Tschira, Arnold Wilhelm 

Geburtsdatum/-ort: 17.10.1910;  Freiburg/Br.
Sterbedatum/-ort: 09.03.1969;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Bauhistoriker
Kurzbiografie: 1916-1929 Volksschule in Freiburg und Kirchzarten, 1920 Berthold-Gymnasium Freiburg mit Abitur
1929-1933 Architekturstudium an der TH Karlsruhe, Diplom 1933
1933-1935 Tätigkeit als Bauführer
1935-1938 Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Kunst- und Baugeschichte TH Karlsruhe bei K. Wulzinger
1937 Promotion zum Dr.-Ing. bei Prof. Wulzinger, Dissertationsthema „Orangerie und Glashaus“
1938-1939 Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) mit Aufenthalten in Italien und Griechenland, anschließend Tätigkeit am DAI in Rom bis Mai 1941
1941 Mai bis Oktober Kriegsdienst; Tätigkeit am DAI Athen bis November 1942
1942-1945 Kriegsdienst in Rußland und Italien als Unteroffizier
1945-1947 US-amerikanische und französische Gefangenschaft
1947-1950 Architekt im Wiederaufbaubüro der Universität Freiburg
1950 Berufung zum ordentlichen Professor und zum Direktor des Instituts für Baugeschichte an der TH Karlsruhe; Mitglied in wissenschaftlichen Institutionen
1953-1969 Verwaltungsrat des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz
1954-1969 Römisch-Germanische Kommission der DAI in Frankfurt a. M.
1955-1969 Zentraldirektion des DAI, Pompeji-Kommission des DAI
1956-1969 Fachausschuß Madrid des DAI
1958-1969 Korrespondierendes Mitglied der Kommission für geschichtliche Landeskunde Baden-Württemberg
1962-1969 Trier-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz
1963-1969 Vorsitzender der Koldewey-Gesellschaft
Weitere Angaben zur Person: Verheiratet: 1957 Karlsruhe, Dr. Gundula, geb. van Oyen, Kunsthistorikerin
Eltern: Arnold Eduard Tschira (1864-1929), Kaufmann
Maria, geb. Herr (1887-1957)
Geschwister: 1 Bruder (vermißt in Rußland), 1 Schwester
Kinder: Anna Barbara (geb. 1958)
Verena (geb. 1962)
Arnold Christian (geb. 1964)
GND-ID: GND/105974668

Biografie: Karlfriedrich Ohr (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 459-462

Tschira war der Sohn eines Freiburger Kaufmanns, der neben seinem Beruf künstlerische Neigungen in der Bildhauerei pflegte und mit den Malern H. Thoma, Julius Bissier, Hermann Dischler und Alfred Schnaars sowie dem Schriftsteller Hermann Eris Busse befreundet war. Der junge Tschira besuchte das altsprachliche Berthold-Gymnasium und beschäftigte sich schon damals mit Fragen der Baugeschichte seiner engeren Heimat. Ein Aufsatz des Schülers über „Wasserburgen im Breisgau“, der 1929 in der „Badischen Heimat“ erschien, läßt bereits die Begabungen des künftigen Forschers deutlich werden: genaue Beobachtung, anschauliche Beschreibung und eine künstlerische Hand, die ihn zu klaren zeichnerischen Darstellungen befähigte.
Das Architekturstudium an der TH Karlsruhe förderte seine Freude am Forschen, wie weitere Veröffentlichungen über Themen seiner südbadischen Heimat zeigen. In diesen wird zudem sichtbar, daß Tschira über eine schöne Sprache verfügte, in der nicht selten eine poetische Ausdruckskraft anklingt. Nach dem Diplom bei dem Städtebauer O. E. Schweizer erfuhr Tschira seine erste wissenschaftliche Prägung als Assistent seines Bau- und Kunstgeschichtslehrers K. Wulzinger, der neben seiner Lehrtätigkeit als Bauforscher im Vorderen Orient und in Baden gewirkt hat. Als Frucht dieser Jahre legte Tschira eine Dissertation über die Entwicklung der Orangerie als Bautypus des 18. und 19. Jahrhunderts vor.
Entscheidend für seinen weiteren Lebensweg wurde das Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts, das ihn ab 1938 nach Griechenland und Italien führte und für den jungen Architekten zum Bildungserlebnis in der Tradition des 19. Jahrhunderts wurde. In Athen konnte Tschira an den archäologischen Untersuchungen W. Kolbes am Parthenon teilnehmen. In einer eigenen Studie befaßte er sich mit den in der Nordmauer der Akropolis verbauten Säulentrommeln. Beides sollte später Grundlage seiner Neudatierung der Vorgängerbauten des Perikleischen Parthenon werden. In Rom fand Tschira in A. van Gerkan, dem damaligen 1. Direktor der Römischen Abteilung des DAI, einen Mentor, dessen ganz auf die wissenschaftliche Arbeit konzentrierte Persönlichkeit und Leidenschaft zu unnachsichtiger Kritik ihn ebenso anzogen wie seine persönliche Bescheidenheit. Gerkan öffnete ihm das weite Feld der Bauforschung an den Denkmälern der römischen Antike, die in Tschiras künftiger Tätigkeit eine besondere Bedeutung gewinnen sollten. Aus der täglichen Nähe zu Gerkan und der Gemeinsamkeit der Interessen und Neigungen erwuchs eine dauerhafte Freundschaft, die beiden über die Nöte der Zeit hinweghalf.
Damals faßte Tschira mit seinen gleichaltrigen Freunden F. W. Deichmann und M. Stettler den Plan, die spätrömischen Rundbauten in Rom und Latium gemeinsam zu bearbeiten. Das Unternehmen hat in Einzeluntersuchungen durchgeführt werden und in eine zusammenfassende Darstellung münden sollen. Der zweite Weltkrieg unterbrach dieses Vorhaben, wenn auch glückliche Umstände Tschiras Einberufung zur Wehrmacht bis 1942 verzögerten. Nach Einsätzen in Rußland und Italien geriet er am Ende des Krieges in amerikanische, später in französische Gefangenschaft, während derer er die römische Wasserleitung in Nimes untersuchen konnte.
Im Jahre 1950 wurde Tschira als Nachfolger seines Lehrers K. Wulzinger auf den Lehrstuhl für Baugeschichte an der Architekturabteilung der TH Karlsruhe berufen. Mit Umsicht und Zielstrebigkeit widmete er sich in den ersten Jahren dem Wiederaufbau des gleichnamigen Instituts, das während des Krieges schwer getroffen worden war. Neben der Wiederaufnahme seiner Forschungsarbeiten auf der Akropolis in Athen, an den Rundbauten in Rom und in der Casa del Fauno, dem bedeutendsten Stadthaus in Pompeji, wandte er sich auch der Baugeschichte des Mittelalters am Oberrhein zu, wo er für den Karlsruher Lehrstuhl besondere Verpflichtungen sah. So wird der Name Tschiras mit den frühmittelalterlichen Kirchen von Lahr-Burgheim und Sulzburg, besonders aber mit der Erforschung und denkmalpflegerischen Wiederherstellung der Abteikirche in Schwarzach während der Jahre 1964-1969 verbunden bleiben. Ein besonderes Interesse Tschiras galt der Baukunst des 19. Jahrhunderts in Baden, wo er sich vor allem mit dem Schaffen und Wirken des großherzoglich-badischen Oberbaudirektors F. Weinbrenner auseinandersetzte. Daneben regte Tschira bereits ab 1950 Dissertationen an, die sich mit Bauaufgaben der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigten.
Mit der Breite dieser Forschungsfelder entwickelte sich der literarisch und philosophisch gebildete Gelehrte zu einem vorbildlichen akademischen Lehrer, der auch den wissenschaftlichen Nachwuchs konsequent und wirksam förderte. Dazu ist es seinem Zusammenwirken mit A. von Gerkan und E. Boehringer, dem damaligen Präsidenten des DAI, zu verdanken, daß bei der Zentraldirektion und in allen Auslandsabteilungen des DAI Referentenstellen für Architekten als Bauforscher eingerichtet wurden. In seinen Vorlesungen, Seminaren und Exkursionen vermittelte er überzeugend die Notwendigkeit der Beschäftigung mit der Architekturgeschichte als Grundlage für die Ausbildung des Architekten. Daneben fanden seine Studium-Generale-Veranstaltungen regen Zuspruch von Studierenden aller Fakultäten der Technischen Hochschule. Als Tschira im Frühjahr 1969 plötzlich einem Herzleiden erlag, das sich schon Jahre vorher angekündigt hatte, war der Verlust eines von seinen Schülern und Kollegen sehr geschätzten Lehrers und eines auch im Ausland hochangesehenen Forschers zu beklagen.
Quellen: Auskünfte von Tschiras Witwe Dr. Gundula Tschira, Karlsruhe; Nachlaß im Familienbesitz
Werke: Wasserburgen im Breisgau, in: BH 16, 1929, 165-177; Treppen in Alt-Freiburger Bürgerbauten, in: Mein Heimatland 17, 1930, 80-87 und 107-115; Der Pfändlerhof in Zarten, in: ebd. 19, 1932, 131-138; Säckingen und sein Fridolinsmünster: BH 19, 1932, 53-66; Stadt und Schloß Wolfach, in: ebd. 22, 1935, 322-336; Das Fachwerkhaus in Schiltach, in: ebd. 22, 1935, 337-359; Steg über die Kinzig, in: ebd. 22, 1935, 539-540; Das Stadtbild von Gernsbach, in: ebd. 24, 1937, 361-374; (mit Kurt Schäfer) Das Kogerhaus in Oetlingen, in: Mein Heimatland 25, 1938, 27-34; Die Werkbauten der Saline Dürrheim, in: BH 25, 1938, 361-369; Eine Baaremer Bauernstube. Der Hänslihof in Bad Dürrheim und sein Hausrat, in: ebd. 25, 1938, 185-201; Das Denkmal des Freiherrn Philipp Carl von Wessenberg in Feldkirch, in: Schau-ins-Land 65/66, 1938/39, 188-193; (mit F. W. Deichmann) Die frühchristlichen Basen und Kapitelle von S. Paolo fuori le mura, in: Römische Mitteilungen 54, 1939, 99-111; Zum Brand von Parthenon 2; in: Archäologischer Anzeiger 54, 1939, 38-47; Orangerien und Gewächshäuser (Kunstwissenschaftliche Studien Band 24), als Dissertation 1937 bei der TH Karlsruhe eingereicht unter dem Titel „Orangerie und Glashaus“; Die unfertigen Säulentrommeln auf der Akropolis von Athen, in: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 55, 1940, 242-261; Pavimenta, in: Römische Mitteilungen 55, 1940, 27-35; Keildübel, in: Athenische Mitteilungen 66, 1941, 166-169; Die ursprüngliche Gestalt des Baptisteriums an der Lateransbasilika, in: Römische Mitteilungen 57, 1942, 116-121; Zur römischen Wasserleitung von Nîmes, in: Archäologischer Anzeiger 63/64, 1948/49, 71-83; Eine römische Grabkammer in Kephissia, in: Archäologische Anzeiger 63/64, 1948/49, 83-97; Otto Ernst Schweizer, der Architekt, in: Otto Ernst Schweizer und seine Schule (1950) 5-17. Auch in: Bauen und Wohnen 5, 1950, 197-206; (mit Horst Linde und Rudolf Diehm) Aus dem Wiederaufbau der Universität Freiburg: Otto Ernst Schweizer und seine Schule (1950) 39-47; Das Münster zu Freiburg (1954); Besprechung: Erika Brödner, Untersuchungen an den Caracallathermen (Berlin 1951), in: Gnomon 1956, 628-630; (mit F. W. Deichmann) Das Mausoleum der Kaiserin Helena und die Basilika der Heiligen Marcellinus und Petrus an der Via Labicana zu Rom, in: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 72, 1957, 44-110; Ausgrabungen in der Kirche St. Peter in Lahr, Stadtteil Burgheim, in: Neue Ausgrabungen in Deutschland (Hg. Römisch-Germanische Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts 1958) 477-483; Der sogenannte Tulla-Plan zur Vergrößerung der Stadt Karlsruhe, in: Festschrift für Eberhard Knittel (1959) 31-45; Die Klosterkirche St. Cyriacus in Sulzburg, in: Schau-ins-Land 80, 1962, 3-38; Die deutsche Stadt der Neuzeit, in: Kunst des Abendlandes (1963) 186-195; Besprechung: M. A. M. Raslan, Inwieweit erfüllt die Architekturphotogrammetrie die Forderungen der Bauforschung, und wie ist sie vom Architekten anzuwenden, in: Bildmessung und Luftbildwesen 33, 4, 1965, 192-194; Eine Tastung in der Cella des Parthenon, in: Archäologischer Anzeiger 80, 1965, 401-428; Die ottonische Klosterkirche St. Cyriacus in Sulzburg/Baden, in: Bonner Jahrbücher 166, 1966, 217-234. Wiederabdruck in: Koldewey-Gesellschaft. Bericht über die 23. Tagung für Ausgrabungswissenschaft und Bauforschung vom 26. bis 30. Mai 1965 in Hildesheim, 19-36; Die mittelalterlichen Baubestände der Stadtkirche St. Martin in Ettlingen, in: Das mittelalterliche Ettlingen (1968) 7-20; Zur geplanten Renovation der ehemaligen Klosterkirche in Gengenbach, der heutigen Katholischen Pfarrkirche, in: ZGO 116, 1968, 383-392. Postum erschienen: Untersuchungen im Süden des Parthenon (hg. von St. Sinos), in: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts Bd. 87/1972, 158ff.; Die ehemalige Benediktinerabtei Schwarzach, 2. Aufl. 1977.; Institut für Baugeschichte der Universität Karlsruhe und Deutsches Archäologisches Institut, Spätantike Zentralbauten in Rom und Latinum, begründet von Arnold Tschira (†), Michael Stettler und Friedrich Wilhelm Deichmann: Bd. 1: Jürgen J. Rasch, Das Maxentius Mausoleum an der Via Appia in Rom – Meinem Mentor Friedrich Wilhelm Deichmann, 1984 – Bd. 2: Jürgen J. Rasch, Das Mausoleum bei Tor de’-Schiavi in Rom – In Memoriam Arnold Tschira 1910-1969, 1993 – Bd. 3: Jürgen J. Rasch, Das Mausoleum der Kaiserin Helena in Rom und der „Tempio della Tosse“ in Tivoli – mit Beiträgen von Friedrich Wilhelm Deichmann (†), Arnold Tschira (†) und Beat Brenk, 1998
Nachweis: Bildnachweise: Fotos in: Die TH Fridericiana Karlsruhe, Festschrift zur 125-Jahrfeier, 1950, 21; Die ehemalige Benediktinerabtei Schwarzach (vgl. Literatur); Selbstbildnis als Bleistiftzeichnung, in: Fridericiana, Zeitschrift der Universität Karlsruhe H. 18/150 Jahre Universität Karlsruhe – Architekten der Fridericiana S. 135, Bild Nr. 176

Literatur: Kurzangaben zur Person in: Kleine Bibliographie für die Studierenden der Universität Karlsruhe, 1968, 94; K. Böhner, Zum Gedenken an Arnold Tschira, in: Jahrbuch des Römisch-germanischen Zentralmuseums Mainz 1969; ders., Arnold Tschira, 1910-1969, in: DAI, Archäologenbildnisse, Porträts und Kurzbiographien von Klassischen Archäologen deutscher Sprache, hg. von R. Lullies und W. Schiering, 1988; Fridericiana, Zeitschrift der Universität Karlsruhe, H. 18, 135-141
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