Harden-Rauch, Philipp 

Andere Namensformen:
  • bis 1921 Harden
Geburtsdatum/-ort: 25.11.1892;  Weingarten bei Ravensburg
Sterbedatum/-ort: 24.04.1981;  Ettenheim
Beruf/Funktion:
  • Gaubeauftragter für das Volksbüchereiwesen in Baden
Kurzbiografie: Lateinschule in Weingarten
1906-1909 Buchhandelslehre in Saulgau in der Buch-, Kunst-, Musikalien-, und Schreibwaren-Handlung F. X. Rau (bis 1910 dort als Gehilfe tätig); während der Lehre Besuch der Gewerblichen Fortbildungsschule Saulgau
1910-1914 Tätigkeit beim Herder-Verlag in Freiburg; Mithilfe in der Pfarrbibliothek der Gemeinde St. Martin in Freiburg, ab 1913 Mitwirkung bei der Neuorganisation der Pfarrbibliothek der Dompfarrei
1914-1917 Einberufung zum Militärdienst, Freiburger Infanterie-Regiment Nr. 113, Entlassung nach Verwundung
1917-1919 Tätigkeit bei der Verlagsanstalt und Druckerei Badenia AG in Karlsruhe
1917-1933 Buchhändler in verschiedenen Buchhandlungen in Freiburg, aktiv im Freiburger Jungbuchhandel
1921 Adoption durch Irma da Motta-Harden
1933 29. Apr. Eintritt in den „Stahlhelm“, ab 20. Jun. SA
1934 Direktor der Städtischen Volksbücherei; 1935 Gaubeauftragter für das Volksbüchereiwesen in Baden und Leiter der Landesberatungsstelle für Volksbüchereien; Mitglied der NSDAP
1936 Leiter der Staatlichen Stelle für das Volksbüchereiwesen in Baden; Gauobmann des Verbandes Deutscher Volksbibliothekare für die Gaue Baden, Schwaben und Württemberg-Hohenzollern
1937 Beginn des Blockaufbaus von Bibliotheken in Baden
1940 Ausdehnung der Zuständigkeit auf das Elsass; Staatliche Büchereistelle für die Oberrheinlande Baden und Elsass
1944 27. Nov. Ende der bibliothekarischen Tätigkeit durch die Zerstörung von Stadtbücherei und Staatlichen Büchereistelle bei der Bombardierung Freiburgs
1945-1948 Tätigkeit bei der Stadtverwaltung und in einem Photolabor in Mosbach
1948-1959 Anstellung beim Verlag E. Schreiber, Graphische Kunstanstalten, Stuttgart, ab 1958 als Berater
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1. 1936 Augusta Mina (Minna), geb. Kapferer (gest. 1944)
2. 1948 Maria, geb. Henninger
Eltern: Vater: Joseph Anton (1863-1901), Bahnbeamter
Mutter: Agathe, geb. Roth, (1868-1917)
Kinder: 2 aus 1. Ehe:
Irma Elisabeth (geb. 1938)
Roswitha Friederike (1940-1944)
GND-ID: GND/116464917

Biografie: Konrad Heyde (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 121-124

Harden wuchs in Saulgau auf, er besuchte die Lateinschule und absolvierte eine Buchhandelslehre. Nach einer ersten kurzen Anstellung in Nördlingen kam er 1910 nach Freiburg im Br. Hier war er, mit Unterbrechung durch die Teilnahme am I. Weltkrieg, bis in die NS-Zeit hinein in verschiedenen Verlagen und Buchhandlungen tätig, zuletzt als Geschäftsführer der C. Troemerschen Universitätsbuchhandlung.
Als 1933 im Zuge der Machtübernahme in Freiburg auch die Städtische Volksbücherei attackiert wurde, nutzte Harden seine Mitgliedschaft in der örtlichen „Kommission zur Bekämpfung von Schmutz und Schund“ und dem städtischen Volksbüchereiausschuss, um sich als Fachmann mit literaturpolitischen Ambitionen im Sinne der neuen Machthaber zu profilieren. Er trat am 29. April 1933 zunächst dem „Stahlhelm“ bei, dem antidemokratischen, auf die Zerstörung der Weimarer Republik hinarbeitenden Bund der Frontsoldaten, wechselte aber am 20. Juni zur SA über, ging also von einer NS-nahen zu einer NS-Organisation – wie seine nebenamtliche Tätigkeit als Berater der örtlichen NS-Buchhandlung ein Schritt hin zum Erwerb der NS-Mitgliedschaft, der 1935 vollzogen wurde. Der Beitritt zur NSDAP war nämlich als Reaktion auf die massenhaften Beitritte aus Opportunismus nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 für längere Zeit versperrt. Solchermaßen „qualifiziert“, wurde Harden bereits zum 1. Januar 1934 zum Direktor der Städtischen Volksbücherei ernannt.
Der Bedeutung, die die neuen Machthaber generell den öffentlichen Bibliotheken als Instrumenten der Meinungsbildung beimaßen, entsprach die Unterstützung, die Harden von der Stadtverwaltung, insbesondere vom NS-Oberbürgermeister Franz Kerber, für den Ausbau der Städtischen Volksbücherei zukam. Im Laufe des Jahres 1934 baute Harden diese Einrichtung, die in der Weimarer Zeit eher stagniert hatte, zu einer leistungsfähigen Bibliothek aus, deren Aufgabe die propagandistische Durchdringung der Bevölkerung war.
Der NS-Staat funktionierte die Staatlichen Büchereistellen – Beratungs- und Dienstleistungseinrichtungen für öffentliche Bibliotheken – zu Einrichtungen um, die die öffentlichen Bibliotheken kontrollierten und im Sinne des Regimes ausbauten und ausrichteten. Dafür wurde das Netz der Büchereistellen komplettiert und diese in einen neuen, dem Reichserziehungsministerium nachgeordneten Instanzenzug eingebunden: Die Reichsstelle für volkstümliches Büchereiwesen in Berlin war den Staatlichen Büchereistellen in den Ländern weisungsberechtigt, wie diese den Bibliotheken.
In Baden, wo es noch keine Büchereistelle gab, setzte aufgrund der Initiative des Reichserziehungsministeriums ein Gerangel verschiedener Institutionen um die Ansiedlung einer solchen Einrichtung ein. Da das Karlsruher Unterrichtsministerium zunächst kein Interesse an der Einrichtung einer Büchereistelle zeigte, wandte sich Harden an die Gauleitung des NSDAP, die ihn am 12. März 1935 zum Gaubeauftragten für das Volksbüchereiwesen in Baden und zum Leiter einer Landesberatungsstelle für Volksbüchereien ernannte; damit war die Büchereistelle als Partei-Dienststelle gegründet und der Städtischen Volksbücherei Freiburg zugeordnet, die als Musterbücherei zur zentralen bibliothekarischen Schulungsstätte in Baden bestimmt wurde. Auf Wunsch des Reichserziehungsministeriums erhielt die neue Stelle am 6. Juni 1935 auch den staatlichen Auftrag, sie firmierte jetzt als Gau- und staatliche Landesstelle für das Volksbüchereiwesen in Baden. Zum 1. April 1936 erfolgte die Umwandlung in die Staatliche Stelle für das Volksbüchereiwesen in Baden, eine Dienststelle im Geschäftsbereich des badischen Kultusministeriums mit Sitz in Freiburg.
Die Bibliothekssituation in Baden war 1935 für die NSDAP alles andere als zufriedenstellend: 47 Bibliotheken in kommunaler Trägerschaft standen 832 konfessionelle gegenüber, und während erstere meist von geringer Leistungsfähigkeit waren, befanden sich die zahlreichen im katholischen Borromäusverein organisierten Bibliotheken in starkem Aufschwung. Zunächst überprüfte Harden das Personal in leitenden Positionen bei den kommunalen Bibliotheken auf Eignung und Zuverlässigkeit im Sinne der Partei. Außerdem führte er umfassende Bestandssichtungen zur Entfernung verbotener und unerwünschter Literatur durch – auch in konfessionellen Bibliotheken, Vereinsbibliotheken, Schulbibliotheken und in der Akademischen Lesehalle der Universität Freiburg sowie in Buchhandlungen, wo er in Begleitung eines Polizisten Beschlagnahmungen vornahm.
Die am 27. Oktober 1937 erlassenen reichseinheitlichen „Richtlinien für das Volksbüchereiwesen“ waren Grundlage, um die Kommunen zu Bibliotheksgründungen zu veranlassen. In großer Zahl war das vor allem in kleineren ländlichen Gemeinden der Fall, für die die Büchereistelle die Bücher zentral beschaffte und einarbeitete und das Personal schulte. Um die Aufgabe zu bewältigen, wurde der bereits in Thüringen erprobte Blockaufbau angewandt, d. h. die wenige hundert Bände umfassenden Bestände waren in allen Bibliotheken identisch. Im Rahmen der Gaukulturwoche wurden am 23. November 1938 in einer im Radio übertragenen zentralen Feier im Freiburger Kaufhaus 160 Bibliotheken in Baden eröffnet. Solche propagandistisch wirksamen Masseneröffnungen wurden in den kommenden Jahren wiederholt.
In Freiburg sprach man von Harden als dem „Lieblingskind vom Kerber“. Der Oberbürgermeister übertrug ihm nach Erscheinen des ersten Bandes die editorische Arbeit am „Jahrbuch der Stadt Freiburg“, das von 1937 bis 1942 in fünf Bänden mit eigenständigen Titeln erschien und heute als ein NS-Dokument gelten kann, das mit Gespür für die propagandistische Wirkung von Literatur auf ein bürgerliches Publikum kompiliert ist.
Die Ausschaltung der kath. Borromäus-Bibliotheken wurde auf Veranlassung des Reichserziehungsministeriums in einer Dienstbesprechung der preußischen und des badischen Büchereistellenleiters am 11. Oktober 1940 in Berlin durchaus komplottartig abgesprochen und in Baden in aller Härte durchgeführt. Im März 1941 war die Arbeit aller katholischen Bibliotheken beendet. Teils wurden sie unter den fadenscheinigsten Vorwänden von der Polizei, teils von enervierten Pfarrern selbst geschlossen.
Nach der deutschen Besetzung Frankreichs wurde die fachliche Zuständigkeit für die Planung und Durchführung des Büchereiaufbaus im Elsass der Staatlichen Büchereistelle in Freiburg und damit Harden übertragen. Er war in dieser Funktion der Abteilung Erziehung, Unterricht und Volksbildung beim Chef der Zivilverwaltung im Elsass nachgeordnet, aus deren Mitteln die Aktion finanziert wurde. Auf eine umfassende Kontroll- und Säuberungsphase folgte die kompromisslose Umstellung und politische Neuausrichtung der elsässischen öffentlichen Bibliotheken nach NS-Zielvorstellungen und als Teil der NS-Volkstumspolitik. Nach badischen Muster kam erneut der Blockaufbau zum Einsatz, jedoch in einer Größenordnung, die den vorangegangenen Aufbau in Baden vielfach übertraf. Bis weit ins Jahr 1944 hinein wurden über 2 500 Volks-, Schüler-, Lehrer-, Krankenhaus- und Werkbüchereien eingerichtet und mit ca. einer Million Büchern ausgestattet. Bereits im Frühjahr 1942 stellte Harden fest, solche Aufbauzahlen seien in der Geschichte des deutschen Büchereiwesens einmalig. Im Sommer 1942 wurde ihm dafür das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse verliehen.
Bei der Bombardierung Freiburgs am 27. November 1944 wurde das Gebäude Münsterplatz 25, in dem sich Stadtbücherei und Staatliche Büchereistelle befanden, zerstört; de facto endete damit die bibliothekarische Tätigkeit Hardens. Vor der Besetzung Freiburgs durch französische Truppen am 22. April 1945 setzte er sich ins nordbadische Mosbach ab und damit in die amerikanische Besatzungszone, wo er wegen seiner Tätigkeit im Elsass weder Pressionen noch Auslieferung an die Franzosen befürchten musste. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er als Idealist, der den falschen Weg beschritten habe, bezeichnet und als „Mitläufer“ zu einer Geldstrafe von 200 Reichsmark verurteilt; er habe den Nationalsozialismus nur unwesentlich unterstützt und ihm nur nominell angehört. 1948 wurde er beim Stuttgarter Verlag E. Schreiber angestellt und später Verlagsleiter. Er arbeitete u. a. an der Schiller-Volksausgabe im Gedächtnisjahr 1955 sowie an einer Serie von Bild-Biographien mit. Dabei handelte es sich um Druckerzeugnisse, die in Absprache mit der Kultusverwaltung des Landes Württemberg-Baden, später von Baden-Württemberg, entstanden und ausschließlich in den Schulen verkauft wurden. Die dafür notwendigen Kontakte zur Kultusverwaltung hatte Harden hergestellt.
Mit dem Untergang des „Dritten Reichs“ verschwand auch das von Harden geschaffene Bibliothekswesen, teils durch Kriegseinwirkungen, teils durch Entnazifizierungsmaßnahmen, die oft die Auflösung von Bibliotheken zur Folge hatten, vor allem aber aus Gründen, die in der Struktur dieses Bibliothekswesens selbst lagen. Gerade in ländlichen Gebieten war jede einzelne Bibliothek trotz des offiziellen Wirbels, der um sie gemacht wurde, eine kleine, wenig attraktive Einrichtung von geringer Bedeutung, die nach 1945 durch ihre strikte Ausrichtung auf die NS-Ideologie unbrauchbar, als Relikt des NS-Regimes suspekt und damit verzichtbar wurde.
Bereits im Jungbuchhandel, eine vom Verleger Eugen Diederichs und Otto Reichel um 1923 initiierte Bewegung, die dem Buchhandel berufs- und sozialpädagogische Impulse gab, war Harden als tüchtiger, kenntnisreicher und gebildeter Buchhändler aufgefallen, aber auch als Opportunist und Karrierist. In seinem Streben nach persönlicher Sicherheit durch eine Stellung im öffentlichen Dienst diente er sich dann dem Nationalsozialismus an und verknüpfte sein berufliches Fortkommen aufs engste mit ihm. Das eröffnete ihm eine Karriere mit großem Machtzuwachs in einem dem Buchhandel benachbarten Berufsfeld. Ungehemmt durch bibliothekarisches Ethos, die fehlende Fachausbildung durch Erfindungsreichtum und energisches Vorgehen kompensierend, legitimierte er sein bibliothekarisches Handeln ausschließlich aus den Zielen des Regimes. Ganz bewusst unterdrückte er die humanistische, d. h. aufklärerische Zielsetzung der Bibliotheken und deformierte sie zum Propaganda-Instrument und als Mittel zur NS-Herrschaftssicherung, wobei er in Baden und im Elsass eine besonders scharfe Gangart einschlug.
Quellen: EAF B2-55-33, 16908, B2-55-33, 18629; GLA Karlsruhe 235/6559, 235/6567, 235/6776, 235/6865, 235/6866; HStA Düsseldorf Bestand BR 1004/800; StadtA Freiburg C4/V 34/1, C4/V 34/4; UA Freiburg EI 9.
Werke: Richtlinien für den Aufbau d. Volksbüchereien in Baden, hg. von d. Gau- u. staatl. Landesstelle für das Volksbüchereiwesen in Baden, 1935; Das Volksbüchereiwesen in Baden: Jahresber. 1936/37 [der] Staatl. Stelle für das Volksbüchereiwesen in Baden, 1937; Die Zusammenarbeit d. Staatl. Volksbüchereistellen mit Partei u. Staat, in: Bücherei 6, 1939, 11, 516-521; Französische Büchereiarbeit im Elsass, in: Bücherei 7, 1940, 10, 304-309; Dt. u. französ. Büchereipolitik im Elsass, in: Straßburger Monatshefte Jg 1941, 246-252; Unsere Stadtbücherei: Zur Geschichte des Freiburger Büchereiwesens, in: Amtl. Einwohnerbuch d. Stadt Freiburg im Br. 1942, III-XVI; Die Bundesrepublik Deutschland: Kurze Einführung für den jungen Staatsbürger, hg. von d. Arbeitsgem. „Der Bürger im Staat“,1955 9. Aufl.; Die Ettenheimer Stadtpfarrkirche „St. Bartholomäus“, 1969 2. Aufl.
Nachweis: Bildnachweise: Amtl. Einwohnerbuch d. Stadt Freiburg im Br. 1942, XV (2. v. r., vgl. W); Stadtbibliothek Freiburg im Br.: Stadtbibliothek im Wandel – Zur Geschichte einer städt. Bildungs- u. Kulturinstitution, [Begleitheft zur] Ausstellung zum 100-jährigen Jubiläum d. Stadtbibliothek in städt. Trägerschaft, zusammengest. von Carola Schelle-Wolff, 2001, Tafel 5.

Literatur: H. Chatellier u. a., La Bibliothèque Municipale de Strasbourg sous l'occupation (1940-1944), in: Bulletin de la Faculté des lettres de Strasbourg 48, 1969/70, 2, 47-84; J.-F. Leonhard, Vom lebendigen zum dt. Geist – Aussonderung u. Separierung von Büchern in Heidelberger Bibliotheken unter dem Nationalsozialismus, in: Bücherverbrennung: Zensur, Verbot, Vernichtung unter dem Nationalsozialismus in Heidelberg, 1983; K. Heyde, „... die Waffe unseres kulturpolitischen Lebens, die wir blank u. sauber zu halten haben“: NS-Bibliothekspolitik am Beispiel des Landes Baden, in: Allmende 13, 1993, 38/39, 137-156; U. Bärlin, „Das Buch als feste Brücke zwischen den Ufern des Rheins“: NS-Bibliothekspolitik im Elsass. Das Volksbüchereiwesen unter bes. Berücksichtigung d. Städt. Büchereien Colmar u. Straßburg. Magisterarbeit Univ. Freiburg im Br. (unveröffentl. Typoskript), WS 1995/96.
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