Löwenstein, Leopold 

Geburtsdatum/-ort: 01.02.1843;  Gailingen/Baden
Sterbedatum/-ort: 16.12.1923;  Mosbach
Beruf/Funktion:
  • Bezirksrabbiner, Historiker
Kurzbiografie: Gymnasium in Tauberbischofsheim, Lyceum in Karlsruhe
1862-1865 Universität Würzburg, u. a. Geschichte, Philosophie; gleichzeitig Talmudschule, Rabbiner Seligmann Baer Bamberger
1865 Schüler der Jeschiwah von Rabbiner Israel Hildesheimer in Eisenstadt/Burgenland, zugleich: Lehrer an der öffentlichen israelitischen Schule in Eisenstadt
1866-1867 Lehrer an der Höheren israelitischen Bürgerschule Hamburg
1868-1870 Lehrer und Prediger in Güstrow, Mecklenburg
1871-1872 Lehrer in Tauberbischofsheim
1872-1886 Rabbiner in Gailingen
1886-1923 Bezirksrabbiner für Mosbach, Merchingen und Wertheim
1891 24. Apr. Orden vom Zähringer Löwen 1. Klasse
1899-1904 Herausgeber der „Blätter für jüdische Geschichte und Litteratur“, Mainz
seit 1901 Mitarbeiter an „The Jewish Encyclopedia“, New York
seit 1917 Mitglied im Sonderausschuss „Germania Judaica” der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums, Breslau
1920 Mitglied der Religionskonferenz im Oberrat der Israeliten in Baden
1923 Ehrenbürger der Stadt Mosbach, beerdigt auf dem alten jüdischen Friedhof in Mosbach
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Verheiratet: 1873 (?, Gailingen) Sophie, geb. Weihermann (1849-1921)
Eltern: Vater: Jakob, Bezirksrabbiner (1799-1869)
Mutter: Regina, geb. Ettlinger (1806-1880)
Geschwister: 12: Adelheit, Hannchen, Minette, Isaac, Rebekka, Samuel, Babette, Mirjam, Judith, Joseph, 2 vor 1830 geborene mit unbekannten Namen
Kinder: 9: Myriam, Jakob, Betty, Jakob, Joseph, Max, Regina, Joel, Alfred
GND-ID: GND/10410340X

Biografie: Balduin Herter (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 186-188

Löwenstein genoss schon als Knabe eine gediegene Erziehung und Bildung durch seinen rabbinischen Vater. Nach dem Besuch der Oberschulen in Tauberbischofsheim, wo die Familie lebte, und anschließend in Karlsruhe studierte er an der Würzburger Universität Neuere Geschichte, Geschichte der Philosophie, Ästhetik, Allgemeine Literaturgeschichte und Pädagogik sowie Physik. In Würzburg wurde er promoviert. Eine für ihn entscheidende israelitisch-theologische Ausbildung genoss er in der Talmudschule des führenden orthodoxen Rabbiners Seligmann Baer Bamberger (Isaak Dob ha-Levi; 1807-1878), die seit 1864 in Würzburg eine strengfromme Richtung verfolgte. Danach wechselte Löwenstein nach Eisenstadt im Burgenland (Österreich) zu Dr. Israel Hildesheimer (1820-1899), dem Erneuerer des deutschsprachigen „gesetzestreuen Judentums“ (Neo-Orthodoxie), wo er eine traditionelle jüdische Ausbildung durch „zeitgemäßes wissenschaftliches Studium“ erhielt. Die berühmte Eisenstädter Jeschiwa, die talmudische Hochschule, war damals Ziel vieler Rabbiner-Studenten aus Österreich, Ungarn, Deutschland, Holland und Dänemark. Zu seinen Lehrern und Vorbildern gehörten Zacharias Frankel, Heinrich Grätz, Jakob Ettlinger und Samson Raphael Hirsch.
Nach Erziehertätigkeiten in Hamburg (Höhere israelitische Bürgerschule), Güstrow/Mecklenburg und Tauberbischofsheim wirkte Löwenstein ab 1872 über ein Jahrzehnt lang als Rabbiner in Gailingen, seinem Geburtsort. Hier heiratete er 1873 Sophie geb. Weihermann, mit der er neun Kinder hatte. Der Vater, ein Verehrer seines badischen Fürsten, des Großherzogs Friedrich, ließ seine patriotische Gesinnung auch seinen Söhnen angedeihen. Alle vier erwachsenen Söhne nahmen am I. Weltkrieg teil; Sohn Max fiel 1915 an der russischen Front.
Es wird berichtet, dass Rabbiner Löwenstein bei der Einweihung der neuen Synagoge in Konstanz am 28. September 1883 eine sehr eindrucksvolle Festpredigt hielt. Als der konservative Rabbiner mit den liberalen Entwicklungen in Gailingen nicht einverstanden war, wechselte er 1886 nach Mosbach und übernahm dort das Bezirksrabbinat. Die Judengemeinde zählte damals rund 200 Mitglieder.
Löwenstein selbst äußert sich im Hinblick auf die Reformbestrebungen der Juden zu Beginn des 19. Jahrhunderts: „Die Versöhnung des Judentums mit den Kulturfortschritten der modernen Zeit, die von Mendelssohn angebahnt war, führte bei dem größten Teil seiner Jünger dazu, Verrat am Judentum zu üben und alt überlieferte Satzungen über Bord zu werfen! ... Das Recht der Minderheit, welches das gesetzestreue Judentum für sich beansprucht, ist siegreich zum Durchbruch gekommen, denn es beruht auf geschichtlicher Grundlage.“ Löwenstein gründete in Mosbach jüdische Vereine für Männer und Frauen und förderte unter ihnen das kulturelle und geschichtliche Bewusstsein.
Er hat als Mann der „streng gesetzestreuen Richtung seine Überzeugung stets mit Unerschrockenheit und Festigkeit zum Ausdruck gebracht“ und galt als ein „Muster höchster Toleranz und seltener Herzensgüte“. Größtenteils verehrte und bejahte seine Gemeinde auch die streng orthodoxe Lebensführung ihres Rabbiners, der für seine Verdienste um die jüdische Gemeinde und die historisch-schriftstellerische Ausarbeitung ihrer Geschichte in Baden mit dem Ritterkreuz 1. Klasse des Ordens vom Zähringer Löwen ausgezeichnet wurde. Um die Jahrhundertwende richtete Löwenstein in Mosbach ein „Komitee für die Russischen Juden“ ein, das die Glaubensgenossen auf der Durchreise von Osteuropa in die USA unterstützte. 1920 wurde er als Mitglied des Oberrats der Israeliten von Baden in die Religionskonferenz berufen. Die schriftstellerische Arbeit Löwensteins, über 100 Monographien und Aufsätze, fand ihren Niederschlag in Veröffentlichungen sowohl zur Geschichte des badischen Raumes als auch darüber hinaus. Er behandelte eine Fülle von regionalen und topographischen Themen, schrieb mehrere Biographien und Genealogien jüdischer Persönlichkeiten und Familien, literarische Beiträge und Rezensionen, sammelte und veröffentlichte auch jüdische Lieder. Ab 1899 gab er die „Blätter für Jüdische Geschichte und Litteratur“, eine Beilage zur in Mainz erscheinenden Zeitschrift „Der Israelit“ heraus. Löwenstein war seit 1901 Mitarbeiter an „The Jewish Encyclopedia“, New York, und wirkte als ständiges Mitglied im Sonderausschuss für „Germania Judaica“ der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums, Breslau, mit, wo er eine ganze Reihe von badischen und angrenzenden fränkischen Orten (u. a. Aschaffenburg und Würzburg) bearbeitete. Eine außergewöhnliche Leistung auf rabbinisch-wissenschaftlichem Gebiet stellt sein bibliographisches „Verzeichnis der Approbanten und der von ihnen erteilten Approbationen“ dar, das der 80jährige als eine Frucht seines religiösen Schaffens veröffentlichte.
Der Mosbacher Bezirksrabbiner erfreute sich auch der Wertschätzung seiner christlichen Mitbürger, die sinnfälligen Ausdruck darin fand, dass er auf einstimmigen Gemeinderatsbeschluss 1923 „in Anerkennung seiner 37jähringen ersprießlichen Tätigkeit in hiesiger Stadt“ zum ersten Ehrenbürger Mosbachs ernannt wurde.
Quellen: Matrikel d. Univ. Würzburg; StadtA Mosbach; FamilienA Löwenstein-Koskharin, San Diego, USA; Sammlung Herter, Mosbach.
Werke: Umfassendes Verzeichnis d. Veröffentlichungen in d. Sammlung Herter u. in: Mosbacher Jahresheft 1999, 68-74. – Auswahl: Geschichte d. Juden am Bodensee u. Umgebung, 1879; Jüdische u. jüdisch-deutsche Lieder. In: Jubelschr. zum 70. Geburtstage des Dr. Israel Hildesheimer, 1890; Geschichte d. Juden in d. Kurpfalz. Beiträge zur Geschichte d. Juden in Deutschland 1, 1895; Nathanael Weil, Oberlandesrabbiner in Karlsruhe u. seine Familie. Beiträge zur Geschichte d. Juden in Deutschland 2, 1898; Jüdische Grabsteine, in: Bll. für jüd. Geschichte u. Litteratur, 1901-1904; Geschichte d. Juden von d. babylonischen Gefangenschaft bis zur Gegenwart, 1904; Festpredigten, 1911; Zur Geschichte d. Juden in Fürth, 1912, ND 1974; Index approbationum / Miftah hakeskamol, 1923.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos in Sammlung Herter, Mosbach.

Literatur: Encyclopedia Judaica, 1930 ff.; S. Wininger, Jüdische National-Biographie 4, o. J.; Mitt. d. Städt. Sammlungen Mosbach 6, 1974.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)