Geib, Otto 

Geburtsdatum/-ort: 12.01.1859;  Tübingen
Sterbedatum/-ort: 03.08.1920;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • Jurist, Hochschullehrer
Kurzbiografie: 1876 Abitur am Gymnasium Tübingen
1876/77 Englandaufenthalt
1877–1880 Studium der Rechtswiss. in Tübingen; Abschluss mit der Dienstprüfung zum Justizreferendar in Stuttgart
1879/80 Studium der Rechtswiss. in Berlin
1881/83 Justizreferendar in Tübingen; Abschluss mit der zweiten Dienstprüfung zum Rechtsassessor in Stuttgart
1882 Promotion zum Dr. iur. in Tübingen mit dem Thema: Die rechtliche Natur der »actio communi dividundo«; Doktorvater Heinrich Degenkolb
1884 Habilitation für Römisches Recht in Tübingen (Die Person des pigneraticisch Berechtigten und des pigneraticisch Verpflichteten nach römischem Recht) bei Heinrich Degenkolb
1886 Titularprof. in Tübingen
1891 planmäßiger ao. Prof. für Römisches Recht in Tübingen (Lehrverpflichtung für württ. Privatrecht gegenüber den Studenten der Forstwiss.)
1900 o. Honorarprof. für Römische Recht und württ. Privatrecht in Tübingen
1906 o. Prof. für Römisches Recht, deutsches bürgerliches Recht, württ. Privatrecht und Zivilprozess in Tübingen
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: Ledig
Eltern: Vater: Karl Gustav Geib (1808–1864), aus Lambsheim (Bezirk Frankenthal, bayerische Rheinpfalz) Jurist, Dr. iur., kgl. Ministerialrat in Griechenland (Justizministerium), Prof. für Straf- und Prozessrecht in Zürich (1836–1851) und Tübingen (1851-1864)
Mutter: Luise, geb. Abegg (1823–1907), aus Heidelberg
Geschwister: 6: Minna (geboren 1847), verh. Emil Pfizer (1843–1920), Oberlandesgerichtsrat in Stuttgart, Landgerichtspräsident in Ulm; Emilie (1848–1849); Klementine Karoline Wilhelmine (geboren 1849), verh. N. N. Tross; Elise Charlotte (geboren 1850), verh. Robert Öchsler (1851–1920), Landgerichtsrat in Heilbronn; Georg Valentin Rudolf (1852–1885), stud. phil in Tübingen, Gymnasiallehrer in Ulm; Auguste Kathinka Karolina (Caroline) (1854–1922), verh. N. N. Thibaut, Landgerichtsrat, Mutter des Karl Thibaut (geboren 1879), Oberlandesgerichtsrat in Stuttgart
Kinder: Keine
GND-ID: GND/102037450

Biografie: Martin Otto (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 73-76

Die Familie stammte ursprünglich aus der Pfalz, aus dem Raum Raumbach; erster nachgewiesener Vorfahr ist der 1585 geborene Schultheiß Peter Geib in Raumbach; der Großvater Georg Valentin Geib (1775 – 1870) war Gutsbesitzer in Lambsheim, der Urgroßvater Heinrich Valentin Geib Gutsbesitzer, Viehhändler (Schafe) und Bürgermeister von Lambsheim, die Großmutter Clementine Geib (1785 – 1842) stammte aus der pfälzischen reformierten Müller- und Pfarrerfamilie Schäffer und war mit dem Juristen Ludwig Harscher von Almendingen (1766 – 1827) verwandt; über die Hugenottenfamilie Dupré bestand hier auch eine Verwandtschaft mit dem Staats- und Verwaltungsrechtler Otto Mayer (1846 – 1924); dazu war Geib mit den Familien Pfizer und Thibaut verschwägert. Der Vater war vor seiner Tätigkeit als ein bedeutender Strafrechtsprofessor unter anderem Erzieher und Mitglied des Vormundschaftsrates des aus dem Hause Wittelsbach stammenden griechischen Königs Otto I. (1815 – 1867). Seine Mutter Luise war die Tochter des Heidelberger praktischen Theologen Johann Friedrich Abegg (1765 – 1840) und stammte aus der ursprünglich schweizerischen reformierten Pfarrerfamilie Abegg; zur näheren Verwandtschaft gehörte der Strafrechtler Julius Friedrich Heinrich Abegg (1796 – 1869); ein Großonkel mütterlicherseits war der bayerische und griechische Jurist Georg Ludwig von Maurer (1790 – 1872). Unter den Großonkeln waren zudem der Schriftsteller Karl Geib (1777 – 1852) und der Neunkircher Hüttenwerksbesitzer Friedrich Philipp Stumm (1751 – 1835). Weitere Onkel waren der Rechtsanwalt und Politiker Ferdinand Geib (1804 – 1834), ein Mitorganisator des „Hambacher Festes“ sowie der Agronom und Weingutsbesitzer Lambert Freiherr von Babo (1790 – 1862).
Geib, der als jüngstes Kind mit teilweise erheblich (zwölf Jahre) älteren Geschwistern seinen Vater schon früh verlor, wuchs in einem gelehrten Umfeld in Tübingen auf; in seinem Elternhaus an der Neckarhalde 25 (noch vorhanden; heute genutzt durch ein Pfarramt der evangelischen Stiftskirchengemeinde) lebte er bis zu seinem Tod; fast sein ganzes Leben sollte er, bis auf einen Aufenthalt in England und ein Studiensemester in Berlin, seine Geburtsstadt Tübingen nicht mehr verlassen. Ab 1864 besuchte Geib in Tübingen die Elementarschule, danach bis zum Abitur 1876 das Gymnasium (heute Uhland-Gymnasium). Unmittelbar an das Abitur schloss sich ein einjähriger Aufenthalt in England an. Ab 1877 studierte er nach dem Vorbild des Vaters Rechtswissenschaften in Tübingen, bereits sehr früh mit dem Ziel, selbst akademischer Lehrer zu werden; er hörte insbesondere bei Gustav von Mandry (1832 – 1902) und Heinrich Degenkolb (1832 – 1909); in letzterem fand er einen akademischen Lehrer. Lediglich das Wintersemester 1879/80 verbrachte Geib nicht in Tübingen; er war an der Berliner Universität eingeschrieben (Wohnsitz: Schlossplatz 11) und gehörte zu den letzten Seminaristen des romanistischen Juristen Georg Bruns (1816 – 1880).
Als württembergischer Referendar entstand seine Dissertation bei Degenkolb über die „actio communis dividundo“, eine besondere Klageform des Römischen Rechts zur Auflösung des Miteigentums. 1884 wurde er schließlich bei Degenkolb mit einer Arbeit zum Pfandrecht des Römischen Rechts habilitiert. Bereits zwei Jahre nach der Habilitation wurden ihm 1886 Charakter und Titel eines Professors verliehen; dies war für Tübinger Verhältnisse ungewöhnlich und blieb im akademischen Senat zunächst nicht ohne Widerspruch, war aber auch als Reaktion auf die verhältnismäßig häufige Verleihung des Professorentitels an preußischen Universitäten zu sehen. Seine universitäre Laufbahn verbrachte er vollständig an der Juristischen Fakultät Tübingen; 1891 erhielt er das neu errichtete planmäßige Extraordinariat „zur Unterstützung der Lehrtätigkeit der ordentlichen Professoren“, verbunden mit dem Auftrag, den Studenten der Forstwissenschaft Vorlesungen in württembergischem Privatrecht und Forstrecht zu halten. 1900 wurde er ordentlicher Honorarprofessor; 1906 wurde er schließlich, im bereits vorgerückten Alter von 47 Jahren, Inhaber des ersten Ordinariats für Römisches Recht, das bis 1900 sein Lehrer Mandry innehatte. Formell war Geib Lehrstuhlnachfolger des juristischen Germanisten Siegfried Rietschel (1871 – 1912), auf den von 1900 bis 1906 das Ordinariat umgewidmet worden war und der dann 1906 auf den deutschrechtlichen Lehrstuhl des 1905 verstorbenen Otto Franklin (1830 – 1905) nachfolgte.
Geib lebte auch als Tübinger Ordinarius in seinem Elternhaus auf der Neckarhalde; akademische Schüler sind nicht überliefert. In vielem war er der Prototyp eines deutschen Gelehrten. In seinen letzten Lebensjahren war er, der bereits früh an Magengeschwüren litt, leidend und war schließlich infolge einer chronischen Augenkrankheit (Netzhautablösung) vollständig erblindet; bis zuletzt trat er aber als Autor hervor. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Tübinger Stadtfriedhof. Ausdrücklich hatte er sich Trauerfeierlichkeiten verbeten. Bei der Trauerfeier am 6. August 1920 sprach allerdings der Universitätskanzler Max Rümelin einige Worte.
Geib war ein klassischer, aber später Vertreter der Pandektistik, dessen Textverständnis bereits zu Lebzeiten als größtenteils überholt galt. Ein Teil seiner Arbeiten war durch das Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 obsolet geworden, indem die subsidiäre Geltung des rezipierten Römischen Rechts fortgefallen war. Auch bei wohlwollenden Kollegen wie Max Rümelin war in ihren Äußerungen zu Geib erkennbar, dass seine wissenschaftliche Methode bereits lange vor 1920 als veraltete „Begriffsjurisprudenz“ galt; die „Tübinger Schule“ der Interessenjurisprudenz wahrte zu Geib Distanz. Eine Quellen- oder Textkritik findet sich bei Geib ebenso wenig wie eine Interpolationsforschung oder Fragestellungen zu der Normdurchsetzung und der antiken Rechtswirklichkeit; dies unterscheidet ihn jedoch nicht von anderen Romanisten dieser Zeit. Geib veröffentlichte eine Monographie zur Dogmatik des „römischen Bürgschaftsrechts“ und zur Theorie der Aufrechnung (Kompensation); einige der Veröffentlichungen zur prozessualen Aufrechnung, die auf Grundlage der 1879 in Kraft getretenen und seitdem fortgeltenden ZPO entstanden, können bis heute eine gewisse Relevanz beanspruchen. Geib hatte einen Schwerpunkt in den Grenzgebieten von materiellem und Prozessrecht; über das Rechtsschutzbegehren setzte sich Geib kritisch mit dem Berliner Prozessualisten Konrad Hellwig (1856 – 1913) auseinander. Als einer der ersten unterschied Geib bei dem Recht der Zwangsvollstreckung präzise zwischen dem Vollstreckungsrecht des Gläubigers gegenüber dem Staat und seinem materiellen Anspruch gegenüber dem Schuldner. Zudem führte er die Sammlung von zivilrechtlichen Reichsgesetzen seines Lehrers Mandry fort. In seinen letzten Lebensjahren trat Geib stärker als Prozessrechtswissenschaftler hervor, daneben veröffentlichte er auch zum Ehegüterrecht des BGB. Trotz seiner romanistischen Prägung finden sich bei Geib zudem Niederschläge aktueller Ereignisse; für die praktische Seite der Rechtsanwendung und die wirtschaftliche und soziale Dimension des Rechts war er keineswegs blind. So verfasste er während des Ersten Weltkriegs zu dem Schuldnerschutz der Kriegsteilnehmer.
Von Zeitzeugen wurde Geib als leidenschaftlicher Lehrer und Redner von großer Darstellungsgabe beschrieben. Unter seinen Studenten war auch der spätere württembergische Staatspräsident Eugen Bolz (1881 – 1945), der eine Vorlesungsmitschrift hinterließ. Gegenüber seinem zeitweiligen Fakultätskollegen Rudolf Smend (1882 – 1975) mahnte er früh mit dem für ihn als charakteristisch bezeichneten Humor den ausstehenden zweiten Band von dessen Habilitationsschrift zum Reichskammergericht mit einem lateinischen Zitat („Vivat sequens!“) an. Geib verfasste 1900 wohlwollend eine der wenigen Rezensionen der „Geschichte des römischen Strafrechts“ von Theodor Mommsen (1817 – 1903) und gehörte 1905 zu den ersten Rezensenten des Gierke-Schülers Hugo Sinzheimer (1875 – 1945), nämlich von dessen 1902 erschienener Dissertation zum Recht der Aufrechnung; Sinzheimer wurde einer der Gründer und wichtigsten Protagonisten der Arbeitsrechtswissenschaft in der Weimarer Republik.
Geib gehörte zu den Juristen, denen durch das Inkrafttreten des BGB und den Bedeutungsverlust des einzelstaatlichen Privatrechts (Landesprivatrecht) ein großer Teil ihrer Forschungsgebiete abhanden gekommen war. Entgegen dem wohlfeilen Bild von der lebensfeindlichen „statischen“ Interessenjurisprudenz zeigte Geib jedoch auch eine Offenheit für rechtspraktische Fragen, etwa das Arbeitsrecht und die Auswirkungen des Krieges auf das Rechtsleben.
Quellen: UAT; StadtA Tübingen; HStAS NL Bolz: Vorlesungsmitschrift; Staatsbibliothek Berlin Korrespondenz mit Verlag Mohr Siebeck; Staats- und Univ.bibliothek Göttingen NL Rudolf Smend.
Werke: Diss. 1882 (wie oben); Habil. 1884 (wie oben); Actio fiduciae und Realvertrag, in: ZSRG Rom 8 (1887), 112-155; Zur Dogmatik des römischen Bürgschaftsrechts, 1894; Die Compensation mit rechtshängigen Forderungen, in: AcP 85 (1896), 161-201; Theorie der gerichtlichen Compensation, 1897; Der civilrechtliche Inhalt der Reichsgesetze. Systematisch zsgest. und verarb. von Gustav Mandry, 4., erg. und durchges. Aufl., besorgt von Otto Geib, 1898; Rez. Theodor Mommsen, Römisches Strafrecht, in: Berliner philologische Wochenschrift 20 (1900), 589-597; Rez. Hugo Sinzheimer, Lohn und Aufrechnung. Ein Beitrag zur Lehre vom gewerblichen Arbeitsvertrag auf reichsrechtlicher Grundlage, in: KritV 10 (1905), 1-28; Die Pfändung eingebrachter, im Besitz des Manns befindlicher Mobilien, in: AcP 97 (1905/06), 161-210; Heinrich Degenkolb †, in: AcP 106 (1910), 1-51; Rechtsschutzbegehren und Anspruchsbetätigung im deutschen Zivilprozess, 1909 (ND 1995); Otto Wendt, in: DJZ 1911, 18; Die Zwangsvollstreckung in den anfechtbaren Erwerb eines Kriegsteilnehmers. Ein Beitrag zur Lehre von der Gläubigeranfechtung, in: AcP 113 (1915), 335-375; Die Gläubigeranfechtung nach § 864, 2 ZPO, in: AcP 115 (1917), 58-83; Gläubigeranfechtung durch Einrede, in: AcP 119 (1921), 157-285.
Nachweis: Bildnachweise: Fotographie (1884), Univ.bibl. Tübingen.

Literatur: F. Tacken, Der Ausgleichsanspruch des Mitbürgen nach dem Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Dogmatische Abhandlung mit Beiträgen zur Lehre vom Bürgenrezess und Gesamtschuldnerausgleich, 1907, 2, 6; M. Rümelin, Otto Geib, in: AcP 119 (1921), 286-292; E. Bley, Klagerecht und rechtliches Interesse, 1923, 10 f.; G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung. Eine rechtsdogmatische Untersuchung, 1925, 44; M. Kotowski, Die öffentliche Universität. Veranstaltungskultur der Eberhard-Karls-Universität Tübingen in der Weimarer Republik, 1999, 134, 302; S. Paletschek, Die permanente Erfindung einer Tradition. Die Universität Tübingen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, 2001, 263; D. Liebs, Mommsens Umgang mit den Quellen des römischen Strafrechts, in: W. Nippel/B. Seidensticker (Hg.), Theodor Mommsens langer Schatten. Das römische Staatsrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung, 2005, 199-214 (199); J. Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts. Ein Beitrag zur Rechtsvereinheitlichung auf europäischer Ebene, 2007, 22; S. Meier, Gesamtschulden. Entstehung und Regress in historischer und vergleichender Perspektive, 2010, 252, 1036, 1092 f., 1101; dies., Erlass und Regressgefährdung bei Bürgschaft und Gesamtschuld, in: J. D. Harke (Hg.), Drittbeteiligung am Schuldverhältnis. Studien zur Geschichte der Dogmatik des Privatrechts, 2010, 35-70 (42 f.); H. Duchhardt, Rudolf Smend und der „2. Band“, in: Rechtsgeschichte 19 (2011), 89-95 (91); Zur Familie: Deutsches Geschlechter-Buch, Bd. 58: Kurpfälzisches Geschlechterbuch 1, 1928 (teilw. fehlerhaft).
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