Pirath, Carl 

Geburtsdatum/-ort: 10.05.1884; Hellenthal (Eifel)
Sterbedatum/-ort: 23.01.1955;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Verkehrswissenschaftler
Kurzbiografie: 1890-1902 Volksschule, Humanistisches Gymnasium Schleiden, Abitur
1902-1907 Studium des Bauingenieurwesens TH Hannover und TH Danzig, Diplomhauptprüfung
1907-1910 Ausbildung als Regierungsbauführer des Eisenbahnwesens (01.10.1907-01.10.1908 Militärdienstzeit)
1911 Regierungsbaumeisterprüfung für den höheren technischen Staatseisenbahndienst
1911-1926 Höherer technischer Beamter bei den Preußisch-Hessischen Staatsbahnen und der Deutschen Reichsbahn (12.09.1914-01.12.1918 Kriegsdienstzeit)
1912 4monatige Studienreise Kleinasien, Mesopotamien, Arabien, Ägypten
1917 Regierungsbaurat
1922 Oberregierungsbaurat, Promotion zum Dr.-Ing. an der TH Hannover
1926 ordentlicher Professor an der TH Stuttgart
1929 Gründung und Direktor des „Verkehrswissenschaftlichen Instituts für Luftfahrt an der TH Stuttgart“, jetzt „Verkehrswissenschaftliches Institut“
1930 5monatige Studienreise USA und Kanada
1949 Dr. rer. pol. h.c. der Universität Mainz
1952 Dr.-Ing. E.h. der TH Hannover
1949 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesverkehrsministerium
1953 Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landesplanung
1954 Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1913 Hannoversch-Münden, Hedwig, geb. Wüstenfeld
Eltern: Vater: Peter Pirath (1817-1893), Landwirt und Fabrikant
Mutter: Emma, geb. Axmacher (1844-1925)
Geschwister: 8
Kinder: 2
GND-ID: GND/116189819

Biografie: Wolfgang Weber (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 280-282

Pirath hat schon zu einer Zeit, als nur die Eisenbahn und das Binnenschiff das Verkehrswesen bestimmten, die Bedeutung der Verkehrswirtschaft klar erkannt. Ihre erste Aufgabe muß sein, durch den richtigen Einsatz der verschiedenartigen Verkehrsmittel zwischen Nachfrage und Angebot eine möglichst zweckmäßige Harmonie zu schaffen. Er sah, daß die Entwicklung des Kraftfahrzeug- und Luftverkehrs neue Verkehrsformen verlangte. Als erster entwickelte er daher eine Einheit für die Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Maßstäbe der verschiedenen Verkehrsarten und schuf damit die Grundlagen, nach denen jedes Verkehrsmittel für sich als ein Glied in der Gesamtheit der Wirtschaft zu beurteilen ist. Er vertrat den Standpunkt, daß eine Gemeinschaftsarbeit auf neuer Grundlage zwischen den verschiedenen Disziplinen der Verkehrswissenschaft einer Neuordnung im Verkehrswesen vorausgehen müßte. Durch seine geistige Vorarbeit leistete er einen unschätzbaren Beitrag für diese Neuordnung. Anfang der 30er Jahre erschienen in laufender Folge Zwischenergebnisse seiner grundlegenden Forschungen, und 1934 brachte er sein Buch „Die Grundlagen der Verkehrswirtschaft“ heraus, das heute zu den klassischen Werken der Verkehrswissenschaft zählt. Er setzte damit die Arbeiten und Betrachtungen von List, Sax und Blum nach neuen Gesichtspunkten fort. Der Gedanke der Gemeinwirtschaftlichkeit nimmt in seinen Arbeiten einen bedeutenden Platz ein. Aber nicht allein das Rationale in der Verkehrswirtschaft ist ihm wichtig: „Soll die Verkehrswirtschaft nicht im toten Sein der Materie steckenbleiben und soll sie ihre Verbindung mit dem Leben nicht verlieren, so werden auch die irrationalen oder seelischen, geistigen und wahrhaft schöpferischen Kräfte, denen sie unterworfen ist, nicht zu vergessen sein“. Die Grundlagen für die von Pirath geforderte Verkehrseinheit, die in erster Linie einem Verkehrsmittel seine Existenzberechtigung geben und die dem Verkehrswesen seine große Bedeutung im Rahmen der Volkswirtschaft eines Landes zugewiesen haben, formulierte er wie folgt: „Einheitliche Bedingungen für das Wirtschaftsgebaren der Verkehrsunternehmungen, gleiche Verpflichtungen der Verkehrsmittel der Allgemeinheit gegenüber, gleiche Bedienung aller Landesteile nach dem Grad ihres Verkehrsbedürfnisses, gleiches Entgelt für die gleichen Verkehrsleistungen ohne Unterschied der Person und der Wirtschaftszweige.“ Er untersuchte Ursachen und Folgen der Veränderungen der Verkehrseinheit, wies Wege, wie auch zukünftig die Verkehrseinheit gewährleistet werden kann. Hier kommt insbesondere seiner Forderung Bedeutung zu: „Führt die technische Entwicklung dazu, ein Verkehrsmittel durch das andere ablösen zu lassen, so kann und darf dieser Umwandlungsprozeß nur vor sich gehen unter der Bedingung, daß die bisherige Verkehrseinheit im regionalen Sinne und der Grundsatz gleicher Verkehrsbedingungen für alle erhalten bleibt“. Seine Erkenntnisse sind im Laufe der Jahre zu selbstverständlichen Ausgangspunkten verkehrswissenschaftlicher Arbeit geworden. Seine systematische Methode zur Bestimmung der Zweckmäßigkeit und des volkswirtschaftlichen Wertes eines Verkehrsmittels hat große aktuelle Bedeutung. Er prägte die These, daß der Verkehr einem Großen Ordnungsprinzip zu dienen hat und daß alle Menschen, die mit ihm zu tun haben, gegen sich selbst besonders diszipliniert sein müssen, wenn sie der Erfüllung dieses Ordnungsprinzips im Dienst der Allgemeinheit Sinn und Inhalt geben wollen. Gegenüber dem NS-Regime hat sich Pirath sehr reserviert verhalten und seine Kontakte auf dienstliche Belange beschränkt. Erst die Drohung, seine Stellung zu verlieren, zwang ihn Anfang des 2. Weltkriegs zur Mitgliedschaft.
Pirath hat sehr früh erkannt, daß die schwierige Entwicklungsphase des Luftverkehrs in den 20er Jahren am schnellsten und besten überwunden werden könnte, wenn die Erfahrungen in der Verkehrswirtschaft der übrigen Verkehrsmittel nach wissenschaftlichen Grundsätzen auch für den Luftverkehr ausgewertet würden. Er gründete 1929 das Verkehrswissenschaftliche Institut für Luftfahrt, das bis in den 2. Weltkrieg hinein als einziges seiner Art auf der Welt bestand. Er schuf damit die Voraussetzung für eine intensive Forschungsarbeit, deren Ergebnisse in 16 Forschungsheften weltweite Verbreitung fanden. So hat er mit seinen Mitarbeitern bereits in den Jahren 1929 und 1930, also in einer Zeit, als noch lange keine Transozeanlinien beflogen werden konnten, die voraussichtlichen Verkehrsbedürfnisse und Verkehrsströme für die Gestaltung des Weltluftverkehrsnetzes nach betriebstechnischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten prognostiziert. Er setzte sich für eine Politik der Vereinheitlichung und Zusammenfassung des Weltluftverkehrs ein als Fundament für die Einrichtung von kontinentalen und interkontinentalen Verkehrsverbindungen. Die Abhängigkeiten zwischen den Konjunkturschwankungen der Wirtschaft und den Verkehrsbedürfnissen im Luftverkehr sowie die Probleme der Zusammenarbeit zwischen dem Luftverkehr und den übrigen Verkehrsmitteln, insbesondere der Überseeschiffahrt, wurden analysiert.
Nach dem 2. Weltkrieg weitete Pirath seine Forschungsaktivitäten auf die übrigen Verkehrsmittel aus, was auch in der Änderung des Institutsnamens zum Ausdruck kam. Neben dem Luftverkehr widmete er sich speziellen Planungen für den öffentlichen Personennahverkehr, dem schon immer sein besonderes Interesse galt. Auch hier sah er nicht zuerst die Technik, sondern die große allgemeine Ordnungsaufgabe und die Zusammenarbeit: „An der Verkehrsplanung sind alle Disziplinen beteiligt, die die Ermittlung der Verkehrsbedürfnisse und die Gestaltung der Verkehrsanlagen im weiten Raum der Landschaft und im engeren Raum der Siedlungen zu vertreten haben – die Volkswirtschaft, der Städtebau und das Bauingenieurwesen.“ Sein wissenschaftliches Lebenswerk galt der Erforschung und Entwicklung allgemein gültiger Methoden zur systematischen Klärung der immer verwickelter werdenden Zusammenhänge im Verkehrswesen und zur Abgrenzung der Aufgaben der Verkehrsträger im Dienste der Allgemeinheit. Aus einer umfassenden Gesamtschau heraus hat er in unermüdlicher und überaus fruchtbarer Arbeit für die moderne Verkehrstechnik neue Grundlagen zur Beurteilung von Sicherheit, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Verkehrsmittel geschaffen.
Das Bild seiner Persönlichkeit wird abgerundet durch seine Vitalität und Ausstrahlungskraft, seine vornehme Bescheidenheit und seine ruhige und zurückhaltende Art. Als akademischer Lehrer genoß er bei seinen Hörern hohes Ansehen. Er galt als absolute Respektsperson, ohne dabei jedoch autoritär zu sein, die durch klar durchdachten und überzeugenden Vortrag begeisterte.
Werke: Die Grundlagen der Verkehrswirtschaft, 2. Aufl. Berlin 1949; Anteil der Arbeitsleistung des Menschen an den Leistungen der Verkehrsmittel (Diss. Pirath), Archiv für Eisenbahnwesen 1922; Das Raumzeitsystem der Siedlungen, Stuttgart 1947; Die Verkehrsplanung – Grundlagen und Gegenwartsprobleme, Stuttgart 1948; Der europäische Luftverkehr in Planung und Gestaltung, Heft 15 der Forschungsergebnisse des Verkehrswissenschaftlichen Instituts, 1952; Die Verkehrsteilung Schiene – Straße in landwirtschaftlichen Gebieten und ihre volkswirtschaftliche Bedeutung, Heft 16 der Forschungsergebnisse, 1954
Nachweis: Bildnachweise: in Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, Heft 2/1954, Sonderausgabe zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. Pirath am 10.5.1954

Literatur: Napp-Zinn, Gemeinwirtschaftliche Verkehrsbedienung, Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, 1954, 96-98; Lambert, Prof. Dr.-Ing. Carl Pirath †, Eisenbahntechnische Rundschau, 1955, 68; ders., Carl Pirath und sein Werk, Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, 1955, 182-192; Baumann, Prof. Dr. Carl Pirath zum Gedächtnis, Internationales Archiv für Verkehrswesen, 1957, 69
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