Beyerle, Franz Nikolaus Sales 

Geburtsdatum/-ort: 30.01.1885;  Konstanz
Sterbedatum/-ort: 22.10.1977;  Wangen am Bodensee
Beruf/Funktion:
  • Rechtshistoriker
Kurzbiografie: 1903 Reifeprüfung Baden-Baden
1903/04-1905 Studium in Breslau
1905/06-1906/07 Studium in Göttingen
1907 Erstes Juristisches Staatsexamen
1910 Promotion in Göttingen
1911 Zweites Juristisches Staatsexamen
1911-1912 Badischer Gerichtsassessor, 1912 beurlaubt zur Anfertigung einer Habilitationsschrift
1913 Habilitation in Jena
1915/16 Wehrdienst, schwere Verwundung
1917 außerordentlicher außerplanmäßiger Professor in Jena
1918 Ordentlicher Professor in Basel
1929 Ordentlicher Professor in Greifswald
1930 Ordentlicher Professor in Frankfurt am Main
1934 Ordentlicher Professor in Leipzig, Mitglied der Akademie für Deutsches Recht
1938 Ordentlicher Professor in Freiburg
1953 emeritiert
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch, ab 1903 konfessionslos
Verheiratet: 1928 Erika Maria, geb. Joswich
Eltern: Vater: Karl Beyerle (1839-1915), Rechtsanwalt
Mutter: Clara, geb. Eggler
Geschwister: Conrad Anton (1872-1933)
Hubert Gebhard (1878)
Karl Josef (1881)
Anna Maria (1882)
Kinder: Burkhard Otto (1930)
Hatto Kurt (1933)
Trutz
GND-ID: GND/116159901

Biografie: Bernhard Diestelkamp (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 21-23

Beyerle entstammte einer strenggläubigen katholischen Familie, die ihn zur gymnasialen Ausbildung zu den Benediktinern nach Seckau in der Steiermark schickte, wo er auch in den Orden eintreten sollte. Doch machte der aufgeweckte Junge dort eine unvorhersehbare Entwicklung durch. Mit 18 Jahren verließ er Seckau und trat zugleich aus der Kirche aus. Fortan bezeichnete er sich nicht nur privat, sondern auch in amtlichen Schriftstücken als „(germanischer) Heide“. Im selben Jahr legte er als Externer in Baden-Baden die Reifeprüfung ab. Für den jungen Beyerle stand keineswegs fest, daß er sich der Rechtswissenschaft widmen würde. Vielmehr begann er sein Studium in Breslau zunächst mit Philosophie, Psychologie und Nationalökonomie, womit die auch weiterhin für ihn charakteristische Weite seiner geistigen Interessen gekennzeichnet ist. Doch schließlich ließ er sich doch auf die Jurisprudenz ein. Daß er trotz des Bruchs mit der Kirche seiner Familie weiter verbunden blieb, erweist sich daran, daß er nach vier Semestern in Breslau nach Göttingen überwechselte, wo sein sehr viel älterer Bruder Konrad schon als Professor wirkte. Dort wurde auch seine Liebe zur Rechtsgeschichte geweckt, die schließlich zur Promotion im Jahre 1910 bei Ferdinand Frenssdorff führte, dem berühmten niederdeutschen Stadtrechtshistoriker. In seiner Dissertation „Untersuchungen zur Geschichte der älteren Stadtrechte von Freiburg i. Br. und Villingen a. Schw.“ erarbeitete Beyerle die Grundlage für alle späteren Überlegungen zum ältesten Freiburger Stadtrecht. Er bewies dabei eine große Methodensicherheit. Der Gedankenreichtum dieser Erstlingsarbeit läßt sich nicht besser charakterisieren als durch den Hinweis darauf, daß er hier den Gedanken äußerte, daß am Anfang der Stadtgründung eine Unternehmergilde gestanden habe. Fritz Rörig griff diese Idee später auf und baute sie am Beispiel Lübecks zur vieldiskutierten „Gründungsunternehmertheorie“ aus. Trotz dieses großen wissenschaftlichen Erfolges begann Beyerle nach dem zweiten Staatsexamen zunächst mit dem Justizdienst in Baden – und zwar am Landgerichtsgefängnis Mannheim, wo er Studien für eine Habilitation in Berlin betreiben wollte. Von dieser Absicht kam er jedoch ab und habilitierte sich im Frühjahr 1913 in Jena mit einer Arbeit über „Beweisverteilung im gerichtlichen Sühneverfahren der Volksrechte“, die das 3. Kapitel seiner großen Untersuchung über „Das Entwicklungsproblem im germanischen Rechtsgang“ war. Bei dieser Arbeit hatte Beyerle eine Quellengruppe für sich entdeckt, die ihn bis an sein Lebensende weiter beschäftigen sollte: die frühmittelalterlichen Volksrechte und andere fränkische Quellen. Zugleich hatte er endgültig den ihm bestimmten Berufsweg gefunden, den des Wissenschaftlers und Hochschullehrers. Beide Aufgaben hat er gleichermaßen geliebt und passioniert wahrgenommen. Doch der 1. Weltkrieg warf den jungen Gelehrten aus dieser Bahn. Er wurde Soldat und im September 1916 so schwer verwundet, daß eine dauernde Versteifung des rechten Beines zurückblieb. Nach Jena kehrte er als Rekonvaleszent zurück. Zum 1. Oktober 1918 erhielt er den ehrenvollen Ruf auf die Lehrkanzel von Andreas Heusler in Basel. Hier vollzog er die für seine weitere Entwicklung bedeutungsvolle Hinwendung zu Themen des Deutschen Privatrechts als Zugang zum besseren Verständnis eines nicht von der Pandektistik verformten Zivilrechtes. Den Auftakt machte er mit seiner Antrittsvorlesung von 1919 über das Thema „Der Ursprung der Bürgschaft. Ein Deutungsversuch vom germanischen Rechte her“, in der er anhand der mittelalterlichen Urkunden- und Notariatspraxis die Vielgestaltigkeit des mittelalterlichen Bürgschaftsrechts aufzeigte, dessen Fortentwicklung nur durch die Rezeption des gelehrten Rechtes verhindert wurde. Ebenso wurde Beyerle in Basel bekannt mit der Gedankenwelt des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, durch die er eine Zivilistik kennenlernte, die frei war von der methodischen Enge pandektistischer Begriffsjurisprudenz und offen für naturrechtliches Denken. Dies war der zweite Grundstein für Beyerles weiteres Bemühen um eine Privatrechtsreform in Deutschland unter Einbeziehung sozialer und wirtschaftlicher Momente. In diese Diskussion konnte er sich intensiver einschalten, nachdem er – nach einem kurzen Intermezzo in Greifswald – 1930 nach Frankfurt berufen worden war. Die Frankfurter Fakultät zeichnete sich durch besondere Liberalität und geistige Offenheit aus. Sehr schnell fand Beyerle Anschluß an den Kreis um den Kurator Curt Riezler, den Ethnologen Leo Frobenius und an den Begründer des modernen Arbeitsrechts Hugo Sinzheimer. Er selbst wurde bald Mittelpunkt einer Gruppe von Kollegen und begabten Schülern, in der nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Lebenskunst eine große Rolle spielte. Beyerle hat später die vier Frankfurter Jahre als seine glücklichsten bezeichnet, was allerdings kaum mehr für das letzte Jahr gelten kann. Die Vertreibung von Juden und politisch Mißliebigen durch das NS-Regime traf die Frankfurter Fakultät zutiefst. Zudem stellte es sich heraus, daß ein Kollege als besonders aktiver Nationalsozialist auch vor Maßnahmen gegen Kollegen und andere Universitätsangehörige nicht zurückschreckte. Beyerle stand den neuen Herren nicht ablehnend, aber distanziert gegenüber. Als äußerstes Zugeständnis trat er 1933 dem NS-Juristenbund bei. Andererseits glaubte er daran, daß nunmehr seine Reformvorstellungen in Richtung auf ein sozialeres Privatrecht Realisierungschancen hätten, weshalb er in seinen letzten Monaten in Frankfurt noch eine Arbeitsgemeinschaft – bestehend aus Kollegen, Assistenten und Studenten – bildete, in der diese Probleme heftig diskutiert wurden. Doch schließlich wurde die Atmosphäre so unerfreulich, daß er der unangenehm gewordenen Situation entfloh und den Ruf nach Leipzig annahm, zumal in diesen Monaten die Universität Frankfurt geschlossen werden sollte.
Schon in Frankfurt hatte Beyerle den Plan entwickelt, zentrale Quellen zur Privatrechtsgeschichte der frühen Neuzeit, die für die deutschrechtliche und naturrechtliche Tradition symptomatisch sind, wie die Stadtrechtsreformationen, die Landrechte der frühen Neuzeit, die Polizeiordnungen und Texte des Naturrechts neu zu edieren und damit wieder für die aktuelle Diskussion nutzbar zu machen. Obwohl dieses Projekt wissenschaftlich positiv begutachtet worden war, verweigerten die offiziellen Stellen die Druckmittel, so daß nur die Hilfe der Frankfurter Wissenschaftlichen Gesellschaft die ersten Bände zum Druck bringen half. Dies war insofern konsequent, als Beyerle für die damaligen Machthaber in der Tat äußerst unbequem war. Seine geistige Unabhängigkeit bewies er auch mit seinem Vortrag vor der Akademie für Deutsches Recht im Dezember 1938 über das Thema „Der andere Zugang zum Naturrecht“. Wieder ging es ihm um das Thema einer Reform des Privatrechts durch Befreiung von den Fesseln der Pandektistik. „Nach der Verkümmerung des einst im Volk lebendigen Rechtsbewußtseins durch die Rezeption setzt im Naturrecht jene Selbstbesinnung ein, welche dem überstarken Einfluß der antiken Rechtskunst gegenüber unsere Gleichgewichtslage wiederherstellt.“ Dies stimmt nur äußerlich überein mit der Ablehnung des Römischen Rechtes durch die Nationalsozialisten. In der Sache stand Beyerle dagegen mit seiner Berufung auf das historische Naturrecht gegen die offizielle Rechtspolitik der Zeit, wenn er sich davon die Begründung eines neuen Rechtsbewußtseins und einer neuen Rechtswissenschaft erhoffte.
Nach seiner Berufung nach Freiburg trat Beyerle in Kontakt mit dem Kreis der Neo- und Ordo-Liberalen um Walter Eucken. Davon legt Zeugnis ab seine Gedenkrede vom 24.5.1944 auf den diesem Kreis nahestehenden Juristen Großmann-Doerth. Noch einmal griff Beyerle mit großer Intensität in die Debatte um die Reform des Zivilrechts ein durch seine Abhandlung „Schuldenken und Gesetzeskunst“. Seine alte Vorstellung von der sozialen Ordnung eines Volkes mit ihrem sittlichen Gehalt als wesentlichem Teil seiner Kultur ließ ihn souverän Probleme der Gesetzessprache, der Lehre wie der Systemkritik abhandeln. Dies war gewissermaßen sein letztes Wort zu diesem Thema. Nach dem Kriege widmete er sich fast ausschließlich nur noch rechtshistorischen Problemen seiner alemannischen Heimat sowie den Volksrechten und anderen fränkischen Quellen.
Beyerle war nicht nur einer der führenden Rechtshistoriker seiner Zeit, sondern auch ein begnadeter akademischer Lehrer, aus dessen Schule eine Reihe prominenter Wissenschaftler hervorgegangen ist wie Alexander Beck, Albert Bruckner, Hans Oppikofer, Otto Prausnitz, Hans Thieme und Ernst Wolf. Sein Humor und seine lebhafte Art des Umgangs auch mit jungen Menschen machte ihn sofort zum Mittelpunkt jeder Gesellschaft. Unvergessen sind seine Gesangsauftritte zusammen mit Hans Fehr auf den Rechtshistorikertagen zu später Stunde, umgeben von jungen Leuten, die durch ihn erlebten, daß ein deutscher Professor auch unbefangen im Umgang und lachend unbestrittene Autorität sein konnte. Diese Unbefangenheit bewies er auch dadurch, daß er sich Festschriften zu den üblichen Anlässen verbat. Seine Schüler und Freunde haben diesen Willen geachtet. Nur in hektographierten Scherzfestschriften huldigten sie ihm auf diejenige Art, die seinem humorvollen Wesen am besten entsprach und deshalb von ihm auch akzeptiert wurde. Beyerle hinterließ ein die Rechtsgeschichte nachhaltig beeinflussendes Werk, das kaum aus dicken Büchern, dagegen aus einer Vielzahl meisterhafter Aufsätze besteht.
Werke: Clausdieter Schott, Verzeichnis der Schriften von Franz Beyerle, in: ZRG Germ. Abt. 97, 1980, 298 ff.
Nachweis: Bildnachweise: Foto in Bernhard Diestelkamp (vgl. Literatur)

Literatur: Nachrufe: Theodor Mayer in: Hegau 10 (1965), 359-361; Hans Thieme in: Freiburger Universitätsblätter 4 (1965), H. 7, 9; Bernhard Diestelkamp, Franz Beyerle, in: Juristen an der Universität Frankfurt am Main, hg. von Bernhard Diestelkamp und Michael Stolleis, Baden-Baden 1989, 148 ff. mit Bild. – Weitere Beiträge in: LbBW 2 Nr. 7863; 3 Nr. 8839; 4 Nr. 10964-10968; 7 Nr. 5744
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