Reinhard, Eugen 

Geburtsdatum/-ort: 28.02.1937;  Lörrach
Sterbedatum/-ort: 13.02.2003;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Geograph und Landesbeschreiber
Kurzbiografie: 1957 Abitur am Kepler-Gymnasium in Freiburg, dann Studium der Geographie, Geschichte und Anglistik an der Universität Freiburg
1960-1966 Assistent am Alemannischen Institut bei Friedrich Metz und Promotion zum Dr. phil.: „Die Siedlungen im Sundgau“, ausgezeichnet mit der Robert-Schuman-Medaille 1965; 1966 Mitglied des Alemannischen Instituts
1964 Wissenschaftlicher Angestellter in der Abteilung Landesbeschreibung des Statistischen Landesamts, Nebenstelle Heidelberg (seit 1.9.1964 in die Archivverwaltung umgegliedert); 1970 Regierungsrat, 1972 Oberregierungsrat
1969-2001 Lehrauftrag für Oberrheinische Landeskunde am Geographischen Institut der Universität Karlsruhe
1975-1994 Leiter der Abteilung Landesbeschreibung im Generallandesarchiv Karlsruhe, seit 1978 Dez. Regierungsdirektor
1975-2002 Mitglied der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, seit 1994 im Vorstand
1979 Honorarprofessor an der Universität Karlsruhe
1994-2002 Leiter der Abteilung Landesbeschreibung (seit 1994 Landesforschung und Landesbeschreibung) in der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg; Leitender Regierungsdirektor
2002 Feb. Pensionierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1964 (Freiburg) Ursula, geb. Ruhlich (1925-2012)
Eltern: Vater: Eugen (1905-1999), Ingenieur bei der Deutschen Bahn
Mutter: Anna, geb. Gassenmeier (1911-2002)
Geschwister: Inge, verheiratete Beck (1939-1997)
Kinder: keine
GND-ID: GND/1012713601

Biografie: Fred Ludwig Sepaintner/Wolf-Dieter Sick (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 288-290

Der Umstand, dass Reinhard in Lörrach geboren wurde und unweit der Schweizer Grenze seine frühe Jugend verbracht hat und dann in Freiburg heranwuchs, wo er seine erste entscheidende Prägung erfuhr, erklärt sich aus der Tätigkeit seines Vaters als Elektroingenieur, anfangs beim Badischen Bahnhof in Basel, dann als technischer Leiter der Höllentalbahn. Reinhards zeitlebens gepflegte Leidenschaft für alles, was mit der Geschichte der Eisenbahn, auch ihren technischen Veränderungen, einherging, ja, diese Passion schließlich ausweitend sein Interesse an der Entwicklung des Verkehrs nahm wohl hier ihren Anfang. Genauso ließe sich sein Interesse am Elsass gewiss auf die Mutter zurückführen, die aus Burgfelden, unweit von Mülhausen, stammte.
Den wissenschaftlich prägenden Impuls dürfte dann Friedrich Metz gesetzt haben, damals, in den späten 1950er und 1960er Jahren längst „Altmeister“ einer historisch basierten, traditionellen geographischen Landeskunde. Aus Reinhards Tätigkeit als persönlicher Assistent von Metz, der damals Vorsitzender des Alemannischen Instituts war, erwuchsen später zahlreiche inhaltliche Schwerpunkte des Werks von Reinhard, anfangs die Dissertation über die Siedlungen des Sundgaus, wodurch gleichzeitig das Ende dieses ersten Lebensabschnittes markiert ist. Vor allem aber war es der methodische Ansatz, wenn man so will Reinhards Grundverständnis einer wissenschaftlichen Landeskunde, den er von Metz übernahm und treu tradierte. Dazu gehörte auch – und ein weiteres Mal verbanden sich bei ihm Neigung und beruflicher Impetus zu einem untrennbaren Ganzen – Reinhards Verständnis von der Bedeutung einer ästhetisch verfeinerten fotografischen Dokumentation landeskundlicher Sachverhalte. Reinhard hat in seinen Büchern und in seiner akribisch betriebenen Sammlung auch ein beachtliches fotografisches Werk geschaffen, das inzwischen als Bilddokumente der Entstehungszeit im Landesmedienzentrum Baden-Württemberg Eingang gefunden hat.
Mit der nächsten Station, der Aufnahme seiner Tätigkeit als Referent für Geographie bei der Landesbeschreibung, in Heidelberg zunächst, schließlich in Karlsruhe, seit 1975 als Leiter der damals ins Generallandesarchiv eingegliederten Abteilung L, begann der zweite, ungleich längere und letztlich auch herausragende Abschnitt dieses Lebens, das in der Übernahme der Leitung der Landesbeschreibung als Nachfolger von Meinrad Schaab in der Landesarchivdirektion weithin sichtbar einen Höhepunkt fand. Zu Schaab hatte Reinhard zeitlebens ein besonderes Verhältnis, das ganz anders als zum Lehrer Metz durchaus nicht ohne zum Teil sehr kritische Distanz geprägt war, was in völlig unterschiedlichen Persönlichkeitsdispositionen begründet sein mochte. Aber Schaab, so bekannte er, wurde ihm zu einem prägenden Faktor in der wissenschaftlichen Tätigkeit; das „System Schaab“ fortzusetzen – und gemeint war damit das Grundverständnis der Aufgaben einer amtlich basierten historisch-geographischen Landeskunde – wie er selbst immer wieder formuliert hat, blieb ihm stets oberstes Ziel. In ihrer Wahrnehmung hat Reinhard allerdings das Erscheinungsbild der Kreisbeschreibung deutlich verbessert und auf ein zeitgemäßeres Niveau gebracht.
Umso schmerzlicher hat er darunter gelitten, wie dieser Abschnitt – und bald dann auch sein eigenes Wirken im Amt – sich dem Ende entgegenneigte, wenngleich es wohl zu weit ginge, die Tragik seines frühen Todes, ein Jahr nach der Pensionierung, zuerst und alleine in diesem Zusammenhang zu sehen.
Das Lebenswerk Reinhards ist ein Musterbeispiel für die fruchtbare Verbindung von landeskundlicher Forschung, Beschreibung, vor allem in amtlicher Tätigkeit, und Lehre. In den 40 Jahren seiner Tätigkeit in der Landesbeschreibung hat er mit über 300 Veröffentlichungen und redaktionellen Funktionen die Landeskunde vielseitig gefördert. Er knüpfte damit an die südwestdeutsche Forschungstradition aller drei geographischen „Altmeister“ an, neben dem Lehrer Friedrich Metz auch Robert Gradmann und Friedrich Huttenlocher, und entwickelte sie weiter. Auf Kreisebene hatte Reinhard unmittelbaren Anteil an den Beschreibungen der Kreise Heidelberg-Mannheim, Konstanz, Neckar-Odenwald und Baden-Baden. An der achtbändigen Landesbeschreibung von Baden-Württemberg (1974-1983) war er am einführenden Band 1 beteiligt und verantwortlicher Redaktor für die Bände 5 und 6, die die Regierungsbezirke Karlsruhe und Freiburg zum Gegenstand haben.
Die Vielzahl der von Reinhard bearbeiteten Räume und Sachgebiete beweist sowohl seine Fähigkeit zur akribischen Forschung im Detail wie zur zusammenfassenden Darstellung mit Hervorhebung der wesentlichen Merkmale eines Raumes. Er sprach damit sowohl die Fachwelt wie breite Kreise heimatkundlich interessierter Bürger an. Reinhards Beiträge beziehen die naturräumliche Ausstattung und das Landschaftsbild mit ein. Leitmotiv war für ihn die im Oberrheingebiet besonders vielschichtige Kulturlandschaftsentwicklung der Kreise und Gemeinden. Zusammenfassende Abhandlungen dazu entstanden auch außerhalb der amtlichen Landesbeschreibung. Genannt seien die grundlegenden Aufsätze über „Alt- und jungbesiedeltes Land im deutschen Südwesten“ (1979) und „Die geographischen Grundlagen des alemannischen Raumes“ (1981/83). Der frühen Verbundenheit mit dem Elsass galt nach der Dissertation die zusammenfassende Arbeit über die „Elsässische Kulturlandschaft“ (1987/88), die aus einer großen Zahl von Vorträgen und Exkursionen dorthin erwuchs. Weit gespannt sind die Arbeiten über die Städte der Römer und Bischöfe (1990), der Staufer (1998) und späteren Residenzen (1992). Seiner Vorliebe für das Verkehrswesen entsprangen die Arbeiten über die südwestdeutschen „Eisenbahnen im Wandel“ und über 40 Jahre Verkehrsentwicklung in Baden-Württemberg (beide 1992). Quellenkundliche und methodische Fragen werden aufgegriffen in Abhandlungen über die Oberamts- und Kreisbeschreibungen (1995), die Amtliche Landesbeschreibung (1993) und über „25 Jahre landeskundliche Forschung in Karlsruhe“ (1985). Das besondere kartographische Interesse Reinhards zeigt sich in seinen Beiträgen über Karlsruhe, Mannheim und die Rheinkorrektion im Historischen Atlas von Baden-Württemberg (1972-1988) sowie in zahlreichen Karten zur örtlichen Siedlungsentwicklung, insgesamt ein umfangreiches, nebenamtlich publiziertes Werk, das freilich ohne die unermüdliche Mithilfe seiner Frau nicht denkbar wäre.
Die landeskundliche Breitenwirkung Reinhards beruhte nicht nur auf seinen Schriften sondern auch auf einer umfangreichen Lehrtätigkeit: Vorlesungen, Seminaren, Exkursionen und öffentlichen Vorträgen. Seit 1969 nahm er ohne Unterbrechung einen Lehrauftrag am Geographischen Institut der Universität Karlsruhe wahr, wo er 1979 zum Honorarprofessor ernannt wurde. Die enge Verbindung zur Universität beruhte auch auf der Mitgliedschaft im Alemannischen Institut, die aus seiner Tätigkeit bei Friedrich Metz erwuchs. Reinhard gehörte dem Alemannischen Institut seit 1966 als Mitglied und seit 1994 als Beirat an und diente dieser Institution mit vielen Vorträgen und Vorschlägen wirkungsvoll.
Die hohe Wertschätzung Reinhards in der Landeskunde zeigte sich durch die Berufung in führende wissenschaftliche Institutionen. Er war seit 1966 Mitglied und wirkte von 1969 bis zu seinem Tod auch im Vorstand der „Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein“ mit, wurde 1975 in die „Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg“ berufen und 1994 in deren Vorstand gewählt und im gleichen Jahr als korrespondierendes Mitglied in die Deutsche Akademie für Landeskunde in Leipzig. Reinhard konnte so auf verschiedenen landeskundlichen Ebenen Erfahrungen sammeln und wirksam werden lassen.
Einen besonders hohen Stellenwert hatten in seinem Lebenswerk die wissenschaftlichen Exkursionen. Sie führten im Rahmen von Tagungen und Seminaren in viele Teile Südwestdeutschlands, namentlich am Oberrhein, in das Mainland, in die Alpen und bis nach Norditalien. Sie zeichneten sich durch Anschaulichkeit und Vielseitigkeit aus, durch das sichere Erfassen der charakteristischen Merkmale einer Landschaft, aber auch durch fruchtbare Diskussionen in froher Geselligkeit mit einem Glas Wein bei den Nachsitzungen. Auch im Bestreben, „Land und Leute“ in engem direktem Kontakt zu erfassen, wirkte das Vorbild seines Lehrmeisters Metz.
Über seine Lehrer hinaus führte die Anwendung neuer Methoden in der Landeskunde. Dazu gehören erste Ansätze zur Hereinnahme moderner, EDV-gestützter Arbeitsweisen bei der Erfassung und Auswertung landeskundlicher Daten genauso wie die Konzeption aufschlussreicher Karten und Grafiken. Richtungweisend war Reinhard in der Fotodokumentation mit zahlreichen aussagereichen Aufnahmen, darunter auch eigene Luftbilder, die wohlentwickelte Ästhetik erkennen lassen, einen sicheren Spürsinn und große Ausdauer bezeugen. Durch diese Fähigkeiten wie auch durch seinen sachkundigen und verständlichen Stil hat Reinhard wesentlich zur weiten Akzeptanz landeskundlicher Literatur beigetragen.
Die Veröffentlichungen wie die Vorträge Reinhards zeichnen sich durch ihre Vielseitigkeit und akribische Gründlichkeit aus. Sie beruhen auf einer umfangreichen Literaturauswertung wie auf scharfer eigener Beobachtung und vielen menschlichen Kontakten, bei denen auch der Humor seinen Platz findet. Bei Reinhard zeigt sich die heute seltener werdende Kunst, auch komplizierte Sachverhalte sowohl natur- wie kulturwissenschaftlicher Art allgemeinverständlich darzustellen. Die Verknüpfung bewährter und neuer Methoden und Erkenntnisse ist wohl das wichtigste Kennzeichen des Wirkens von Reinhard im Rahmen der Entwicklung der geographischen Landeskunde.
Quellen: Personalakten E. Reinhard im GLA Karlsruhe u. bei d. LAD B-W, Stuttgart (jetzt: LandesA B-W); Fotonachlass im Landesmedienzentrum (LMZ) B-W.
Werke: Von E. Reinhard selbst verfasste Zusammenstellung im Besitz d. Verfasser. – Auswahl: Die Siedlungen im Sundgau, Diss. phil. Freiburg 1964, in: Veröff. des Alemann. Inst. 20, 1965. – Kreis- u. Landesbeschreibung: Mitarbeit bei den Kreisbeschreibungen Heidelberg-Mannheim (1966), Freiburg (1972), am Bd. 1 d. amtl. Landesbeschreibung „Das Land B-W“, 1974 u. Redaktion d. Bde. 5, 1976 u. 6, 1982 sowie d. Kreisbeschreibungen Konstanz, Bd. 3, 1979 u. Bd. 4, 1984, Neckar-Odenwald, 1992, Baden-Baden, 1995. Ab 1994 Gesamtleiter d. Kreisbeschreibungen Heidenheim (1999), Reutlingen (1997), Emmendingen (1999 u. 2001) u. Rastatt (2001). – Nebenamtl.: Histor. Atlas von Baden-Württemberg, Karten IV 18 u. 19 (Rheinkorrektion), 1974; ebd. IV, 10 (Karlsruhe), 1980 u. IV, 13 (Mannheim), 1985; Alt- u. jungbesiedeltes Land im dt. Südwesten, in: Bausteine zur geschichtl. Landeskunde von B-W, 1979, 17-25; Das Elsass – Altes Kulturland am Oberrhein, 1980; Die geograph. Grundlagen des alemannischen Raums, In: Alemann. Jb. 1981/83, 1-32 ; Die oberrhein. Kulturlandschaft in d. Barockzeit, in: Oberrhein. Studien VI, 1985, 39-54; 25 Jahre landeskundl. Forschung in Karlsruhe, AG geschichtl. Landeskunde am Oberrhein, 1985, 5-28; Die elsäss. Kulturlandschaft, in: Alemann. Jb.1987/88, 1988, 45-66 ; Die Römer- u. Bischofsstadt im alemann. Raum Süddeutschlands, in: ZGO 138, 1990, 1-26; Eisenbahnen im Wandel, in : Alemann. Jb. 1991/92, 1992, 157-220; Verkehr, in: 40 Jahre B-W, 1992, 413-478; Die Residenz in d. Kulturlandschaft Südwestdeutschlands, in: Oberrhein. Studien 10, 1992, 25-43; Oberamtsbeschreibungen u. Kreisbeschreibungen, in: Berichte zur dt. Landeskunde 68. Bd., H. 1, 1994, 135-160; Die Entwicklung des Straßen- u. Schienenverkehrs im 19. u. 20. Jh., in : Alemann. Jb. 1995/96, 1996, 97-122 ; Der Lauf des Oberrheins, ebd., 227-256; Der Wandel d. oberrhein. Kulturlandschaft durch die staufischen Städtegründungen, in: Oberrhein. Studien 15, 1998, 11-51.
Nachweis: Bildnachweise: Bildersammlung d. Mitglieder d. Kommission für geschl. Landeskunde in B-W, Stuttgart u. des GLA Karlsruhe; Das Elsass, 1980, Schutzumschlag, hintere Klappe.

Literatur: H.-M. Schwarzmaier, E. Reinhard, in: ZGO 151, 2003, 735-739; H. Klüver, E. Reinhard, in: Rundbrief Geographie, H. 181, 2003, 32 f.
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