Haarbeck, Lina 

Geburtsdatum/-ort: 04.01.1871;  Lahr
Sterbedatum/-ort: 29.09.1954;  Müllheim/Baden, beerdigt in Freiburg im Breisgau
Beruf/Funktion:
  • Jugendbuchautorin
Kurzbiografie: 1877ff. Volksschule Lahr, ab 1878 Freiburg im Br.; dann dort Besuch d. höheren Mädchenschule mit Lehrerinnenseminar; danach Lehrerin im bad. Schuldienst, zeitweilig Erzieherin in England
1902–1937 Pfarrfrau u. freie Schriftstellerin in Burg Lichtenberg, Gde. Thallichtenberg/Saarland
1937–1954 Heidelberg u. Neckargemünd
1941 Freiburg, seit 1944/45 Stuttgart, zuletzt Müllheim, Elisabethenheim
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1902 (Freiburg) Walther Friedrich Cornelius Haarbeck, Pfarrer (1872–1941)
Eltern: Vater: Balthasar Bickel (1820–1901), Rechnungssteller u. Kaufmann.
Mutter: Anna Maria Charlotte, geb. Lupp (1836–1910)
Geschwister: 5; Josephine Louise (geboren 1858), Karl Friedrich (geboren 1860), Anna Elisa (geboren 1861), Emma (geboren 1864), Otto Heinrich (geboren 1869) u. Elisabetha Henritha (1874–1944)
Kinder: keine
GND-ID: GND/1047265176

Biografie: Clemens Siebler (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 129-131

Als zweitjüngste Tochter einer kinderreichen Familie, die ursprünglich in Hornberg, später in Donaueschingen lebte, wurde Haarbeck in Lahr geboren, kam aber schon früh nach Freiburg, wo sie die höhere Mädchenschule und das ihr angeschlossene Lehrerinnenseminar besuchte. Wenigen und überaus bruchstückhaften Hinweisen zu ihrer Biographie ist zu entnehmen, dass sie einige Jahre im badischen Schuldienst und zeitweilig auch als Erzieherin in England tätig war. Seit 1902 war sie mit Pfarrer Cornelius Haarbeck verheiratet, welcher der von Emmerich bis Saarbrücken weit ausgedehnten „Evangelischen Kirche im Rheinland“ angehörend 1901 bis 1909 das selbständige Vikariat, dann die neu eingerichtete Pfarrstelle Burg Lichtenberg im Saarland versah. In diesem noch ganz ländlich geprägten Bereich, dem Haarbeck in ihrer Funktion als Pfarrfrau mehr als drei Jahrzehnte verbunden blieb, ist der größte Teil ihres schriftstellerischen Werkes entstanden. Neben den üblichen hausfraulichen Pflichten und Aufgaben fand sie Zeit, heute nicht mehr erhaltene Theaterstücke zu schreiben, die sie auf der oberhalb der Kirche gelegenen Burg mit einer Laienspielgruppe aufführte. Als zeitweilige Mitarbeiterin am „Lahrer Hinkenden Boten“ blieb sie indessen ihrer badischen Heimat verbunden.
Auch für Haarbeck folgten dem Jahr 1933 unerwartete Veränderungen. Als ihr Mann 1937 den gewagten Schritt tat, ein jüdisches Mädchen zu taufen, um es vor der Deportation in ein KZ zu retten, war er in die Schusslinie der NSDAP geriet. Den Unmut der damaligen Machthaber zog er sich vollends zu, nachdem er deren am Pfarrhaus angeklebte Plakate abgerissen hatte. Er wurde zur Aufgabe der Pfarrstelle gezwungen und zog mit seiner Frau noch im selben Jahr nach Heidelberg und 1939 nach Neckargemünd.
Kurz nach dem Tod ihres Mannes kam Haarbeck wieder nach Freiburg. Beim schweren Fliegerangriff vom 27. November 1944, bei dem sie ihre jüngste Schwester verlor, wurde auch sie ausgebombt und zog danach in den Raum Stuttgart. Ihren Lebensabend verbrachte sie in Müllheim.
Die Thematik von Haarbecks schriftstellerischem Werk ist vorwiegend durch persönliche Erlebnisse in Jugend und Familie sowie die gesellschaftlichen Gegebenheiten ihrer Zeit bestimmt. Ihre frühesten Buchveröffentlichungen sind offenkundig durch ihren Englandaufenthalt angeregt: Nacherzählungen, Bearbeitungen englischer Texte, so in den Jahren 1904/05 die Erzählungen für Kinder „Die Ferienreise“, „Abenteuer zweier Knaben“ und „Ein treuer Bruder“. Dann folgte 1907 „Die Liebe siegt“, eine Erzählung für die Jugend. Noch in späterer Zeit hat sich Haarbeck gelegentlich als Bearbeiterin von Werken englischer Autoren hervorgetan. Sie übersetzte zum Beispiel „Naomi oder die letzten Tage von Jerusalem“ (1912) von Annie Webb-Peploe (1805–1880) – gelegentlich mit der bekannteren Autorin Beatrice Webb (1858–1943) verwechselt! – und 1928 „Die Pilgerreise“ des Erbauungsschriftstellers und Baptistenpredigers John Bunyan (1628–1688) sowie „Zwei Heinzelmännchen. Märchen aus einer englischen Kinderstube“ von Horatia Ewing (1841–1885).
Wie aus den einzelnen Titeln erkennbar, handelt es sich bei Haarbecks Werken vorwiegend um Kinder- und Jugend-, vor allem Mädchenbücher, so „Des Hauses Sonnenschein“ (1905), „Des Hauses Mütterlein“ (1908) oder „Pfarrtöchterlein Gretel“ (1909). Diesem Genre können auch „Wie Anneliese geheilt wurde“ (1949) sowie ihre letzte Erzählung aus dem Jahre 1952 „Das gescheite Eselein“ zugeordnet werden. Ihre größten Erfolge hat die Kinder- und Jugendbuchautorin Haarbeck mit ihren Wildfangbüchern erzielt, worin die Heldin dem Wortsinn gemäß ein eher jungen- statt mädchenhaftes Verhalten an den Tag legt. Die zwischen 1909 und 1931 erschienene mehrteilige Reihe hat 1937 in „Drei tapfere Mädel“ eine Weiterführung gefunden, in der auch Haarbeck den seit dem I. Weltkrieg feststellbaren Wandel vom alten Leitbild des „Backfischs“ zum „deutschen Mädel“ vollzogen hat, das „gesund“, „kraftvoll“, zugleich aber auch „weiblich“ sein sollte.
Haarbecks Kinder- und Jugendliteratur ist nicht frei von überkommenen Vorurteilen und gesellschaftlichen Klischees ihrer Zeit. In besonderer Weise trifft dies für Werke mit geschichtlichen Inhalten zu. Durch ihre eigene konfessionelle Provenienz bedingt handeln diese zumeist in der Reformationszeit, ohne sich jedoch streng an den historischen Fakten zu orientieren. Nahezu durchgängig steht die Gestalt Martin Luthers im Mittelpunkt solcher Erzählungen, und Haarbeck vermittelt vor allem sein während des 19. Jahrhunderts im protestantischen Deutschland fest verankertes Bild der väterlichen, (deutsch)national-evangelischen Heldengestalt. Besonders plastisch werden diese Züge dem Reformator in der „Chronik der Familie Schönberg-Cotta“ (1. Aufl. 1927) unterlegt, die nach einer Textvorlage von Elizabeth Rundle Charles (1826–1896) entstanden ist. Das Bild vom liebevollen Hausvater entfaltet Haarbeck dann in „Dr. Luther im Kreise seiner Kinder“ (1939), „Hans und Lenchen Luther“ (1949) und in der seinerzeit wohl bekanntesten Erzählung dieser Art, „Dr. Luthers Singerlein“ (1941), der Geschichte eines kleinen Mädchens, in dessen Leben der Reformator helfend eingreift, als er es eines Abends zitternd und weinend am Elbufer findet. Das Wohnhaus Luthers wird des Kindes zweite Heimat, es bekommt wegen seiner glockenhellen Stimme den schmeichelhaften Namen „Luthers Singerlein“. Auch die beiden bekanntesten Romane Haarbecks spielen in der Reformationszeit. Eingebettet in die blutigen Aufstände der thüringisch-sächsischen Bauern steht in „Ursula Redel“ (1930) das grausame Schicksal der Merseburger Bürgertochter, die gegen ihren Willen in ein Kloster gezwungen und dort unter ihrer herzlosen Erzieherin schwersten Demütigungen und empfindlichsten Strafen ausgesetzt wird, bis ihr endlich die Flucht und Rückkehr ins Elternhaus gelingt. In das Frankreich der Religionskriege führt der 1935 veröffentlichte Roman „Hugenottentreue“. Ein im Auftrag seines Abtes nach Paris entsandter Benediktinermönch lernt darin die ganze Verderbtheit des von Intrigen und Sittenlosigkeit geprägten Lebens am Hofe Heinrichs II. kennen. Aus reiner Eifersucht erzwingt die Mätresse des Königs eine Verschärfung der Religionsgesetze und erwirkt, dass die sittenstrenge Calvinistin Margot de Paradis zum Feuertod verurteilt wird. Nur dank des Zusammenhalts und der Standhaftigkeit der am Hofe lebenden Glaubensbrüder gelingt ihr wie auch dem Ordensbruder Angelus, der ob seiner asketischen Lebensführung sogar verdächtigt wird, ein heimlicher Parteigänger Calvins zu sein, die Flucht aus der Stadt. Nach seiner Rückkehr ins Kloster fälschlich der Ketzerei und Sittenlosigkeit bezichtigt und daher aus der Ordensgemeinschaft verstoßen, begibt er sich zu Calvin nach Genf, wo er durch das Wort und die Tat des Reformators und im Anblick des von ihm errichteten Gottesstaates zu der tieferen Erkenntnis gelangt, dass allein hier „der Geist herrscht, der lebendig macht“. Auch in diesen beiden Werken, in denen die Autorin durchaus kenntnisreich die Grundanliegen jener Zeit thematisiert und die zumeist spannungsgeladenen Ereignisse in einer lebendigen Sprache schildert, ergreift sie bei allen Zugeständnissen an die dichterische Freiheit einmal mehr bewusst Partei und wird so der alten kirchlichen Lehre und Praxis nicht immer gerecht.
Ein Spiegelbild ihres nicht minder ausgeprägten karitativ-sozialen Engagements sind Haarbecks 1936 veröffentlichte „Geschichten aus dem Rauhen Hause“. Sie kreisen in gedrängter Form um das Lebenswerk des ganz vom Geist der christlichen Nächstenliebe erfüllten Gründers Johann Hinrich Wichern (1808–1881), wiederum nicht so sehr an den Fakten orientiert, sondern in die Form eines religiösen Erbauungsbuchs für die Jugend gekleidet.
Haarbecks wichtigste Zielgruppe war die Jugend, und dieser Leserschaft wollte sie sich anpassen. Sie hat sich dabei gelegentlich auch einer Sprache bedient, die aus heutiger Sicht nur wenig Akzeptanz finden mag. Zu ihrer Zeit war sie damit eine bekannte und geschätzte Jugendbuchautorin, deren Werke größtenteils in mehreren Auflagen erschienen und in einer Reihe neuerer und anerkannter Bibliographien nahezu vollständig aufgeführt sind. Dass Haarbeck keine Nachrufe, literarische Würdigungen oder öffentliche Ehrungen zuteil wurden, lässt vermuten, dass sie zumal nach dem II. Weltkrieg nur noch wenig Beachtung gefunden hat. Bereits zum Zeitpunkt ihres Todes hat man sich ihrer früheren Bedeutung als Schriftstellerin kaum noch erinnert.
Quellen: Mitteilungen des StadtA Donaueschingen u. Lahr vom April, des StadtA u. des Elisabethenheims Müllheim vom August 2007, sowie d. StadtAA Heidelberg vom September u. Neckargemünd vom Oktober 2007, d. Ev. Kirchengde. Thallichtenberg vom Januar, des GLA Karlsruhe vom April u. d. Standesämter Freiburg u. Hüfingen vom Juli 2008.
Werke: Bibliographien in: Kürschners Dt. Literaturkalender, Nekrolog (1936–1970), 1973, 231; Dt. Literaturlexikon. Biograph.- bibliogr. Handb., begr. von W. Kosch Bd. 7, 3. Aufl. 1979, Sp. 5f.; Gesamtverzeichnis des deutschsprach. Schrifttums (GV) 1911–1965, Bd. 49, 1977, 50f.; GV 1700–1910, Bd. 53, 1982, 26; A. Klotz, Kinder- u. Jugendliteratur in Deutschland 1840–1950. Gesamtverz. d. Veröffentlichungen in dt. Sprache, Bd. 2, 1992, 113-115; N. Hopster – P. Josting – J. Neuhaus, Kinder- u. Jugendliteratur 1933–1945 Bd. 1, Bibliogr. Teil mit Registern, 2001, Sp. 416-418. – (Auswahl): Wildfangs Schulzeit, 1909; Wildfang als Backfisch, 1911; Vom Sepp – Frieder, in: Lahrer Hinkender Bote, 1928, 72-77; Wildfang als Braut. Erzählung für Mädchen, 1929; Wildfang als Tante, 1930; Wildfang als Mutter. Erzählung, 1931; Ursula Redel (nicht: Rendel), 1930; Lang, lang ist’s her, ebd., 1931, 90-94; Die Zobelmütze. Ein Stücklein aus d. „guten alten Zeit“, ebd., 1933, 90-93; Hugenottentreue. Erzählung aus den Tagen Calvins, 1935.
Nachweis: Bildnachweise: nicht ermittelt

Literatur: N.N., Lina. Haarbeck 80 Jahre alt, in: BZ vom 8.1.1951, 2; Chr. Sütterlin, Lahrer Persönlichkeiten, 1955, 16; Wer ist wer?. Das deutsche Who’s who?, 1955, 386; Kürschner, Dt. Lit. Kalender, Nekrolog 1936–1970, 1973, 231.
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