Zirlewagen, Gustav Hermann 

Geburtsdatum/-ort: 07.04.1900;  Heitersheim
Sterbedatum/-ort: 27.03.1963;  Freiburg im Breisgau
Beruf/Funktion:
  • Fabrikant und Bürgermeister
Kurzbiografie: 1906–1914 Volksschule in Heitersheim
1914–1915 Städt. Handelsschule in Freiburg
1915–1917 Kaufmännische Lehre bei Mez in Freiburg
1918 VI.–XI. Kriegsdienst bei d. Kraftfahrer-Ersatz-Abteilung 14 in Mannheim
1919–1921 Tätigkeit im Lohnbüro d. Fa. Mez
1923 Betriebsführer u. Aufsichtsratsmitglied d. Franka AG, Frankfurter Akkumulatorenbau AG
1925–1962 Inhaber u. Geschäftsführer d. Franka; 1946 bis 1949 wegen Devisenvergehen als Geschäftsführer abgesetzt; 1956 Aufgabe d. Geschäftsführung nach Verkehrsunfall, 1962 Verkauf d. Firma
1932 II. 1 Eintritt in die NSDAP, Mitgl. Nr. 918437, Ortsgruppenleiter in Heitersheim
1933–1935 NS-Kommissar für Heitersheim, vom 24. Juli 1933 bis 18. Juni 1935 Bürgermeister
1935 V. 14 Verwarnung durch das NS-Ehrengericht für den Treuhänderbezirk in Südwestdeutschland wegen Pflichtverletzungen als Betriebsführer
1944 VI. Verhaftung durch die Gestapo wegen Verbrechen gegen das Heimtückegesetz
1946–1947 Verhaftung durch die französ. Besatzungsmacht wegen Zurückhaltung ausländ. Devisen u. dt. Silbergelds
1948–1949 Spruchkammerverfahren in Müllheim u. Freiburg: minderbelastet
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1935 (Heitersheim) Agatha, geb. Stritt (1915–1986)
Eltern: Vater: Hugo Karl (1869–1948), Weinhändler in Heitersheim, Sohn d. Weinhändlers Johann (1827–1883) u. d. Bertha, geb. Blanche (1834–1909)
Mutter: Maria (1874–1964), Tochter von Josef Feuerstein (1842–1874) u. d. Theresia, geb. Preis (1843–1908)
Geschwister: 5; Walburga (1897–1975), verh. Sattler, Hedwig (1899–1973), verh. Pies, Pia (1901–1989), verh. Zähringer, Angela (1907–2000), verh. Strütt, u. Hugo Viktor (1909–1994), Kaufmann
Kinder: 3;
Rosemarie (1936–1959),
Hannelore (1938–2002), verh. Bertz,
Rolf (geboren 1941)
GND-ID: GND/1047563525

Biografie: Robert Neisen (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 491-493

Für einen südwestdeutschen NSDAP-„Führer der Provinz“ wies der Kaufmann und Fabrikant einen durchaus typischen (wirtschafts-)bürgerlichen Hintergrund auf. So gesehen steht seine Vita stellvertretend für diesen Typus badischer NS-Kommunalpolitiker.
Nach dem Besuch der Volksschule sowie der städtischen Handelsschule absolvierte Zirlewagen 1915 bis 1921 bei der Seidenzwirnerei und Färberei Mez in Freiburg eine Lehre als Kaufmann und war anschließend im Lohnbüro angestellt. Gleichzeitig legte er am 30. April 1919 die Reifeprüfung für die Obersekunda am Realgymnasium in Freiburg ab, wodurch er Kurse an der örtlichen Handelshochschule und verschiedene volks- und betriebswirtschaftliche Veranstaltungen an der Universität besuchen konnte.
Nach seinem Ausscheiden bei Mez im Juni 1921 betätigte sich Zirlewagen zunächst als Gemüse- und Weinhändler in Heitersheim. Ende 1923 wurde er Mitinhaber und Geschäftsführer der „Franka – Frankfurter Akkumulatorenfabrik AG“. Nachdem die Firma ohne seine Mitschuld im August 1924 in Konkurs geraten war, ging deren Vermögen auf Zirlewagen über. Er verlegte sie 1925 nach Heitersheim und bald hatte die Franka, die Kfz-Starterbatterien sowie Fernmelde- und Heizbatterien herstellte, ca. 30 Beschäftigte.
Während Zirlewagen die kleine Fabrik erfolgreich führte, trat er seit Herbst 1930 immer häufiger in der Heitersheimer Öffentlichkeit als überzeugter Nationalsozialist auf. Im Februar 1932 wurde er Mitglied der NSDAP und gründete in der ländlich-katholischen Kleinstadt, wo bisher das Zentrum die alles bestimmende politische Kraft gewesen war, eine NSDAP-Ortsgruppe. Als führendem Heitersheimer Nationalsozialisten kam Zirlewagen auch eine maßgebliche Rolle im örtlichen Gleichschaltungsprozess nach der NS-„Machtergreifung“ zu. Er war es, der per Verfügung des Staufener Bezirksamts vom 28. März 1933 – analog zum Vorgehen in vielen badischen Gemeinden – dem Bürgermeister und Gemeinderat als „Kommissar“ beigeordnet wurde. Seiner baldigen Ernennung zum Bürgermeister stand nur entgegen, dass im Juni 1933 die turnusgemäße Neuwahl des Bürgermeisters anstand, die im Gegensatz zu damals erlassenen Verordnungen der badischen Landesregierung zugelassen werden musste, da dem Amtsinhaber Josef Feuerstein vom Zentrum eine erneute Kandidatur aus rechtlichen Gründen nicht verwehrt werden konnte. Im Wahlkampf war Zirlewagen als NS-Konkurrent führend an einer Verleumdungskampagne gegen Feuerstein beteiligt. Die Vorwürfe bestanden aus den üblichen Versatzstücken der antirepublikanischen NS-Propaganda gegen „Systemvertreter“: Feuerstein beziehe ein viel zu großes Gehalt, sei verschwenderisch mit den Gemeindefinanzen umgegangen, habe Günstlingswirtschaft betrieben. Zirlewagen unterlag zwar überraschend mit 401 zu 409 Stimmen, der badische Innenminister setzte ihn dennoch am 24. Juli 1933 für zwei Jahre – widerruflich, was keinen Einzelfall darstellte – als neuen Bürgermeister ein.
In seinem Amt als Kommissar, dann als Bürgermeister, das er neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Franka AG ausübte, vermochte Zirlewagen durchaus Erfolge vorzuweisen. Im Rahmen eines Arbeitsbeschaffungsprogramms für Arbeitslose etwa initiierte er den Ausbau der Kanalisation und die Errichtung eines neuen Sportplatzes. Ebenso wurde mit dem Bau der Turn- und Festhalle begonnen, die aber erst nach dem Krieg fertiggestellt wurde. Die Finanzierung der Projekte beschleunigte er durch Spenden der Heitersheimer Bürger und unentgeltliche Aktivitäten der Vereine und Betriebe. Auch ansonsten betrieb er, etwa im Fürsorgebereich, eine rigorose Sparpolitik, griff dabei aber zuweilen zu zweifelhaften Methoden und setzte Empfänger staatlicher Leistungen verbal unter starken Druck. Durch seine sparsame und effiziente Amtsführung konnte sich Zirlewagen dennoch bei einigen früheren Gegnern aus der ehemaligen Zentrumspartei eine gewisse Achtung verschaffen.
Die vehemente Verteidigung der Heitersheimer Interessen indes wurde Zirlewagen am Ende zum Verhängnis. Als er sich weigerte, einen größeren Betrag der Gemeinde für die NSDAP-Kreisleitung in Staufen zur Errichtung eines Gefängnisses für politische Häftlinge zur Verfügung zu stellen, kam es zum Bruch mit dem ohnehin gegen ihn eingenommenen Staufener NSDAP-Kreisleiter Hans Erley, der nur auf eine Gelegenheit zur Entmachtung Zirlewagens gewartet hatte. Einen Protest der Arbeiterschaft der Franka AG gegen Zirlewagen wegen angeblich untertariflicher Bezahlung und unwürdiger Behandlung nahm Erley zum Anlass, Zirlewagen wegen Zerstörung NS-Ideenguts von der Gestapo verhaften zu lassen. Zwar kam Zirlewagen bald wieder frei, musste sich aber am 14. Mai 1935 vor dem „Ehrengericht für den Treuhänderbezirk Südwestdeutschland“ verantworten, das einen Teil der Vorwürfe zwar zurückwies, Zirlewagen aber wegen untertariflicher Bezahlung und zu groben Umgangs mit der „Gefolgschaft“ verwarnte. Das bot Erley den Vorwand, beim Bezirksamt Staufen darauf hinzuwirken, die Ernennung Zirlewagens zum Bürgermeister am 18. Juni 1935 zu widerrufen. Der Freispruch Zirlewagens beim Revisionsprozess vor dem NS-Reichsehrengerichtshof in Berlin am 30. September 1935 kam zu spät. Unmittelbar Opfer der Machenschaften Erleys war Zirlewagen wegen seiner gelegentlich jähzornigen Art und seiner „Herr im Haus“-Mentalität gegenüber der Franka-Belegschaft an diesem Schicksal auch nicht unschuldig.
Als Bürgermeister abgesetzt bemühte sich Zirlewagen nach der Rehabilitation durch den Reichsehrengerichtshof vergeblich um seine Wiedereinsetzung als Ortsgruppenleiter. Er blieb zwar Parteimitglied, politisch aber trat er nicht mehr in Erscheinung und widmete sich ausschließlich den Geschäften, die sich dank der Aufrüstung gut entwickelten. Gegen Ende des Krieges geriet Zirlewagen mit dem NS-Regime sogar in offenen Konflikt. Wiederholt hatte er Zweifel am Endsieg geäußert, wurde denunziert und im Sommer 1944 wegen Vergehens gegen das „Heimtückegesetz“ vor dem Volksgerichtshof in Berlin angeklagt. Ende Juni 1944 verhaftete ihn die Gestapo in Lörrach. Am 7. Juli kam er ins Gefängnis nach Freiburg, wurde aber schon tags darauf entlassen. Zu einem Verfahren vor dem Volksgerichtshof kam es nicht.
Ungeachtet der beiden Verhaftungen 1935 und 1944 musste sich Zirlewagen nach Kriegsende einem eingehenden Entnazifizierungsverfahren unterziehen. Im Urteil vom 11. Juli 1949 sah es die I. Kammer des Badischen Staatskommissariats für politische Säuberungen in Freiburg als erwiesen an, dass er vor und nach der Machtübernahme ein überzeugter Nationalsozialist gewesen sei, der den Nationalsozialismus vor Ort in starkem Maße gefördert habe. Er wurde als „Minderbelasteter“ eingestuft. Zur Strafe wurden ihm für drei Jahre das Wahlrecht und das Recht auf politische Betätigung entzogen. Bezeichnenderweise hatte Zirlewagen vor der Spruchkammer seine Rolle als führender Parteiaktivist in Heitersheim strikt geleugnet und beispielsweise behauptet, er sei lediglich formal Ortsgruppenleiter gewesen, habe die eigentliche Führung jedoch anderen überlassen. Auch seinen Parteieintritt datierte er zurück.
Zirlewagens Leben in der Nachkriegszeit war wieder das des Geschäftsführers der Franka AG, deren Führung er aber nach einer Denunziation wegen angeblicher Verlangsamung der Produktion in der Besatzungszeit 1946 bis 1949 hatte abgeben müssen. Zirlewagen verhalf der Firma erneut durch Exporte von Starterbatterien in europäische Länder und in den Nahen Osten zu einem nicht unerheblichen Aufstieg. Nach einem unverschuldeten Autounfall 1956 musste er die Geschäftsführung abgeben. 1962 verkaufte er den Betrieb.
Noch nicht ganz 63 Jahre alt starb Zirlewagen. Er hatte zeitlebens großen Stolz an den Tag gelegt, nicht selten gepaart mit Rechthaberei, auch einer gewissen Halsstarrigkeit, Charakterzüge, die auch dazu führten, dass er sich nicht immer der Parteiräson beugte und sogar die NS-Kriegspolitik gegen Ende offen kritisierte.
Quellen: STAF G 18/2, Nr. 4, 5, 6 u. 7, G 701/2, Nr. 2702; StadtA Heitersheim Box 18, Nr. 20, Box 20, Nr. 11, Box 24, Nr. 35, Box 99, Nr. 194, 195 u. 200; PrivatA des Enkels Marc Zirlewagen, Wehrheim.
Nachweis: Bildnachweise: nicht ermittelt.

Literatur: Staufener Tagblatt vom 24.3. u. 8.8.1933; Freiburger Ztg. vom 9.8.1933; Der Alemanne vom 11.4., 5.9., 18.10. u. 29.11.1934 sowie 9.2. u. 9.4.1935; Rupert Hourand, Die Gleichschaltung d. bad. Gemeinden 1933/34, Diss. phil. Freiburg 1985, 191; Robert Neisen, „Mit Zwang kann man hier nichts erreichen“ – Drittes Reich u. Nachkriegszeit, in: Historische Gesellschaft d. Stadt Heitersheim (Hg.), Heitersheim – Eine Stadt mit großer Geschichte, 2010, 140-159.
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