Kienle, Hans Georg 

Andere Namensformen:
  • Kienle, Johannes Georg
Geburtsdatum/-ort: 22.10.1895; Kulmbach, Oberfranken,
Sterbedatum/-ort: 15.02.1975;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Astronom, Astrophysiker
Kurzbiografie: 1901 IX–1914 VII Volksschule in Nürnberg bis 1905, dann Realschule bis 1911, schließlich Oberrealschule
1914 VIII–1915 I Militärdienst; im Nov. 1914 schwere Verwundung u. Entlassung nach Lazarettaufenthalt
1915 II–1918 I Studium d. Astronomie, Mathematik u. Physik an d. Univ. München
1918 II 2 Promotion „summa cum laude“ zum Dr. phil. bei Hugo von Seeliger (1849–1924) „Untersuchungen über Pendeluhren mit besonderer Berücksichtigung d. beiden luftdichten Riefler-Uhren R 23 u. R 33 d. K. Sternwarte München“
1918 III–1924 III Wissenschaftl. Assistent, ab 1922 Observator an d. Sternwarte München
1920 VII Habilitation: „Untersuchungen über Saalrefraktion“; Probevorlesung am 21. Juli 1920 „Zeitmessung u. Zeitmessapparate in d. Astronomie“
1924 IV–1927 V ao. Professor u. kommiss. Direktor d. Sternwarte d. Univ. Göttingen
1927 VI–1939 VIII o. Professor u. Direktor d. Sternwarte
1939 IX–1950 IX Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums, Potsdam
1950 IX–1962 VII o. Professor d. Astronomie an d. Univ. Heidelberg u. Direktor d. Landessternwarte Heidelberg- Königstuhl
1953 IX–1954 VIII Dekan d. Naturwiss.-math. Fakultät
1962 XI.–1964 VII Berater im Auftrag d. UNESCO beim Aufbau des Staatsobservatorium in Helwan, Ägypten
1965 XI–1975 II Gastprofessor an d. Ege Universität, Izmir, Türkei
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: Mitgliedschaften in d. Akademie d. Wissenschaften zu Göttingen (1930), Royal Astronomical Society, London (1939), Dt. Akademie d. Naturforscher Leopoldina, Halle (1943), Berliner Akademie d. Wissenschaften (1946), Heidelberger Akademie d. Wissenschaften (1951, 1954–1958 Präsident); Ehrensenator d. Univ. Freiburg im Br. (1957); Orden Pour le mérite für Wissenschaften u. Künste (1960); Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern (1967).
Verheiratet: 1924 (Göttingen) Elsa Maria Armbruster (1891–1982), Zoologin
Eltern: Vater: Lucien (1870–1905), Gürtler
Mutter: Maria Katharina, geb. Held (1872–1914)
Stiefvater: Paulus Herzog (1876–1960), Schreiner
Geschwister: Elise (geboren 1897) u. Halbschwester Katharina Herzog (geboren 1909)
Kinder: 3;
Johanna Margarete (geboren 1925), Dolmetscherin,
Marie-Luise (geboren 1928), Zoologin,
Margret Ursula (geboren 1932)
GND-ID: GND/116168587

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 248-253

Über Kindheit und Schulzeit des berühmten Astronomen ist wenig bekannt. Die Familie hatte ihren Vater sehr früh verloren und die Mutter 1908 zum zweiten Mal geheiratet. Trotz bescheidener Verhältnisse konnte Kienle die Oberrealschule bis zum Abitur besuchen. Im Reifezeugnis steht über ihn: „Sein Fleiß war immer hervorragend groß, sein Verhalten gab Proben einer idealen Geistesrichtung […] Überhaupt zeigten seine Prüfungsarbeiten ein außerordentlich großes und tiefgründiges Wissen und Können, das zu schönen Hoffnungen berechtigt“ (Kummer, 1996, S. 266 u. 269).
Nach dem Abitur erhielt der begabte Junge 150 M Stipendium für sein Studium und schrieb sich sofort an der Universität München ein, um Mathematik und Physik zu studieren. Beim Kriegsausbruch meldete er sich aber schon am 10.August 1914 freiwillig beim Heer. Er verlor jedoch bereits Anfang November in Kämpfen bei Ypern sein rechtes Auge und wurde nach fast zwei Monaten in Lazaretten „am 31. Januar 1915 als dienstunbrauchbar mit Rente entlassen“ (UA Heidelberg, PA 4482).
Zurück in München begeisterten ihn die Veranstaltungen von Hugo von Seeliger (1849–1924), einem der bedeutendsten deutschen Astronomen seiner Zeit. Bereits im Herbst begann Kienle an der Sternwarte als Hilfsassistent zu arbeiten. Seeliger hatte sogleich erkannt, Kienle ist „ein junger Mann von ungewöhnlicher Begabung und größtem Fleiße“ (UA München, OC-I-44p). Seine erste Aufgabe bestand in der Beteiligung am Zeitdienst der Sternwarte. Kienle beschäftigte sich gründlich mit der Untersuchung der luftdichten Pendeluhren der Sternwarte. Die gewonnenen Ergebnisse, bei deren Erarbeitung Ernst Grossmann (1896–1933) ihn unterstützte, bildeten bald den Grundstock seiner Doktorarbeit. Anfang 1918, nach nur sechs Semestern, bestand Kienle das Rigorosum in Astronomie als Hauptfach sowie Mathematik und Physik als Nebenfächern mit besten Noten. Seeliger bewertete Kienles Dissertation als weit überdurchschnittlich „[…] sie ist eine wirkliche wissenschaftliche Leistung und ich glaube nicht viel zu sagen, wenn ich sie als die beste Arbeit in diesem Gebiete überhaupt bewerte“ (UA München, OC-I- 44p, Hervorhebungen im Original). Gleich nach Abschluss des Verfahrens wurde Kienle Assistent an der Sternwarte.
1916/1917 nahm Kienle an Deklinationsmessungen, also Bestimmungen der Winkelabstände der Gestirne vom Himmelsäquator, unter Ernst Grossmann teil. Kienle bemerkte einige Unregelmäßigkeiten und begann, nach den Ursachen zu forschen. Dies veranlasste ihn, die sog. Saalrefraktion gründlich zu erforschen: Da das Gebäude mit dem Instrument bei den Beobachtungen einem freien Durchzug der Luft ausgesetzt ist, entsteht eine Temperaturverteilung, die die Saalrefraktion, d.h. die Ablenkung des Lichts von Gestirnen durch die Ungleichartigkeit der Atmosphäre um das Instrument herum, hervorruft. Kienle bewies, dass dies zu beträchtlichen systematischen Fehlern bei Deklinationsbestimmungen führen kann. Diese Arbeit legte Kienle Ende Juni 1920 der Fakultät als Habilitationsschrift vor. Bezeichnend Kienles erste These im Verfahren: „Die Wissenschaft besitzt einen Wert an sich, unabhängig von der praktischen Verwendbarkeit ihrer Ergebnisse“ (UA München, E-II-1980); denn zu dieser Einstellung bekannte er sich sein Leben lang.
Anfang August wurde Kienle Privatdozent. Er las über „Bahnbestimmung der Himmelkörper“ und über „Statistische Behandlung astronomischer Probleme“. Ein Stipendium der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ermöglichte ihm im Sommer 1921 einen Studienaufenthalt in Berlin und Potsdam, der ihm, so er selbst „die entscheidenden Anregungen auf dem Gebiet der Astrophysik“ brachte (UA Heidelberg, PA 4481). Außerdem nahm er dort an der Versammlung der Astronomischen Gesellschaft teil und konnte mehrere wichtige Kontakte knüpfen. Kienle wurde zu einem Gastvortrag nach Göttingen eingeladen und schon im November 1923 bekam er einen Ruf dorthin, um anstelle des nach La Plata beurlaubten Ordinarius und Direktors der Sternwarte, Johannes Hartmann (1865–1936), zu wirken. Dieser Abschnitt begann im Sommersemester 1924. Da es sich nur um eine Vertretung handelte, bat er seine Fakultät um Urlaub, doch schon Ende Januar teilte er der Münchener Universität mit, dass er in Göttingen bleiben und aus dem Münchener Lehrkörper ausscheiden werde. Da Hartmann nicht zurückkehrte, wurde Kienle 1927 ordentlicher Professor und Direktor der Sternwarte.
Die ersten Jahre in Göttingen, bis 1933, hielt Kienle später für die glücklichsten seines Lebens. Er gründete seine Familie und fand den einmaligen Kreis der Göttinger wissenschaftlichen Gemeinschaft, konnte sich als Forscher und Lehrer entfalten. Die reichlich veraltete Göttinger Sternwarte wurde unter seiner Leitung zu einem modernen astrophysikalischen Forschungs- und Lehrinstitut umgestaltet mit teilweise neuen Instrumenten und einem Stab sehr aktiver junger Mitarbeiter. Die „Göttinger Schule“ Kienles, aus der zahlreiche führende Astronomen hervorgegangen sind, und sein „Göttinger Temperaturprogramm“ zur Bestimmung der Temperaturen der Sternatmosphären wurden Begriffe in der Geschichte der Astronomie und seiner damaligen Tätigkeit.
Kienle stand dem Nationalsozialismus sehr ablehnend gegenüber, umso mehr, als der „Machtübernahme“ die Zerstörung der berühmten Göttinger wissenschaftlichen Gemeinschaft folgte. Viele seiner Freunde wurden entlassen, mehrere emigrierten und in der „neuen“ Universität bekleidete Kienle keine öffentlichen Funktionen mehr. Er konzentrierte sich nun ganz auf die Arbeit. Da seine „politische Unzuverlässigkeit“ den Behörden bekannt war, führten damalige Rufe nach Heidelberg, München und Wien nicht zum Ergebnis. 1935 beispielsweise hatte Kienle in München keinen Erfolg, weil der „Judenfreund“ für die „Hauptstadt der Bewegung“ untragbar sei. Endlich 1939 wurde ihm die Stelle des Direktors des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam geboten, das keiner Universität, sondern direkt dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung unterstellt war. Kienle nahm an. Seine Pläne, das Observatorium neu zu gestalten und sein wissenschaftliches Programm weiter zu entwickeln, wurden aber durch den baldigen Ausbruch des II. Weltkrieges verhindert.
1943 wurde Kienle nach Russland abkommandiert und in die letzte Phase der Ausplünderung der Sternwarte Simeis auf der Krim verwickelt. Es gelang ihm, die Bibliothek, das Archiv und Reste der Instrumente zu retten und nach Freiburg und in die Schweiz auszulagern. Eine sowjetische Kommission erkannte später die Korrektheit seines Handelns an, was ihn vom lebensgefährlichen Verdacht befreite, er sei ein „Kriegsverbrecher“ gewesen.
Das Kriegsende erlebte Kienle wieder in Potsdam und seine Hauptsorge galt dem Observatorium. Er wollte was immer möglich retten und vor Requisitionen und Verwüstung schützen, so dass wenigstens eine minimale Funktionsfähigkeit für die wenigen verbliebenen Mitarbeiter blieb. Das gelang ihm, noch bevor die Umstände sich zu normalisieren begannen. Kienle wurde Professor der Humboldt-Universität und Mitglied der Deutschen (zunächst Berliner) Akademie der Wissenschaften. Bei deren Wiedereröffnung am 1. August 1946 hielt er den Vortrag „Die Maßstäbe des Kosmos“.
Anfang 1946 erreichte Kienle der Ruf aus Heidelberg auf das Ordinariat für Astronomie. Damals aber wollte er Potsdam nicht verlassen, sondern sein Observatorium wieder mit Leben erfüllen. Es gelang aber nicht, auch nur einen jungen Astronomen aus dem Westen dorthin zu bewegen – die Angst vor der Sowjetunion wirkte zu stark, wie er Ende 1946 einem Freund schrieb (Wiedermann, 1989, S. 386). Kienle blieb Einzelkämpfer. Im Frühjahr 1949 richtete er an die Berliner Akademie der Wissenschaften eine Denkschrift; in der er die Notwendigkeit eines neuen universellen Teleskops für ganz Deutschland begründete. Schließlich wurde wirklich ein Observatorium mit einem solchen Instrument in Thüringen gebaut. Kienle begleitete den Vorgang bis zur Verwirklichung, am Ende freilich von Heidelberg aus. Denn dem wachsenden Druck der Politisierung des Wissenschaftsbetriebs in der DDR entzog auch er sich schließlich und nahm den zweiten Ruf aus Heidelberg im Frühjahr 1950 an.
Es fällt auf, welchen Wert dieser Wissenschaftler auch damals auf die internationale Zusammenarbeit gerade zwischen Ost und West legte. Er selbst besuchte die UdSSR zwei Mal bei astronomischen Tagungen, 1955 und 1958, und publizierte in russischen Zeitschriften. Tatsächlich wurde die Eröffnung der Sternwarte Tautenberg in Thüringen im Oktober 1960, die mit Kienles 65. Geburtstag verbunden wurde, ein wahrer Höhepunkt seiner Bemühungen in dieser Richtung. Dass er auf den „Druck der Vernunft“ baute, so seine Formulierung schon 1928 bei der Wiederaufnahme Deutschlands in die „International Astronomical Union“ (Kienle, 1928, 227), stellt eine seiner Lebenskonstanten dar, auch wenn damit verbundene Hoffnungen letztendlich aus politischen Gründen nur teilweise Realität werden konnten.
Kienle plante gleich zu Anfang die Heidelberger Sternwarte zu reformieren, um sein astrophysikalisches Programm zu erfüllen. Er erkannte aber auch bald die Grenzen des dort Möglichen und ließ seine Mitarbeiter bald notwendige Beobachtungen an passenden ausländischen Observatorien durchführen. Die Daten wurden dann in Heidelberg bearbeitet. Dank der Unterstützung privater Stifter konnte Kienle seine Pläne bis 1957 im Wesentlichen realisieren, auch wenn die bürokratischen Hürden hoch waren. Dies verärgerte ihn schließlich so, dass er im November 1957 drohte, seine Funktion als Direktor der Landessternwarte zur Verfügung zu stellen. Mit Mühe gelang es damals der Universität und dem Ministerium, ihn zu halten. Mit 66 Jahren ging er dann doch vorzeitig in den Ruhestand.
Aus Gründen „privater Natur“ (Heckmann, 1975, 67) wählte Kienle für seine weitere Tätigkeit den Nahen Osten. Von Dezember 1962 bis Juli 1964 wirkte er als Unesco-Experte in Ägypten, wo das 74-inch-Spiegelteleskop des Observatoriums Helwan aufgestellt wurde und junge Astronomen unterwiesen wurden. Ab November 1975 war Kienle dann Gastprofessor an der Ege Universität in Izmir, Türkei, bis schon länger anhaltende Magenbeschwerden ihn nach Heidelberg zurück zwangen, wo er operiert wurde und bald starb.
Die Hauptrichtung seines vielseitigen Wirkens als Forscher und Lehrer hatte Kienle bereits 1925 mit „Astronomie als angewandte Physik“ umschrieben. Seine ersten Arbeiten waren noch im Bereich der klassischen beobachtenden Astronomie gelegen, bald aber wandte er sich anderen Gebieten zu und verstand es, seine eigenen Ergebnisse in den Stand des astronomischen Wissens einzubringen. Er veröffentlichte über neue Sterne, über interstellare Lichtabsorption, über astronomische Prüfungen der allgemeinen Relativitätstheorie. Weiter beschäftigte sich Kienle mit der Sonnenphysik und konnte Flash-Spektren während zwei totalen Sonnenfinsternissen aufnehmen, d.h. Spektren von Chromosphäre der Sonne, die blitzartig, kurz vor und nach vollständiger Bedeckung, aufleuchten. 1926 nahm er an der Sonnenfinsternis-Expedition nach Sumatra teil, 1927 rüstete er selbst eine solche Expedition nach Lappland aus. Die größte wissenschaftliche Unternehmung Kienles aber war das Temperaturprogramm der Messung von Sterntemperaturen, das zunächst in Göttingen in Angriff genommen worden war. Kienle erarbeitete dazu eigens die Methode der Photometrie der Sterne, und es gelang ihm, „die photographische Platte zu einem Präzisionsmessgerät der astronomischen Messtechnik zu entwickeln“ (Heisenberg, 1975, 133). Kienles photographische Photometrie wurde zum Muster für zahllose Arbeiten weltweit, bis sie durch neue photoelektrische Methoden ersetzt wurde. In Göttingen wurden 36 Fundamentalsterne ausgewählt, die den ganzen Temperaturbereich von 3000 bis 20 000 Grad Celsius überspannen. Um Sterntemperaturen nicht nur untereinander zu vergleichen, sondern ihre absoluten Werte zu bestimmen, müssen die Messungen der Sterne an einer irdischen Lichtquelle, nämlich am Schwarzkörper, im Labor geeicht werden. Diese Aufgabe stellte sich Kienle 1939 in Potsdam, konnte damals aber nur vorläufige Messungen durchführen und erst in Heidelberg zu diesem Problem zurückkehren. Dafür wurde am Königstuhl ein besonderes Strahlungslaboratorium errichtet, nach dem Stifter „Happel-Laboratorium“ genannt (1956). Dieser „absolute Anschluss“, ausgeführt nach Auftrag des Internationalen Astronomischen Kongresses in Rom 1952, gilt als eines der Hauptergebnisse seiner Forschungen.
Kienle, ein Mensch „von ungewöhnlicher Ausstrahlung“ (Fricke, 1976, 63), war auch als Lehrer berühmt. „Er weckte in seinen Partnern Kräfte, die ohne seinen Einfluss wohl weiter geschlummert hätten, er polarisierte und befruchtete Mitarbeiter und Schüler“ (Heckmann, 1975, 61). Kienles stets sehr sorgfältig vorbereitete Vorlesungen galten als glänzend. Den Schwerpunkt seiner Lehrtätigkeit sah er in der Zusammenarbeit mit Studenten und Doktoranden. Als Lehrer stellte er hohe Anforderungen, und der Umgang mit ihm war nicht immer bequem, das Gesamtergebnis aber war effektiv: „Überall in der Welt gibt es Kienle-Schüler, nicht weniger als 12 von ihnen leiten Sternwarten“ (Kieperheuer, 1965). Kienle besaß die Fähigkeit zur allgemeinverständlichen Darstellung astronomischer Themen. Er verstand es, so der Chirurg Karl Heinrich Bauer, „auch die trockene Wissenschaft mit außergewöhnlicher Lebendigkeit in die breitere Öffentlichkeit zu tragen“ (UA Heidelberg, PA 4481). Bereits als angehender Privatdozent kündigte er für das Sommersemester 1921 die öffentliche Vorlesung über „Das astronomische Weltbild in Vergangenheit und Gegenwart“ an und auch in Göttingen veranstaltete er mehrmals öffentliche Vorlesungen, wie dann wieder in Heidelberg über „Kosmos (Bau der Welt)“.
Von seinen 180 Publikationen wurden 13 von etwa 20 allgemeinverständlichen Vorträgen und Artikeln 1948 und 1952 in Buchform publiziert und „Den Göttinger Freunden in dankbarer Erinnerung“ gewidmet. In einer seiner Reden bekannte Kienle, dass sein Fach letztlich „kein anderes Motiv kennt als die Befriedigung des unwiderstehlichen Dranges des Menschen nach Erkenntnis seiner selbst und der Welt“ – dies könnte als Motto für sein Leben gelten.
Quellen: UA München, OC-I-44p, Promotionsakte Kienle; OC-VII-148, Habilitationsakte Kienle; OC-IX-115, u. E-II-1980, Personalakte Kienle; UA Heidelberg: PA 2787, PA 4481, PA 4482, HAW 245, Personalakten Kienle in d. Universität u. d. Akad. d. Wissenschaften Heidelberg; Auskunft des UA Göttingen vom März u. des StadtA Nürnberg vom April 2013.
Werke: Die beiden Riefler-Uhren R 23 u. R 33 d. Münchener Sternwarte, in: Astronomische Nachrichten 204, 1917, 281-294; Untersuchungen über Pendeluhren mit bes. Berücksichtigung d. beiden luftdichten Riefler-Uhren R 23 u. R 33 d. K. Sternwarte zu München, Diss. phil. München, in: Neue Annalen d. K. Sternwarte zu München 5, Heft 2, 1918, 1-105; Untersuchungen über Saalrefraktion, ebd. 213, 1920, 361-378; Neue Sterne, in: Physikalische Zs. 21, 1920, 354-360, 385-392, 410-416; Die Bewegung d. vier inneren Planeten mit bes. Berücksichtigung d. Bewegung des Merkurperihels, in: Die Naturwissenschaften 10, 1922, 217-224, 246-254; Die Absorption des Lichtes im interstellaren Raume, in: Jahrb. d. Radioaktivität u. Elektronik 20, 1923, 1–46; Die astronomischen Prüfungen d. allgem. Relativitätstheorie, in: Ergebnisse d. exakten Naturwissenschaften 3, 1924, 55-66; Astronomie als angewandte Physik in: Die Naturwissenschaften 13, 1925, 377-380; Hugo von Seeliger, ebd., 613-619; Die Gestalt d. kugelförmigen Sternhaufen, in: Die Naturwissenschaften 15, 1927, 243-247; Erlebnisse auf einer Sonnenfinsternis-Expedition nach Lappland, in: Die Himmelswelt 37, 1927, 225-238, 344-355; Die Versammlung d. International Astronomical Union in Leiden vom 5.–13. Juli 1928, in: Die Himmelswelt 38, 1928, 227-229; Zur Statistik d. Sterntemperaturen, in: Zs. für Astrophysik 2, 1931, 1-25; Vom Wesen astronomischer Forschung, in: Die Himmelswelt 43, 1933, 41-52; Wandlungen des astronomischen Weltbilds, in: Die Naturwissenschaften 19, 1931, 601-607; Sterne u. Atome, in: Die Umschau 39, 1935, 81-83; Ergebnisse u. Probleme d. Wissenschaften: Astronomie, in: 25 Jahre Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung d. Wissenschaften, Bd. 2, 1936, 36-45; Das Hainberg-Observatorium d. Göttinger Sternwarte, in: Nachrichten von d. Ges. d. Wissenschaften zu Göttingen, Math.-physikal. Kl., NF, Fachgruppe II, 2, 1936–37, 187-202; Das kontinuierliche Spektrum d. Sterne, in: Ergebnisse d. exakten Naturwissenschaften 16, 1937, 437-464; Photographische Photometrie, in: Handb. d. Experimentalphysik Bd. 26: Astrophysik, 1937, 647-694; Über die Zustände d. Materie im Kosmos, in: Die Himmelswelt 48, 1938, 41-55; An den Grenzen von Theorie u. Beobachtung, in: Die Naturwissenschaften 27, 1939, 601-607; 100 Jahre Dopplersches Prinzip, 50 Jahre spektrographische Geschwindigkeitsmessung, ebd. 30, 1942, 433-436; Das Weltsystem des Kopernikus u. das Weltbild unserer Zeit, ebd. 31, 1943, 1-12; Das Alter d. Sterne u. die Expansion d. Welt, ebd., 149f.; Zur Photometrie d. Doppelsterne, in: Sitzungsberichte d. Dt. Akad. d. Wissenschaften zu Berlin, Math.-naturwiss. Kl. 1948, Nr. VI, 1-20; Vom Wesen astronomischer Forschung. Aufsätze u. Vorträge, 1948; 2. Aufl. 1952 unter dem Titel: Der gestirnte Himmel über dir; Ein 2 m-Universal-Spiegelteleskop, in: Miscellanea academica Berolinensia 1, 1950, 25-40; Materie u. Energie unter kosmischen Verhältnissen, in: Die Naturwissenschaften 38, 1951, 92-100; Antrittsrede 26. Mai 1951, in: Jahreshefte d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften für 1943/55, 110f.; Atome, Sterne, Weltsysteme, 1952; Naturwissenschaft u. Philosophie, in: Ruperto Carola 6, Nr. 13/14, 1954, 126-128; Neue Aspekte d. Kosmogonie, in: Physikalische Blätter 12, 1956, 55-61; (Hg. u. Mitverf.) Symposium über Probleme d. Spektralphotometrie, 1957; Das „Happel-Laboratorium für Strahlungsmessung“ an d. Landessternwarte auf dem Königstuhl bei Heidelberg, in: Ruperto Carola 22, 1957, 178-182; Prinzipien d. Ordnung im Kosmos, ebd. 26, 1959, 33-41, auch in: Jahresheft d. Heidelberger Akad. d. Wiss. 1958/59, 68-82 u. in: Physikalische Blätter 16, 1960, 49-60; Einführung in die Astronomie, 1963; Mensch u. Kosmos, in: Orden pour le mérite für Wissenschaften u. Künste. Reden u. Gedenkworte VII, 1965/66, 1967, 57-81; Der Mensch in Raum u. Zeit u. Ewigkeit, in: Physikalische Blätter 26, 1970, 193-199; Anschaulich-unanschauliches Weltall, in: Naturwissenschaft u. Medizin 8, Nr. 37, 1971, 14-24; Auf den Spuren Karl Schwarzschilds, in: Sterne u. Weltraum 13, 1974, 79-82.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (1950), in: Baden-Württembergische Biographien 6, S. 248 – UA Heidelberg Pos I 01622. Ebd. Pos I 01623 u. 01624 (Fotos ca. 1960), Pos III 00059; Zeichnung von Carl Kölmers in: Ruperto Carola 29, 1961, 307; Gruppenfotos in: Jenaer Rundschau 5, 1960, H. 5, Beilage, 1 u. 6, 1961, H. 1, 25 (vgl. Literatur).

Literatur: Poggendoffs Biograph.-literar. Handwörterb. V, 1926, 628, VI, Teil 2, 1937, 1313, VIIa, Teil 2, 1958, 756, VIII, Teil 3, 2004, 1650 f (mit Schriften- u. Literaturverzeichnis); DBE 2.Aufl., 5, 2008, 615f.; W. Fricke, Hans Kienle 60 Jahre, in: Physikalische Blätter 11, 1955, 519f.; Georg Gerster, Der schwarze Körper auf dem Königstuhl. Eine Stunde mit Professor Dr. Hans Kienle, in: Georg Gerster, Aus d. Werkstatt des Wissens, 2. Folge, 1958, 171-187 (mit Bildnachweis vor 161); Eröffnung d. Sternwarte Tautenburg, in: Jenaer Rundschau 5, 1960, H. 5, Beilage, 1-7; Karl-Schwarzschild-Observatorium, ebd., 6, 1961, H. 1, 20-25; C. Hoffmeister, Hans Kienle 70 Jahre, in: Forschungen u. Fortschritte 39, 1965, 317f. (mit Bildnachweis); K. O. Kiepenheuer, Hans Kienle 70 Jahre, in: Physikalische Blätter 21, 1965, 521; W. Heisenberg, Gedenkworte für Hans Kienle, in: Orden pour le mérite für Wissenschaften u. Künste. Reden u. Gedenkworte XII, 1974/75, 1975, 125-134 (mit Bildnachweis auf d. 127), auch in: W. Heisenberg, Gesammelte Werke Abt. C, Bd. IV, 1986, 217-222; D. Labs, Hans Kienle†, in: Physikalische Blätter 31, 1975, 222f. (mit Bildnachweis) u. in: Ruperto Carola 27, H. 55/56, 1975, 114f.; O. Heckmann, Nachruf auf Hans Kienle, in: Jahrb. d. Akad. d. Wissenschaften zu Göttingen für 1975, 61-67; W. Fricke, Hans Kienle (1895–1875), in: Jahrb. d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften für 1976, 63-65 (mit Bildnachweis); O. Heckmann, Hans Kienle †, in: Mitt. d. Astronomischen Ges. Nr. 38, 1976, 9-11 (mit Bildnachweis); J. Wempe, Hans Kienle 1895–1975, in: Astronomische Nachrichten 297, 1976, 99-105 (mit Werkverzeichnis); Hans- Rudolf Wiedemann, Briefe großer Naturforscher u. Ärzte in Handschriften, 1989, 383-391 (mit Bildnachweis); Orden pour le mérite für Wissenschaften u. Künste. Die Mitglieder des Ordens, 3. Bd., 1994, 96f. (Bildnachweis); H.-J. Kummer, Hans Kienle: Ein Lebensbild zu seinem 100. Geburtstag, in: Sterne u. Weltraum 35, 1996, 266-269 (mit Bildnachweis aus dem Familienbesitz); G. Wirth, Weltanschauliche u. wissenschaftstheoret. Aspekte im Werk Hans Kienles, in: W. R. Dick, K. Fritze (Hgg.) 300 Jahre Astronomie in Berlin u. Potsdam, 2000, 151-168; R. Kippenhahn, Hans Kienle, in: Göttinger Gelehrte. Die Akad. d. Wissenschaften zu Göttingen in Bildnissen u. Würdigungen 1751–2001, Bd. 2, 2001, 426f. (mit Bildnachweis); D. Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1933–1986, 2009, 333f.
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