Ruf, Markus 

Geburtsdatum/-ort: 23.03.1899;  Seebach bei Achern
Sterbedatum/-ort: 14.08.1974;  Bad Bellingen
Beruf/Funktion:
  • Bürgermeister
Kurzbiografie: 1907 Umzug d. Familie nach Radolfzell, mehrfache Ortswechsel Rufs, u.a. Zürich (1924 u. 1925) u. Linz (bis 1929), 1947 wieder Radolfzell
1913–1916 Lehre als Maler, Meisterprüfung, 2 Semester Kunstgewerbeschule
1917–1919 Reichsmarine
1919–1948 selbständig als Malermeister
1939–1945 Kriegsteilnahme
1948–1969 Bürgermeister von Bellingen, anfangs ehrenamtlich, Wiederwahl am 28. Okt. 1957 mit 221 von 283 gült. Stimmen; zum 31. Dez. 1968 auf eigenen Antrag in den Ruhestand versetzt, Weiterführung d. Amtsgeschäfte bis zur Wahl des Nachfolgers im Febr. 1969; am 22. Mrz. 1969 verabschiedet
1955 bei Erdöl-Versuchsbohrung auf Bellinger Gemarkung Thermalwasserfund; Auftrag des Gemeinderats an Ruf, die Fundstelle zu kaufen
1956 I. 10–IV. 28 Kauf für DM 80000, danach Beginn d. Wiedererschließung für rund DM 50000; 28. Apr. 1956 Festlegung des Gemeinderates unter Leitung Rufs, was künftig zum Badegebiet gehören solle
1957 Besuch von Bundespräsident Theodor Heuss am 25. April; seit 23. Mai 1957 „Markusquelle“ zu Ehren Rufs, Beginn des Ausbaus von Badeeinrichtungen; am 15. Aug. erstes Bewegungsbecken samt Infrastruktur eröffnet
1963 VIII. 30 2. Quelle mit annähernd gleichem, noch etwas wärmerem Thermalwasser erschlossen, später nach dem Kirchenparton „Leodegar“ benannt
1964 VII. 25 „Ort mit Heilquellen-Kurbetrieb“
1965–1969 Planung u. Bau des Kurmittelhauses, I. Bauabschnitt 1967, II. 1969 fertig
1968 „Staatlich anerkanntes Heilbad“; Amtsniederlegung Rufs krankheitshalber
1969 Ehrenbürger von Bad Bellingen am 22. März, am 29. Apr. Verdienstkreuz am Bande; am 14. Okt. Verleihung d. Bezeichnung „Bad“ als Bestandteil des Gemeindenamens von Bellingen durch die Landesregierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1935 Luise, geb. Höferlin (1894–1941) aus Bellingen
Eltern: Vater: Markus (1860–1922), Lehrer in Seebach
Mutter: Frieda, geb. Vogel, aus Bellingen (1861–1941)
Geschwister: Rosa (geboren 1897)
Kinder: keine
GND-ID: GND/1047523000

Biografie: Fred Ludwig Sepaintner (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 330-332

Ob ein moderner Verwaltungsfachmann angesichts der Risiken, finanzieller zumal, heute anginge, was der Dorfbürgermeister Ruf 1955 wagte? Es bedurfte schon einer rechten Zukunftsvision und stets zupackender Entschlusskraft, das ärmliche, vom Krieg her noch reichlich zerstörte 500-Seelen-Dorf Bellingen, wo Rebbauern, Handwerker, auch noch wenige Fischer wohnten, in einen Kurort verwandeln zu wollen; drum mag Rufs Wirken auch als Musterbeispiel gelten für ein mehr als nachhaltig wirkendes Gemeindeoberhaupt.
Die reichlich im Dunkeln liegende Spanne seines Lebens, bevor Ruf sich in Bellingen niedergelassen hatte, lässt viele Wechsel erkennen, darunter lange Aufenthalte in der Schweiz und Österreich. Radolfzell, wohin die Eltern 1907 gezogen waren, scheint aber immer wieder auf bis nach dem II. Weltkrieg. Dort starben der Vater wie auch die aus Bellingen stammende Mutter und von dort zog Ruf schließlich nach Bellingen.
Ruf war Maler, auch Kunstmaler, bis er um die Wende 1955/56 für acht Jahre ehrenamtlicher Bürgermeister von Bellingen wurde. Er galt als jovial und immer umgänglich, als leidenschaftlicher Fasnachter und begeisterter Sänger; nebenberuflich betrieb er auch etwas Weinbau – kurzum: er war, auch dank seiner Wurzeln, in Bellingen als einheimisch akzeptiert.
Seine ersten Amtsjahre verliefen „zeitbedingt“: Wiederaufbau des schwer kriegsbeschädigten, noch immer landwirtschaftlich bestimmten Dorfes stand anfangs im Mittelpunkt der Arbeit des Bürgermeisters. Geld aus dem Lastenausgleich hatte die Gemeinde erst Mal angelegt. Das waren die Grundzüge der Situation, als die Wintershall AG, Kassel, am 20. April 1955 mit ihrer Bohrung „Schliengen II“ im geologischen Bereich des Bamlacher Grabens auf gemeindeeigenem Bellinger Gelände nach Öl zu bohren begann. Der Versuch war erfolglos, man stieß „lediglich“, was für Wintershall aber uninteressant war, im Oberen Muschelkalk zwischen ca. 534 und 634 m Tiefe auf körperwarmes „Natrium-Calcium-Chlorid-Thermalwasser“, wie die Analyse ergab. Bei 1115 m Tiefe gab die Wintershall auf und verschloss bis zum 29. Juli das Bohrloch wieder.
Hier nun trat der Bellinger Bürgermeister auf den Plan, dem es am Tag zuvor gelungen war, den Gemeinderat für seine Vorstellungen zu gewinnen. Es heißt, der Bohrmeister bei der Ölbohrung habe dabei eine wichtige Rolle gespielt; ob und wie genau die Gemeinde aber informiert wurde, bleibt unklar. Sicher ist lediglich, dass Ruf vom Wasserfund wusste und daran die Zukunft seines Dorfes binden wollte. Und er verstand zu überzeugen. Schon am 28. Juli ermächtigte ihn der Gemeinderat, mit Wintershall über den Kauf der Nutzungsrechte am aufgelassenen Bohrloch zu verhandeln. Das Freiburger Bergamt stimmte zu, Verhandlungen zogen sich bis zum Jahresende; denn die Wintershall AG hatte selbstredend ihre Chance erkannt, Kosten für die Fehlinvestition wieder hereinzuholen. Am 10. Januar 1956 schließlich einigten sich die Verhandlungspartner auf 80 000 DM für die Übernahme der Konzession, womit aber erst die Erschließungskosten begannen. Weitere ca. 50 000 DM waren dafür veranschlagt – wohlgemerkt: bei ungewissem Ausgang; denn noch war das Bohrloch bis 638 m mit Zement und dann bis zur Geländeoberfläche mit Dickspülung verfüllt. Der Optimismus, den Ruf zu verbreiten wusste, erscheint im Nachhinein fast erstaunlich, brachte er den Gemeinderat doch auch schon am 28. April dazu, verbindlich festzulegen: „Alles westlich des Hochgestades liegende Gelände wird vorsorglich zum Badegebiet erklärt“ (Gemeinderatsprotokoll, S. 160).
Erst zur Jahresmitte standen die erforderlichen Mittel bereit, wobei die Finanzierung in allen Details kaum nachvollziehbar erscheint. Sicher ist lediglich, dass 15 000 DM aus den vom Land erhaltenen Geldern zur Beseitigung der Kriegsschäden erst einmal vorgeschossen und später durch eine zu gründende Gesellschaft zur Verwertung der Quelle rückzahlbar waren.
Die Wiedererschließung des Bohrlochs begann am 18. Juni 1956 und ging zunächst rasch voran, bis zwischen 335 und 523 m Tiefe tonige Schichten erreicht wurden, die bei der Herausnahme des Verfüllungsmaterials durchaus hätten zusammenfallen können. Es musste eine Hilfsverrohrung aus Stahl eingebaut werden. Eine weitere Schwierigkeit resultierte aus der Tatsache, dass die Öl-Suchbohrung im Querschnitt geringer dimensioniert war als es eine entsprechende Wasserbohrung gewesen wäre und außerdem nicht ganz lotrecht nach unten lief. Auch das bereitete dem Bohrtrupp technische Schwierigkeiten.
Als die zementierte Strecke erreicht war, stellte sich heraus, dass die Wasserschicht zwar vorhanden, aber weitgehend abgesperrt war. Versuche, die Zementsperre durch Zündung von Hohlladungen zu sprengen, scheiterten, genauso wie verschiedene weitere Maßnahmen. Erst die Druckeinspülung von 10 Kubikmeter Salzsäure und dann der gleichen Menge Süßwasser eröffnete den Zustrom wieder. Die erste Analyse wies einen besonders hohen Kohlendioxidgehalt nach, was angesichts der in der Tiefe herrschenden Geothermie und fehlendem Sauerstoff den Einbau korrosionssicherer Stahlrohre notwendig gemacht hätte. Dafür aber fehlten der Gemeinde die Mittel, ein Umstand, der sich schon bald durch Schüttungsrückgang negativ bemerkbar machen und die frühe Erbohrung einer weiteren Quelle erzwingen sollte. So beschloss es der Gemeinderat am 15. Mai 1961. Die Bohrarbeiten an der zweiten, der Leodegarquelle dauerten vom 26. November 1962 bis Ende Mai 1963. Danach konnte die Markusquelle, wie die erste Quelle zu Ehren von Ruf heißt, saniert werden.
Es muss für den wagemutigen Ruf schon eine große Erleichterung gewesen sein, als am Spätnachmittag des 28. November 1956 das Wasser zu sprudeln begonnen hatte. Es war mehr als 38 Grad Celsius warm. Ein Herbstbottich wurde herangeschafft, daruntergestellt und die Ersten nahmen trotz frostiger Kälte ein warmes Bad im Freien. Den Rest der Nacht wurde der „Geburtstag des Badeortes“ gefeiert, auf Einladung des Bürgermeisters, bezeichnenderweise. Ruf hat die Szene, das sprudelnde Wasser und den Bottich, später in einem Gemälde festgehalten, das heute der Gemeinde gehört.
Wie richtig Ruf mit seiner Spekulation lag, zeigten das Presseecho und sogleich einsetzende Nachfrage, auch wenn der erwartete Boom genauso wie die großen Investoren ausblieben. Ruf ging besonnen voran. Im Frühjahr 1957 ersetzte eine mit Brettern ausgeschlagene Grube im Kies den Bottich, noch Provisorium, aber schon größer. Mitte August wurde das erste zementierte „Bewegungsbecken“ eingeweiht, 12,5 m breit und 25 m lang, mit Umkleide-, Dusch- und Ruheräumen. Das war der Anfang des Kurbades. Finanziert war die Maßnahme durch „kleine und kleinste Geldbeträge“, die Bellinger gezeichnet hatten.
Der Kur- und Badebetrieb im Gewann Mittelgrund begann allmählich die Gemeinde zu verändern. Ruf reiste viel, war oft in Stuttgart und fand dort die Unterstützung der Landesregierung, genauso wie in Freiburg die von Regierungspräsident Anton Dichtel, einem großen Förderer aller Badeorte in seinem Bezirk, der den Vorsitz auch des Bellinger Bäderbeirats übernommen hatte und die Arbeit politisch koordinierte. Große Beachtung und damit Hilfe fand der Besuch von Bundespräsident Theodor Heuss, dem Ruf die entstehenden Badeeinrichtungen genauso zeigte wie Bundesaußenminister Heinrich von Brentano und dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Gebhard Müller. „Unbeschreiblicher Jubel“ (Walter, 1962, S. 109) freilich kam auf, wenn Hermann Schäufele, 1955 Weihbischof und von 1958 bis 1977 Erzbischof von Freiburg, immer mal wieder nach Bellingen kam, war er doch einheimisch, hier aufgewachsen.
Der Bürgermeister fand im einzigen örtlichen Arzt, Dieter Hoffmann, dem künftigen ersten Bellinger Badearzt, den aktiven Mitstreiter auf medizinischer Seite. Noch aber waren nur Anfänge gemacht. 1958/59 entstand ein neues Thermalbewegungsbad. Mehrere Beherbergungsbetriebe wurden in der Nähe gebaut, Hausbesitzer setzten auf Privatvermietung. Übernachtungszahlen spiegeln den Erfolg: von 450 (1957) stiegen sie auf 5350 (1958) und weiter von 14 900 (1960) auf 42 500 (1962). 1965 nächtigten schon mehr als 100 000 und 1967, gegen Ende der Ära Ruf, bereits 158 000 Fremde im Badeort. Die Bettenzahl lag damals bei 820, war seit Anfang der 1960er-Jahre verdreifacht. Und die Gäste blieben damals immer länger in Bellingen: 1958 hatte die durchschnittliche Verweildauer bei 9,2 Tagen gelegen, 1967 schon bei beachtlichen 16,3. Rasant geradezu verlief die Entwicklung der Bäderzahl, die in diesem Jahr 412 700 erreichte.
Auflagen mussten erfüllt werden: Abwasserbeseitigung, geregelte Müllabfuhr, asphaltierte Straßenbeläge mit geringer Staubentwicklung, Wetterbeobachtung. Der Bürgermeister war ständig gefordert, auch als der Bau eines Kurmittelhauses bald nach der Verleihung des Prädikats „Ort mit Heilquellen-Kurbetrieb“ 1964 angegangen werden musste; denn noch fehlten therapeutische Einrichtungen. Diesem Mangel war 1967 mit der Eröffnung des ersten Bauabschnittes abgeholfen, 1969 war das Kurmittelhaus fertig. Die Krönung allerdings, die Verleihung des Titels „Bad“ als Bestandteil des Ortsnamens, erlebte Ruf bereits im Ruhestand.
Schon in der letzten Phase hatte er sich mehrfach und über relativ längere Zeit krankheitsbedingt vertreten lassen müssen. Ende 1968 legte er das Amt nieder, das er seit der zweiten Amtszeit hauptamtlich, insgesamt zwei Jahrzehnte innegehabt hatte. Der Gemeinderat würdigte seine Verdienste um die Entstehung des Kurorts und ernannte Ruf zum Ehrenbürger. Sechs Jahre später erlag der 75-Jährige einem Herzleiden und erhielt ein Ehrengrab unweit der St. Leodegarkirche. Im Zentrum von Bad Bellingen wurde die bisherige Kirchstraße in Markus-Ruf-Straße umbenannt.
Quellen: StadtA. Radolfzell, Meldekarte Markus Ruf (Vater) u. Auskunft des Fachbereichs Kultur vom 29.9.2011; Gemeinderatsprotokolle Bellingen vom 28.7.1955 bis 9.7.1959; Gespräche mit Alt-Bürgermeister Stotz u. Bürgermeister Dr. Hoffmann, Bad Bellingen, 2011.
Werke: Gemälde im Rathaus von Bad Bellingen (ca. 1957).
Nachweis: Bildnachweise: Foto von ca. 1969 im Rathaus Bad Bellingen (vgl. Literatur).

Literatur: Heinz-Erich Walter, Bellingen Deutschlands jüngstes Heilbad in Vergangenheit u. Gegenwart, 1962; Bad Bellingen, Thermen am südl. Schwarzwald, 1976; Oswald Meyer, 1956–1976, 20 Jahre Bad Bellingen, ebd. 48ff.; Bade- u. Kurverwaltung GmbH (Hg.), Bad Bellingens Thermen, 1981 (erstmals als: Thermalquelle Bellingen, 1. Aufl. 1957); Jörg-Wolfram Schindler, Thermal- und Mineralquellen, in: Der Landkreis Lörrach, Kreisbeschreibungen des Landes Baden-Württemberg, bearb. von d. Abt. Landesbeschreibung des Staatsarchivs Freiburg im Br., Bd. 1, 1993, 47; Hartmut Zoche, Bad Bellingen, Die Gemeinde im 19. Jh. u. in d. Gegenwart, ebd., bes. 559; Oswald Meyer, Dorfsippenbuch Bad Bellingen, 1997; Gde. Bad Bellingen (Hg.), 1000 Jahre Bad Bellingen, 1006–2006, 50 Jahre Thermen, 2006; Gde. Bad Bellingen (Hg.), Bad Bellingen – Heilbad im Dreiländereck, 2006; Eberhard Stotz, 50 Jahre Heilbadentwicklung, 1956–2006, ebd. 43ff.; Kurt Sauer, Die Thermalwasserbohrungen Bad Bellingen 1-3, ebd. 33ff. (mehrfach überarb. u. erweiterte Versionen; Erstversion in: Thermalquelle Bellingen, 1957); Dieter Hoffmann, Vom Bottich zum Heilbad, ebd. 61ff.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)