Gassert, Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 22.04.1857; Sölden
Sterbedatum/-ort: 06.09.1928;  Überlingen am Bodensee
Beruf/Funktion:
  • Arzt und Dichter
Kurzbiografie: 1864-1870 Volksschule in Sölden, seit 1868 in Freiburg
1870-1879 Lyzeum (Berthold-Gymnasium) Freiburg bis Abitur
1879-1884 Studium der Medizin in Freiburg; 1879/80 zugleich Einjährig-Freiwilliger (5. Badisches Infanterie-Regiment 113)
1885 29. Jul. Promotion; Dissertation (ungedruckt): „Die Mikroorganismen im Zungenbelag von Kranken“
1885-1919 praktischer Arzt in Eigeltingen, seit 1890 in Freiburg
1919-1928 Ruhestand in Überlingen
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1. 1884 (Geisingen) Maria Theresia, geb. Schachleiter (1860-1893)
2. 1893 (Freiburg) Elisabeth, geb. Montfort (1860-1935)
Eltern: Vater: Jakob (1824-1859), Lehrer
Mutter: Margaretha Karolina, geb. Oberrieder (1824-1895)
Geschwister: 2:
Julius (1851-1925)
Joseph (1853-1934)
Kinder: 4:
Heinrich (1886-1897)
Maria (geb. 1887)
Pia (geb. 1894)
Robert (geb. 1898)
GND-ID: GND/11644956X

Biografie: Clemens Siebler (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 87-89

Seit dem frühesten Kindesalter Halbwaise, zog der aus Sölden stammende Gassert 1868 mit der Mutter nach Freiburg. Nach dem Studium der Medizin war er zunächst Landarzt in der Hegau-Gemeinde Eigeltingen; danach praktizierte er nahezu drei Jahrzehnte in Freiburg. Obwohl ein befähigter und angesehener Arzt, hat sich Gassert vor allem als Dichter einen Namen gemacht. Schon als Schüler hatte er erste Gedichte verfasst. Eine starke Naturverbundenheit, die Liebe zum heimatlichen Breisgau und zum Dorf Sölden ziehen sich durch sein gesamtes dichterisches Schaffen. Nachhaltige poetische Anregung hatte Gassert durch den Pfarrer und Erfinder der Kunstsprache des „Volapük“ J. M. Schleyer und die von ihm gegründete Zeitschrift „Sionsharfe“ erhalten. Gassert selbst besorgte wenig später die „Katholische Dichterschule“ (1888), die es aber lediglich auf zwei Jahrgänge brachte. Zu seinen ersten bekannteren Veröffentlichungen zählt die Gedichtsammlung „Kloster Beuron“ (1891).
Seit 1879 gehörte Gassert der CV-Verbindung Hercynia (Freiburg) an, der er bis zu seinem Lebensende eng verbunden blieb. In dieser Gemeinschaft wurde er zu einem der bekanntesten Dichter von Studenten- und Vaterlandsliedern. Nicht zuletzt weil er seinen Texten häufig Melodien bekannter Volkslieder unterlegte und somit ein rasches Singen möglich machte, erfreute sich sein Liedgut außergewöhnlicher Beliebtheit und Verbreitung. Zu Recht feierten ihn seine Bundes- und Kartellbrüder als den „Sänger des CV“. Gasserts enge Bindung an die Kirche war bereits im Elternhaus grundgelegt worden, und wie bei vielen Katholiken jener Zeit war auch sein Leben durch die spannungsgeladene Kulturkampfatmosphäre geprägt. Mehr musisch als politisch veranlagt, kam er über seine Verbindung mit einigen herausragenden Streitern des badischen Zentrums in Kontakt, so C. Fehrenbach und F. Kopf. Gasserts Nachruf auf den 1926 verstorbenen Fehrenbach war zugleich ein kritischer Situationsbericht hinsichtlich der Stellung des katholischen Verbindungswesens im 2. Kaiserreich.
Gassert war nichtsdestoweniger Patriot mit einer unverkennbar nationalen Grundeinstellung. Außerhalb seiner zahlreichen Studentenlieder dokumentierte sich diese auffallend stark in zwei während des I. Weltkrieges herausgegebenen Gedichtbändchen: „Das Herz zu Gott, ans Schwert die harten Hände“ (1915) und „Gottes Gericht im Völkerkrieg“ (1918). Im Einklang mit der öffentlichen Meinung, dass Deutschland einen gerechten Krieg führe, brachte der Autor seine Vaterlandsliebe kraftvoll zum Ausdruck, nicht ohne tiefgründigen Gedankenreichtum und poetische Schönheit. Und mit dem immer wieder thematisierten christlichen Gebot der Feindesliebe hebt sich seine Lyrik wohltuend von der gängigen, zumeist chauvinistisch eingefärbten Kriegsliteratur ab. Auch seine Werke mit historischem Inhalt zeugen von echt patriotischer Gesinnung, unter ihnen die Verserzählung „Der Fähnrich von Freiburg und seine Braut“ (1913), die zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen gehört. Den geschichtlichen Hintergrund bildet der Einbruch des französischen Revolutionsheeres in Süddeutschland (1795) und dessen Rückzug über den Schwarzwald unter General Moreau.
Als sein reifstes Werk gilt gemeinhin die Versdichtung „Im Lande der Seligen“ (1914). Ihre Entstehung hängt eng mit Gasserts Familienschicksal zusammen. Nachdem er bereits 1893 seine erste Frau verloren hatte, war vier Jahre später auch sein ältester Sohn Heinrich gestorben. Der Autor „erzählt den Tod seines Kindes und die Wanderung der befreiten Kinderseele zu den ‚ewigen Hügeln’, wo der Heiland, die Engel, die Mutter des Kindes, die Vorfahren und Verwandten seiner warten und wo es vielen Seligen jeden Alters und Standes, insbesondere allen Größen der deutschen Vergangenheit und der engeren Heimatgeschichte begegnet“ (E. Krebs). Die thematisch-gedankliche Ausrichtung des Werkes an der Göttlichen Komödie ist unverkennbar. Die Rezensenten äußerten sich durchweg positiv. Mit anerkennenden Worten bedachte es vor allem der damalige Rottenburger Bischof P. W. von Keppler (1852-1926); er nannte es eine „Divina Commedia des 20. Jahrhunderts“, „die zwar nicht zu den höchsten Firnen Dantes hinaufragt, dafür aber dem heutigen Verständnis näher liegt“.
Als einfühlsamer Arzt hatte Gassert nicht nur vielen Kranken Heilung gebracht, sondern sie auch seelisch gestärkt und aufgerichtet. Ihm selbst blieben ernste körperliche Gebrechen nicht erspart. Es war vornehmlich das Verdienst des Freiburger Chirurgen Paul Kraske, dass er kurz vor Ausbruch des I. Weltkrieges eine gefährliche Darmoperation überstand und deren Folgeerscheinungen überwinden konnte; aber fortan war er in seiner physischen Kraft gebrochen. Nach Kriegsende gab er seine Praxis auf und zog wegen des für ihn günstigeren Seeklimas nach Überlingen. Zugleich war es für ihn die Rückkehr in die liebliche Bodenseelandschaft, die ihm bereits in seinen jungen Berufsjahren zur zweiten Heimat geworden war. Seine große Verehrung der Muttergottes und ihres Heiligtums in Birnau inspirierte ihn zu einer weiteren geistlichen Gedichtsammlung: „Mater amabilis“, 1921. Nicht nur aufgrund seiner Treue zur Kirche, sondern auch wegen seiner historischen und kunstgeschichtlichen Kenntnisse wurde er mit der Redaktion der Festschrift anlässlich der Wiedereinweihung des Überlinger Münsters (1924) betraut. Gassert, zunehmend kränklich, jedoch noch immer mit unverminderter geistiger Schaffenskraft, übertrug in metrisch-poetischer Form Psalmen und das Hohe Lied aus dem Alten Testament, arbeitete aber auch an einer Abhandlung „Eine ärztliche Studie über das Leben Jesu“. Schon 1922 war ein weiterer Liederband „Aus dem deutschen Süden“ erschienen. Mit besonderer Freude kam er der an ihn herangetragenen Bitte nach, die besten Studentenlieder zu sammeln und sie mit etwa 50 neu entstandenen herauszugeben (1925). Die späte Veröffentlichung einer bislang in der Schublade ruhenden Sammlung von Heimatgedichten („Heimatstrauß“, 1926) regte der damalige badische Landtagspräsident Eugen Baumgartner an, der Gassert freundschaftlich verbunden war. Als eine der letzten in der langen Reihe seiner Veröffentlichungen stand eine Studie über Heinrich Seuse und Überlingen als wahrscheinlicher Geburtsstadt des mittelalterlichen Mystikers (1926). Zu den besonders kostbaren Hinterlassenschaften Gasserts gehören sein „Freiburger Kriegstagebuch“ sowie die „Tagebuchblätter aus der Überlinger Zeit“; sie wie auch seine Erzählung „Der Turmbaumeister zu Freiburg“ wurden nicht verlegt. Trotz seines jahrelangen Leidens, das er mit viel Geduld ertrug, kam sein Tod in der Folge eines Herzkrampfes überraschend. Auf dem Überlinger Friedhof fand Gassert seine letzte Ruhestätte.
Quellen: StadtA Freiburg, Nachlass; UB Freiburg, Diss. med. 1885.
Werke: Bibliographien, in: Das kath. Deutschland. Biogr.-bibliogr. Lexikon, hg. v. W. Kosch, Bd. 1, 1933, Sp. 936 f.; Dt. Literatur Lexikon, hg. v. W. Kosch, Bd. 1, 1949 2. Aufl., 613; dass. Bd. 6, 1978 3. Aufl., Sp. 80. – Auswahl: Sionsharfe. Monatsblätter f. kath. Poesie, begr. v. J. M. Schleyer, 1876/77-1888; Kath. Dichterschule, begr. v. H. Gassert, 1./2. Jg. 1888/89; Kloster Beuron (Ged.), 1891; Arbeit u. Leben des kath. Klerikers im Lichte d. Gesundheitslehre, 1902, 2. (verbess.) Aufl. 1907; O alte Burschenherrlichkeit. Studenten- u. Vaterlandslieder, 1902, 1908 2. Aufl.; Der Fähnrich von Freiburg u. seine Braut. Eine poet. Erzählung aus Freiburgs Franzosenzeit 1796, 1913; Im Lande der Seligen. Eine Dichtung, 1914, 1918 2. Aufl.; Das Herz zu Gott, ans Schwert die harten Hände! Vaterländ. Gedichte, 1915; Gottes Gericht im Völkerkrieg. Ein Gedicht, 1918; Mater amabilis. Lieder u. Gedichte d. Muttergottes v. Birnau gewidmet, 1921, 1922 2. Aufl.; Aus dem dt. Süden. Lieder d. Erneuerung. Der dt. studentischen Jugend gewidmet, 1922; FS z. Feier d. Wiedereinweihung des restaurierten Münsters in Überlingen, 1924; Alte u. neue Burschenlieder für die Verbindungen des CV d. kath. dt. Studentenverbindungen. Anhang z. Dt. Kommersbuch von Dr. Karl Reisert, 1925; Was war Fehrenbach uns?, in: Academia. Monatsschrift des CV d. kath. dt. Studentenverbindungen H. 1, 1926/27, 8-10; Heimatstrauß (Ged.), 1926; Der selige Heinrich Seuse. Gegenwärtiger Stand d. Frage über dessen Herkunft u. Heimat, in: Bodensee-Chronik, 15. Jg. Nr. 10-12,1926, 14-18, 20; Studentisches Taschenliederbuch, 1927.
Nachweis: Bildnachweise: Academia Nr. 12, 1926/27, 243; Birnauer Kalender 1929, 97 (vgl. Lit.).

Literatur: (Bearb.) F. Wienstein, Lexikon d. kath. dt. Dichter vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, 1899, 111; N. (= A. Nuß), Der Fähnrich v. Freiburg (Rez.), in: Academia Nr. 8, 1913/14, 501-503; P. W. von Keppler, Im Lande d. Seligen (Rez.), in: Caritas. Zs. f. die Werke d. Nächstenliebe im kath. Deutschland, 1913/14, 1914, 227; E. Krebs, Im Lande d. Seligen (Rez.), in: Oberrh. Pastoralblatt, Nr. 4, 1914, 126 f.; N. Scheid, Im Lande d. Seligen (Rez.), in: Stimmen d. Zeit. Kath. Monatsschrift für das Geistesleben d. Gegenwart, Bd. 88, 1915, 90-94; H. Müller, Dichter H. Gassert, in: Breisgauer Chronik zum Freiburger Boten Nr. 4-6, 1917, 13-24; C. Kistner, Dr. H. Gassert. Dem CV-Sänger z. 70. Geburtstag, in: Academia Nr. 12, 1926/27, 243-245; J. V. Grunau, H. Gassert. Der Sänger d. kath. Studentenschaft, in: Kunst u. Wissen. Beilage zum Bad. Beobachter Nr. 16, 1927, 1; Dr. B. (= E. Baumgartner), H. Gassert, in: Bad. Beobachter Nr. 130 vom 13. 5. 1927; C. Kistner, Dr. H. Gassert, in: Academia, 1928/29, 166 f.; J. V. Grunau, Erinnerungen an Gassert aus alten u. jungen Tagen, ebd., 168 f.; E. Baumgartner, Zum Gedächtnis an Dr. H. Gassert, in: Mitteilungen d. kath. dt. Studentenverbindung Ripuaria, Nr. 40, 1929, 2-6; A. Dietrich, Dem Dichter der „Mater amabilis“, in: Birnauer Kalender, 1929, 94-101; J. Dorneich, Der Sänger des CV – H. Gassert, in: Zeit u. Volk. Wochenschrift f. dt. Kultur H. 10, 1934, 152 f.; W. E. Oeftering, Gesch. d. Lit. in Baden, 3. Teil, in: Vom Bodensee zum Main, Nr. 47, 1939, 65; F. Kern, Sölden. Die Gesch. eines kleinen Dorfes, 1995, 266.
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