Baur, Wilhelm Josef 

Geburtsdatum/-ort: 06.02.1895;  Schwäbisch Gmünd
Sterbedatum/-ort: 18.05.1973; Bad Ragaz
Beruf/Funktion:
  • Verleger und Chefredakteur
Kurzbiografie: 1901–1905 Grundschule Schwäbisch Gmünd
1905–1914 Gymnasium Schwäbisch Gmünd bis 1911, dann Reuchlin-Gymnasium Pforzheim bis Abitur
1914–1918 Kriegsdienst beim Bad. Leibgrenadier Reg. 109, Einsatz als Gefreiter an d. Westfront, EK II
1919–1923 Volontariat u. Redakteur beim „Badischen Beobachter“ in Karlsruhe
1924–1933 Sekretär d. Zentrumspartei in Mittelbaden
1928–1933 Landtagskorrespondent u. Herausgeber d. Zentrums-Korrespondenz für Baden
1934–1943 Organisationsleiter d. Bausparkasse Badenia in Karlsruhe
1944–1945 Gefreiter im Wehrmeldeamt Ludwigsburg
1946 Lizenz durch die US-Besatzungsmacht zur Gründung d. „Badischen Neuesten Nachrichten“, Mitbegründer d. CDU Karlsruhe
1946–1973 Verleger u. Chefredakteur d. „Badischen Neuesten Nachrichten“
1946–1971 Stadtrat in Karlsruhe, CDU
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Ehrungen (Auswahl): Ehrenvorsitzender des Presseclubs Karlsruhe (1960); Stern zum großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (1965); Ehrenbürger der Stadt Karlsruhe (1970)
Verheiratet: 1946 (Untergrombach) Hildegard, geb. Raab (1920–1993)
Eltern: Vater: Hans (1869–1926), Goldschmied
Mutter: Marie, geb. Hassler (1872–1924)
Geschwister: eine Schwester, ein Bruder
Kinder: eines
GND-ID: GND/1012803341

Biografie: Josef Werner (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 11-13

Mit Baurs Vornamen verbindet sich eine kuriose Geschichte. Baurs Großvater Josef, Inhaber einer florierenden Dachdeckerei in Schwäbisch Gmünd, war bei Reparaturarbeiten vom Dach des Gmünder Münsters gestürzt und fand den Tod. Dessen Frau, Baurs Großmutter, bestand darauf, dass der erstgeborene Enkel zum Gedenken an ihren mit nur 41 Jahren umgekommenen Mann dessen Vornamen erhält. Dies geschah so. Baurs Mutter, die ihren Sohn lieber nach ihrem Vater Wilhelm benannt hätte, ließ diesen als Zweitnamen ins Taufregister eintragen. Damit aber nicht genug: Sie rief ihren Jungen immer nur Wilhelm, im Gegensatz zur Großmutter, die ihren Enkel korrekt nur Josef nannte. Für den jungen Baur hatte dies den Vorteil, dass er stets genau wusste, von wem er jeweils gerufen wurde. Naturgemäß hatte aber die Mutter den längeren Atem, und so weiß heute nur noch das Standesamt in Schwäbisch Gmünd, dass Baur eigentlich Josef hieß und Wilhelm nur der Zweitname war.
Früh hat Baur erfahren, dass Wohlstand keine Selbstverständlichkeit ist. Sein Vater, der in Schwäbisch Gmünd eine Goldschmiede-Werkstatt besaß, musste 1911 mangels Nachfrage seinen drei Mitarbeitern kündigen und den Betrieb schließen. Mit seiner Familie zog er noch im gleichen Jahr nach Pforzheim, wo er als Goldschmied Arbeit fand. So wurde aus dem Schwaben zumindest nach dem Wohnsitz lebenslang ein Badener, wenn man so will, ein „gelernter“ Baden-Württemberger.
Als Schüler der Oberstufe des Reuchlin-Gymnasiums besuchte der politisch Interessierte allabendlich die Pforzheimer Stadtbibliothek, wo Zeitungen aller politischen Couleur auslagen. Es waren die letzten drei Jahre vor dem I. Weltkrieg. Vor allem die sozialen Spannungen und Konflikte beschäftigten den wissbegierigen jungen Mann.
Nach dem Abitur meldete sich Baur beim legendären Badischen Leib-Grenadier-Regiment Nr. 109 als Kriegsfreiwilliger; Verteidigung der Heimat und Vaterlandsliebe waren auch ihm Motivation. Nach ersten Fronteinsätzen in Frankreich, bei denen ihm das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen wurde, kam Baur im Frühjahr 1915 zu einem Offizierslehrgang nach Dessau. Statt diesen als Leutnant zu verlassen, landete Baur im „Bau“. Vorausgegangen war eine für Baurs Temperament und Ehrgefühl bezeichnende Geschichte. Einem preußischen Leutnant, der die Stubenreinigung überprüfte, blieb nicht verborgen, dass Baur den Staub nur unter einen Spind gekehrt hatte. Seine Reaktion: „Sie badisches Schwein!“, brüllte er Baur an. Der großgewachsene, kräftige Baur holte aus und streckte den Beleidiger zu Boden. Er wurde umgehend festgenommen und landete in einem Militärgefängnis in Potsdam. Zu dem nachfolgenden Militärgerichtsverfahren wurde Baur nach Karlsruhe zurückgebracht. Der Karlsruher Generalarzt Freiherr von Babo wurde hinzugezogen. Als Badener dem Delinquenten wohlgesonnen bescheinigte er Baur die Basedowsche Krankheit als wahrscheinliche Ursache des Vergehens. Baur erhielt nur die Mindeststrafe und wurde zur Bewährung an die Front kommandiert. Eine Beförderung war allerdings nicht mehr möglich. Baur überlebte die schweren Kämpfe bei Verdun und die Abwehrschlachten des Jahres 1918 und kehrte unversehrt in die Heimat zurück.
Dem nunmehr 23-jährigen Baur schien es nach Kriegsende wohl zu spät, ein Studium zu beginnen. Stattdessen begann er beim „Badischen Beobachter“ in Karlsruhe, dem Zentralorgan der katholischen Zentrumspartei des Landes, 1919 ein Volontariat. Gleich zu Anfang mit seinen Kommentaren zur Landespolitik, mehr noch dann als Redakteur machte er sich einen Namen. Weil ihn aber aktive Politik nicht minder interessierte als der Journalismus, folgte er 1924 der Aufforderung, Sekretär seiner Partei für Mittelbaden zu werden. So entwickelte sich Baurs Talent als „mitreißender Redner“, wie ihn der Karlsruher Oberbürgermeister Dullenkopf einmal nannte. Zum anderen schärften sich dem als Herausgeber einer Parteikorrespondenz akkreditierten Landtagskorrespondenten eigenes politisches Wissen und Urteil.
Nach der NS-„Machtergreifung“ 1933 erlosch mit dem Verbot der Zentrumspartei die Tätigkeit bei deren Zeitung; Baur wurde arbeitslos. Eine Zeitlang lebte er vom Verkauf von Messwein, zumindest im mittelbadischen Raum kannte er ja alle kath. Pfarrer. Schließlich fand er bei der Badenia-Bausparkasse in Karlsruhe Unterschlupf, wurde Organisationsleiter des noch jungen Unternehmens und lernte dort eine Tochter des Badenia-Chefs kennen, die er später heiratete.
Im Herbst 1944 wurde der 49-jährige Baur erneut Soldat. Als Gefreiter arbeitete er beim Wehrmeldeamt in Ludwigsburg. Gegen Kriegsende löste sich die kleine Einheit auf und Baur gelang es, ohne in Gefangenschaft zu geraten, sich nach Karlsruhe durchzuschlagen. Hier gründete er mit vier Gefährten aus der ehemaligen Zentrumspartei im Jahr 1946 die Karlsruher CDU und zog als deren Kandidat in den Gemeinderat ein, dem er exakt 25 Jahre lang angehörte. Bei Stadtrat Baur wussten sich vor allem die Vereine gut aufgehoben, schließlich war er aktiver Fußballer gewesen, der in seiner Gymnasiastenzeit in der 1. Mannschaft des FC Pforzheim gespielt hatte. Auch die bis in die 1970er-Jahre hinein städtische Polizei wusste in Baur einen verlässlichen Vertreter ihrer Interessen.
Das Jahr 1946 wurde für Baur auch beruflich zu einer Wendemarke seines Lebens. Die amerikanische Besatzungsmacht, um den Neuaufbau demokratischer Strukturen bemüht, bot dem politisch Unbelasteten die Lizenz zur Herausgabe einer Zeitung für die Region Karlsruhe an. Nur zögerlich, mit großem Respekt vor einer unternehmerischen Fahrt ins Ungewisse, nahm Baur das Angebot an. Walter Schwerdtfeger von der SPD war anfangs ein weiterer Lizenzträger.
In einer Zeit des Mangels an allem, auch an Redakteuren, die den amerikanischen Presseoffizieren genehm waren, hatte Baur eine Herkulesaufgabe zu bewältigen. Unter Aufbietung aller noch verfügbaren technischen Kräfte gelang es, einige Setzmaschinen und die teilzerstörte Rotation im Verlagshaus der ehemaligen NS-Zeitung „Der Führer“ in der Lammstraße in Karlsruhe zum Laufen zu bringen. Es schien angesichts der damaligen Schwierigkeiten fast ein Wunder, dass am 1. März 1946 die erste Ausgabe der neuen Karlsruher Nachkriegszeitung erscheinen konnte, die „Badischen Neuesten Nachrichten“, wegen Papierknappheit lange Zeit nur zweimal, dann dreimal wöchentlich. Erst nach der Währungsreform 1948 wurden die „Badischen Neuesten Nachrichten“ eine regelrechte Tageszeitung.
Sowohl gemäß den Direktiven der Besatzungsmacht wie nach der Zielsetzung Baurs waren die „Badischen Neuesten Nachrichten“ von Anfang an der Demokratie verpflichtet, unabhängig und überparteilich. In seinen Leitartikeln gab Baur diese Richtung vor, vergaß dabei aber nicht, das wirtschaftliche Fundament seines Verlages zu sichern. Es gelang ihm, wieder erstandene Blätter wie die „Bruchsaler Rundschau“, die „Brettener Nachrichten“ und den „Acher- und Bühler Boten“ der „Badendruck GmbH“, wie der Verlag hieß, einzuverleiben und die „Badischen Neuesten Nachrichten“ mit den Ausgaben Karlsruhe, Pforzheim, Ettlingen und Baden-Baden zur führenden Zeitung in Mittelbaden zu machen. Für Baur, der schon immer in und für diesen Raum lebte, war dies wohl die Erfüllung eines Traums.
Der wirtschaftliche und journalistische Erfolg der „Badischen Neuesten Nachrichten“ kam nicht von ungefähr. Abgesehen davon, dass Baur es verstand, für wichtige Positionen geeignete und verlässliche Leute zu finden, wies er dank seiner Erfahrung, seinem Wissen und Temperament den Weg. Beliebt machten ihn seine Toleranz, seine Hilfsbereitschaft und seine bezwingende Menschlichkeit. Eine seltsame Schwäche war ihm gleichwohl eigen: Seine Redakteure mussten bei seinen täglichen Rundgängen am Schreibtisch sitzen, für Urlaub oder gar Dienstreisen hatte er wenig Verständnis.
Für die schon Ende der 1950er-Jahre auf 500 festangestellte Mitarbeiter angewachsene „BNN-Familie“, wie er sie nannte, war Baur so etwas wie ein Patriarch. Wohl in Würdigung dessen, wie sich bei Baur Erfolg und soziales Verständnis verbanden, meinte der Karlsruher Oberbürgermeister Günther Klotz bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Baur im Jahre 1970, dieser habe sich „ausgebildet in der Universität des Lebens“. In seiner Dankesrede vermittelte Baur dann seine Lebensmaxime: „Charakter zu bewahren ist wichtiger als Erfolg.“
Noch ehe Baur im Mai 1973 während eines Urlaubs unerwartet einem Herzanfall erlag, hatte er für eine bleibende wirtschaftliche und journalistische Unabhängigkeit der „Badischen Neuesten Nachrichten“ die Weichen gestellt. Der Nachfolger Hans Wilhelm Baur, Baurs Neffe und Adoptivsohn, führte Baurs Vermächtnis weiter. Die „Badischen Neuesten Nachrichten“ wurden 1994 in die „Wilhelm-Baur-Stiftung“ überführt.
Nachweis: Bildnachweise: A. d. Badischen Neuesten Nachrichten (vgl. Literatur).

Literatur: Josef Werner, Der Chefredakteur, in: Süddt. Allgemeine Ztg. vom 6.8.1949 (mit Bildnachweis); Amadeus Siebenpunkt, alias Hubert Doerrschuck, Traktat vom Verleger, in: Badische Neueste Nachrichten vom 5.2.1955; Dr. Otto Haendle, Garant demokratischer Gesinnung im Badnerland, in: Badische Neueste Nachrichten vom 6.2.1960 (mit Bildnachweis); Hermann Winkler, Das Ethos des Publizisten erfüllt, in: Badische Neueste Nachrichten vom 8.2.1965 (mit Bildnachweis); Josef Werner, Ergebnis d. Leistung, in: Badische Neueste Nachrichten vom 1.3.1971 (mit Bildnachweis); ders., Bürger u. Ehrenbürger, in: Badische Neueste Nachrichten vom 19.5.1973; Dr. Fritz Laule, Wilhelm Baur †, in: Badische Neueste Nachrichten vom 19.5.1973 (mit Bildnachweis).
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