Gattermann, Ludwig Friedrich August 

Geburtsdatum/-ort: 20.04.1860; Goslar
Sterbedatum/-ort: 20.06.1920;  Freiburg i. Br.
Beruf/Funktion:
  • Chemiker
Kurzbiografie: 1867-1880 Besuch des Realgymnasiums in Goslar
1880-1881 Einjährig-Freiwilliger in Leipzig; gleichzeitig Studium an der Universität Leipzig
1881-1882 Studium an der Universität Heidelberg
1882/83 Wintersemester Studium an der Universität Berlin
1883-1885 Studium und Promotion an der Universität Göttingen: „Über einige Derivate des m-Nitro-p-Toluidins“
1884 1. Jan. Assistent im chemischen Laboratorium der Universität Göttingen
1886 28. Jun. Habilitation aufgrund der publizierten Arbeiten; Probevorlesung: „Über das periodische System der Elemente“
1889 7. Jun. außerordentlicher Professor und stellvertretender Direktor des chemischen Laboratoriums der Universität Heidelberg, ab Dez. 1898 etatmäßiger außerordentlicher Professor für organische Chemie
1900 24. Mär. ordentlicher Professor und Direktor des chemischen Instituts der philosophischen Fakultät der Universität Freiburg
1901 28. Feb. Antrittsvorlesung „Experimentelle Erläuterungen zu Goethes Wahlverwandtschaften (1. Teil, 4. Kapitel)
1909 Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
1914 Geheimer Hofrat
1917 6. Dez. Mitglied des Ausschusses des Vereins Deutscher Chemiker
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1893 (Heidelberg) Katharina (Käthe) Auguste, geb. Krausse (1869-nach 1925), 1918 geschieden
Eltern: Vater: Heinrich Fritz Wilhelm (1827-nach 1898), Bäckermeister, Kaufmann in Goslar
Mutter: Marie Dorothea Luise, geb. Creutzburg (geb. 1838)
Geschwister: 4:
Bertha Karoline Auguste Anna (geb. 1862)
Friedrich Wilhelm Hermann (1863-1864)
Auguste Mathilde Friederike (1865-1866)
Frieda Maria Auguste Ernstine (geb. 1868)
Kinder: Elsa Marie (1895-1989)
GND-ID: GND/11646612X

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 89-91

Der Sohn einer Goslarer Kaufmannsfamilie zeigte bereits während der Schulzeit eine große Begabung im Fach Chemie. Später widmete er seine Promotionsarbeit seinem ersten Chemielehrer J. Hormann. Nach dem Schulabschluss im Frühjahr 1880 ging Gattermann nach Leipzig, wo er an der Universität Naturwissenschaften (Physik, Chemie und Mineralogie) studierte und gleichzeitig seiner Militärpflicht genügte. Gegenüber dem Militärdienst hatte er eine Abneigung und brachte es nach den notwendigsten Übungen nur zum Unteroffizier. Als sein einjähriger Dienst zum Ende ging, begann er zielstrebig Chemie zu studieren, zuerst in Heidelberg bei Bunsen und Bernthsen, danach in Berlin bei Liebermann und schließlich in Göttingen. Er besaß ein seltenes Beobachtungsvermögen, das ihm schon in Berlin eine erste kleine Entdeckung in der organischen Chemie erlaubte: „Salzbildung beim Tribromanilin“.
In Göttingen arbeitete Gattermann vom Studienanfang an als „Hilfsassistent“ im chemischen Laboratorium und wurde nach einigen Monaten zum ordentlichen Assistenten befördert. Für den neuen Chemieprofessor Victor Meyer wurde Gattermann bald als Vorlesungsassistent und absolut zulässiger Vertreter beim Neubau des chemischen Laboratoriums unentbehrlich. Es ist erstaunlich, dass ein dergestalt belasteter Mensch daneben eine ganze Reihe beachtlicher Arbeiten in der organischen Chemie durchführen konnte: Er fand insbesondere seine Methode zur Darstellung aromatischer Karbonsäuren. Meyer unterstützte Gattermanns Habilitation aufgrund seiner publizierten Arbeiten, die „Forschungsgabe“ und „Lehrtalent“ ihres Urhebers bewiesen, und der Tatsache, dass er schon jetzt ein tüchtiger und gewandter Laboratoriumsleiter sei. Gattermann wirkte als Privatdozent überwiegend im Labor. Als V. Meyer nach Heidelberg auf den Lehrstuhl Bunsens wechselte, nahm er Gattermann mit, der eine außerordentliche Professur erhielt und stellvertretender Direktor des chemischen Instituts wurde. Auch hier sollte er neben dem Dienst als Vorlesungsassistent die schwierige Aufgabe eines Neubaus wahrnehmen, der 1892 vollendet wurde. Im Praktikum leistete Gattermann die theoretische und experimentelle Einführung in das organische Arbeiten, woraus sein berühmtes Lehrbuch „Die Praxis des organischen Chemikers“ entstand, das er und seine Schüler immer „Kochbuch“ nannten. Gattermanns Vorlesungen schlossen die „Chemie der Benzolderivate“ und die „Chemie der Teerfarbstoffe“ ein. Beide Kurse standen im Zusammenhang mit einer weiteren Seite seiner Tätigkeit; denn seit Anfang 1888 bis ans Lebensende hatte Gattermann enge Beziehungen zur „Friedrich Bayer&Co“ in Elberfeld. In diesem Zusammenhang entstanden zahlreichen Arbeiten über Azo- und Diazoverbindungen, über Antrachinon-Abkömmlinge und andere Farbstoffe, die teilweise zusammen mit dem Fabrikdirektor R. E. Schmidt publiziert wurden. Seit 1895 bearbeitete Gattermann auch gerichtschemische Fragen.
1900 wurde Gattermann als Ordinarius und Direktor des chemischen Instituts an die philosophische Fakultät der Universität Freiburg berufen. Damals gab es in Freiburg zwei chemische Institute und Lehrstühle: bei der philosophischen und bei der medizinischen Fakultät. Auf die Freiburger Periode entfallen elf seiner ca. 80 Artikel. Die enorme vorherige Überlastung wirkte sich aus; ein Übriges taten Krankheiten, verursacht durch den ständigen Umgang mit giftigen und schädlichen Substanzen; hinzu kam Familienstreit, der schließlich zur Ehescheidung führte. Trotzdem arbeitete Gattermann täglich im Labor und kam umfangreichen Unterrichts- und organisatorischen Verpflichtungen nach, was sich besonders während des Krieges kompliziert gestaltete, als es galt, mit knappsten Mitteln den Unterricht fortzusetzen: Gattermann entwickelte neue Methoden, mit wenig Substanz und wenig Heizung – in den kleinsten Gefäßen mit Mikroflammen – Reaktionen durchzuführen. Als Lehrer verstand er es, seine Praktikanten „unermüdlich und in immer gleichbleibender Freundlichkeit“ zu ihren Übungs- und wissenschaftlichen Arbeiten anzuleiten. Etwa zwei Drittel seiner Artikel publizierte er zusammen mit seinen Schülern. Ernsthafte Arbeiter förderte er, wo er nur konnte. Seine zahlreichen Schüler aus Deutschland und dem Ausland bewährten sich vielerorts in der chemischen Industrie. „Der Grundzug seines Wesens war“, so ein junger Kollege, „eine stille Güte und freundliche Milde“. Als Mensch gründlich, verlässlich und freundlich, lieferte Gattermann bedeutende Beiträge für die anorganische, organische und analytische Chemie. Seinen Rang in der Geschichte der Chemie verdankt er aber zuerst seinen ausgezeichneten Ergebnissen in der präparativen organischen und anorganischen Chemie. Er konnte als erster den reinen Chlorstickstoff herstellen und dessen bisher vermutete Formel beweisen. Da Chlorstickstoff extrem explosiv ist, machte dieser Erfolg Gattermanns Name schon 1888 weltbekannt. Gattermann entdeckte oder erforschte als erster einige neue anorganische Stoffe: Si2C6, Si3Cl8, P2H4, BCl3 und die Kieselsäuren. 1890 erhielt er die ersten weiteren Vertreter der eben „geborenen“ sogenannten „flüssigen Kristalle“. Im Laufe seiner Forschungen erfand Gattermann Arbeitsmethoden, die in seinem oben erwähnten „Kochbuch“ zusammengestellt wurden. Es wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Gattermann selbst konnte noch die 15. Auflage zum Druck vorbereiten. In weiteren Bearbeitungen wird es bis in die Gegenwart im Chemieunterricht benutzt. Zu Gattermanns besonders wichtigen methodischen Neuheiten gehören ein Apparat zur Stickstoff-Bestimmung, der „Bombenofen“ mit verstellbaren Brennerröhren, „Gattermann-Kupfer“ – ein Katalysator aus besonders fein verteiltem Kupfer, der zu Diazoreaktionen verwendet wird, sowie eine elegante Darstellungsmethode für Bor- und Siliziumverbindungen. Seine bekannteste Leistung ist aber die sogenannte „Gattermannsche Synthese“ – eine effektive Methode zur Herstellung der aromatischen Aldehyde aus aromatischen Kohlenwasserstoffen unter Benutzung von Aluminiumchlorid als Katalysator. Diese bis heute gebräuchliche Methode fand Gattermann 1897.
Quellen: UA Göttingen, phil. Fak., Dekanatsakten Nr. 170, Nr. 17 Ia; UA Heidelberg, Matrikel, PA 1599; UA Freiburg B24 Nr. 298, B15 Nr. 541; Auskünfte d. StadtA Heidelberg u. StadtA Goslar.
Werke: Über die Salzbildung des symmetrischen Tribromanilins, Berr. d. Dt. Chem. Ges. 16, 1883, 634-636; Über eine Modification des Schiffschen Apparates zur volumetrischen Stickstoffbestimmung, Zs. für analyt. Chem. 24, 1885, 57-59; Zur Kenntnis des Chlorstickstoffs, Berr. d. Dt. Chem. Ges. 21, 1888, 751-757; Untersuchungen über Silicium u. Bor, ebd. 22, 1889, 186-197; (mit W. Haussknecht), Untersuchungen über selbstentzündlichen Phosphorwasserstoff, ebd. 23, 1890, 1174-1190; (mit A. Ritschke), Über Azoxyphenoläther, ebd. 23, 1890, 1738-1750; (mit K. Weinling), Zur Kenntnis d. Siliciumverbindungen, ebd. 27, 1894, 1943-1948; Die Praxis des organischen Chemikers, 1894, 1920 15. Aufl.; Neue Synthesen aromatischer Aldehyde, Verh. d. Ges. Dt. Naturforscher u. Ärzte, 69. Versammlung, T. 2, 1. Hälfte, 1897, 84; Synthesen aromatischer Aldehyde, Ann. Chem. 347, 1906, 347-386; ebd. 357, 1907, 313-383; ebd. 393, 1912, 215-233; Die Mercaptane des Antrachinons, ebd. 393, 1912, 113-197; (mit H. Schindhelm), Die Entfernung d. Phosphorsäure in d. qualitativen Analyse, Berr. d. Dt. Chem. Ges. 49, 1916, 2416-2422; (mit. H. Rolfes), Azide, Anthranile u. Azoderivate des Antrachinons, Ann. d. Chem. 425, 1921, 135-161.
Nachweis: Bildnachweise: UB u. UA Heidelberg; Meyer, 1918; Jacobsen, 1921 (vgl. Lit.).

Literatur: Poggendorffs Biogr.-Literar. Handwörterb. Bd. IV, 1904, 480 f.; ebd. Bd. V, 1926, 413 f.; ebd. Bd. VI, 1937, 856; R. Meyer, Victor Meyer, Leben u. Wirken eines dt. Chemikers u. Naturforschers, 1918 (mit Bild); R. Schwarz, L. Gattermann †, in: Chem. Ztg. 44, 1920, 513; E. Fromm, L. Gattermann †, in: Zs. für angew. Chemie 33, 1920, 185 (mit Bild); E. Fromm, L. Gattermann †, in: Berr. d. Dt. Chem. Ges. A53, 1920, 144 f.; P. Jakobson, L. Gattermann, ebd. A54, 1921, 115-141 (mit Bild); B. P. Anft, Gattermann, in: NDB 6, 1964, 91; R. Pötsch, Gattermann, Lexikon bedeutender Chemiker, 1989, 162 f.
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