dafür traf sie wieder auf Franz Fichtl, der in der gesamten NS-Zeit Direktor des Fürsorgeamts gewesen war und nun erneut dieses Amt innehatte. Dieser gab zur Frage von Großwendts möglicher Wiedereinstellung an: „Die Verwaltungsoberinspektorin Großwendt ist bekanntlich nicht entlassen, sondern zur Ruhe gesetzt worden. Grund hierfür war nicht ihre Zugehörigkeit zur demokratischen Partei, sondern ihre Leistungen“. Der von den französischen Militärbehörden eingesetzte Bürgermeister Josef Heinrich übernahm diese Ansicht und lehnte Großwendts Wiedereinstellung endgültig ab. Im März 1946 begann die mittlerweile 64-Jährige daraufhin als Redakteurin der gerade von den amerikanischen Behörden lizenzierten Badischen Neuesten Nachrichten, für die sie in ihrer ersten Ausgabe die Rubrik „Die Frau hat das Wort“ schuf. Großwendt schrieb den ersten Leitartikel „Die Macht der Frau“ und forderte die Beteiligung der Frau am politischen und gesellschaftlichen Leben in Deutschland. Bis Ende der 1940er-Jahre übernahm sie die „Frauenschriftleitung“ bei den Badischen Neuesten Nachrichten, für die sie die Entwicklung der Emanzipation der Frau verfolgte und kommentierte. So ermutigte Großwendt im Vorfeld der Wahlen zum Karlsruher Gemeinderat vom Mai 1946 und Dezember 1947 die Frauen, da sie schließlich die Mehrheit der Wählerschaft bildeten, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Ernüchtert stellte sie anschließend fest, dass insbesondere verheiratete Frauen die Auseinandersetzung mit politischen Themen mehrheitlich ihren Männern überließen und dass diese in der Konsequenz oft auch die Entscheidung über das Ausfüllen des Wahlzettels träfen. Dennoch war Großwendt mit ihren regelmäßigen Beiträgen zu Frauenfragen bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand Ende 1949 die publizistisch einflussreichste weibliche Stimme für Frauen in Karlsruhe.
Großwendt fand in der DVP ihre gesellschaftspolitischen Ideen auf kommunaler Ebene repräsentiert. Seit der Weimarer Zeit verstand sich Großwendt als Vertreterin einer bürgerlichen Frauenbewegung, die eine gegenseitige Ergänzung von Mann und Frau anstrebte. Wesenszüge wie Milde, Güte und Friedfertigkeit suchte sie der Gesellschaft nahezubringen. Großwendt war zeitweise Schriftleiterin der Frauengruppe der DVP-Karlsruhe, den Einzug in den Karlsruher Gemeinderat, für den sie im Dezember 1947 auf Rang 4 kandidierte, verpasste sie. Hierzu mag neben ihrer ungewöhnlich kräftigen Statur auch ihr forsches Auftreten mit markanter Stimme und Zigarre beigetragen haben, das zur damaligen Zeit wohl als allzu emanzipiert empfunden wurde. Als Mitglied des städtischen Fürsorgeausschusses konnte sie nur bescheidenen Einfluss auf die Kommunalpolitik nehmen. Großwendt gehörte auch zu den Mitbegründerinnen der überparteilichen und interkonfessionellen Karlsruher Frauengruppe im Oktober 1946, für die sie am 12. Oktober 1946 den Gründungsaufruf in den Badischen Neuesten Nachrichten verfasste. Als verantwortliche Redakteurin der „Frauenschriftleitung“ hielt sie zudem dienstags im Gebäude der Badischen Neuesten Nachrichten eine Sprechstunde der Frauengruppe ab. In deren Arbeit brachte sie sich auch im Ruhestand bis Mitte der 1950er-Jahre ein. Neben diesem Ehrenamt beschäftigte sich Großwendt in ihren letzten Lebensjahren mit der Malerei, dem Modellieren und der Illustration von Bilderbüchern für Kinder. Sie starb 1960 in Brettach, im Hause einer Freundin.
Nach ihrem Tod lange Zeit fast vergessen, wurde Großwendts Leben und Werk durch die 1992 erschienene Publikation zur Karlsruher Frauengeschichte bekannt. Im Jahr 2000 ehrte die Stadt Karlsruhe Großwendt durch eine Straßenbenennung in der Südstadt.
Quellen: StadtA Karlsruhe 1/Bez.Verw.Amt/100, Verzeichnisse d. Ausschussmitglieder d. politischen Parteien 1947–1948, 1/HReg. 853,Tätigkeitsberichte städtischer Stellen sowie Amtsbesprechungen, 2878, Fürsorgeausschuss, 2896, Statistiken zu den Gemeinderatswahlen 1945–1955, 1/POA1/1011, Personalakte Elisabeth Großwendt.
Werke: Die Lage d. Arbeiterinnen, 1905; Die Arbeit in d. Tabakindustrie, 1905; Aus dem Arbeitsgebiet des Stadtjugendamts, in: Otto Berendt (Hg.), Karlsruhe. Das Buch d. Stadt, 1926, 178-184.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (o. J.) in: Baden-Württembergische Biographien, S. 156, StadtA Karlsruhe 8/PBS III 01693, 01751, 01788-01791.

Literatur: Chronik d. Landeshauptstadt Karlsruhe für die Jahre 1920 bis 1923, Im Auftrag d. Stadtverwaltung bearb., 1930, 56f.; Lisa Sterr, Aufbrüche, Einschnitte u. Kontinuitäten – Karlsruher Frauen in d. Weimarer Republik u. im „Dritten Reich“, in: Karlsruher Frauen 1715–1945. Eine Stadtgeschichte, 1992, 307-310 u. 326-328; Olivia Hochstrasser, Auf den Spuren Karlsruher Frauen. Ein historischer Stadtrundgang, 1994, 40f.; Marta Schwarz, Die Stimme. Erzählungen u. Gedichte, 1994, 7f.; Barbara Guttmann, „Zwischen Trümmern u. Träumen“ – Karlsruherinnen in Politik u. Gesellschaft in d. Nachkriegszeit, 1997, 32-43; dies., Den weiblichen Einfluss geltend machen… Karlsruher Frauen in d. Nachkriegszeit 1945–1955, 2000, 48-50, 95-98, 101-104 u. 121-125.
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