Samwer, Adolf Franz 

Geburtsdatum/-ort: 08.07.1895; Gotha
Sterbedatum/-ort: 30.09.1958;  Marxzell (Verkehrsunfall)
Beruf/Funktion:
  • Versicherungsunternehmer und Politiker
Kurzbiografie: 1914 Abitur am Gymnasium Ernestinum in Gotha
1914–1918 Freiwilliger im I. Weltkrieg, zuletzt Leutnant d. Res.
1919–1921 Studium d. Philosophie u. Volkswirtschaftslehre in Berlin ohne Abschluss
1921 Tätigkeit bei verschiedenen Wirtschaftsunternehmen in Deutschland u. den Niederlanden
1922 Volontär bei d. Filialdirektion Magdeburg d. Allianz Lebensversicherungsbank AG
1923 Leiter d. Bezirksdirektion Halle (Saale) des Allianz-Konzerns
1924 Leiter d. Bezirksdirektion Berlin d. Bayerischen Versicherungsbank AG
1928 Direktor d. Zweigniederlassung für Rheinland u. Westfalen d. Allianz u. Stuttgarter Verein Versicherungs-AG in Köln
1931–1945 Vorstandsvorsitzender u. Generaldirektor d. Karlsruher Lebensversicherungsbank AG
1945ff. Wirtschaftssachverständiger; politische Tätigkeit für GB/BHE
1951ff. Stadtrat in Karlsruhe
1952–1953 Mitglied d. Verfassunggebenden Landesversammlung von Baden-Württemberg
1953–1957 MdB-GB/BHE, ab 1956 CDU
1957 Vorstandsvorsitzender u. Generaldirektor d. DKV Deutsche Krankenversicherung AG, Köln
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: EK II u. I (I. Weltkrieg); Mitglied des Versicherungsbeirates des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung (1931); Mitglied d. Vollversammlung d. IHK Karlsruhe (1931); Vorsitzender/Bundesleiter d. Literarischen Gesellschaft/Scheffelbund Karlsruhe (1938–1944); Ehrensenator d. TH Karlsruhe (1939); Mitglied des Badisch-pfälzischen Beirats d. Deutschen Bank (1940).
Verheiratet: 1921 (Merseburg) Lilli Friederike Johanna (1896–1974), Tochter des Ludwig Baltz (1856–1943), Zeitungsverleger in Berlin
Eltern: Vater: Karl August Friedrich (1861–1946), Dr. iur., Generaldirektor d. Gothaer Lebensversicherungsbank a.G.
Mutter: Gertrud (1864–1939), Tochter des Dr. Adolph Stengel (1828–1900), Professor d. Landwirtschaftslehre in Heidelberg
Geschwister: 3; Friedrich (1892–1953), Oberforstmeister in Sigmaringen, Elisabeth, verh. Henn (1893–1990), u. Irma (1900–1975), verh. mit Dr. Otto Burbach, Vorstandsmitglied d. Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft
Kinder: 2;
Ludwig Werner (1925–1944, vermisst),
Renate Elisabeth, verh. Dehling (geboren 1928)
GND-ID: GND/101733828

Biografie: Peter Koch (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 425-427

Samwer machte seit 1922 innerhalb des Allianz-Konzerns eine steile Karriere und wurde 1931 zum Generaldirektor der Karlsruher Lebensversicherungsbank AG bestellt, die er finanziell, betriebsorganisatorisch und von ihrer Marktstellung her neu strukturierte. Nach 1945 musste er aufgrund von Vorwürfen wegen NS-Betätigung, deren Richtigkeit sich nicht zweifelsfrei nachprüfen lässt, ausscheiden. Danach wirkte er als Wirtschaftssachverständiger und politisch weiter. Er gehörte dem Stadtrat von Karlsruhe und der Verfassunggebenden Landesversammlung von Baden-Württemberg an und rückte 1953 in den Deutschen Bundestag nach. 1957 wurde ihm der Vorstandsvorsitz der DKV Deutsche Krankenversicherung AG übertragen.
Als Sohn des Vorstandsvorsitzenden und Generaldirektors der Gothaer Lebensversicherungsbank a.G. und Repräsentanten der deutschen Lebensversicherung wuchs Samwer in Gotha auf, besuchte dort das Gymnasium Ernestinum, verbrachte 1907/1908 knapp zwei Jahre in der bekannten Erziehungsanstalt Schnepfenthal und bestand 1914 das Abitur am Ernestinum. Als Freiwilliger nahm er am I. Weltkrieg teil und wurde als Leutnant der Reserve entlassen.
Von 1919 bis 1921 studierte Samwer Volkswirtschaftslehre und Philosophie an der Universität Berlin, gab das Studium jedoch auf, um einen kaufmännischen Berufsweg einzuschlagen. 1921/22 übte er jeweils kurzfristige Tätigkeiten bei verschiedenen Unternehmen in Deutschland und den Niederlanden aus.
Ohne Abstimmung mit seinem Vater – oder gar von ihm protegiert – trat er im August 1922 ein Volontariat bei der Filialdirektion Magdeburg der Allianz Lebensversicherungsbank AG an. Sein ansprechendes Wesen, sein Organisationstalent und die gewinnende Art gegenüber den Kunden brachten ihm schon im folgenden Jahr die Leitung der Allianz-Bezirksdirektion Halle (Saale) ein. Zum 1. Oktober 1924 wurde ihm die Bezirksdirektion Berlin der Bayerischen Versicherungsbank AG und der Bayerischen Lebens- und Unfallversicherungsbank AG übertragen, die Allianz und Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft im Jahr zuvor von der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank erworben hatten. 1928 erhielt er die Leitung der Zweigniederlassung der Allianz und Stuttgarter Verein Versicherungs-AG für Rheinland und Westfalen in Köln. Den neuen Namen, den die Gesellschaft bis zum Jahre 1940 führte, hatte die Allianz 1927 durch die Fusion mit der Stuttgarter Verein Versicherungs-AG und der Stuttgart-Lübecker Lebensversicherungs-AG, dem größten Zusammenschluss in der deutschen Versicherungsgeschichte, erhalten. Danach nannte sie sich wieder Allianz Versicherungs-AG bzw. Allianz Lebensversicherungs-AG. Die Kölner Niederlassung war eine ihrer wichtigsten und größten Außenstellen.
Zum 1. Mai 1931 wurde Samwer Vorsitzender des Vorstands und Generaldirektor der Karlsruher Lebensversicherungsbank AG. Die 1835 gegründete Gesellschaft hatte zum Konzern der Frankfurter Allgemeine Versicherungs-Aktien-Gesellschaft, FAVAG, gehört, die wegen versicherungsfremder Finanzierungsgeschäfte zusammengebrochen und von Allianz und Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft aufgefangen worden war. Samwer sanierte die angeschlagene Karlsruher Lebensversicherung und brachte sie in der Rangliste der deutschen Lebensversicherer vom 11. auf den 4. Platz.
Von unternehmensübergreifender Bedeutung war die in den Jahren 1931 bis 1934 vorgenommene Reorganisation des gesamten Betriebes der Karlsruher Lebensversicherung, die vom Studium der vorgefundenen Arbeitsgänge ausgehend das Idealbild einer sachlichen Gliederung entwickelte und danach die betriebswirtschaftliche Neugestaltung des Unternehmens durchführte. Ihren Niederschlag haben die von Samwer dabei gewonnenen Erkenntnisse in dem ersten brauchbaren Beitrag über die Innenorganisation des Versicherungsbetriebes in dem damals führenden Unterrichts- und Nachschlagewerk „Deutsche Versicherungswirtschaft“ gefunden. Am Schluss seiner Ausführungen weist der Verfasser darauf hin, dass das Schrifttum über das Gesamtgebiet der Betriebsorganisation und Rationalisierung umfangreich sei, jedoch nur vereinzelt Aufsätze über die Organisation des Versicherungsbetriebes zu finden seien. Erich R. Prölss (1907–1969), der bekannte Kommentator des Versicherungsrechts, hat in einer Besprechung des Nachfolgewerkes „Versicherungswirtschaftliches Studienwerk“ (Buchausgabe: Die Versicherung) 1966 die Darstellung von Samwer zu den auch heute noch unübertroffenen Beiträgen des Vorgängers gezählt. Die Deutsche Arbeitsfront, DAF, erklärte die Karlsruher Leben zum NS-„Musterbetrieb“. Samwer trat 1936 der NSDAP bei, wobei das Aufnahmedatum, wie damals häufig praktiziert, drei Jahre zurückverlegt wurde. Zu Kriegsbeginn 1939/40 als Hauptmann der Reserve vorübergehend eingezogen, wurde er danach als „UK“ freigestellt. Nach seiner Rückkehr wurde die Karlsruher Leben zum Treuhänder und Samwer zum kommissarischen Verwalter des Lebensversicherungsgeschäftes der Compagnie Générale d’Assurances Rhin et Moselle bestellt. Die Gesellschaft war 1881 zur Übernahme der elsass-lothringischen Bestände französischer Unternehmen gegründet und 1919 zur französischen Rhin et Moselle im Besitz der Schweizerischen Rückversicherungs-Gesellschaft geworden. Hinsichtlich seiner Befugnisse berief sich ihr Generaldirektor André Mouchard Samwer gegenüber auf eine Vollmacht, die von einem Erlass des Marschalls Philippe Pétain (1856–1951) abgeleitet und für die obrigkeitliche Festlegung des Geschäftsgebietes der Gesellschaft von Bedeutung war, sich jedoch als gefälscht erwies. Samwer unterrichtete hiervon die zuständige Wirtschaftsbehörde in Straßburg, die Mouchard vorübergehend in Untersuchungshaft nahm. Er wurde auch nach dem II. Weltkrieg nicht wieder zum Generaldirektor der Gesellschaft bestellt.
Die Anzeige Mouchards und dessen Verhaftung wurden Samwer nach dem II. Weltkrieg als NS-Betätigung angelastet. Insbesondere erhob der amerikanische Wirtschaftshistoriker Gerald D. Feldman (1937–2007) in seinem 2001 erschienenen Buch über die Allianz im „Dritten Reich“ wegen dieses Vorgangs erhebliche Vorwürfe gegen Samwer Dieser hatte sein Amt als Vorstandsvorsitzender der Karlsruher Leben verloren und war von 1945 bis 1948 von der amerikanischen Militärregierung wiederholt interniert. Mit umfangreichen Schriftsätzen an namhafte Persönlichkeiten der Versicherungswirtschaft, wie den Generaldirektor der Allianz Hans Heß (1881–1957), den früheren Vorsitzenden des Reichsverbandes der Privatversicherung und der Reichsgruppe Versicherungen Eduard Hilgard (1884–1982) und den Generaldirektor der Hamburg-Mannheimer und Vorsitzenden des Arbeitsausschusses der Hamburger Versicherungswirtschaft Hermann Hitzler (1899–1982), kämpfte er nachdrücklich um seine Wiedereinsetzung, blieb aber ohne Erfolg. Besonders umfangreich und detailliert waren seine Ausführungen gegenüber Hermann Hitzler. Zu einer gewissen Rehabilitation kam es erst zwölf Jahre nach Kriegsende.
Der Vorstandsvorsitz der Karlsruher Leben war inzwischen mit dem späteren SPD-Bundesfinanzminister und Wiederbegründer der Versicherungspublizistik nach dem Krieg Alex Möller besetzt, der schon 1943 Organisationschef und 1944 stellvertretendes Vorstandsmitglied unter Samwer gewesen war. Mit einer politisch völlig unbelasteten Persönlichkeit an ihrer Spitze war die Karlsruhr Leben – unabhängig von der Beurteilung der gegen Samwer erhobenen Vorwürfe – keinen Angriffen ausgesetzt und konnte sich wieder bis zur Spitzengruppe der deutschen Lebensversicherer entwickeln. Sie ist 2005 von der Wüstenrot&Württembergische übernommen worden. Samwer betätigte sich als Wirtschaftssachverständiger und wandte sich als Mitglied des Gesamtdeutschen Blocks/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten, GB/BHE, der Politik zu. Die Wahl dieser Partei beruhte wohl auf der Herkunft der Familie aus dem thüringischen Gotha. Samwer wurde 1951 Stadtrat in Karlsruhe und spielte bis zu seinem Tod eine bedeutende Rolle in der Kommunalpolitik der Stadt; 1952 kandidierte er auch als Oberbürgermeister. Damals begann auch sein landespolitisches Engagement. Samwer gehörte 1952/53 der Verfassunggebenden Landesversammlung von Baden-Württemberg an. Am 15. Oktober 1953 rückte er über die GB/BHE-Landesliste für den ausgeschiedenen Abgeordneten Eduard Fiedler in den Bundestag ein, dem er bis zum Ende der 2.Wahlperiode 1957 angehörte. Samwer war Parlamentarischer Geschäftsführer der GB/BHE-Fraktion, aus der er am 12. Juli 1955 austrat und sich als Hospitant der CDU/CSU-Fraktion anschloss, in die er am 20. März 1956 zusammen mit der „Gruppe Oberländer-Kraft“ eintrat. Samwer war Mitglied der Ausschüsse für Wirtschaftspolitik, Finanz- und Steuerfragen, Beamtenrecht, Angelegenheiten der inneren Verwaltung, Geld und Kredit und Geschäftsordnung.
Seine Rückkehr in die Versicherungswirtschaft nach zwölf Jahren bedeutete für ihn die Bestellung zum Vorstandsvorsitzenden und Generaldirektor der Deutsche Kranken-Versicherungs-Aktien-Gesellschaft, DKV, in Köln 1957 als Nachfolger des Mathematikers Adolf Tosberg (1899–1974). Die Gesellschaft stand unter dem Aufsichtsratsvorsitz von Hermann Hitzler; für Samwer hatte sich Generaldirektor Alois Alzheimer (1901–1987) von der Münchener Rück persönlich eingesetzt. Lange konnte Samwer dieses Amt jedoch nicht ausüben. Der 63-jährige, den die BNN als unverändert „jugendlich-kämpferisch“ (1.10.1958) beschrieb, verunglückte am 30. September 1958 bei der Rückfahrt von einer Gemeinderatssitzung in Karlsruhe zu seiner Ferienwohnung in Herrenalb auf der Albtalstraße zwischen Marxzell und Frauenalb bei Schielberg, erlitt dabei einen Schädelbasisbruch und verstarb sofort.
Quellen: FamilienA Rechtsanwalt Dr. Sigmar-Jürgen Samwer, Köln.
Werke: Hundert Jahre Karlsruher Lebensversicherung 1835–1935; Innenorganisation, in: Dt. Versicherungswirtschaft, 2. Bd., 1936/39, 1-48.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (1954), in: Baden-Württembergische Biographien 6, S. 424, FamilienA Samwer, Köln (vgl. Quellen).

Literatur: Reichshandb. d. Dt. Gesellschaft, 2. Bd., 1931, 398; Amtl. Handb. des Dt. Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, 476; Stadtrat Samwer tödlich verunglückt, in: BNN 1.10.1958; Vom Wirtschaftler zum Politiker, zum Tode von Adolf Samwer, ebd. vom 2.10.1958; Letzter Abschied von Adolf Samwer, ebd. vom 4.10.1958; Adolf Franz Samwer †, in: Versicherungswirtschaft 1958, 651; Erich R. Prölss, Die Versicherung, in: Zs. für die gesamte Versicherungs-Wissenschaft 1966, 108; Peter Koch, Geschichte d. Versicherungswissenschaft in Deutschland, 1998, 239; Gerald D. Feldman, Die Allianz u. die dt. Versicherungswirtschaft 1933–1945, 2001, 547-550; Adolf Samwer: Vom Versicherungsvorstand zum CDU-Politiker, in: Versicherungswirtschaft 2002, 333; Biogr. Handb. d. Mitglieder des Dt. Bundestages 1949–2002, 2. Bd., 2002, 716; Peter Koch, Samwer, Karl, in: NDB, 2005, 412; Wolfgang Fischer, Heimatpolitiker? Selbstverständnis u. politisches Handeln von Vertriebenen als Abgeordnete im Dt. Bundestag 1949–1974, 2010; Peter Koch, Geschichte d. Versicherungswirtschaft in Deutschland, 2012, 258, 325.
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