Wigand, Arpad Jakob Valentin 

Geburtsdatum/-ort: 13.01.1906;  Mannheim
Sterbedatum/-ort: 26.07.1983;  Mannheim
Beruf/Funktion:
  • SS-Oberführer
Kurzbiografie: 1912–1914 Umzug d. Familie von Mannheim nach Köln, 1914 nach Düsseldorf
1921 Abschluss d. Volks- u. Mittelschule in Düsseldorf
1921–1925 Lehre; Angestellter bei d. Dt. Reichsbahn
1925 Eintritt in die Reichsmarine
1926 Eintritt in die SA u. NSDAP, Mitglied Nr. 30 682
1926–1931 Beschäftigung bei d. Drahtverband GmbH, Düsseldorf
1930 Übertritt zur SS (Mitglied Nr. 2999);
1932 Hauptsturmführer, 1933 Sturmbann-,
1934 Obersturmbannführer, 1936 Standartenführer,
1937 Oberführer
1937 Inspekteur d. Sicherheitspolizei u. des SD Breslau
1938 Leiter des SS-Oberabschnitts Südost Breslau
1941 SS- u. Polizeiführer Warschau
1944 Hauptsturmführer d. Res. d. Waffen-SS; Kdr. des III. SS-Freiwilligen-Gebirgsjäger-Regiments 13
1945–1947 britische Gefangenschaft
1947–1956 Anklage u. Haftstrafe in Polen
1957–1971 Angestellter bei d. Stadt Mannheim
1981 Anklage vor dem Landgericht Hamburg
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk., später „gottgläubig“
Auszeichnungen: Ehrungen (Auswahl): Goldenes Parteiabzeichen d. NSDAP (1936); SS-Totenkopfring (1937); Kriegsverdienstkreuz II. Klasse (1942); Inf. Sturmabzeichen in Silber (1943); Kroat. Eisernes Dreiblatt mit Eichenlaub IV. Klasse u. EK I u. SS-Ehrendegen (1944)
Verheiratet: 1933 (Mannheim) Emma, geb. Mai (1905–1988)
Eltern: Vater: Jakob Franz (1861–1911), Eisenbahnoberassistent
Mutter: Anna Maria, geb. Cornelius (1877–1934)
Geschwister: 3
Kinder: 3;
Hans (1934–1998),
Eckehardt (1937–2004),
Dieter (geboren 1940)
GND-ID: GND/1135696209

Biografie: Karl-Heinz Schwarz-Pich/Denis Gemming/Gerhard Wenzl (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 509-511

Bis zu seinem 6. Lebensjahr in Mannheim aufgewachsen, zog Wigand mit seiner Familie 1912 nach Köln. Dort besuchte er ab 1913 die Volks- und Mittelschule, bis die Familie 1914 nach Düsseldorf umzog.
Der eigentliche Wunsch Wigands war eine soldatische Ausbildung, jedoch begann er 1921 auf Betreiben der Mutter eine dreijährige Lehre im Bereich Güter- und Personenbeförderung der Reichsbahn und besuchte gleichzeitig die Eisenbahnfachschule in Wuppertal. Die Deutsche Reichsbahn übernahm ihn als Betriebsassistenten. 1925 kündigte Wigand, weil er keine Aufstiegschancen für sich sah, und trat am 1. Oktober in Kiel in die Reichsmarine ein. Nach einem Sportunfall im Jahr darauf quittierte er den Dienst. Er fand eine Anstellung als „Tarifeur“ bei der Drahtverband GmbH in Düsseldorf, wobei es seine Aufgabe war, anhand der geltenden Festpreise zuzüglich der angefallenen Frachtkosten die Endpreise festzulegen. 1926 trat der 20-jährige der SA bei und wurde wenige Monate später auch Mitglied der NSDAP. Im Rang eines SA-Sturmführers war Wigand verantwortlich für den Saalschutz bei Parteiversammlungen. Am 1.August 1930 wurde er samt dem ihm unterstellten SA-Sturm in die SS eingegliedert. Seinen Rang als Sturmführer sollte er innerhalb der SS behalten. Im Zuge der Neustrukturierung der SS-Ränge bis 1935 wurde sein Rang rückwirkend zum Untersturmführer geändert. Der frühe Eintritt in die NSDAP und vor allem die Überführung zur SS sicherten Wigand niedrige Partei- sowie SS-Mitgliedsnummern, welche ihn als „alten Kämpfer“ auswiesen und seine Karrierechancen signifikant verbesserten. Eine frühe Identifikation mit dem NS-Programm darf angenommen werden.
Nach der Kündigung bei der Drahtverband GmbH folgte Wigand am 17.August 1931 dem Angebot der SS und war nun hauptamtlich zunächst Adjutant und Schreiber bei der 20. SS-Standarte in Düsseldorf tätig. Am 9. November 1932 wurde Wigand zum SS-Hauptsturmführer befördert und übernahm bis 20. Juli 1934 den Posten des Stabsführers im SS-Abschnitt XI in Frankfurt am Main und Wiesbaden. In dieser Zeit erfolgten die Beförderungen zum SS-Sturmbannführer, dann zum SS-Obersturmbannführer. Seine Tätigkeiten im Stab der SS-Standarte garantierten ihm Kontakte zu höheren SS-Funktionären, was zusammen mit seinem weltanschaulichen Engagement sein schnelles Vorankommen in der SS ermöglichte. Vom 22. Juli 1934 an gehörte Wigand der kasernierten „Politischen Bereitschaft“ in München an und seit dem 15. Februar 1935 führte er einen SS-Sturmbann in Bayern, vom 15. März 1935 bis zum 1. Juli 1936 dann die 70. SS Standarte in Glogau, Niederschlesien. Hier wurde er am 19. September zum SS Standartenführer befördert. Bis Herbst 1937 führte Wigand die 16. SS-Standarte „Unterelbe“ in Breslau. Am 1. Oktober 1937 wurde Wigand als SD Oberabschnittsleiter ins SD-Hauptamt nach Berlin versetzt. Ab 1. September 1937 Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD in Breslau wurde er nach seiner Beförderung zum SS Oberführer am 20. April 1938 Leiter des SS Oberabschnitts Südost Breslau. In seiner Funktion als Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD nahm er am 30. Januar 1940 an einer Besprechung im Reichssicherheitshauptamt über Umsiedlungsfragen teil und wirkte im Februar 1940 bei der Entscheidung über den Standort des Konzentrationslagers Auschwitz mit.
Nach Kriegsausbruch von der SS zum Heer beurlaubt rückte Wigand noch 1939 in Liegnitz in die Führerreserve ein, kam jedoch während des Polenfeldzugs nicht zum Einsatz. Am Frankreichfeldzug 1940 nahm er im Mittelabschnitt als Kompanieführer teil. Dann wurde er nach Tschenstochau in Schlesien verlegt und schließlich zum Ersatzbataillon Deutschland in Prag entlassen. Hier erreichte ihn im Juli 1941 die Ernennung zum SS- und Polizeiführer von Warschau. Am 16. Oktober 1941 referierte Wigand in der Regierungssitzung des Generalgouvernements Polen über die Zustände im Warschauer Ghetto. Er vertrat die Ansicht, dass von den Juden dort angesichts mangelhafter Ernährung kein Widerstand zu erwarten sei. Ungeachtet der Tatsache, dass ab Mitte Mai 1941 im Ghetto produktive Ausbeutung der Juden an die Stelle ihrer „Vernichtung durch Hunger“ trat, war die Zahl dort verhungerter Juden auch danach immens hoch. Wigands Tätigkeiten beschränkten sich hierbei nicht auf die sicherheitspolitische Verwaltung. Es war auch seine Aufgabe, die zahlreichen Fluchtversuche der Ghettoinhaftierten zu unterbinden, wobei es zu mehrfachen Tötungen in seinem Verantwortungsbereich kam. 1942 beauftragte Wigand den Kommandanten des Arbeitslagers Treblinka 1, SS Sturmbannführer Theodor van Eupen, mit den Bauarbeiten für das von Heinrich Himmler angeordnete Vernichtungslager Treblinka 2. Auf eine Nachfrage des „Reichsarztes-SS und Polizei“, Ernst-Robert Grawitz, nach dem alten jüdischen Gold aus Warschau schrieb Wigand am 8. Mai 1942, dass er Himmler fragen möge.
Auf Anordnung Himmlers übernahm ab April 1943 SS-Brigadeführer Ferdinand von Sammern-Frankenegg Wigands Posten als SS- und Polizeiführer Warschaus. Offenbar hatte Wigand nicht mehr die notwendigen Voraussetzungen erfüllt; denn nachdem die „Endlösung der Judenfrage“ im Januar 1942 beschlossen worden war und die Wende im Winter 1942/43 die Kriegssituation verschärfte, benötigte der Reichsführer SS anpassungsfähigere Gefolgsleute. Die Situation Wigands beschrieb der Oberstaatsanwalt Adalbert Rückerl, welcher von 1966 bis 1984 Leiter der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung von NS-Verbrechen“ in Ludwigsburg war, in seinen 1977 veröffentlichten Untersuchungen wie folgt: „Die SS- und Polizeiführer, die als zu weich galten, waren zu Beginn der Maßnahmen zur „Endlösung der Judenfrage“ im Gouvernement abgelöst. Es handelt sich um SS Oberführer Schweder (Krakau), Wigand (Warschau) und Oberg (Galizien).“ Wigand galt für die beschleunigte Umsetzung der Endlösung aufgrund seiner persönlichen Einstellung in dieser Position nicht mehr als hinreichend. Das Urteil, Wigand sei nicht in der Lage, die neuen Aufgaben im Sinne der SS umzusetzen, spiegelt sich auch in seiner weiteren Laufbahn. Bis zum Kriegsende wurde er in der SS nicht mehr befördert. Sein Dienst geschah nun in den Reihen der Waffen-SS.
Wigand tat bereits ab September 1942 in der 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division „Prinz Eugen“ zunächst als Zugführer verschiedener Einheiten Dienst, dann ab Frühjahr 1943 als Adjutant, zuletzt als Kommandeur des III. SS-Freiwilligen-Gebirgsjäger-Regiments 13 „Arthur Phelps“ im Rang eines SS-Hauptsturmführers der Reserve der Waffen-SS.
Am 9. Mai 1945 geriet Wigand in Kärnten in britische Kriegsgefangenschaft. Wegen seiner Verantwortung für die Vorfälle in Warschau wurde er 1947 an Polen ausgeliefert und vor Gericht gestellt. Ein Appellationsgericht in Warschau verurteilte Wigand am 25. April 1950 wegen Verbrechen gegen das polnische Volk zunächst zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Revisionsanträge der Anklage und der Verteidigung führten zu einer Milderung der Gesamtstrafe auf 15 Jahre, dann aufgrund des Amnestiegesetzes vom 27. April 1956 auf 10 Jahre. Wigand wurde daraufhin vorzeitig entlassen. Im Juni 1956 erreichte der „Spätheimkehrer“ seine in Mannheim-Gartenstadt wohnende Familie. Er erhielt am 31. Mai 1957 eine Aushilfsstelle in der Stadthauptkasse Mannheim. Ab Oktober 1957 bis zu seiner Verrentung Ende Januar 1971 arbeitete er als Angestellter in der Hauptkanzlei.
Nach einer Anzeige eines Arbeitskollegen ermittelte die Staatsanwaltschaft Mannheim im Februar 1961 erneut gegen den ehemaligen SS Oberführer, die Untersuchung wurde jedoch im Oktober wegen Verjährung eingestellt. Anfang der 1980er-Jahre ermittelte die Hamburger Staatsanwaltschaft aufgrund neuer Beweise gegen Wigand. Am 16. Januar 1981 begann die Hauptverhandlung. Das Urteil wegen „Beihilfe zum Mord in mehr als 100 Fällen“ wurde am 7. Dezember 1981 vom Landgericht Hamburg gefällt, Wigand als „NS-Gehilfe“ zu einer Gesamtstrafe von zwölfeinhalb Jahren unter Berücksichtigung der bereits verbüßten Strafe verurteilt und ohne Haftantritt entlassen. Die Tatsache, dass sich Wigand von Jürgen Rieger, einem bekannten Rechtsanwalt mit rechtspopulistischer Orientierung, vertreten ließ, deutet auf weiter fehlende Distanz zur NS-Weltanschauung. Die Revision beider Seiten wurde im April 1983 zurückgewiesen. Vier Monate später starb Wigand im Alter von 76 Jahren.
Quellen: BA Berlin VBS 1/1200015942 u. VBS 286/6400049754; BA Ludwigsburg B 162/14639, Urteil LG Hamburg, B 162/21387, Akten Appellationsgericht Warschau, B 162/6258 u. B 162/6259, Anlage Staatsanwaltschaft; StadtA Mannheim, StadtA Düsseldorf u. StadtA Köln, Melderegister; StadtA Mannheim, Personalamt Zugang 13/1972 Archivnr. 6694, Personalakte u. Kopien d. Anklageschrift, Eröffnungsbeschluss u. Urteil des Landgerichts Hamburg; Friedmann Towiah (Hg.), Die sechs SS- u. Polizeiführer in Warschau. Dokumentensammlung, 1993.
Nachweis: Bildnachweise: StadtA Mannheim, Personalamt Zugang 13/1972 Archivnr. 6694; Towiah (Hg.), 1993, o. S.

Literatur: Das Dritte Reich u. seine Vollstrecker, 1961, 87 u. 362; Werner Präg u. Wolfgang Jacobmeyer, Alwin Ramme, Der Sicherheitsdienst d. SS, 1969, 206; Das Diensttagebuch des dt. Generalgouverneurs in Polen 1939–1945, 1975, 422-425; Adalbert Rückerl (Hg.), NS-Vernichtungslager im Spiegel dt. Strafprozesse, 1977, 49; Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, 1977, 677; Immanuel Geiss u. Wolfgang Jacobmeyer, Dt. Politik in Polen. Aus dem Diensttagebuch von Hans Frank, Generalgouverneur, 1980, 106-108; Josef Wulf, Morgen neuer NS-Prozeß: Die Anklage lautet auf Mord, in: Hamburger Abendblatt vom 24.3.1981, 7; Die Anklage: Er ließ gnadenlos erschießen, ebd. vom 5.12.1981, 8; Urteil im NS-Prozeß, ebd. vom 8.12.1981, 1; Getreuer Diener eines Verbrecher-Regimes, ebd. vom 8.12.1981, 5; Urteil im NS-Prozeß, ebd. vom 9.12.1981, 1; Den Schießbefehl durchgesetzt, Mannheimer Morgen vom 8.12.1981, 10; Christian Zentner, Das große Lexikon des Dritten Reichs, 1985; Raul Hilberg (Hg.), The destruction of the European Jews, Bd. 3, 1985, 1015; Jennifer Terry u. Jaqueline Urla, Deviant Bodies, 1995, 179; Staatl. Museum Auschwitz-Birkenau (Hg.), Auschwitz in den Augen d. SS, 1998, 244-245; Dieter Schenk, Hans Frank, 2006, 425; Wolfgang Benz/ Barbara Distel (Hgg.), Der Ort des Terrors, Bd. 5, 2007; Wolfgang Curilla, Der Judenmord in Polen u. die Dt. Ordnungspolizei, 2011, 66, 536, 859.
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