von Bohlen und Halbach, Berthold 

Geburtsdatum/-ort: 12.12.1913; Essen
Sterbedatum/-ort: 21.04.1987; Essen, beigesetzt in Obergrombach/Baden
Beruf/Funktion:
  • Unternehmer
Kurzbiografie: 1919–1932 Unterricht durch Hauslehrer in der Villa Hügel in Essen u. im Sommersitz Schloss Blühnbach in Österreich
1932–1937 Studium der Chemie in Oxford u. München
ca. 1937 Wehrdienst
1939–1945 Kriegsteilnahme, Einsatz an der West- u. Ostfront
1945 bei den Eltern in Blühnbach bei Salzburg
bis 1953 Vertretung seines Bruders Alfried an der Spitze der Firma Krupp
1953 mit Bruder Harald bei der Entflechtung der IG Farben, Kauf der Wasag-Chemie, Vorstandsmitglied u. Aufsichtsrat bis zum Tod
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1954 (Blühnbach im Salzburger Land), Edith, geb. von Maltzahn Freiin zu Wartenberg u. Penzlin, gesch. Hutz (geboren 1919)
Eltern: Vater: Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (1870–1950)
Mutter: Bertha, geb. Krupp (1886–1957)
Geschwister: 7; Arnold (früh verstorben), Alfried, Klaus (im II. Weltkrieg gefallen), Irmgard, Waltraud, Harald u. Eckbert (im II. Weltkrieg gefallen)
Kinder: Eckbert (geboren 1956)
GND-ID: GND/1047261189

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 40-43

Bohlen und Halbach verstarb zwar in seiner Geburtsstadt Essen, ließ sich aber nicht auf dem Krupp-Friedhof in Bredeney begraben, sondern in Obergrombach an der Seite seiner Großeltern väterlicherseits, Gustav und Sophie von Bohlen und Halbach. Diese hatten 1885 die Burg Obergrombach mit landwirtschaftlichem Gelände erworben und 1889 als Stammgut nach badischem Recht eintragen lassen. Für Gustav Krupp verbanden sich mit Obergrombach glückliche Jugenderinnerungen, 1896 zum Beispiel an die Hochzeit seiner Schwester Emily mit dem badischen Hofmarschall Sigmund Göler von Ravensburg. Hier besuchte er seine verehrte Mutter, die 1916 hochbetagt starb, Tochter des Deutschamerikaners Henry Bohlen, der 1862 als General im Bürgerkrieg in West-Virginia gefallen war. Bohlen und Halbach, in dessen Eigentum das Obergrombacher Anwesen nach dem Tod des Vaters 1951 überging, machte diese Burg zu einem Familienzentrum. Er kannte und pflegte die Tradition und den Familienzusammenhalt. Wenn er zum Familientag nach Obergrombach einlud, kamen nahe und entfernte Verwandte. Kopfstarke Gruppenfotos entstanden im Burghof.
Bohlen und Halbach, der dritte Sohn, wuchs mit seinen sechs Geschwistern in Essen in der Villa Hügel auf, dem schlossartigen Sitz der Ruhr-Stahlbarone. Dort war es Pflicht, das wirtschaftliche Gewicht der Familie mit höfischem Aufwand zu repräsentieren; den Verlockungen von Reichtum und Luxus zu erliegen, hätte aber Verrat an der Familienehre bedeutet. Die Erziehung der Kinder war orientiert an Leitbegriffen wie Disziplin, Leistung, Tauglichkeit als Vorbild; zumindest vorzeigbar musste jedes Familienmitglied sein. Viel dokumentiert sind die pedantischen Züge, Marotten gar des Vaters, dessen kompromisslose Pünktlichkeit, die Vorliebe für Kursbücher und elektrische Eisenbahnen. Dieses Spielzeug mag zu Bohlen und Halbachs Kindheitserinnerungen gehören wie die sonntäglichen Ausritte mit dem Vater, Pflichtübungen für die Söhne. Außergewöhnlich war Bohlen und Halbachs Schulzeit: Bis zum Abitur wurde er von Hauslehrern unterrichtet, in einem Schloss bei Salzburg. Dieses Anwesen stammte aus dem Nachlass des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und war 1916 von Kaiser Franz Josef an die Familie Krupp verkauft worden. In Bohlen und Halbachs Nachkriegsbiographie sollte es noch einmal eine Rolle spielen. Als 19-Jähriger ließ sich Bohlen und Halbach an der Universität Oxford in England immatrikulieren, um Chemie zu studieren, eine Gelegenheit, selbständig zu werden und den Horizont zu erweitern. Das Fach Chemie passte nicht schlecht zum weitgefächerten geschäftlichen Engagement des Familienkonzerns. Bohlen und Halbach wurde jedoch nicht gezielt auf eine Führungsrolle im Familienimperium hin ausgebildet. Das blieb dem ältesten lebenden Sohn Alfried vorbehalten, der als einziger den Namen Krupp erbte. Entsprechend dieser Weichenstellung, aber auch nach seinem Naturell strahlte Bohlen und Halbach zeitlebens mehr Natürlichkeit aus als Alfried. Nach dem Jahr in Oxford setzte Bohlen und Halbach sein Studium in München fort. Prägender Lehrer war der Nobelpreisträger von 1927, Heinrich Wieland. Bei Wieland studierte auch der Deutsch-Amerikaner Eric Hutz, dessen Vater einer Niederlassung der IG-Farben in den USA vorstand. Bohlen und Halbach und Hutz wohnten gemeinsam im Haus der Witwe Ruth Röchling in München-Bogenhausen. Zu Bohlen und Halbachs großem Freundeskreis in München gehörte ab 1935 auch seine spätere Ehefrau, die hier eine Schule für Graphikdesign besuchte. Als Enkelin des Magdeburger Stahlunternehmers Hermann Gruson, der seine Werke 1893 an Krupp verkaufte, kannte sie die Familie auf dem Hügel, auch das Schloss Blühnbach aus Kinder- und Jugendtagen. 1927 hatte sie als 6-Jährige den Vater, Ado von Maltzahn, verloren, der im diplomatischen Dienst des Reiches in Russland, China und von 1824 bis 1927 in den USA tätig war. Drei Jahre ihrer Kindheit hatte Edith in den USA verbracht und schon damals die Sprache akzentfrei erlernt. Das mag einer der Gründe dafür sein, dass sie sich mit Eric Hutz, der in den USA geboren war, anfreundete. Das Paar heiratete 1937 und zog in die Staaten, wo Eric nach Diplom und Promotion im Betrieb des Vaters arbeitete.
Auch Bohlen und Halbach verließ 1937 München und Professor Wielands Labor und leistete seinen Wehrdienst. Am II. Weltkrieg nahm er von Anfang bis Ende teil; er war an der West- wie der Ostfront eingesetzt. Gefangenschaft blieb ihm jedoch erspart. Gleich nach Kriegsende konnte er von München aus per Fahrrad nach Blühnbach in Österreich zu seinen Eltern entkommen. Der Vater war zu der Zeit schon schwer krank und pflegebedürftig. Bohlen und Halbach war es, der als Hausherr mit dem amerikanischen Offizier Charles Thayer verhandelte, dem Schwager des Diplomaten Charles Eustis Bohlen (1904–1974), genannt Chip. Dieser war ein Vetter zweiten Grades von Gustav Krupp und stammte wie dieser von der seit dem 18. Jahrhundert in Philadelphia ansässigen Familie Bohlen ab, deren prominentester Vertreter General Henry Bohlen (1810–1862) war. Thayer habe sich bei der Begegnung in Blühnbach 1945 laut William Manchester aber weder als Verwandter von Chip Bohlen zu erkennen gegeben noch Bohlen und Halbach ermutigt, mit diesem Kontakt zu suchen: „Es ist ausgeschlossen, dass einer unserer Diplomaten Ihr Vetter sein könnte.“ Sein autobiographisches Werk „A witness to history“ zeigt ihn auf zahlreichen Fotos mit den „Großen Drei“. Den Namen Krupp oder Bohlen und Halbach erwähnt Chip Bohlen in seinem Buch nicht. Man darf aber davon ausgehen, dass sich die Verwandtschaft auf das Schicksal der Familie oder der Firma nicht nachteilig ausgewirkt hat.
Nach einer kurzen Phase des Verharrens in Ratlosigkeit angesichts der radikal veränderten Lage sah sich der damals 32-jährige Bohlen und Halbach in der Pflicht, an der Stelle seines Bruders Alfried zu handeln. Dieser war schon im April 1945 von Amerikanern interniert und später vom Nürnberger Tribunal zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden, die er in Landsberg am Lech verbüßte. 1951 wurde Alfried amnestiert, 1953 übernahm er wieder die Leitung des Konzerns, zunächst unter alliierter Kontrolle. Bohlen und Halbach begab sich nach Essen, um zu sehen, ob und wie es mit der Firma weitergehen könne angesichts der von den Alliierten geforderten Krupp-Entflechtung. Es kam Bohlen und Halbach zugute, dass er nicht Mitglied der NSDAP war. Positiv wirkte sich auch aus, dass er gut Englisch sprach und die Vertreter der Besatzungsmacht ohne Dolmetscher verstand. Bohlen und Halbach nahm Kontakt auf mit den früheren Direktoren. „Er rettete die Firma“, formuliert es seine Ehefrau, die in jenen Jahren aus den USA in das zerstörte Deutschland zurückgekehrt war. Als „compassion visitor“, also aus familiären Gründen, durfte sie ihre Mutter besuchen. Bohlen und Halbach wohnte in einem Direktorenhaus auf dem Hügel. Die Villa selbst war von den Briten beschlagnahmt. Als Alfried Krupp aus Landsberg entlassen und beraten von Berthold Beitz seinen Platz an der Spitze des Konzerns einnahm, fand Bohlen und Halbach sich mit der neuen Lage ab und ging geschäftlich seinen eigenen Weg. Mit Kapital, das ihm als Ausgleichszahlung aus der Krupp-Entflechtung zustand, strebte er an, ein mittleres Unternehmen aufzubauen. Die Entflechtung der IG Farben bot ihm als Chemiker eine adäquate Möglichkeit. 1953 übernahm er mit Zustimmung der drei Westalliierten die WASAG-Chemie, ein Unternehmen, das 1891 als Westfälisch-Anhaltische Sprengstoff AG gegründet worden war mit dem Hauptwerk in Sythen, zu dem auch die Rheinische Gummi- und Celluloid-Fabrik, die Firma Schildkröt, beide im Raum Mannheim, und die Düngemittelwerke Guano gehörten. Bohlen und Halbach handelte bei der Firmengründung auch im Namen seines Bruders Harald, dessen Kapital ebenfalls investiert wurde. In der Anfangsphase gab es einen Schweizer Teilhaber in Erfüllung einer Auflage des IG Farben Liquidators. Dessen Anteile konnten Bohlen und Halbach und Harald 1956 übernehmen. Danach hielten sie 80 Prozent der Aktien. Erschwerend wirkte sich aus, dass wichtige Werke der WASAG in der Sowjetzone lagen und damit für das neue Unternehmen verloren waren. Bohlen und Halbach verlegte den Firmensitz von Berlin nach Essen. Es gelang ihm, die Verluste auszugleichen und diverse artverwandte Unternehmen hinzu zu erwerben. In den 1960er-Jahren gehörten 22 Standorte in Westdeutschland zum Unternehmen: acht im Bereich Sprengstofftechnik, fünf im Düngemittel- und drei im Kunststoffsektor, dazu noch vier Spielwarenfabriken, darunter Schildkröt, Käthe Kruse und Trix. „Unsere Werke liegen verstreut von Schleswig-Holstein bis Oberbayern“, schrieb Bohlen und Halbach in der Werkzeitung „Der Mitarbeiter“, die er 1954 gegründet hatte.
Bohlen und Halbach entwickelte einen Führungsstil „zwischen Tradition und Moderne“ (Wolfram Fischer), gegen den Trend der Entpersönlichung und der Anonymität, jedoch nicht als Patriarch, sondern Spielraum gewährend für das Engagement der Mitarbeiter auf allen Ebenen. Der wirtschaftliche Erfolg der 1950er und 1960er-Jahre war Frucht intensiven Einsatzes, wobei Bohlen und Halbach bis an seine physischen Grenzen ging. Um 1957 erlitt er zwei Herzinfarkte. Die Übernahme von Anteilen durch eine norddeutsche Investorengruppe, die 1995 zu einer Neuordnung der Besitzverhältnisse führte, hat er nicht mehr erlebt. Ein glückliches Jahr war 1956, als sein Sohn Eckbert geboren wurde, glücklich auch deswegen, weil Bohlen und Halbachs Mutter diesen Enkel noch erlebt hat. Zum Privatleben gehörten damals jährliche Sommerreisen in die USA nach Vermont, wo Edith Bohlen und Halbach ein Haus besaß. Auch Obergrombach wollte verwaltet, gepflegt und mit Leben erfüllt sein.
Eine besondere Vorliebe hatte Bohlen und Halbach für moderne Kunst. Schon vor dem II. Weltkrieg legte er den Grund zu einer bedeutenden Sammlung, zu der Werke von Emil Nolde, Schmidt-Rotluff und Werner Scholz gehören. Er unterstützte auch wenig bekannte Künstler oder Studenten der Essener Folkwang-Schule. Manche aus der Kunstszene hätten ihn auch ausgenutzt, erinnert sich seine Frau. Über den Weg der Kunst gelang es ihm, die Villa Hügel zeitgemäß zu nutzen. Mit einer Ausstellung des Essener Münsterschatzes und selten gezeigter Werke aus dem Folkwang-Museum machte er 1953 die so traditionsreiche wie -beladene Familienresidenz erstmals der Öffentlichkeit zugänglich. Bohlen und Halbach stellte damals die Weichen für die Regelung, die 1967 mit der Gründung der gemeinnützigen Stiftung ihren Abschluss fand. Auf Bohlen und Halbach mag zutreffen, dass er eine liebenswerte Persönlichkeit, ein Unternehmer mit menschlichen Zügen war, der sich an seinem großen Namen messen lassen musste und dennoch seine Individualität lebte.
Quellen: Krupp-A Essen FAH21/236, 21/557, 21/937, 21/2367, 21/2370; Gespräche mit Edith von Bohlen und Halbach (Ehefrau) u. Sohn Eckbert 2005.
Werke: (mit Fritz Berg) FS für Gustav Stein, 1973.
Nachweis: Bildnachweise: Gemälde von George Harcourt (1931) in d. Villa Hügel, Essen; Fotosammlung im Krupp-A Essen.

Literatur: Kruppsche Mitteilungen 37, 3 vom März 1953, 58 sowie 37, 4 vom Mai 1953, 82 u. 38, 3 vom Juli 1954, 58; Wolfram Fischer, WASAG: Die Geschichte eines Unternehmens 1891–1966, 1966, 239ff.; William Manchester, Krupp – Zwölf Generationen, 1968, 584f.; Charles Eustis Bohlen, Witness to history 1929–1969, 1973; Diana Maria Friz, Alfried Krupp u. Berthold Beitz, 1988.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)