Gessler, Othmar Karl August 

Geburtsdatum/-ort: 19.09.1889;  Friedrichshafen
Sterbedatum/-ort: 22.04.1974;  Friedrichshafen
Beruf/Funktion:
  • Verleger und Chefredakteur
Kurzbiografie: 1916ff. Redakteur des „Seeblatts“
1918 Bildung eines Arbeiter- u. Soldatenrates in Friedrichshafen; Tumulte vor d. Redaktion; Gessler verteidigt die Pressefreiheit gegenüber dessen Übergriffen; Mordanschlag auf Gessler
1922 Gründung des Verbandes Oberschwäb. Zeitungsverleger, VERBO; zus. mit Franz Walchner, Geschäftsführer des VERBO; Zentralredaktion u. Druckerei d. VERBO in Friedrichshafen
1933 Amtsblattfunktion wird dem „Seeblatt“ aberkannt, Umstellungen in d. Redaktion auf NS-Druck hin
1935 Gründung d. „Oberschwäb. Verlagsgesellschaft“, in d. d. NS-Gauverlag 51 Prozent, die VERBO-Verleger nur 49 Prozent, halten; „Oberschwäb. Zeitungsdruckerei GmbH“ bleibt unter dem Einfluss d. VERBO-Verleger, muss jedoch 10-jährigen Druckvertrag mit NS-Presse schließen
1935 „Seeblatt“ mit NS-Zeitung „Friedrichshafner Tagblatt“ zusammengelegt
1942 Vereinigung aller vormaligen VERBO-Organe in d. „Donau-Bodensee-Ztg.“; weiterer Bedeutungsverlust d. VERBO-Organe
1943 Verlegung d. Druckerei d. „Donau-Bodensee-Ztg.“ nach Leutkirch
1944 Zerstörung von Verlagsbuchhandlung u. VERBO-Gebäude in Friedrichshafen
1945–1972 Herausgeber des „Seeblattes“, schließlich d. „Schwäb. Ztg.“
1947–1948 Auseinandersetzung mit d. Besatzungsmacht wegen Parteibindung d. „Schwäb. Ztg.“ u. Papierzuteilung
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1917 (München) Maria Emilie Apollonia Anna (gestorben 1978), geb. Iglseder
Eltern: Vater: Robert (1849–1903), Redakteur u. Verleger
Mutter: Maria geb. Stützenberger (1858–1944) Verlegerin
Geschwister: 4; Robert (gestorben 1919), Alfons (gestorben 1945), Maria (gestorben 1954), Franz (gestorben 1945)
Kinder: 3, Heinz (1923–2009), Margit (1918–1993), Liane (geboren 1928)
GND-ID: GND/1047262975

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 115-117

Gessler wurde 1889 in eine ursprünglich aus der Schweiz stammende Verlegerfamilie hineingeboren: Durch Heirat mit Anna Lincke, Witwe des Verlegers und Redakteurs August Lincke, hatte Gesslers Vater 1879 sowohl die Redaktion des „Seeblattes“ wie auch des seit 1862 bestehenden Verlagsunternehmens Lincke übernommen. Seine zweite Frau, Maria Stützenberger, hatte nach dem Tod ihres Gatten 1903 für über 40 Jahre eine maßgebliche Rolle innerhalb der Leitung des Gessler-Verlages übernommen.
Nach dem Tod seines Vaters musste Gessler bereits 1903 die Realschule in Ravensburg verlassen, um ein Volontariat bei einem grafischen Betrieb in Stuttgart und anschließend bei einer Zeitung in Bad Nauheim zu absolvieren.
Mitten im I. Weltkrieg, im November 1916, erfolgte schließlich der Eintritt Gesslers in die Redaktion des „Seeblattes“. Weit über 50 Jahre und während vier Epochen deutscher Geschichte sollte Gessler die Geschicke des „Seeblattes“ und dessen Nachfolgeorgane prägen. Wie die von Heinrich Rombach steht also auch seine Biographie exemplarisch für die südwestdeutsche Pressegeschichte im 20. Jahrhundert.
Gerade zu dessen Beginn hatte das „Seeblatt“ mehrfach sein Format vergrößert, seine Auflagenzahl stieg unterdessen kontinuierlich an, was mit der Expansion des Zeppelinkonzerns und dem daraus resultierenden Wachstum der Stadt zusammenhing, aber auch damit, dass das Blatt ausführliche Hofberichterstattung liefern konnte, was durch die Sommerresidenz des württembergischen Königshauses in Friedrichshafen begünstigt war.
Die Jahre des I. Weltkrieges waren dann durch Papiermangel geprägt, so dass der Umfang der Zeitung zu Beginn der Tätigkeit Gesslers auf vier Seiten schrumpfte. Zugleich mussten Eingriffe der militärischen Zensur hingenommen werden. Immer häufiger fanden sich im Blatt Zensurlücken. Der Umbruch des Jahres 1918/19 bedeutete eine neuerliche Herausforderung für das „Seeblatt“. Früher als andernorts kam es in Friedrichshafen zur Bildung eines Arbeiter- und Soldatenrates und schon am 26.Oktober 1918 gab es nach einer Denunziation Tumulte vor dem Redaktionsgebäude. Gessler weigerte sich, seine Zeitung als offizielles Organ des Arbeiter- und Soldatenrates zu deklarieren und als er die Meinungsfreiheit der Zeitungsverleger öffentlich mit Nachdruck rechtfertigte, wurde er von einem angetrunkenen Matrosen mit gezogener Pistole bedroht. Allein das besonnene Eingreifen des Generaldirektors der Zeppelin-Werke, Alfred Cohlsmann (1873–1955), brachte die Deeskalation. Aber auch die übrige Weimarer Zeit war überaus krisenreich: Sinkende Abonnenten- und Inserentenzahlen bei hohen Papier- und Personalkosten und galoppierender Geldentwertung brachten zahlreiche Tageszeitungen in eine bedrohliche Lage. Kleine Organe wie das „Seeblatt“ litten aber auch unter wachsendem Konkurrenzkampf: Allein in Oberschwaben bestanden sechzehn kleine, überwiegend katholisch geprägte Blätter. Auf Anregung des Wangener Verlegers Franz Walchner kam es zum Zusammenschluss dieser 16 Verleger in der VERBO-Gruppe mit Sitz in Friedrichshafen. Fortan sollten alle Blätter der VERBO-Gruppe den gleichen Mantel haben: Politik, Wirtschaft und Feuilleton wurden im neuen Verlagsgebäude der Zentralredaktion in Friedrichshafen bearbeitet; eigenständig blieben aber die Lokalredaktionen und Lokalteile. Das sparte Personalkosten, auch weil alle Zeitungen in Friedrichshafen gedruckt wurden.
Neben Walchner wurde Gessler zur prägenden Persönlichkeit der neuen Organisation. Der erweiterte Rahmen wirkte auch vorteilhaft bei der Nachrichtenbeschaffung und ermöglichte beispielsweise den Kauf einer neuen Rotationsmaschine. Danach konnte die bisherige Mittagszeitung als Morgenzeitung erscheinen.
Nach der Inflation 1923 konnte sich die VERBO-Gruppe im oberschwäbischen Raum durchsetzen, lediglich das „Ulmer Tagblatt“ blieb eine ernsthafte Konkurrenz.
Erst die NS-„Machtergreifung“ brachte wieder Gefahr für das „Seeblatt“, besonders durch die Feindschaft des NS-Kreisleiters. Dem katholisch-konservativen Blatt entzog er schon im Frühjahr den Status als Amtsblatt, wodurch öffentliche Gelder der nun fehlenden staatlichen Ausschreibungen und Ankündigungen wegen verloren waren. Selbstredend wurde auch diese oppositionelle Zeitung generell verunglimpft. Gessler wurde gezwungen, dem Regime missliebige Redakteure zu entlassen. Alle Vorteile also lagen nun bei den neuen NS-Konkurrenzblättern in Friedrichshafen und Tettnang, obwohl es diesen nicht gelang, an die Auflagen der VERBO heranzureichen.
Am 1. September 1935 ordnete der Chef der Reichspressekammer, Max Amann (1891–1957), die Gleichschaltung bzw. Verschmelzung der VERBO-Organe mit der NS-Presse an und die VERBO wurde gezwungen, in die neue „Oberschwäbische Verlagsgesellschaft“ einzutreten, an dem der „NS-Gauverlag“ 51 Prozent hielt. Mitsprache konnte also nur noch sehr begrenzt stattfinden. Allein die Zeitungsdruckerei der VERBO konnte in eine neue Firma umgewandelt werden: Die „Oberschwäbische Zeitungsdruckerei GmbH“, die aber auch für 10 Jahre einen Druckvertrag mit der örtlichen NS-Presse abschließen musste.
In Friedrichshafen wurde das „Seeblatt“ mit dem NS-„Friedrichshafener Tageblatt“ vereinigt, wodurch wohl die übrigen Möglichkeiten zur Kritik für Gessler und seine Mitarbeiter „zwischen die Zeilen“ gedrängt waren. Im II. Weltkrieg wurde auch diese Restfreiheit beseitigt, als 1942 sämtliche oberschwäbischen Zeitungen der vormaligen VERBO-Gruppe in der „Donau-Bodensee-Zeitung“ vereinigt wurden. Damit verschwand der Titel „Seeblatt“. Wegen angeblich drohender Luftangriffe wurde 1943 die Druckerei der „Donau-Bodensee-Zeitung“ nach Leutkirch verlegt, weil man ein Bombardement des provinzielleren Leutkirch nicht erwartete. Tatsächlich wurden am 28. April 1944 die Verlagsbuchhandlung und ein Teil der VERBO-Gebäude bei einem Bombenangriff auf Friedrichshafen vollständig zerstört. Die Argumentation für die Verlegung aber verfolgte auch zumindest noch einen anderen Zweck mit: Gessler sollte getroffen werden, der es als einziger der VERBO-Verleger gewagt hatte, juristische Schritte gegen die zunehmende Enteignung der schwäbischen Zeitungsverleger einzuleiten. Tatsächlich wurde daraus dann später eine Grundsatzentscheidung: Redaktion und Verlagsort der schwäbischen Zeitung als Nachfolgeorgan der VERBO-Presse blieben in Leutkirch, auch wenn Gessler die Rückkehr nach Friedrichshafen anstrebte.
Die neue Wirkungsmöglichkeit für Gessler ergab sich im Herbst 1945: Am 8. September erschien die erste Ausgabe des „Seeblattes für Kreis- und Stadt Friedrichshafen, für Tettnang und die Landgemeinden“. Gessler definierte darin die neue Aufgabe der Presse; sie müsse „all die Irrlehren und wiederholten Lügen klarstellen, die diesen Krieg mit seinen furchtbaren Begleiterscheinungen auslösten“. Es gelte, „das vergangene System in all seinen Äußerungen bis in die letzten Winkel hinein endgültig zu liquidieren“.
Noch im September 1945 gelang es Gessler, zusammen mit Wendelin Hecht (gestorben 1947), Max Drexler (1894–1968), Max Diederich (1903–1975) und Franz Walchner die Lizenz für die Herausgabe der „Schwäbischen Zeitung“ zu erhalten. Wegen Differenzen innerhalb der französischen Besatzungsbehörden konnte die erste Ausgabe erst am 4. Dezember erscheinen. Heftige Auseinandersetzungen gab es jedoch auch zwischen der Besatzungsmacht und den Herausgebern, wobei sich Gessler als streitbare Persönlichkeit profilierte. Die Franzosen hatten von den Zeitungen ein ausdrückliches parteipolitisches Bekenntnis gefordert und lediglich das „Schwäbische Tagblatt“ in Tübingen als überparteiliche Zeitung zugelassen. Die „Schwäbische Zeitung“ musste fortan als Parteiblatt der CDU firmieren, womit Gessler seine Unabhängigkeit als Herausgeber und Redakteur gefährdet sah, was er auch in einem Schreiben an CDU-Chef Staatspräsident Gebhard Müller betonte. Lange genug, so Gessler, habe eine Partei unsäglichen Einfluss auf die Presse genommen. Vor allem aber wurde die „Schwäbische Zeitung“ auch bei der Papierzuteilung massiv benachteiligt. Insgesamt bewilligte die Besatzungsmacht monatlich 60 t Papier, wovon allein 48 t auf das überparteiliche „Schwäbische Tagblatt“ entfielen. Unter diesen Voraussetzungen war die zeitweilige Höchstauflage der „Schwäbischen Zeitung“ mit 200000 nicht zu halten; sie sank bei einem Umfang von nur vier Seiten um ein Viertel. Im Falle weiterer Kürzungen des Papierkontingents befürchtete Gessler einen Auflagenrückgang auf 43000, wogegen er nachdrücklich beim französischen Militärgouvernement protestierte. Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland fiel die Auflage einer parteipolitischen Zuordnung der Zeitungen, fortan konnte die „Schwäbische Zeitung“ als „Unabhängige Zeitung für christliche Kultur und Politik“ erscheinen.
Bei seinem Ausscheiden aus dem Verlag 1972 konnte Gessler eine überaus erfolgreiche Arbeit als Verleger und Herausgeber der „Schwäbischen Zeitung“ bilanzieren. Ab 1952 war das Blatt an allen sechs Werktagen erschienen. 1966 änderte das zu den auflagenstärksten Zeitungen des Landes gehörende Blatt das Format vom „Berliner-“, ins „Rheinische Format“. Großen Wert legte Gessler immer auf die Pflege der Lokalteile, worin sich noch immer die Struktur der alten VERBO-Presse widerspiegelt.
Gessler hat auch über Jahrzehnte das kulturelle Leben seiner Heimatstadt Friedrichshafen mitgeprägt und schon als junger Mann 1909 den örtlichen Fußballclub und den Ruderverein mitgegründet. Da Gessler jedoch stets seine Unabhängigkeit gewahrt wissen wollte, hat er ein parteipolitisches Wirken oder auch das Streben nach einem parlamentarischen Mandat stets abgelehnt.
Quellen: HStAS J 191 Zeitungsausschnittsammlung Othmar Gessler; „Seeblatt“, Jgge. 1916ff.; „Schwäb. Ztg.“, Jgge. 1945ff.
Nachweis: Bildnachweise: Maier/Wieland, 1994, 46, 60 (vgl. Literatur).

Literatur: „Schwäb. Ztg.“ vom 19.9.1969, Othmar Gessler 80 Jahre alt; Chrysostomos, Zodel, 25 Jahre Schwäb. Ztg., Sonderbeilage d. Schwäb. Ztg., 1970; „Schwäb. Ztg.“ vom 24.4.1974, Verleger Othmar Gessler gestorben; Fred-Ludwig Sepaintner, Die bad. Presse im Kaiserreich: Spiegelbild d. Parteienverhältnisse vor dem I. Weltkrieg, in: ZGO 128, 1980, 403-413; Klaus Dreher (Hg.), Von d. Pressfreiheit zur Pressefreiheit, Südwestdt. Zeitungsgesch. von den Anfängen bis zur Gegenwart, 1983; Martin Walchner, Entwicklung u. Struktur d. Tagespresse in Südbaden u. Südwürttemberg-Hohenzollern, 1986; Fritz Maier/Georg Wieland, 150 Jahre Zeitung in Friedrichshafen, 1994; Joachim Rogosch, 50 Jahre Zeitungsgeschichte: 1945-1995, Schwäb. Ztg., 1995; Jens Poggenpohl (Red.), Gessler, 1862. Die ersten 150 Jahre, 2012.
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