Marquardt, Manfred Ernst 

Geburtsdatum/-ort: 25.12.1927;  Lörrach
Sterbedatum/-ort: 14.01.1982;  Lörrach
Beruf/Funktion:
  • Lehrer und Dichter
Kurzbiografie: 1934–1939 Hebelschule Lörrach
1939–1948 Hans-Thoma-Gymnasium Lörrach bis Abitur, unterbrochen durch Arbeits- u. Kriegsdienst
1949–1951 Studium d. Philosophie an d. Univ. Freiburg, ein Semester, dann an d. Pädagog. Akademie in Lörrach bis Abschluss für das Lehramt an Volksschulen
1952–1955 Lehrer in Marzell
1954 Marzeller Krippenspiel uraufgeführt
1956–1964 Lehrer in Niedereggenen
1964–1982 Lehrer an d. Neumattschule in Lörrach-Stetten
1975 Gedanken zur Ordnungskrise in d. Erziehung veröffentlicht
1979 u. 1981 erster u. zweiter Gedichtband erschienen
1984 Nachgelassene Gedichte veröffentlicht
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1951 (Lörrach) Gisela, geb. Schlageter (geboren 1930)
Eltern: Vater: Ernst Friedrich, (1897–1962), Tapezierermeister
Mutter: Wilhelmine, geb. Engesser (1898–1967)
Geschwister: 2; Reinhold Georg Paul (geboren/gestorben 1923) u. Hans-Peter (1934–1996)
Kinder: 2; Ulrike (geboren 1952) u. Andrea (geboren 1955)
GND-ID: GND/1012711838

Biografie: Markus Manfred Jung (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 258-260

Marquardt wurde in eine Handwerkerfamilie geboren und wuchs in kleinen, aber gesicherten Verhältnissen auf. Unterbrochen von längeren prägenden Aufenthalten bei einem Onkel im ländlichen Muggenbrunn im Südschwarzwald besuchte er in Lörrach von 1934 bis 1939 die Hebelschule und anschließend bis 1948 das Hans-Thoma-Gymnasium. Dazwischen leistete er seinen Arbeitsdienst in Böhmen ab und tat Kriegsdienst als einfacher Soldat in der Wehrmacht. Mit einem Kameraden setzte er sich in den letzten Kriegswochen von der Front in die amerikanische Zone ab, arbeitete bei Heidelberg auf einem Bauernhof und schlug sich dann in die Heimat durch. Nach dem Abitur studierte Marquardt ein Semester an der Universität Freiburg Philosophie des Geistes, das Wesen der Erziehung und die Psychologie der menschlichen Beziehung. Seine Lehrer waren u.a. Eugen Fink und Hans Bender. In einem diskussionsfreudigen Künstler- und Lehrerkreis mit dem Dichtermaler Paul Hübner, dem Keramiker Hermann Messerschmidt, mit Walter Eichin, Heinz Baumgartner und Ulf Schünemann wurde, geprägt durch die Erfahrungen in der NS-Zeit, ein neues, optimistisches Menschenbild entworfen, die Entwicklung der modernen Malerei und Musik der Welt außerhalb Deutschlands nachgeholt. Dem Jazz blieb Marquardt enthusiastisch verbunden bis ans Lebensende.
Danach studierte Marquardt bis 1951 an der Pädagogischen Akademie in Lörrach mit dem Abschluss für das Lehramt an Volksschulen. Seine erste Stelle war Marzell im oberen Kandertal, von wo aus er auch die Söhne des Wirts auf dem Hochblauen (1167 m) unterrichtete, im Winter nach anstrengender Tour auf Skiern. Ab 1956 lehrte Marquardt in Niedereggenen im Markgräflerland, von 1964 bis zu seinem Tod in Lörrach-Stetten an der Neumattschule. Er war als Lehrer eine beliebte, markante Persönlichkeit. Mit seinem Tun in diesem Beruf setzte er sich auch theoretisch auseinander und verfasste einige kritische Artikel darüber, z.B. die 1975 als Privatdruck erschienenen „Gedanken zur Ordnungskrise in der Erziehung“, worin er ganz explizit gegen zwei Jahrzehnte „moderner Reformpädagogik“ zu Felde zieht. Marquardt wehrte sich gegen eine verwissenschaftlichte Pädagogik und weigerte sich z. B., die in der Mathematik verordnete Mengenlehre zu unterrichten.
1979 erschien Marquardts erster Gedichtband in alemannischer Mundart „Eso goht’s is“ im Selbstverlag. Der Journalist Walter Bronner begleitete dieses spektakuläre Debut mit den Worten, der Band weise Marquardt als „einen wortgewaltigen Poeten alemannischer Zunge“ aus, dessen Verse sich von der liebenswerten Mundartpoesie anderer Autoren unterschieden „wie das Hämmern eines Spechtes vom Gesang der Nachtigallen oder Lerchen“. Neben den lebensbejahenden, manchmal derben Trinkliedern und den feinfühligen Natur- und Liebesgedichten ist es vor allem die schonungslose Zeit- und Gesellschaftskritik, wie sie im 1981 erschienenen zweiten Gedichtband „Noo de Zwölfe“ noch verstärkt zum Ausdruck kommt, die die Leserschaft der Region aufrüttelt. War man in der Mundart-Dichtungstradition doch eher Texte in der Nachfolge eines Johann Peter Hebel gewohnt, mit den Themen Leben und Tod, Natur, bäuerlicher Jahreszyklus, Freundschaft, Liebe, Gottvertrauen, innere Zufriedenheit. Manfred Bosch schreibt, Marquardts „Verse erregten unter Kennern sogleich Aufsehen ob ihrer gedanklichen und emotionalen Differenziertheit, ihrer autochthonen und melodiösen Klanglichkeit, ihrer gewandten und eingängigen Sprache“ und weist Marquardts Gedichten eine vergleichbare Unangestrengtheit und hohe „Selbstverständlichkeit“ mundartlichen Sprechens zu, die im zeitgenössischen Mundartschaffen ohne Parallele seien. Marquardt bereitete den Boden für die nachfolgende Generation „Junge Mundart“, die dank seiner Streitbarkeit auf ein Publikum stieß, das neue Töne und Gedanken in Mundarttexten annehmen konnte.
Schon 1980, als Marquardt die Gedichte für seinen zweiten Band niederschrieb, wusste er um seine unheilbare Krankheit. Ein schnell wachsender Gehirntumor beeinträchtigten Seh- und Sprachzentrum. Für den Gedichtvortrag lernte er die Texte auswendig. Nur zwei Jahre durfte er mit seiner Dichtung präsent sein. Auch deswegen und nicht nur wegen der Radikalität seiner Texte blieb ihm jede offizielle Anerkennung seines dichterischen Schaffens versagt. 1984, postum, gab seine Frau mit „Nachgelassene Gedichte in Alemannisch“, Marquardts dritten Gedichtband in die Öffentlichkeit.
Marquardt hatte schon als Schüler Gedichte verfasst, in Alemannisch und in der Standardsprache, und während der ganzen Lebenszeit weiter geschrieben: philosophische Betrachtungen, pädagogische Notizen, Aphorismen, Erzählungen, die er im Freundeskreis vortrug. Sein „Marzeller Krippenspiel“ in Mundart war 1954 uraufgeführt worden. Aber erst die politische Bewegung um das Ende der 1960er-Jahre und das Drängen von Freunden, darunter die Mitglieder der Gruppe „Salpeterer“: der Liedermacher Roland Kroell und der Musiker Jörg-Tonio Passlick, veranlassten ihn zu publizieren, seine Texte einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren. Marquardt wurde kurzzeitig einer der Sprecher einer volksnahen Gegenöffentlichkeit wider die dominierenden Kalküle von Politik und Wirtschaft in der Auseinandersetzung um das geplante Atomkraftwerk Wyhl und andere umweltgefährdende Industriekomplexe im „Dreyeckland“ Elsass, Baden, Nordwestschweiz.
In seinem Essay „Hotzenwald, Stauhöhe 934“, zuerst veröffentlicht im „Basler Magazin“ der Basler Zeitung vom 3. Mai 1980, zeigt Marquardt sich als engagierter Kämpfer gegen die Errichtung eines Stausees im Hotzenwald, in einer einzigartigen, fast noch unberührten Moorlandschaft: „Was hier webt und vergeht, hat Teil an einem Sein, das dem menschlichen Auge nur zeichenhaft verschlüsselt widerfährt. Es will nicht platt verstanden, wohl aber vernommen und geachtet werden. Hier könnte man erleben, was es heißt, Schöpfung zu ehren und zu fürchten, ihr also Ehrfurcht zu erweisen.“ Marquardt war ein kämpferischer Naturschützer. Auch dank seines Einsatzes wurde das Projekt „Stausee im Lindauer Tal“, trotz baurechtlicher Genehmigung, zurückgestellt, die einzigartige Landschaft davor bewahrt, „ein regionaler Rummelplatz“ zu werden, mit einer aus dem Boden schießenden „Kiosk- und Camping-Subkultur“, wie er es nannte. „Seiner“ Mooslandschaft hat er manch poetisches Denkmal gesetzt. Auch in seinem bisher unveröffentlichten Roman, „Der Glasmann und die zehn Gebote der Wissenschaft“, geschrieben Anfang der 1970er-Jahre, propagiert Marquardt regionalen Eigen-Sinn, der sich gegenüber den „herrschenden Mächten auf ein höheres Recht“ berufen darf, das „Recht des Lebens“. Themen des Romans sind u.a. der Kampf um die Erhaltung der Natur, ein einvernehmliches Leben des Menschen mit allem anderen Gottgeschaffenen und so auch ein Plädoyer gegen Genforschung und vor allem Genmanipulation. Marquardts Zivilisationskritik zielt gegen die fatale Kausalkette alltäglicher Politik: Denkzwang – Sachzwang – Tatzwang.
Die heutige Popularität und die Bedeutung der Dichtung Marquardts gründen einmal auf dem hohen Grad von Authentizität und Ehrlichkeit seiner Texte und auf dem souveränen dichterischen Umgang mit der lebendigen und gelebten alemannischen Mundart.
Quellen: Nachlass im Besitz d. Witwe; mehrere Interviews mit ihr, u.a. im November 2009.
Werke: Marzeller Krippenspiel, 1954; Der Glasmann u. die zehn Gebote d. Wissenschaft, Roman, ca. 1972 (unveröff.); Gedanken zur Ordnungskrise in d. Erziehung, Essay, 1975; Eso goht’s is, Alemannische Verse. Mit Bildern von Herbert Späth u. Worterläuterungen, 1979; Hotzenwald, Stauhöhe 934, Essay, 1980; Noo de Zwölfe, Alemannische Verse, 1981; Nachgelassene Gedichte in Alemannisch, 1984.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos im Besitz d. Witwe Gisela Marquardt, Lörrach.

Literatur: Walter Bronner, Ein Specht unter Lerchen u. Nachtigallen, in: Oberbad. Volksblatt vom 9.1.1980; Jörg-Toni Passlick, Zum Tode von Manfred Marquardt, Dr. Glasmaa, in: BZ vom 16.1.1982; Markus Manfred Jung, Manfred Marquardt, in: D’ Deyflsgiger, Bad. Kulturzs. Nr. 7, 1982, 75-77; Gerhard Jung, Manfred Marquardt, in: BH Heft 2 vom Juni 1983, 353; Manfred Bosch, Anestelle, was de weisch – Eine Erinnerung an den Lörracher Dichter Manfred Marquardt, in: Das Markgräflerland 1, 2003, 147-156; Markus Manfred Jung, Manfred Marquardt (1927–1982), in: BH H. 4, 2002, 792-795.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)