Pohl, Heinrich Johann 

Geburtsdatum/-ort: 04.02.1883; Linz (Rhein)
Sterbedatum/-ort: 20.03.1931; Breslau
Beruf/Funktion:
  • Jurist, Hochschullehrer
Kurzbiografie: 1901 Abitur am Gymnasium Thomaeum, Kempen (Niederrhein)
1901–1904 Studium der Rechtswiss. und der Nationalökonomie und Geschichte in München und Bonn; Abschluss mit preußischem Referendarexamen in Köln
1904–1908 preußisches Referendariat in Rheinbach, Köln und Bonn; Abschluss mit Assessorexamen in Berlin
1905 Promotion zum Dr. iur. in Bonn mit dem Thema: Die Entstehung des belgischen Staates und des Norddeutschen Bundes; Doktorvater Philipp Zorn
1908 Gerichtsassessor, anschließend juristischer Hilfsarbeiter am Amtsgericht Sinzig; Mitarbeiter eines Rechtsanwaltes in Bonn
1910 Habil. für öffentliches Recht, Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht in Bonn (Der internationale Prisenhof. Eine Untersuchung zum deutschen Seekriegsrecht) bei Philipp Zorn
1912–1919 ao. Prof. für öffentliches Recht in Greifswald
1914–1919 Kriegsdienst im Reichsmarineamt (Sachverständiger für Völkerrecht, ab 1915 als Marine-Intendanturrat
1916 Eisernes Kreuz 2. Kl.
1919 Mitglied der deutschen Delegation in Versailles
1919–1920 o. Prof. für öffentliches Recht und politische Wiss. in Rostock
1920–1929 o. Prof. für öffentliches Recht in Tübingen
1922/23 Dekan der staatswiss. Fakultät
1923 Dr. sc. pol. h.c. Tübingen
1929–1931 o. Prof. für öffentliches Recht in Breslau
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1913 Katharina Emilie Maria Theresia, geb. Auer, aus Köln (1892–1967)
Eltern: Vater: Michael Joseph Pohl (1835–1922), aus Billig bei Euskirchen, Dr. phil. (Münster), klass. Philologe, 1861–1869 Studienkandidat Hedingen (Hohenzollern), 1869–1884 Rektor Progymnasium Linz (Rhein), 1884–1889 Gymnasialdirektor Münstereifel (Kgl. Gymnasium), 1889–1903 Kempen (Thomaeum), Ruhestand in Bonn, Hg. der Werke von Thomas a Kempis.
Mutter: Auguste Friederike Wilhelmine, geb. Cremer
Geschwister: 9
Kinder: 5: Joseph (1914–1945), Dr. phil., Kunsthistoriker; verfasste: Die Verwendung des Naturabgusses in der italienischen Porträtplastik der Renaissance, Diss. phil. Bonn 1938; Maria (* 1915), verh. Weischer, Bonn; Veronika (* 1918); Therese (* 1920); Johanna (1927–1963)
GND-ID: GND/116260149

Biografie: Martin Otto (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 216-219

Pohl, dessen Familie ursprünglich aus Schlesien kam und von dem Komponisten Johann Joseph Pohl (1686–1775, aus Breslau und Hirschberg) abstammte, entstammte dem rheinischen Katholizismus; sein Vater, der klassische Philologe und Gymnasialdirektor Joseph Pohl, gab 1902–1922 die erste kritische Gesamtausgabe (7 Bände) des Mystikers Thomas Hemerken (1380–1471) aus Kempen (Thomas von Kempen/Thomas a Kempis) heraus. Heinrich Pohl übersetzte als Student die von seinem Vater eingeleiteten „Gebete und Betrachtungen über das Leben Christi“ des Thomas von Kempen. Zur Verwandtschaft gehörte auch der (geadelte) kaiserliche Admiral Hugo von Pohl (1855–1916).
Pohl studierte in München und Bonn Rechtwissenschaften und schloss sich der Schule des konservativen Bonner Völkerrechtlers Philipp Zorn an, der seine Promotion und Habilitation betreute; kirchenrechtlich war Pohl ein Schüler des Bonner Kanonisten Ulrich Stutz. Wohl nicht zuletzt aufgrund der Verwandtschaft zu dem Befehlshaber der Flotte, wurde das (für die Kaiserliche Marine wichtige) Völkerrecht zum Schwerpunkt von Pohl. Auf dieser Zeit beruhte eine Zusammenarbeit mit Heinrich Triepel, der an der Kaiserlichen Marineakademie Kiel im Nebenamt Völkerrecht lehrte. Pohl beriet das Auswärtige Amt und gehörte zur deutschen Friedensdelegation in Versailles. Er lehrte zunächst auf einem völkerrechtlichen Extraordinariat in Greifswald, wechselte aber 1919 nach Rostock als Nachfolger des Stutz-Schülers Edwin Mayer-Homberg (1881–1920), wo ihm ein eigenes völkerrechtliches Seminar angeboten wurde. Pohl betonte, Preußen, das er als den „einzigen deutschen Großstaat, der – zumal in den kommenden Zeiten unserer nationalen Ohnmacht und Schwäche – eine großzügige Hochschulpolitik zu treiben fähig ist“ bezeichnete ungern zu verlassen; tatsächlich wechselte er nach nur einem Semester zum 1. Oktober 1920 nach Tübingen als Nachfolger von Fritz Freiherr Marschall von Bieberstein (anstelle des ursprünglich vorgesehenen Rudolf Smend), wobei er letztlich dem ehemaligen Greifswalder Carl Sartorius folgte, ebenfalls ein Bonner Habilitand von Zorn. Mit Sartorius gab er auch eine Sammlung völkerrechtlicher Vorschriften heraus. Aber auch von einer Vermittlung des ehemaligen Tübingers Heinrich Triepel, mit dem Pohl 1918/19 eine Quellensammlung zum Seekriegsrecht herausgab, ist auszugehen. In Tübingen blieb Pohl weiterhin als außenpolitischer Berater der Reichsregierung tätig. Das von ihm geleitete völkerrechtliche Seminar nahm unter Pohl eine führende Stellung im Reich ein. 1925/26 war Pohl zur Erarbeitung eines Werkes über die Rechtsverhältnisse in den besetzten Gebieten des Reichs beurlaubt. Zu den Doktoranden von Pohl gehörten die späteren Widerstandskämpfer Bertold Graf von Stauffenberg und Rüdiger Schleicher; der spätere SPD Politiker Carlo (Karl) Schmid war ab 1927 und 1928/29 Hilfsassistent an dem von Pohl geleiteten Seminar, Pohl betreute auch Schmids Tübinger juristische Habilitation von 1929 (Die Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes in Rechtssätzen dargestellt, Buch 1932), die er trotz teilweise abweichenden Auffassungen zur Bedeutung des „Internationalen Gerichtshofes“ in Den Haag nachdrücklich unterstützte: Schmid verspreche „nach seinen bisherigen Leistungen […]der Mann des Allgemeinen Teils des Völkerrechts in Deutschland zu werden.“
1929 verließ Pohl Tübingen für ein Ordinariat in Breslau (als Nachfolger des nach Bonn berufenen Friedrich Heyer); den Ruf hatte er bereits 1928 angenommen. Dort bleiben ihm jedoch nur wenige Jahre; Anfang 1931 verstarb er überraschend. Sein für die Staatsrechtslehrertagung in Halle an der Saale über den Wahlgesetzentwurf des Reichsinnenministers vorgesehenes Referat konnte er nicht mehr persönlich halten; es wurde von Friedrich Giese verlesen. Begraben wurde Pohl auf dem Friedhof von Bonn-Poppelsdorf, wohin die Familie nach seinem Tode wieder zog. Gleichwohl stellt die Tübinger Zeit den unbestreitbaren Schwerpunkt von Pohls Biographie dar; an keiner Hochschule lehrte er länger und fand mehr Schüler. Besondere Verdienste erwarb er sich um die Vereinigung der Staatswissenschaftlichen (an der auch die öffentlichrechtlichen Ordinariate angesiedelt waren) mit der Juristischen Fakultät; die Vereinigung, auf die Pohl bereits in den Berufungsverhandlungen gedrängt hatte, konnte 1923 vollzogen werden; Pohl war 1922/23 der letzte Dekan der Staatswissenschaftlichen Fakultät. Pohl wohnte in Tübingen zunächst an der Neckarhalde 1924, dann von 1925 bis 1926 in der Melanchthonstraße 24, bis zu seinem Fortgang nach Breslau dann viele Jahre in der Waldhäuserstraße 26.
1906 bestritt Pohl in einem Aufsatz für das Archiv des öffentlichen Rechts (in Auseinandersetzung mit der Gesamtaktstheorie von Johannes Emil Kuntze, 1824–1894) pointiert, dass „Legitimität […] Wesensmerkmal der Staatsgewalt“ sei; die Formel wurde wiederholt aufgegriffen, zuletzt 1919 durch das Lehrbuch von Meyer/Anschütz. Politisch war Pohl, dessen Elternhaus der Zentrumspartei nahestand, ein Mitglied der DVP, als dezidierter Befürworter der Weimarer Republik Sartorius vergleichbar, den er noch in seinem letzten Lebensjahr wegen seines Amtes als Vorsitzender der Staatsrechtslehrervereinigung als „unserer erhabener Duce Sartorius“ ironisch titulierte (VVDStRL 7, 131 f.). Ebenso aber war Pohl ein Gegner des „Schandvertrages“ von Versailles, den er mit ausschließlich wissenschaftlichen und publizistischen Mitteln bekämpfte. Vom Nationalstaat ausgehend, befürwortete Pohl eine Geltung des Völkerrechts nur, sofern sich die einzelnen Staaten daran binden. Von einem Internationalen Gerichtshof habe Deutschland „nichts zu erwarten.“ Als „Mann der nationalen Rechten“ kann Pohl allerdings, nach damaligen und heutigen Maßstäben, nur mit Einschränkungen bezeichnet werden. Bemerkenswert ist, dass die Tübinger Doktoranden Stauffenberg (Russische Handelsvertretungen. Eine Studie zum Internationalen Recht, 1929) und Schleicher (Das internationale Luftfahrtrecht, 1923) unabhängig voneinander den Weg in den Widerstand fanden. Pohls Werk, insbesondere seine zahlreichen völkerrechtlichen Arbeiten sind „bisher nirgends gewürdigt worden.“ (Michael Stolleis, 1999).
Quellen: GStA PK Berlin (Bestand Univ. Greifswald).
Werke: Thomas von Kempen, Gebete und Betrachtungen über das Leben Christi. Aus dem Lateinischen übersetzt von Heinrich Pohl. Mit einer Einleitung von Dr. Joseph Pohl, 1904 (2. Aufl. 1904, 3. Aufl. 1913); Diss. 1905 (wie oben); Bundesstaatsschöpfung und Kuntzes Gesamtaktstheorie, in: AöR 20 (1906), 173–192; Der Fall Mannesmann: Bericht und Gutachten auf Ersuchen des Marokko-Minensyndikats GmbH, 1910; Der politische Verein nach dem Reichsvereinsgesetz, 1910; Habil. 1911 (wie oben); Der Monroe-Vorbehalt, in: FS Paul Krüger, 1911, 447–472; Aus Völkerrecht und Politik (Ges. Aufsätze), 1913; Die deutsche Auslandshochschule, 1913; Deutsches Landkriegsrecht: Quellensammlung mit Sachregister, 1915; Deutsches Seekriegsrecht: Quellensammlung mit Sachregister, 1915; England und die Londoner Deklaration, 1915; Englisches Seekriegsrecht im Weltkriege, 1917; Amerikas Waffenausfuhr und Neutralität, 1917; Quellen und Studien zur Geschichte und Dogmatik des Seekriegsrechts, 1918/19 (vier Hefte zus. mit Heinrich Triepel); Rechtsschutz auf dem Gebiet der auswärtigen Verwaltung, 1919; Zur Geschichte des Mischehenrechts in Preußen, 1920; Die Auflösung des Reichstags, 1921; Modernes Völkerrecht, 1922 (zus. mit Carl Sartorius); Bürgerkunde (zus. mit Arnold Thelen/Ludwig Kleinertz; 2. Aufl. 1924, 5. Aufl. 1930; Luftkriegsrecht, 1924; Reichsverfassung und Völkerversöhnung, 1924; Der deutsche Einmarsch in Belgien: ein völkerrechtlicher Rückblick, 1925; Der deutsche Unterseebootkrieg, 1925 (ND: 1976); Die katholische Militärseelsorge Preußens 1797–1888, 1926 (ND: 1962); Die belgischen Annexionen im Versailler Vertrage, 1927; Die Elsaß-Lothringische Frage. Eine Studie zur Kritik des Versailler Vertrags, 1927; Reichsverfassung und Versailler Vertrag, 1927; Neues Völkerrecht auf Grundlage des Versailler Vertrages, 1927; Philipp Zorn als Forscher, Lehrer und Politiker. Bilder zu seinem Gedächtnis, 1928; Das Recht des Reichstags, 1928; Völkerrecht und Außenpolitik in der Reichsverfassung, 1929; Die Staatsangehörigkeit im internationalen Recht, in: Recht und Staat im neuen Deutschland, 2, 1929, 408–439; Fälle und Fragen des Völkerrechts, 1930 (zus. mit Arthur Wegner); Englands Konterbandepolitik auf der zweiten internationalen Friedenskonferenz, in: FS Paul Heilborn, 1931; Der Diktaturparagraph in Elsaß-Lothringen: eine Studie zur deutschen Verfassungsgeschichte, in: FS Ph. Heck/M. Rümelin/A. B. Schmidt, 1931, 277–303; Fälle und Fragen des Völkerrechts, 1930 (zus. mit Arthur Wegner); Das Reichstagswahlrecht, in: Gerhard Anschütz/Richard Thoma (Hg.). Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 1, 1930, ND 1999, 386–400; Wahl, Amtsdauer und persönliche Rechtsstellung des Reichspräsidenten, in: ebda. 467–482; Die Zuständigkeiten des Reichspräsidenten, in: ebda. 482–502; Die Reform des Wahlrechts, 1932 (zus. mit Gerhard Leibholz).
Nachweis: Bildnachweise: s/w-Fotographie, ca. 1930 (Privatbesitz Maria Weischer, Bonn; Abb. bei Marcon).

Literatur: Ulrich Stutz, in: ZRSG Kan 20 (1931), 727; DJZ 1931, 556; Petra Weber, Carlo Schmid 1896–1976. Eine Biographie, 1996 (Tb. 1998), 59, 62, 69 f; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 3, 1999, 92, 198, 262 u. ö.; Alexander Meyer, Berthold Schenk Graf von Stauffenberg (1905–1944). Völkerrecht im Widerstand, 2001, 32, 43, 46; W. Buchholz, Lexikon Greifswalder Hochschullehrer 1775 bis 2006, 3 (Bearb.: Meinrad Welker), 2004, 183 f.; H. Marcon, 200 Jahre Wirtschafts- und Staatswiss. an der Eberhard-Karls-Univ. Tübingen. Leben und Werk der Prof., 1, 2004, 454–457; Ulrike Bodemann, Der Thomas-Forscher Michael Joseph Pohl, in: U. Bodemann/N. Staubach, Aus dem Winkel in die Welt, 2006, 277–287 (284); K.-D. Bracher, Rüdiger Schleicher, in: WB, 1, 237–240 (238).
Zum Vater: Bodemann (wie oben); Degeners Wer ist’s (umfangreiche Bibliographie).
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)