Bartunek, Karl 

Geburtsdatum/-ort: 07.09.1906; Prag
Sterbedatum/-ort: 07.02.1984;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Vertriebenenfunktionär und MdL-BHE
Kurzbiografie: 1912–1925 Dt. Volksschule u. Dt. humanist. Gymnasium Prag bis Abitur
1925–1931 Studium d. Chemie an d. Dt. TH Prag, Abschluss: Diplom-Ingenieur
1931–1933 Wehrdienst in d. tschechoslowakischen Armee
1933–1937 Wiss. Assistent an d. Dt. TH Prag, 1936 Promotion: „Über proteolytische Enzyme in normalem u. carcinomatösem Blut“
1937–1941 Eintritt in das tschechoslowakische Arbeitsministerium, 1939 Übernahme in das dt. Reichswirtschaftsministerium
1941–1945 Kriegsteilnahme, Einsatz u.a. in Stalingrad, u. Italien, zuletzt Hauptmann d. Res.
1945–1946 Kriegsgefangenschaft u. Internierung im Arbeitslager Kolin, dann Ausweisung. Ankunft in Eutingen bei Pforzheim, Eintritt in das Gewerbeaufsichtsamt Karlsruhe
1947 Gründung d. „Interessengemeinschaft d. ausgesiedelten Deutschen“
1948 Umzug nach Karlsruhe
1949 Vorsitzender des „Zentralverbandes d. vertriebenen Deutschen“; Gründung d. „Notgemeinschaft“
1952–1964 M. d. Verfassunggebenden Landesversammlung u. MdL (B-W)-BHE 1954 bis 1956 u. 1960 bis 1964 Fraktionsvorsitzender
1964 Großes Verdienstkreuz d. Bundesrepublik Deutschland
1982 Verdienstmedaille des Landes B-W
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1933 (Prag) Emerita, geb. Podsenik (1909–1989)
Eltern: Vater: Karl (1875–1945), Oberregierungsrat in Prag
Mutter: Leopoldine, geb. Valentin (1874–1944)
Kinder: Helga (1941–1969)
GND-ID: GND/101270761X

Biografie: Andreas Marquet (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 8-11

Bartunek, einziges Kind eines bürgerlichen Elternhauses, besuchte die deutsche Volksschule, dann bis zum Abitur 1925 das Deutsche humanistische Gymnasium in Prag. An der Deutschen TH in Prag studierte er anschließend bis 1931 Chemie und wurde Diplomingenieur. Dann folgte der Wehrdienst in der tschechoslowakischen Armee. 1933 heiratete Bartunek die Tochter eines Fabrikdirektors und arbeitete bis 1937 als wissenschaftlicher Assistent an der TH, wo er 1936 promoviert wurde. Das Angebot, in Philadelphia, USA, für einen Pharmakonzern tätig zu werden, lehnte er ab und trat 1937 in den tschechoslowakischen Staatsdienst ein. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die verbliebene Tschechoslowakei und der Bildung des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren 1939 übernahm ihn das Reichswirtschaftsministerium in den deutschen Staatsdienst. Der Lebensstil der Familie Bartunek in Prag kann als „großbürgerlich“ bezeichnet werden.
Von 1941 bis 1945 war Bartunek Angehöriger der Wehrmacht, wurde verwundet und Schwerkriegsbeschädigter. Nach Kriegsende wurde er als Kriegsgefangener interniert und Ende Juni 1946 mit seiner Familie ausgewiesen. Bereits zum Oktober 1946 konnte er wieder in eine abgesicherte Stellung zurückkehren, als er eine Anstellung im Gewerbeaufsichtsamt Karlsruhe bekam, das er ab 1961 leitete.
Schon unmittelbar nach seiner Ankunft im Auffanglager Kislau hatte Bartunek begonnen, sich für die Belange seiner Leidensgenossen einzusetzen. Nachdem er dann samt Familie in Eutingen bei Pforzheim angesiedelt war, forcierte er seine Bemühungen, systematisch in Vertriebenenangelegenheiten Mitsprache zu erreichen. Nicht ein singuläres Ereignis oder persönliches Leid veranlassten ihn hierzu, sondern die Notsituation der Vertriebenen. Noch 1946 startete er erste Versuche, einen unpolitischen wirtschaftlichen und kulturellen Interessenverband der Vertriebenen zu gründen, ein Vorhaben, das damals noch im Gegensatz zum amerikanischen Besatzungsrecht stand. Aus Sorge vor einer Radikalisierung der Vertriebenen war jedwede reine Flüchtlingsorganisation verboten. Mit Beharrlichkeit, auch dank wachsender Einsicht der Besatzungsbehörde, das Vertriebenenproblem nicht unter Ausschluss der Betroffenen selbst lösen zu können, erwirkte Bartunek im Frühjahr 1947 die Lizenz zur Gründung einer Selbsthilfeorganisation auf Kreisebene. Die erste Ortsgruppe der „Interessengemeinschaft der ausgesiedelten Deutschen“, IDAD, wurde am 3. Mai in Eutingen gegründet und fasste bis zum Sommer 1948 in jedem nordbadischen Kreis Fuß. Sie zählte schließlich rund 20000 Mitglieder. Im nächsten Schritt betrieb Bartunek die Genehmigung des Verbandes auf Landesebene, die im Oktober 1948 erteilt wurde. Bartunek wurde Vorsitzender dieser ersten Vertriebenenorganisation der Bizone.
Sein organisatorischer Ansatz bei den Bemühungen, eine möglichst effiziente Organisation der Vertriebenen zu erreichen, basierten neben der unpolitischen Ausrichtung maßgeblich auf dem Gedanken der Überlandsmannschaftlichkeit. Die Herkunft der Vertriebenen spielte für ihn eine allenfalls nachrangige Rolle, da sie keinen Einfluss auf deren konkreten Nachkriegsalltag hatte. Daher versuchte Bartunek sein Organisationsmodell auf die Bizone auszuweiten. Im April 1949 wurde der bundesweite „Zentralverband der vertriebenen Deutschen“, ZvD, gegründet, dessen Vorsitzender Dr. Hans Lukaschek wurde. Bartunek war erster Stellvertreter bis Lukaschek im Oktober 1949 zurücktrat und Bartunek in einer Kampfabstimmung gegen Dr. Linus Kather siegte und Vorsitzender wurde. Doch veranlassten ihn die Richtungskämpfe innerhalb des Vertriebenenmilieus bereits Ende 1949 zur Aufgabe des Vorsitzes, da sich auch auf landsmannschaftlicher Ebene ein Dachverband gebildet hatte und der von Bartunek vehement bekämpfte organisatorische Dualismus sichtbar wurde. Bartunek konzentrierte sich fortan auf seinen nordbadischen Landesverband, dem er weiterhin vorsaß. Mit seinem Rückzug aus der ersten Reihe der Vertriebenenfunktionäre war keineswegs eine Aufgabe seiner Haltung in der organisatorischen Ausrichtung der Interessenwahrung der Vertriebenen verbunden. Nur ein einheitlicher, alle Vertriebenen vertretender Verband könne deren Anliegen wirkungsvoll zum Ausdruck bringen. Dieser Prinzipientreue ordnete Bartunek Karriereambitionen nach, was ihm die sichere Laufbahn im Staatsdienst materiell erleichtert haben mochte.
Im Vorfeld der ersten Bundestagswahl 1949 versuchten sich die Vertriebenen politisch zu organisieren und eine ihrem Bevölkerungsanteil entsprechende parlamentarische Interessenvertretung sicherzustellen. Die Grenzen der Einflussmöglichkeiten seines Modells eines unpolitischen Interessenverbandes erkennend entschloss sich Bartunek, bei der Bildung einer Partei mitzuarbeiten. Um das Koalitionsverbot für die Vertriebenen zu umgehen, schlossen sich die von Bartunek vertretenen Neubürger mit den Fliegergeschädigten zur „Notgemeinschaft“, NG, als erstem Schritt zu einer parteipolitischen Formierung zusammen. Der NG wurde jedoch die Lizenz und somit die Zulassung zur Bundestagswahl verweigert. Bartunek hatte damals nicht kandidiert, um seinen Verbandsvorsitz nicht politisch aufzuladen. Diese Haltung behielt er indes nur bis zu den Auseinandersetzungen um die Bildung eines Südweststaates bei. Da nach den in den übrigen Abstimmungsbezirken sich abzeichnenden Mehrheiten Nordbaden hierbei ein besonderes Gewicht zufiel, wurden die hier angesiedelten Vertriebenen von Gegnern wie Anhängern eines gemeinsamen Bundeslandes heftig umworben. Bartunek trat für den Südweststaat ein und wurde der exponierte Vertreter der Vertriebenen Nordbadens in der „Arbeitsgemeinschaft für die Vereinigung Baden-Württemberg“. Das war sein Schritt auf die politische Bühne.
Bartunek betonte immer wieder die Hoffnung auf wirtschaftliche Hilfen für das Votum der Vertriebenen im Sinne des Südweststaates. Innerhalb der NG wurden die Gräben zwischen den Alt- und Neubürgern in der nun „Deutsche Gemeinschaft“ genannten Partei jedoch bald unüberbrückbar. Die Vertriebenen spalteten sich schließlich von den Fliegergeschädigten ab und traten als BHE-Landesverband an. Bartunek, der stellvertretende Vorsitzende, wurde in die Verfassunggebende Landesversammlung gewählt und verstand sich darin als Vertreter der nordbadischen Bezirke, wo er auch seinen Wahlkreis hatte. Der an den Regierungen Reinhold Maier, Gebhard Müller und Kurt Georg Kiesinger beteiligte BHE konnte die von Bartunek betriebene Ansiedlung der Vertriebenen in wirtschaftlich prosperierende Gebiete durchsetzen. Dieser nach Bartunek benannte Plan stellt seine größte politische Leistung dar.
Die Bedeutung des Einflusses der Medien erkannte Bartunek frühzeitig und versuchte, sich diese zunutze zu machen. Bereits 1949 hatte er mit den „IDAD-Nachrichten“ ein Sprachrohr ins Leben gerufen, in dem er als Herausgeber acht Jahre lang publizistisch Stellung bezog. Mit dieser Monatszeitung konnte er sich in den Reihen der Vertriebenen Nordbadens über Jahre hinweg als deren erster Interessenwahrer profilieren und eine gewisse Loyalität und Anhängerschaft gewinnen, die ihm als Verbandsfunktionär wie auch als Politiker zugute kam. Eine weitere Möglichkeit, sich und seine Positionen zu vertreten, wurde ihm 1951 erstmals für insgesamt 16 Jahre eröffnet, als er in den Rundfunkrat des Süddeutschen Rundfunks gewählt wurde. Weitere Initiative bei der öffentlichen Selbstdarstellung der Vertriebenen entfaltete Bartunek mit den ab 1948 ausgetragenen „IDAD-Festspielen des Ostdeutschtums in Heidelberg“. Diese kulturelle Veranstaltungsreihe endete zwar in einem finanziellen Desaster für die damals noch junge IDAD, dennoch gelang es, dem von Not und Elend gezeichneten Bild der Vertriebenen u.a. durch die Uraufführung von Franz Werfels „Der veruntreute Himmel“ einen Bezug auf die kulturellen Traditionen und Errungenschaften der im mittel- und osteuropäischen Raum lebenden Deutschen herzustellen und so dem Bedürfnis der Vertriebenen nach Selbstvergewisserung ein Stück weit nachzukommen.
1950 fand in Stuttgart eine bundesweite Versammlung der Vertriebenenverbände statt. Führende Vertreter arbeiteten die „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ aus, die, wenn auch umstritten, als eine Art Grundgesetz der Vertriebenen angesehen wird. Der Vorsitzende des Bezirksverbandes Nordbaden Bartunek gehörte zu den Unterzeichnern dieser Erklärung.
Als stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes der vertriebenen Deutschen in Baden-Württemberg und Bezirksvorsitzender Nordbadens kamen auf Bartunek 1952/53 Auseinandersetzungen zu, die sich als Intrigenspiel einiger badischer Kreisvorsitzender herausstellten. Deren Bemühen, Bartunek aus dem Vorsitz des Landesverbandes zu verdrängen, hing wohl eng mit der Annahme zusammen, dass dieser bereits 1949 mit seinem Organisationsmodell eine Niederlage erlitten habe und in eine Minderheitenposition innerhalb des Funktionärsapparats der Vertriebenen geraten wäre. Unterstützung konnten sich die Renegaten im Umfeld des Landesverbandsvorsitzenden Karl Mocker sichern. Der Bezirksverband Nordbaden geriet während des offiziellen Beitritts zum Dachverband „Bund der Vertriebenen“, BdV, durch die Destruktion der gegen Bartunek Opponierenden an den Rand der Handlungsunfähigkeit. Bartunek überstand jedoch diese Auseinandersetzung dank der nötigen Hausmacht im nordbadischen Bezirk und blieb auch im BdV Bezirksvorsitzender Nordbadens, wenngleich sich bei diesem Konflikt dauerhafte Risse im Verhältnis zum Landesverbandsvorsitzenden Mocker aufgetan hatten.
Im Landesverband des BHE gehörte Bartunek zu den wichtigsten Persönlichkeiten. Er übernahm von 1954 bis 1956 die Führung der Fraktion im Landtag von Mocker, der nicht nur im Verband, sondern auch in der Partei Bartuneks übergeordneter Gegenspieler blieb. Schwerpunkt der parlamentarischen Tätigkeit Bartuneks waren neben der Umsiedlung, der Wohnungs- und Gewerbeförderung vor allem die Auseinandersetzungen um den Artikel 131 des Grundgesetzes. Bartunek, der keiner NS-Organisation angehört hatte und aus dem Spruchkammerverfahren als nicht belastet hervorgegangen war, setzte sich für die Wiedereinstellung der wegen Mitgliedschaft in einer NS-Organisation entlassenen Beamten in den Staatsdienst ein. Von 1960 bis 1964 saß er erneut der Fraktion des BHE im Landtag vor. Das wurde seine letzte Legislaturperiode. Der BHE, ab 1961 Gesamtdeutsche Partei, GDP, genannt, befand sich seit der wirtschaftlichen Erholung und allmählicher Eingliederung der Vertriebenen in die westdeutsche Gesellschaft in Auflösung.
Ein Angebot der CDU zum Übertritt vor der Landtagswahl 1964 lehnte Bartunek trotz der absehbaren Niederlage – die GDP verfehlte 1964 den Einzug ins Parlament – mit der Mehrheit seiner Partei ab und kündigte an, nicht mehr kandidieren zu wollen, obwohl seine bisherige Stellung und seine guten Kontakte zu Ministerpräsident Kiesinger ihm wohl einen sicheren CDU-Listenplatz eingebracht hätten. Der Preis eines Parteiwechsels für ein weiteres Landtagsmandat schien ihm offensichtlich zu hoch.
Nachdem Bartunek sich von der politischen Bühne zurückgezogen hatte, widmete er seine Kräfte noch kurz dem BdV und führte den Bezirksverband mindestens bis 1966 weiter. Allerdings engagierte er sich nach seiner frühzeitigen Niederlage im richtungspolitischen Streit und auch wegen der abnehmenden Bedeutung des Vertriebenenproblems nur noch auf Landesebene.
Bartuneks Modell einer überlandsmannschaftlichen Organisation war unterlegen; seine auf die pragmatischen Anforderungen des Alltags ausgerichtete Zielsetzung wurde Minderheitenmeinung innerhalb der Vertriebenenbewegung, von deren teilweise revanchistischen Tendenzen Bartunek sich stets distanzierte, wie er es verstand, seine mitunter konservativen Positionen von reaktionärem Gedankengut scharf abzugrenzen. Er wollte als Vertriebenenvertreter in Erscheinung treten, der ohne ideologische Scheuklappen die Erinnerung an die Heimat und die Erfordernisse der Gegenwart miteinander zu vereinbaren wusste.
Das Gewerbeaufsichtsamt leitete Bartunek noch bis 1970. Der am Ende seines Lebens Pflegebedürftige litt besonders unter dem frühen Tod der Tochter, die ihm zuvor noch einen Enkel geschenkt hatte. Er starb 77-jährig in Karlsruhe.
Quellen: GLA Karlsruhe, Nachlass Bartunek.
Werke: Über die Spezifität des Restkohlenstoffes im Blut, in: Zs. für die gesamte experimentelle Medizin einschließlich experimentelle Chirurgie Bd. 100, 1937, 477-484. (als Hg.) IDAD-Nachrichten. Mitteilungsblatt d. ausgesiedelten Dt. Landesverband e.V., Jgge. 1-8, 1949-1956.
Nachweis: Bildnachweise: GLA Karlsruhe J-Ac-B, Nr. 181; BNN vom 2.3.1956, 2.11.1968 u. 7.9.1976.

Literatur: S. Schraut, Flüchtlingsaufnahme in Württemberg-Baden 1945–1949, 1995; T. Grosser, Die Integration d. Heimatvertriebenen in Württemberg-Baden (1945–1961), 2006; A. Marquet, Vertriebenenpolitik im dt. Südwesten nach 1945, 2008.
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