Berggötz, Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 17.12.1889;  (Durlach-)Aue
Sterbedatum/-ort: 20.12.1973;  Karlsruhe-Durlach
Beruf/Funktion:
  • Kommunalpolitiker, MdL.-Ev. Volksdienst
Kurzbiografie: 1896–1904 Volksschule Durlach-Aue
1912–1913 Halbjähriger Besuch einer privaten Handelsschule in Karlsruhe
1913–1927 Berufliche Ausbildung, Schreib- u. Bürogehilfe bei d. „Ev. kirchlichen Stiftungenverwaltung“ Karlsruhe, ab 1922 Finanzobersekretär
1915–1918 Militärdienst beim Landsturm u. beim Train-Bataillon in Durlach
1927–1954 Finanzinspektor bis 1936, Rechnungsrat bis 1943, dann Oberrechnungsrat beim Ev. Oberkirchenrat in Karlsruhe
1928–1933 2.Vorsitzender des Ev. Volksdienstes in Baden
1929–1933 MdL.-Ev. Volksdienst; Schriftführer
1933–1945 Mitglied d. Bekennenden Kirche
1939–1942 Militärdienst in d. Heeresverwaltung
1944–1952 Prädikant in Diasporagemeinden d. Ev. Landeskirche in Baden
1945–1959 Mitglied d. CDU; im Februar 1946 Mitbegründer des nordbad. Landesverbandes d. CDU
1946 Mitglied d. Vorl. Volksvertretung für Württ.-Baden
1946–1965 Karlsruher Stadtrat
1959–1965 Mitglied d. Bad. Volkspartei
1965 Mitglied d. NPD
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1921 (Gemmingen) Mina, geb. Kachel (1896–1960)
Eltern: Vater: Wilhelm (1856–1911), Maurermeister
Mutter: Jakobine, geb. Küffner (1858–1942)
Geschwister: 9; Wilhelm (1878–1953), Martin Christoph (1881–1960), Katharina (1883–1888), Andreas (1885–1886), Hermann August (1887–1888), August (1888–1944), Jakob Friedrich (geboren/gestorben 1890), Jakob (1891–1892) u. Anna Maria (1894–1941)
Kinder: 5;
Theodor Heinrich (1923–2011),
Martha Elisabeth (1925–1990),
Reinhard Wilhelm (1927–2000),
Siegfried Johannes (1930–1999),
Christa Dorothea Mina (1936–2010)
GND-ID: GND/1047260492

Biografie: Günter Opitz (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 24-26

Betrachtet man das Leben und das politische Handeln von Berggötz, so tut man gut daran, sich der Tatsache bewusst zu bleiben, dass er ein „homo religiosus“, kein „homo politicus“ war.
Aufgewachsen in einer Handwerkerfamilie, deren Leben durch eine wahrscheinlich auf Henhöfers Erweckungsbewegung zurückgehende pietistische Tradition geprägt war, verwehrte ihm sein Vater aus der Überzeugung von der Unchristlichkeit der schulischen Bildung nach der Volksschule den Besuch einer weiterführenden Schule, wohl auch, weil er ihn ebenso wie seine Brüder in der kleinen Firma benötigte, die er als selbständiger Maurermeister betrieb. Ein Plan, in den Missionsdienst einzutreten, scheiterte zwischenzeitlich aus gesundheitlichen Gründen; und so nahm Berggötz erst nach dem Tode seines Vaters eine berufliche Tätigkeit als Angestellter der „Ev. kirchlichen Stiftungenverwaltung“ in Karlsruhe auf. Seine Ausbildung und seine Arbeit dort, die Teilnahme am I. Weltkrieg und die Gründung einer Familie bestimmten mehr als ein Jahrzehnt seines folgenden Lebens.
Dass er sich in den 1920er-Jahren im politischen Leben zu engagieren begann, war vor allem in seinen religiösen Überzeugungen begründet. Seit dem Ende des I. Weltkrieges arbeitete er bereits kirchenpolitisch „an vorderster Front“, wie er oft und gern sagte, in der „Kirchlich-Positiven Vereinigung“ mit, die sich mit großem Erfolg bemühte, den in Baden herrschenden kirchlichen Liberalismus einzudämmen. Ihre theologische Grundrichtung entsprach seiner orthodox-biblizistischen Gesinnung. Als dann gegen Ende der 1920er-Jahre die Korntaler Führung des Christlichen Volksdienstes nach dessen Erfolg bei den württ. Landtagswahlen auch in Baden die sammelte, die „mit Ernst Christen sein wollten“ (Richtlinien d. Christl.-Sozialen Gesinnungsgemeinschaften Württembergs, o.J. [1924]) und die politische Tätigkeit als Reich-Gottes-Arbeit zu verstehen begannen, stellte sich Berggötz der neuen Partei zur Verfügung und wurde, als sie Ende Oktober 1928 die organisatorischen Vorbereitungen für die Teilnahme an den badischen Landtagswahlen des nächsten Jahres zu treffen begann, zum 2.Vorsitzenden des neu gegründeten Landesverbandes der Partei gewählt.
Ein Jahr später errang der „Ev. Volksdienst“, wie sich die Partei in Baden mit deutlicher Spitze gegen den politischen Katholizismus nannte, drei Mandate. Berggötz wurde im Wahlkreis Pforzheim gewählt. Die parlamentarische Arbeit freilich überforderte ihn und seine beiden Parteifreunde in mancher Hinsicht. Sie beherrschten nicht nur viele ihrer grundlegenden Techniken, etwa die der freien Rede, nicht; sie versuchten auch, sich der Einordnung ihrer Gruppe in die parlamentarischen Fronten zu widersetzen, und verhielten sich so, als ob das Land noch eine konstitutionelle Verfassung hätte. Für die Regierungsbildung wurde die neue Partei mit ihrer gemäßigt konservativen und nationalen Grundrichtung und einem stark pietistisch geprägten Reformwillen nicht benötigt, und Berggötz’ wesentliche praktische Ziele, wie die einer höheren Besteuerung des Alkohols, einer Eindämmung von Schmutz und Schund oder gar die jährlich vorgetragene Forderung eines Verbots der Fasnacht, hatten ebenso wenig Aussicht, sich durchsetzen zu lassen, wie seine wiederholten Versuche einer ev. Ämterpatronage. Der Volksdienst fristete also ein insgesamt ganz bescheidenes Dasein am Rande des Landtagsgeschehens.
Nach der NS-„Machtergreifung“ erlag Berggötz nicht wie manche andere Politiker des Volksdienstes dem Sog des neuen Regimes, sondern stand vor allem auf Grund seiner religiösen Überzeugungen in konsequenter Opposition zum „Dritten Reich“. Er gehörte nicht nur der Bekennenden Kirche an; er verhinderte zum Beispiel auch, solange es irgend möglich war, den Eintritt seiner Kinder in die Hitlerjugend. Wie stark der politische Druck war, unter den er dadurch kam, kann man daraus ersehen, dass ihm mehrfach vom Hauptvertrauensmann der NSDAP beim Ev. Oberkirchenrat deswegen mit der Dienstentlassung gedroht wurde und manche NS-Funktionäre in der Behörde keine Gelegenheit ausließen, ihn zu schikanieren. Bis zu einem gewissen Grade schützte ihn zwar seine Stellung als Kirchenbeamter. Er fand auch nicht wenige, die ihm in seiner Lage nach Kräften halfen. Es gelang Oberkirchenrat Friedrich sogar, die Beförderung von Berggötz, der ja nicht Mitglied der NSDAP war, gegen den Willen der Finanzabteilung der Behörde durchzusetzen. Es ist aber aufschlussreich für Berggötz, dass ihn das nicht hinderte, den Ev. Oberkirchenrat nach 1945 wegen der gut eineinhalb Jahre Verspätung, mit denen diese Beförderung geschah, mit einem jahrelangen Streit zu überziehen, da er „die mir seiner Zeit widerfahrene unverdiente Zurücksetzung nicht verwinden“ (Schreiben Berggötz’ vom 3.5.1947 an den Ev. Oberkirchenrat, LkA Karlsruhe Personalia 3487) könne. Alles in allem führten die politischen Pressionen, denen er ausgesetzt war, zu einer erheblichen Beeinträchtigung seiner Gesundheit.
Nach dem Ende des II. Weltkrieges beteiligte sich Berggötz zunächst im August und September 1945 nicht an der Gründung der christlich-demokratischen Partei in Stadt und Kreis Karlsruhe, gab aber im Laufe der nächsten Monate dem Werben der ehemaligen Zentrumspolitiker und Initiatoren der Parteigründung im Raume Karlsruhe, deren Ziel einer überkonfessionellen Basis ohne die Beteiligung von bekannten ev. Politikern nicht erreichbar war, nach, obwohl für ihn bei seiner deutlich distanzierten Haltung zum Katholizismus einige Bedenken zu überwinden waren. Die neue Partei, der er sich gegen Ende 1945 anschloss, tat einiges, um ihm diesen Schritt schmackhaft zu machen. Schon Anfang Januar 1946 berief ihn Ministerpräsident R. Maier zum Mitglied der Vorläufigen Volksvertretung für Württemberg-Baden; Anfang Februar wurde er bei der Gründung des nordbadischen Landesverbandes der CDU als einer von vier Stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.
Berggötz machte allerdings von dieser Möglichkeit, wieder in der Landespolitik aktiv zu werden, keinen Gebrauch. Schon im Frühjahr 1946 kandidierte er stattdessen bei den Kommunalwahlen für den Karlsruher Gemeinderat, wurde gewählt und behielt sein Mandat trotz seines Austritts aus der CDU bis Ende 1965. Diese Konzentration auf die Kommunalpolitik hatte ihren Grund darin, dass er sich hier einer relativ breiten Übereinstimmung mit seinen Parteifreunden zunächst sicher sein konnte. Er widmete seine Arbeit vor allem dem Wiederaufbau der zerstörten Stadt; insbesondere aber verstand er sich stets als Vertreter der Durlacher Bevölkerung und ihrer Interessen. Als 1946 bis 1950 die Wiederloslösung des Stadtteils von Karlsruhe , die er mitinitiierte, nicht gelang, arbeitete er entscheidend an der Verwirklichung einer möglichst weitgehenden Durlacher Selbstverwaltung mit.
Landes- und bundespolitisch aber stand er mit seiner Partei oft in starkem Dissens. So lehnte er die Zwangsehe zwischen Nordbaden und Nordwürttemberg und den späteren Zusammenschluss von Baden und Württemberg strikt ab. Und je stärker sich bundespolitisch in der CDU die Linie Adenauers durchsetzte, umso mehr ging er auch hier zu seiner Partei auf sehr kritische Distanz, vor allem in der Außenpolitik, die er als eine spezifisch kath. Politik betrachtete und der er einen Mangel an Nationalgefühl vorwarf.
Und so verwundert es nicht, dass er der CDU 1959 den Rücken kehrte, als sich mit der Gründung der Badischen Volkspartei für ihn eine politische Alternative zu bilden schien. Den äußeren Anlass für seinen Schritt bildete ein personalpolitischer Vorgang der Karlsruher Kommunalpolitik, der Berggötz’ fortdauernde Neigung zu protestantischer Ämterpatronage noch einmal sichtbar werden lässt. Er versuchte, sich dem weiteren Aufstieg Otto Dullenkopfs entgegenzustellen, weil mit dessen Wahl sowohl der Karlsruher Oberbürgermeister als auch alle Bürgermeister mit Katholiken besetzt worden seien, was mit dem Unionsgedanken der CDU wegen der konfessionellen Zusammensetzung der Karlsruher Bevölkerung nicht zu vereinbaren sei. Dass ihn seine Wähler bei den im November 1959 stattfindenden Wahlen auch als Kandidaten der Bad. Volkspartei noch einmal mit den Mitteln des baden-württembergischen kommunalen Wahlrechts in den Karlsruher Gemeinderat wählten, vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass er von da an politisch fast aller Möglichkeiten beraubt war, da er der einzige Vertreter dieser Partei im Gemeinderat blieb. Auch sein Anschluss als Hospitant an die FDP-Fraktion 1962 verbesserte seine politische Situation nicht mehr.
Ob ihm bewusst geworden ist, dass er damit unter dem Dach seiner ehemaligen politischen, vor allem seiner kirchenpolitischen Gegner untergekommen war, ist nicht mehr zu beantworten. Am Ende der Wahlperiode trennte er sich jedenfalls wieder von der Badischen Volkspartei und trat im Herbst 1965 in die ein Jahr zuvor gegründete NPD ein, von der er hoffte und glaubte, dass sie sich zu einer starken christlichen und national-konservativen Kraft entwickeln würde, die 25 Prozent der Wähler an sich binden könnte. Seine Übereinstimmung mit den wesentlichen Grundlagen nationaldemokratischer Politik und die Anfangserfolge der neuen Partei bei Landtagswahlen in Deutschland zwischen 1966 und 1968, freilich auch seine nach wie vor vorhandene Neigung zum politischen Sektierertum standen seiner Erkenntnis, auf welche Holzwege er politisch geraten war, im Wege. Gespürt hat er es wohl dennoch. Denn als er aus Anlass seines 80. Geburtstags Erinnerungen „Aus meinem Leben“ aufschrieb, da gedachte er nicht seiner politischen Tätigkeit, sondern seiner „geliebten Diasporaarbeit in der Ev. Landeskirche Badens“ und bekannte, „dass es wohl keinen schöneren und keinen befriedigenderen Dienst im Reiche Gottes gibt, als die Arbeit in der Diaspora“.
Quellen: LkA Karlsruhe Personalia 3487 u. 3488, darin u.a. Heinrich Berggötz, Aus meinem Leben. Privatdruck. o. O., o.J (Karlsruhe 1969); StadtA Karlsruhe 8/ZGS/ Persönlichkeiten; GLA Karlsruhe 231/10956, 34 u. 465 h Nr. 147 u. 280; Christlicher Volksdienst, Korntal-Stuttgart 1927–1933; Verhandlungen des Bad. Landtags 1929–1933; Briefwechsel des Verfassers mit Heinrich Berggötz aus den Jahren 1962–1968.
Nachweis: Bildnachweise: StadtAKarlsruhe 8/ Alben 215/10b; Asche/ Hochstrasser 1996, 438 (vgl. Literatur).

Literatur: Hans Georg Wieck, Christliche u. Freie Demokraten in Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden u. Württemberg 1945/46, 1958; Günter Opitz, Der Christlich-soziale Volksdienst, 1969, darin: „Richtlinien d. Christl.-sozialen Gesinnungsgemeinschaft“, o. J. (1924), 327; Paul-Ludwig Weinacht (Hg.), Die CDU in Baden-Württemberg u. ihre Geschichte, 1978; Günter Buchstab u.a., Verfolgung u. Widerstand 1933–1945, 1986; Susanne Asche/Olivia Hochstrasser, Durlach. Staufergründung, Fürstenresidenz, Bürgerstadt, 1996.
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