Merazzi, Vincenzo 

Geburtsdatum/-ort: 18.12.1874; Cagno (Provinz Como)
Sterbedatum/-ort: 02.04.1926;  Ehrenstetten (heute Gemeinde Ehrenkirchen)
Beruf/Funktion:
  • Erzbischöflicher Baumeister
Kurzbiografie: 1880-1892 Schulbesuch und Maurerlehre in seiner Heimat
1892-1900 Arbeit im Baugewerbe in Italien
1900-1912 Angestellter der Baufirma Leopold Grab in Oberrotweil am Kaiserstuhl, Bauleiter bei verschiedenen Kirchenneubauten im Erzbistum Freiburg
1913 Gründung einer eigenen Baufirma in Ehrenstetten
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1900 (Cagno) Emilia, geb. Merazzi (1877-1931)
Eltern: Vater: Carlo (1835-1895)
Mutter: Maria Antonia, geb. Bernasconi (1841-1925)
Geschwister: 3
Kinder: 10, 1 früh verstorben
GND-ID: GND/1012770257

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 206-207

Als junger Familienvater verließ Merazzi im Jahr 1900 seinen Heimatort Cagno in den Bergen zwischen dem Comer und Vareser See. Er hatte den Maurerberuf erlernt und folgte wie viele seiner Landsleute und Berufskollegen den Werbeappellen deutscher Baufirmen, die seit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Krieg gegen Frankreich viele Großaufträge hatten. Italienische Facharbeiter zumal mit Berufserfahrung standen hoch im Kurs. Merazzi hatte sich schon in seiner Heimat als Bauleiter qualifiziert. Der Oberrotweiler Bauunternehmer Leopold Grab tat deshalb einen Glücksgriff, als er Merazzi in Dienst stellte, und dieser überzeugte sich von der Seriosität seines neuen Arbeitgebers und ließ nach wenigen Monaten Frau und Kind nachkommen.
Die Firma Grab arbeitete eng mit der Baubehörde der Erzdiözese zusammen, die damals viele Kirchen erweiterte und modernisierte oder Kapellen mit Filialkirchenstatus durch Neubauten ersetzte und die Sprengel dann zu Kuratien oder Pfarreien erhob. Kuhbach bei Lahr (1908), das zu Reichenbach gehört hatte, Sulzburg (1909/10), ehemalige Filiale von Ballrechten, oder Ehrenstetten (1911/12), damals Teil der Pfarrei Kirchhofen, sind solche Beispiele. Bei den genannten Projekten war Merazzi Bauleiter. Für die Pläne zeichnete jeweils Raymund Jeblinger verantwortlich, der von 1901 bis 1924 als Nachfolger von Max Meckel die Freiburger Kirchenbaubehörde leitete. Mit der Ausarbeitung der Pläne, der Kostenberechnung und der Bauaufsicht war in Ehrenstetten Architekt oder Techniker Luger betraut. Von der Anstellung eines Bauführers sah die Behörde ab, die „örtliche Bauleitung“ reiche völlig aus.
Hinter dieser Formulierung der Bauakten verbirgt sich Merazzi, der bei Großprojekten vom Frühjahr bis zur Winterpause samt seiner Familie am Einsatzort wohnte. Seiner Ehefrau fiel die Aufgabe zu, die Arbeiter, die ihrem Mann zugeteilt waren, zu verköstigen, teils sogar zu beherbergen – keine leichte Aufgabe für eine junge Mutter. Mobilität gehörte zum beruflichen Alltag und wurde von der Familie wie selbstverständlich verlangt. Die Nachfahren erinnern sich auch an einen längeren Aufenthalt in Riegel, während dessen zwei Söhne im dortigen katholischen Kinderheim wohnten, um den Männern vom Bautrupp Platz zu machen.
Bei der Einweihung der Ehrenstetter Kirche 1912 wurde Merazzi mit dem Titel „Erzbischöflicher Baumeister“ geehrt in Anerkennung seiner zuverlässigen und erfolgreichen Arbeit. Auf Anraten des Bürgermeisters entschloss er sich damals, in Ehrenstetten zu bleiben und sich selbständig zu machen. Bei Kriegsausbruch entging er dem Schicksal, interniert zu werden, was für Italiener damals die Regel war – wohl wegen seiner Vertrauensstellung in der Gemeinde. Angesichts der Nachkriegsnot kehrte er 1919 mit seiner Familie nach Cagno zurück, wo er sich in den Jahren der Prosperität jeweils in den Wintermonaten ein Haus gebaut hatte. Ab 1921 wohnte und arbeitete er wieder in Ehrenstetten. Als er 1926 erst 52jährig starb, hinterließ er ein angesehenes Baugeschäft, das zu übernehmen sich der älteste Sohn Antonio (geb. 1902) durch Maurerlehre und Meisterprüfung qualifiziert hatte.
Schon seine Zeitgenossen sahen in Merazzi ein Vorbild, den idealen katholischen Familienvater und einen beruflich Erfolgreichen, der alles aus eigener Kraft geschafft hat. In Ehrenstetten ist sein Andenken lebendig, in Oberrotweil wurde er 2002 in einer Ausstellung des örtlichen Geschichtsvereins als sympathischer und leicht integrierbarer Einwanderer präsentiert. Die italienische Staatsbürgerschaft hat Merazzi aber nie abgelegt. Der Sohn Hans nahm an Mussolinis Abessinienkrieg teil und fiel 1937.
Quellen: EBA, Ordinariat u. Kath. Oberstiftungsrat, Bauakten Oberrotweil, Sulzburg, Kuhbach, Ehrenstetten; mündl. Mitteilungen von Maria Grab, Emil Galli u. Ralf Killian, Oberrotweil; schriftl. u. mündl. Mitteilungen von Elsa Fliegauf, geb. Merazzi, Ehrenkirchen.
Nachweis: Bildnachweise: Bei Elsa Fliegauf, Ehrenkirchen, u. bei Fotograf Ralf Killian, Oberrotweil.

Literatur: Thomas Lehner, Nachbarn. Tondokument, SWF-Landesstudio Freiburg, Sendung v. 5. 1. 1975; Judith u. Hans Jakob Wörner, Raymund Jeblinger, erzbischöfl. Oberbaurat u. Münsterbaumeister, in: BH 57, H. 1, 1977, 125-136; Andrea Drescher, Gefragte Handwerker u. angesehene Baumeister. Wanderarbeiter aus Polen u. Italien am Oberrhein, in: BZ vom 21. 4. 1993; Emil Galli u. a., Rothweil. Aus der Geschichte von Nieder- u. Oberrotweil. 2000.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)