Tscheulin, Emil 

Geburtsdatum/-ort: 26.12.1884;  Teningen
Sterbedatum/-ort: 17.10.1951;  Teningen
Beruf/Funktion:
  • Fabrikant und IHK-Präsident
Kurzbiografie: 1899–1902 Schlosserlehre bei d. Maschinenfabrik u. Eisengießerei Saaler, Teningen
1906 Ernennung zum technischen Betriebsleiter d. Maschinenfabrik u. Eisengießerei Saaler
1910 X 22 Übernahme d. technischen Betriebsleitung d. Aluminium GmbH
1913 XII 22 Gründung d. Aluminium-Folien-Fabrik GmbH
1914–1917 Kriegsdienst als Unteroffizier a. d. Westfront
1926 XX 21 Gründung d. Aluminiumwerk Tscheulin GmbH
1932 XI 1 Eintritt in die NSDAP, Mitgl.-Nr. 1 356 253
1933 VII–1945 IV Präsident d. Industrie- u. Handelskammer Freiburg, ab 1940 auch Präsident d. Industrie- u. Handelskammern in Mulhouse (bis 1942) u. Colmar (bis 1943); 1938 Wehrwirtschaftsführer
1937 Ehrensenator d. Universität Freiburg
1945 IV–1948 XII Verhaftung u. Inhaftierung im Gefängnis Offenburg, dann im Internierungslager für NS-Funktionäre in Freiburg; Beschlagnahmung des Vermögens gemäß Gesetz Nr. 52 d. alliierten Militärregierung
1947 III 5 Verfahren zur politischen Säuberung d. Wirtschaft: Verbot jeglicher selbstständiger o. leitender Tätigkeit; Einzug des Gesamtvermögens
1949 IV–XI Spruchkammerverfahren: „minderbelastet“
1949–1951 Wiederaufbau des Aluminiumwerks
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1910 (Teningen), Elise (1884–1980), geb. Ingold
Eltern: Vater: Karl August (1848–1911), Eisengießer in Teningen
Mutter: Caroline (1845–1920), geb. Schneider
Geschwister: Frieda (1886–1954)
Kinder: 2; Gretel Frieda (1913–2004) u. Gertrud (1919–2012)
GND-ID: GND/1126768677

Biografie: Robert Neisen (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 552-557

Tscheulin zählt zu den umstrittensten Persönlichkeiten der jüngeren südbadischen Geschichte. Den einen gilt er als herausragender Unternehmer, der seiner Heimatgemeinde Teningen durch die Gründung eines weltbekannten Aluminiumwerks ungekannten Wohlstand beschert und sich als Förderer der regionalen Wirtschaft sowie als sozial eingestellter Fabrikant ausgezeichnet hat. Für andere hat sich Tscheulin durch seine massive Förderung der Nationalsozialisten noch vor der „Machtergreifung“, seine aktive Stützung der Diktatur als Präsident der Industrie- und Handelskammer Freiburg und „Wehrwirtschaftsführer“ diskreditiert. Dem aus kleinen Verhältnissen stammenden Arbeitersohn gelang ein rascher Aufstieg. Von 1899 bis 1902 absolvierte Tscheulin eine Lehre als Schlosser in der Teninger Maschinenfabrik und Eisengießerei Saaler. Der Lehrzeit schloss sich eine einjährige Zusatzausbildung in technischer und kaufmännischer Kalkulation sowie in Konstruktionszeichnung im eigenen Unternehmen bzw. an der Gewerbeschule Emmendingen an. Wegen seiner technischen Begabung und seinem energischen Charakter wurde Tscheulin 1906 im Alter von nur 22 Jahren die technische Betriebsleitung bei Saaler übertragen.
Kurz darauf erfolgte Tscheulins erste Begegnung mit dem Material Aluminium: Auf der Suche nach neuen Produktionsfeldern beauftragte ihn sein Arbeitgeber mit der Prüfung des von dem Schweizer Industriellen Alfred Gautschi (1871–1955) entwickelten „Buchwalzverfahrens“ zum Auswalzen von Aluminiumfolie. Nachdem das Verfahren für brauchbar erkannt und das entsprechende Patent erworben wurde, gründete die Firma Saaler am 22. Oktober 1910 die „Aluminium GmbH“, zu deren technischem Leiter man Tscheulin ernannte. Die Fusion der Aluminium GmbH mit der schweizerischen Kommanditgesellschaft Dr. Lauber, Neher&Cie. und ihrer Singener Tochtergesellschaft Dr. Lauber, Neher Co. GmbH zur Aluminium-Walzwerk AG, AWAG, sowie der Umzug der Firmenzentrale nach Schaffhausen im Jahre 1912 veranlassten den äußerst heimatgebundenen und zeitlebens nach größtmöglicher Unabhängigkeit strebenden Tscheulin indes zum Ausscheiden aus dem Unternehmen. Er gründete am 22. Dezember 1913 zusammen mit seinem Schwager Wilhelm Ingold (1889–1984) die Aluminium-Folien-Fabrik GmbH, die im Mai 1914 in Teningen ihre Produktion aufnahm.
Nur kurze Zeit später musste die neue Fabrik wieder schließen: Tscheulin, der von 1903 bis 1906 seine dreijährige Militärzeit abgeleistet hatte, wurde zu Beginn des I. Weltkrieges als Unteroffizier zur Westfront abkommandiert; die Arbeiter des zunächst nicht kriegswichtigen Unternehmens wurden ebenfalls ins Feld berufen. Anfang 1917 wurde Tscheulin jedoch, vermutlich im Zusammenhang mit der Mobilisierung sämtlicher technisch-unternehmerischer Expertise für die Rüstungsindustrie im Zuge des Hindenburg-Programms, von der Front zurückberufen, um in seinem Werk Granatzünder für das Heer zu fabrizieren. In Ermangelung des für die Waffenproduktion benötigten Aluminiums wurde auch Zinnfolie für Konsumgüter hergestellt.
Nach dem Ende des I. Weltkrieges begann der Aufschwung: Bedingt durch die Umstellung auf das rationellere Bandwalzverfahren und die zunehmende Substitution der Zinn- durch die Aluminiumfolie im Bereich der Lebensmittelverpackung sowie erste Geschäftsabschlüsse in den USA, in die Tscheulin in den 1920er-Jahren wiederholt längere Geschäftsreise unternommen hatte, konnte die Firma, die sich seit Ende 1919 Breisgau- Walzwerk nannte, Umsätze und Belegschaftsstärke erheblich ausweiten. Gleichzeitig wurde die Produktion durch den Einstieg in die Folienveredlung und -kaschierung erweitert, während die 1924 eingeführte betriebseigene Krankenkasse, die den Arbeitern im Krankheitsfall überdurchschnittlich hohe Lohnersatzleistungen gewährte, Tscheulins soziale Einstellung gegenüber Arbeitnehmerbelangen widerspiegelte.
Die im Zuge der Expansion anfallenden Investitionen in Maschinen und Gebäude erzwangen allerdings erhebliche Kapitalaufstockungen, die die Aufnahme eines weiteren Teilhabers, der Karlsruher Eisenhandelsfirma L. J. Ettlinger erforderten. Als die Handelsfirma 1926 infolge einer finanziellen Notlage aus dem Breisgau-Walzwerk wieder ausstieg und seine Anteile an die AWAG verkaufte, zog Tscheulin es erneut vor, eigene Wege zu gehen: Er veräußerte seine eigenen Anteile an die AWAG und gründete zusammen mit Wilhelm Ingold im Dezember 1926 die Aluminiumwerke Tscheulin GmbH, die sich zur Einhaltung einer mit der AWAG vereinbarten Friedenspflicht zunächst im württembergischen Deisslingen direkt hinter der Grenze zu Baden ansiedelte. Unmittelbar nach Ablauf der zweijährigen Friedenspflicht zog das Aluminiumwerk Tscheulin 1929 wieder in die Heimat zurück, wo Tscheulin im damals noch eigenständigen Nachbarort Köndringen ein nach den neuesten fertigungstechnischen Kenntnissen aufgebautes Werk errichtete.
Dank des schon in Deisslingen erfolgten Einstiegs in die Herstellung von Kondensatorenfolie für die Elektroindustrie, des weiteren Ausbaus der Folienveredlung und der überlegenen, weltweit geschätzten Qualität der „Tscheulin-Folie“ vermochte die Firma, die im Jahr 1932 bereits 450 Mitarbeiter zählte und fast die Hälfte ihres Umsatzes über den Export erzielte, ihren Kundenstamm im In- und Ausland weiter auszubauen. Zur Steigerung des Umsatzes trug ferner die Schaffung vertikaler Verbünde durch die von Tscheulin persönlich forcierte Ansiedlung der Frankfurter Kondensatorenfabrik, FRAKO, in Köndringen 1932 bei, die zu einem der wichtigsten Abnehmer der Tscheulin-Folie wurde.
So erfolgreich Tscheulin als Unternehmer agierte, so unrühmlich ist seine politische Rolle als wichtiger lokaler und regionaler Förderer des Nationalsozialismus. Spätestens Anfang 1930 bekannte sich der zunächst der DNVP nahestehende Tscheulin als einer von nur wenigen badischen Industriellen noch vor der „Machtübernahme“ zum Nationalsozialismus und initiierte noch vor seinem Parteieintritt den Aufbau der Teninger Ortsgruppe der NSDAP. Entgegen einer eidesstattlichen Erklärung vom April 1947, wonach er niemals Subventionen oder Geldzuschüsse an die Partei, ihre Gliederungen oder Formationen gezahlt habe, förderte er auch die Teninger SA in vielfältigster Weise, indem er z.B. deren Materialkosten übernahm und ihr Räumlichkeiten und Personal seines Werkes zur Verfügung stellte. Ebenso ließ Tscheulin in seiner Fabrik Fahnenstangen und Totschläger für die örtliche SA produzieren und befreite seinen Werkmeister Wilhelm Heß, der auf sein Betreiben bereits zum Ortsgruppenleiter der NSDAP berufen worden war, nach dessen Ernennung zum SA-Sturmbannführer für die Bezirke Emmendingen und Waldkirch im Februar 1932 weitgehend von der Arbeit im Werk. Daneben besorgte Tscheulin sogar Waffen für die „Bewegung“ und beteiligte sich an der „Schlacht an der Elzbrücke“ im August 1932, als Teninger SA-Männer Angehörige des Emmendinger Reichsbanners zum Teil schwer verletzten.
Mangels Selbstzeugnissen lassen sich die Gründe für Tscheulins Hinwendung zum Nationalsozialismus nicht zweifelsfrei rekonstruieren, doch dürfte der mit einer großen Revolutionsfurcht einhergehende, entschiedene Antikommunismus von Tscheulin ebenso dazu beigetragen haben wie das Wirtschafts- und Sozialmodell des Nationalsozialismus. Dessen sozialdarwinistische Heroisierung des individuellen Leistungsvermögens und Akzentuierung der Autonomie des „Betriebsführers“ bei gleichzeitiger Betonung der patriarchalisch-paternalistischen Verantwortung des Unternehmers für das Wohlergehen seiner Arbeiter war Tscheulin, der einerseits aus bescheidenen Verhältnissen stammte und sich dem sozialen Gedanken verpflichtet fühlte, andererseits aber äußerst ehrgeizig sowie aufstiegs- und leistungsorientiert war, wie auf den Leib geschneidert. Ein weiteres Motiv für Tscheulin, der von einem emphatischen Verhältnis zur alemannischen Heimat getragen war und das Elsass stets als „natürlichen“ Teil derselben betrachtete, dürfte die Heimatverherrlichung der Nationalsozialisten und die Aussicht auf eine mögliche Rückkehr des Elsass ins Reichsgebiet im Fall einer nationalsozialistischen Machtübernahme gewesen sein. Eine anonyme Flugschrift aus dem Firmenarchiv des ehemaligen Aluminiumwerks Tscheulin deutet zudem darauf hin, dass er in den von der Weimarer Reichsregierung maßgeblich beförderten Kartellisierungs- und Schutzzolltendenzen innerhalb der deutschen Aluminiumindustrie, die Tscheulin als Besitzer einer technologisch überlegenen und auch international äußerst wettbewerbsfähigen Aluminiumfolienfabrik dezidiert verurteilte, ein Symbol für die aus seiner Sicht gefährlichen gemeinwirtschaftlichen Bestrebungen seiner Zeit erblickte und die Weimarer Republik aus diesem Grund als Verkörperung angeblich „marxistischer“ Ziele und Praktiken ablehnte.
Die „Machtergreifung“ bedeutete auch einen persönlichen Karrieresprung. Am 1. Juli 1933 wurde Tscheulin im Zuge der Gleichschaltung und Zentralisierung des badischen Kammerwesens zum Präsidenten der Außenstelle Freiburg der Badischen Industrie- und Handelskammer Karlsruhe ernannt, nachdem der bisherige Präsident, Erich Schuster, aus Protest gegen die Schaffung einer badischen Einheitskammer zurückgetreten war. In seinem Amt als IHK-Präsident versuchte Tscheulin den Spagat zwischen pragmatischer Bewahrung der Eigenständigkeit der Kammern gegenüber Staat und Partei bei gleichzeitiger Ausrichtung der Kammertätigkeit an den Zielen des NS-Regimes. Einerseits bewahrte Tscheulin die Freiburger Kammer vor ideologisch motivierten Säuberungen von sachkompetentem Fachpersonal, stellte etwa den zentrumsnahen Ökonomen Eduard Lais wegen dessen fachlichen Qualitäten trotz Bedenken der Partei 1936 als Kammermitarbeiter ein und protegierte Geschäftsführer Dr. Franz Kaiser gegenüber der NSDAP, die ihn trotz seines Parteieintritts als politisch unzuverlässig betrachtete und auf seine Entlassung hinwirkte. Tscheulin wehrte auch Versuche der Parteigliederungen der mittleren Ebene ab, die Tätigkeit der Kammern zu überwachen, und beklagte in einem Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium vom 18. Juli 1940, den wachsenden Dirigismus und die zunehmende Überschneidung der Zuständigkeiten im Zuge der Umstellung des Wirtschaftssystems auf eine staatlich gelenkte Rüstungswirtschaft. Demgegenüber forderte er eine stärkere Selbstverwaltung der Privatwirtschaft mittels der Kammern, die eine größere Sachkompetenz und Problemnähe auszeichnen würde. Mit dieser Kritik stellte Tscheulin andererseits nie die Legitimität der NS-Diktatur und ihre ideologischen Ziele in Frage. Er wollte lediglich die deutsche Rüstungs- und Kriegswirtschaft vor allzu doktrinären und kontraproduktiven Maßnahmen des NS-Regimes schützen; am NS-Regime hielt er – zumindest nach außen hin – bis zu dessen Sturz fest. So betonte er in einer Rede vor dem Beirat der IHK Freiburg am 6. Mai 1941, in der er auch die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Erfolge des Regimes feierte, dass die Wirtschaft „kein Sonderleben führen“ dürfe und die „NS-Weltanschauung oberste Richtschnur“ des Handelns der Kammern sein müsse (Gilson 2013, S. 50). Das zeigt sich auch bei der „Arisierung“, bei der die Kammern wichtige quasi-hoheitliche Aufgaben übernahmen. Obwohl kein fanatischer Antisemit, war Tscheulin als Präsident der IHK Freiburg an der Enteignung jüdischer Betriebe beteiligt. Dabei nutzte er seinen Handlungsspielraum auch zugunsten privater Interessen: Im September 1938 wirkte Tscheulin darauf hin, dass der Antrag des jüdischen Aluminiumwollfabrikaten Hugo Weil (1893–1945) aus Lahr auf eine Ausnahmegenehmigung zur Fortführung seines exportstarken Unternehmens, die er mit der außerordentlichen außenwirtschaftlichen und devisenpolitischen Bedeutung begründete, von der Stadt Lahr abgelehnt wurde. Das Metallwerk Oscar Weil wurde von seinem Schwiegersohn, Gauwirtschaftsberater Clemens Kentrup (1897–1945), erworben, den Tscheulin bereits am 1. Juni 1937 zum Direktor des Aluminiumwerks Tscheulin ernannt hatte, nachdem dieser im Zuge der Neuordnung des deutschen und badischen Kammerwesens im März 1935 seinen Posten als Präsident der Badischen IHK verloren hatte. Gewiss unterstützte Tscheulin seinen Schwiegersohn auch finanziell beim Erwerb des arisierten Betriebes. Zudem profitierte die IHK Freiburg von einem Erwerb eines Wohnhauses aus jüdischem Besitz in der Freiburger Innenstadt, das die IHK sehr günstig erwarb.
Ganz auf Parteilinie lag Tscheulin auch mit seiner Ende 1941 erhobenen Forderung, jugendliche Arbeiter, die in ihren Betrieben gegen die Arbeitsdisziplin verstießen, in die speziell für Jugendliche eingerichteten Arbeitslager der SS einzuweisen. Seiner Loyalität gegenüber dem Regime hatte es Tscheulin ferner zu verdanken, dass er im Juli 1938 zum „Wehrwirtschaftsführer“ ernannt wurde, ein Titel, der zu diesem Zeitpunkt nur überzeugten Nationalsozialisten verliehen wurde. Ebenso wurde Tscheulin 1940 zum Präsident der Industrie- und Handelskammern von Mulhouse (bis 1942) und Colmar (bis 1943) berufen, wo er zwar die Interessen der elsässischen Betriebe gegenüber der Reichsregierung in der Frage eines fairen Franc-Umtauschkurses verteidigte, aber seine grundsätzliche Regimetreue nie aufgab.
Ungeachtet seines persönlichen Aufstiegs zu einem der führenden badischen Wirtschaftsfunktionäre des „Dritten Reiches“ war der weitere wirtschaftliche Erfolg seines Unternehmens nach 1933 nicht zuerst durch seine Nähe zum Regime bedingt. Er musste sogar aus der von ihm zusammen mit französischen Gesellschaftern im Dezember 1932 gegründeten Société Alsacienne d’aluminium in Schlettstadt, die eine Expansion seines Unternehmens ins Ausland einleiten sollte, nach dem 30. Januar 1933 wieder ausscheiden. Desgleichen scheiterte die von Tscheulin im Jahr 1933 geplante Errichtung eines Rohaluminiumwerks als Schritt in Richtung eines vertikal integrierten südbadischen Aluminiumkonzerns am Veto des Reichswirtschaftsministeriums, das in diesen Plänen eine unliebsame Konkurrenz für die weitgehend staatlich dominierte deutsche Aluminiumindustrie erblickte. Ohnehin lief die NS-Rüstungs- und Autarkiepolitik langfristig den Interessen des exportstarken und auf die Belieferung von Konsumgüterherstellern spezialisierten Aluminiumwerks zuwider. Noch 1938 erzielte das Unternehmen nahezu die Hälfte seines Umsatzes im Export. Ob Tscheulin diesen Widerspruch je wahrgenommen hat oder vielleicht darauf spekulierte, als NS-Unternehmer von der territorialen Ausdehnung eines zukünftigen „großdeutschen“ Reiches und den sich daraus ergebenden Expansionschancen besonders zu profitieren, muss mangels Belegen hypothetisch bleiben.
Der weitere Aufstieg des Unternehmens bis zum Ausbruch des II. Weltkrieges war vor allem unternehmensinternen Faktoren zu verdanken. Die Zahl der Mitarbeiter verdoppelte sich auf 830 Beschäftigte, für die Tscheulin im Jahr 1939 eine eigene Unterstützungskasse einrichtete. Dazu trugen die Entwicklung einer neuartigen Folie für Käseverpackungen und der Erwerb einer Lizenz zur exklusiven Herstellung von Schmuckkapseln aus Aluminium für den deutschen Markt ebenso bei wie die allgemeine konjunkturelle Belebung nach Überwindung der Weltwirtschaftskrise und die ungebrochene Beliebtheit der „Tscheulin-Folie“ bei den zahlreichen ausländischen Kunden. Im Krieg konnte Tscheulin den Wegfall der Export- und Konsumgütermärkte teilweise durch die Produktion von Kondensatorenfolie für Panzer, U-Boote und Flugzeuge kompensieren. Hier deckte das Aluminiumwerk Tscheulin zeitweise bis zu 80 Prozent des deutschen Rüstungsbedarfs ab. Wie die große Mehrzahl der deutschen Unternehmen vermochte Tscheulin die Produktion nur durch Einsatz von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern aufrechtzuerhalten, die 1944 mit 140 Arbeitern ca. ein Viertel der Belegschaft stellten. Über deren Behandlung, Unterbringung und Versorgung können mangels Quellen keine gesicherten Aussagen gemacht werden. Frühere Annahmen, wonach die Zwangsarbeiter gegenüber der Stammbelegschaft erhebliche Mehrarbeit hätten leisten müssen, haben neuere Forschungen als unhaltbar erwiesen und französische Kriegsgefangene bezeugten nach dem Krieg ihre korrekte Behandlung.
Nach der französischen Besetzung des Aluminiumwerks am 22. April 1945 wurde der „Wehrwirtschaftsführer“ und Präsident der IHK Freiburg verhaftet und in das Gefängnis von Offenburg überführt, Mitte Oktober dann in das Internierungslager für führende Nationalsozialisten in Freiburg-Betzenhausen eingewiesen. Gleichzeitig stellten die Alliierten sein Vermögen unter die Kontrolle der französischen Militärregierung und ließen das Aluminiumwerk ab August 1946 demontieren, welches als Reparationsgut in die USA verschifft wurde. Tscheulin blieb bis zum 15. Dezember 1948 in Internierungshaft. In familieninternen Briefen angedeutete Versuche Tscheulins blieben erfolglos, den Franzosen beim Aufbau einer modernen Aluminiumindustrie zu helfen und im Gegenzug eine frühere Haftentlassung zu erreichen. Erfolgreicher war Tscheulin mit seinem Versuch, das am 5. März 1947 ergangene Urteil im Verfahren zur politischen Säuberung der Wirtschaft, das ihn als „Prototyp des NS-Industriellen“ bezeichnet und ihm jegliche zukünftige unternehmerische Tätigkeit untersagt hatte, zugunsten einer milderen Beurteilung zu revidieren: Typisch für die Zeit erreichte Tscheulin im endgültigen Entnazifizierungsverfahren am 7. November 1949, dass er als „minderbelastet“ eingestuft wurde und nur 5000 DM zahlen musste.
Wieder in Freiheit, widmete sich Tscheulin zusammen mit seinem Kogesellschafter Wilhelm Ingold ganz dem Wiederaufbau seines Aluminiumwerks: Im Herbst 1949 begann das Werk mit der Herstellung von Aluminiumtuben und -kapseln, im Juli 1950 lief die Folienproduktion wieder an. Gleichzeitig wurde mit den Planungen für ein neues Bänderwalzwerk in Köndringen begonnen, dessen Richtfest am 8. August 1951 stattfand. Das Anlaufen der Bänderproduktion erlebte Tscheulin jedoch nicht mehr mit: Am 17. Oktober 1951 erlag der durch die lange Internierungshaft gesundheitlich angeschlagene Tscheulin den Folgen eines Schlaganfalls.
In den Folgejahren wurde an Tscheulin vor allem als erfolgreicher regionaler Unternehmer gedacht, so in einer Ehrentafel an der Kirche von Teningen-Köndringen aus dem Jahr 1954. Eine kritische Auseinandersetzung seiner NS-Vergangenheit unterblieb lange Zeit. Doch ungeachtet dessen, dass Tscheulin zahlreiche südbadische und elsässische Personen und Firmen vor dem ideologischen Übereifer besonders fanatischer Nationalsozialisten schützte, waren es Leute wie er, die mit ihrem Geld und ihrer Mitarbeit als fachkompetente Wirtschaftsfunktionäre maßgeblich den Aufstieg und die Funktion eines braunen Regimes ermöglichten, dem gegenüber er bis zu dessen Ende die Treue bewahrte. Erst seit Anfang 2015 erinnert eine Ergänzungstafel an der Köndringer Kirche an seine Rolle als wichtiger lokaler Unterstützer des Nationalsozialismus. Das große Gemälde im Teninger Rathaus dagegen überdauerte unkommentiert.
Quellen: Firmenakten Tscheulin-Rothal GmbH, Teningen; BA Koblenz, R 11 u. R 3101, Reichswirtschaftskammer, Reichswirtschaftsministerium; BA-MA RW 19, RW 20-5, RW 21-21, Rüstungsproduktion im 2. Weltkrieg; UAF B1, Nr. 171, 172, Lebenslauf Tscheulin, Ernennung zum Ehrensenator; WABW Y 62, Präsidentschaft Tscheulin IHK Freiburg; Familiennachlass, insbes. sogenannte Sammlung Zipfel, Entnazifizierung.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (undatiert) im Rathaus Teningen, Erdgeschoss; Gruppenfoto einer IHK-Vollversammlung 1935, reprod. in: Peter 1998, 151 u. Neisen 2014, 23 u. 31 (vgl. Literatur).

Literatur: Gerhard A. Auer, Geschichte der Stadt Emmendingen Bd. 2, Vom Anfang des 19. Jh.s bis 1945, 2011; Norbert Gilson, Emil Tscheulin Die Biografie, unveröff. Ms., 2013; Robert Neisen, Von d. Aluminium- Folien-Fabrik zur Tscheulin-Rothal GmbH. 100 Jahre Aluminiumfolien aus Teningen, 2014; Roland Peter, Rüstungspolitik in Baden. Kriegswirtschaft u. Arbeitseinsatz in einer Grenzregion im II. Weltkrieg, München 1995; ders., Die Kammern unterm Hakenkreuz, in: Bernd Boll u. Ursula Huggle (Hgg.), Die Industrie- u. Handelskammer Südlicher Oberrhein. Geschichte u. Wirkungsfeld d. Kammern Freiburg u. Lahr, 1998, 139-174; Norbert Ohler, Die Gemeinden im 19. u. 20. Jh., in: Peter Schmidt (Hg.), Teningen. Ein Heimatbuch, 1990, 337-466; ders.: Die Geschichte d. Ortsgruppe Teningen d. NSDAP. Ein bemerkenswertes Dokument, in: Die Pforte, Arbeitsgemeinschaft für Geschichte u. Landeskunde in Kenzingen e.V. 28/29, 2008/2009, 112-136.
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