Bredig, Georg 

Geburtsdatum/-ort: 1868-10-01; Glogau, Niederschlesien
Sterbedatum/-ort: 1944-04-24; New York
Beruf/Funktion:
  • Chemiker, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie: Ostern 1886 Humanistisches Gymnasium Glogau bis Abitur
1886–1894 Studien d. Naturwissenschaften an d. Univ. Freiburg im Br., ab 16.10.1886 Studium d. Chemie u. Physik an d. Univ. Berlin bis 1889, dann in Leipzig bis zur Promotion zum Dr. phil. mit zwei Abhandlungen: I. Beiträge zur Stöchiometrie. Ionenbewegung; II. Über die Affinitätsgrößen d. Basen
1894 –1895 Studien in Amsterdam, Paris u. Stockholm
1895 XI. 1–1901 II. 9 Assistent am Physikalisch-Chemischen Institut d. Univ. Leipzig bis zur Habilitation
1901 X. 1 etatmäßiger ao. Professor für physikalische Chemie an d. Univ. Heidelberg
1910 IV. 1 o. Professor an d. ETH Zürich
1911 X. 1–1933 o. Prof. für physikalische Chemie u. Elektrochemie an d. TH Karlsruhe, Rektor für das Studienjahr 1922/23
1914 V. Ehrenpreis des „Institut Solvay“, Brüssel, für die Arbeiten über die Katalyse
1920 Mitglied d. Kgl. Akademie d. Wissenschaften, Amsterdam
1924 V. ao. Mitglied d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften
1930 Dr. sc. techn. h. c. d. ETH Zürich
1933 X. 1 Entlassung aus dem Dienst
Herbst 1937 Auswanderung des Sohnes in die USA
1938 XII. Ausschluss aus d. Heidelberger Akademie d. Wiss.
1939 VII. 29 Auswanderungserlaubnis, im Herbst 1939 Auswanderung nach Holland, im Frühjahr 1940 in die USA
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr., seit 1900 ev.
Mitgliedschaften: Mitglied d. Kgl. Akademie d. Wissenschaften, Amsterdam (1920);
außerordentliches Mitglied d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften (1924-1938)
Verheiratet: (1901) Rosa, geb. Fraenkel (1877–1933)
Eltern: Vater: Max (1842–1899), Kaufmann
Mutter: Ernestine, geb. Troplowitz (1847–1930)
Geschwister: 4 Schwestern
Kinder: 2; Max Albert (1902–1977) u. Marianne, verh. Homburger (1903–1987)
GND-ID: GND/116469307

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 44-47

Bredig erlebte eine glückliche Kindheit in wohlhabender kaufmännischer Familie. Seine Entwicklung wurde stark durch den Onkel seiner Mutter, Buchhändler M. Hollstein, beeinflusst; daher stammten seine Belesenheit, die später alle Zeitgenossen erwähnten, und die Liebe des guten Geigers zur Musik. Zugleich zeigte Bredig ein besonderes Interesse an Chemie. Bredig, der das kath. humanistische Gymnasium in Glogau 1886 als einer der besten abschloss, weswegen er als besondere Auszeichnung die Abiturientenrede halten durfte, experimentierte zu Hause gerne, was ihm bei Nachbarn den Spitzname „Apotheker“ eingebracht hatte.
Nach dem Abitur begann sein Studium: zuerst in Freiburg, bald danach in Berlin. Er hörte Vorlesungen von A. W. Hofmann, Sigmund Gabriel (1851–1924) und Wilhelm Will (1854 –1919) in Chemie und von H. Helmholtz und A. Kundt in Physik. W. Will, damals Privatdozent und Leiter der analytischen Abteilung, zog den jungen Studenten frühzeitig als Mitarbeiter heran und zusammen mit ihm fertigte Bredig seine ersten wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der physikalischen Chemie. Will machte Bredig auch mit der „Zeitschrift für physikalische Chemie“ bekannt, die Wilhelm Ostwald zusammen mit J. H. van’t Hoff ab 1887 herausgab, was entscheidend dazu beitrug, dass die physikalische Chemie als eine selbständige Wissenschaft institutionalisiert wurde. Von diesem Arbeitsfeld war Bredig derart begeistert, dass er nach Leipzig übersiedelte, um bei Ostwald mehr über diese Wissenschaftsrichtung zu lernen. Außerdem wirkten die Vorlesungen von Johannes Wislicenus (1835–1903) über Stereochemie und von Carl Ludwig über Physiologie auf den angehenden Wissenschaftler.
Dem Wunsch der Eltern entsprechend ließ sich Bredig gleichzeitig in der medizinischen Fakultät einschreiben und studierte Physiologie; er betrieb das Medizinstudium aber nur vorübergehend. In dem berühmten Leipziger Institut für physikalische Chemie arbeitete Bredig unter Ostwalds Leitung an seiner Dissertation, die Ostwald zu den besten zählte, die bei ihm eingereicht wurden. Bredig promovierte „summa cum laude“ und ging nach Amsterdam zur weiteren Ausbildung bei van't Hoff, wo er zwei Semester arbeitete und sich mit Ernst Cohen (1869–1944) befreundete; beide zusammen publizierten einige Artikel. Danach arbeitete Bredig ein paar Monate bei M. Berthelot in Paris und bei Svante Arrhenius in Stockholm. Nach anderthalb Jahren kehrte Bredig nach Leipzig als Assistent Ostwalds zurück. In der Atmosphäre des geistig reichen und wissenschaftlich regen Lebens des physiko-chemischen Instituts schuf Bredig eine Reihe von Pionierarbeiten über die durch ihn entdeckte Methode der Herstellung kolloidaler Metalle und über ihre katalytischen Eigenschaften. Die Ergebnisse wurden in der Monographie „Anorganische Fermente“ zusammengefasst, die Bredig als Habilitationsschrift vorlegte. Nach dem Kolloquium und der Probevorlesung „Über die Chemie der extremen Temperaturen“ erhielt er die Venia legendi. Der frischgebackene Privatdozent war schon ein bekannter Wissenschaftler mit mehr als 40 Publikationen, so dass er sehr bald als ao. Professor nach Heidelberg berufen wurde. Dort setzte Bredig die Leipziger Tradition fort, seine Schüler an eigenen Forschungen teilnehmen zu lassen. Trotz ungünstiger Verhältnisse konnte er mit seinen Schülern in neun Jahren etwa 50 wissenschaftliche Arbeiten, vorwiegend über die chemische Kinetik und Katalyse fertigen und damit seine Leipziger Forschungen weiterentwickeln. 1910 übernahm Bredig den Lehrstuhl an der ETH Zürich, wo er sich mit seiner Familie sehr wohl gefühlt habe, bis ihn im Herbst 1911 der Ruf an die TH Karlsruhe erreichte.
An der dortigen TH wirkte Bredig dann 22 Jahre als ordentlicher Professor und Direktor des Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie und arbeitete mit zahlreichen Schülern auf verschiedenen Gebieten der Physikalischen Chemie und ihrer technischen Anwendungen. Während des I. Weltkrieges übernahm Bredig nicht nur zwei große Lehrgebiete, sondern führte Arbeiten zur Darstellung der schwefligen Säure aus Gips durch. Als seine Institutsräume teilweise als Hilfslazarett eingerichtet wurden, machte sich Bredig für ehrenamtliche Kriegshilfsdienste frei. Nach dem Krieg arbeitete er u. a. über die Nutzbarmachung von Ammonsalpetersprengstoffen zu Düngezwecken. In diese Epoche fällt auch eine intensive erfinderische Tätigkeit Bredigs. Er hielt mit Mitarbeitern 17 Patente über die Synthese von Ameisensäure, Blausäure und verschiedene anorganische Stoffe. 1922 wurde er zum Rektor der TH gewählt, damals ein besonders schwieriges Amt, das Bredig mit großem Ernst ausfüllte. Seine Rektoratsrede wurde zu einem Ereignis im öffentlichen Leben Karlsruhes und ihr pazifistischer Geist machte Bredig aber auch zum Ziel nationalistischer und antisemitischer Angriffe. Diese verschärften sich, als Bredig einem Nazionalsozialisten den Raum für einen Vortrag versagte.
Ab März 1933, seine Frau war gerade gestorben, setzten auch im Falle Bredigs politische Verfolgungen ein. Das Ministerium für Kultus in Karlsruhe erhielt eine Anzeige gegen den „jüdischen Professor Bredig“ wegen „sehr bezeichnende[r] Äußerungen seiner undeutschen und schädlichen Gesinnung“. Bredig wurde verhört. Zum 1. Oktober genehmigte das Ministerium sein Gesuch zur Emeritierung. Bemühungen, weiter privat zu arbeiten, waren erfolglos. Seine Kinder sprachen von Emigration, Bredig wollte nicht: „Im Allgemeinen hänge ich trotz Allem noch an meinem Stiefvaterlande und betrachte das Auswandernmüssen als ein schweres Unglück“, so formulierte er im Brief an K. Freudenberg (BWB III 87) vom 14. Juli 1933. Als sein Sohn emigrierte und der 70-jährige Bredig am 10. November 1938 einen Tag lang, Kopf gegen die Wand, in einem Stall in der Gottesauer-Kaserne stehen musste, entschied er sich endlich dafür. Im Antrag dazu, in dem er nicht den gesetzlich für Juden vorgeschriebenen ersten Vornamen „Israel“ einsetzte sondern sich „Salomon“ nannte, schrieb er: „Im 71. Lebensjahre stehe ich jetzt vor der Frage, entweder nach der durch die Zeitverhältnisse notwendig gewordenen Auswanderung meiner Kinder hier seelisch vereinsamt und körperlich hilflos zu werden oder ihnen zu folgen“. Sein Freund K. Freudenberg, der als einer der letzten Bredig sah, erinnerte sich: „Ich fand ihn mitten in dem leeren Zimmer stehen. Die Bibliothek war verkauft und die leeren Regale standen an den Wänden. Den Eindruck der Verlorenheit des alten Mannes werde ich nie vergessen“.
Bredig kam zuerst zu seinem Freund E. Cohen, der ihm ein Visum in die Niederlande verschafft hatte, und dann, dank der Bemühungen seines Sohns Max, in die USA. Es war Cohen, der Bredig riet, in die USA zu fliehen. Cohen wurde später in Auschwitz umgebracht. Die New Yorker Jahre gerieten hart für Bredig und waren geprägt von der Angst um die Tochter, die im Oktober 1940 mit ihrem Mann ins Internierungslager Gurs in Südfrankreich deportiert worden war. Erst kurz vor seinem Tod konnte er sie und seinen Schwiegersohn in den USA begrüßen.
In die Geschichte seines Fachs ging Bredig als einer der frühen und besonders vielseitigen Physikochemiker ein. Bredigs erste Forschungen galten der Erarbeitung der Bereiche, deren Prinzipien schon durch seine Lehrer formuliert worden waren, seine bahnbrechenden Arbeiten gehören dann der Katalyselehre. Nach dem Wort Fritz Habers (➝ V 114) schuf Bredig die „Grammatik“ für die Sprache, in der katalytische Reaktionen beschrieben werden. Bredig führte die Methode der Modellreaktionen in die katalytische Forschung ein, entdeckte und erforschte neue katalytische periodische Erscheinungen, entdeckte und untersuchte die sog. „asymmetrische Katalyse“, d. i. die unterschiedliche katalytische Wirkung auf die Reaktionsfähigkeit optischer Isomere. Er erforschte auch die Beziehungen zwischen katalytischer Aktivität und physikalischem Zustand von Metallen. Besonders interessant gerieten seine Forschungen da, wo er auch auf die Grenzgebiete zwischen Katalyse, Kolloidchemie, organischer Chemie und Biochemie einging und Ausgangspunkte mehrerer Forschungsgebiete der modernen Chemie setzte.
In seinem Wirken als Übersetzer und Herausgeber fällt eine wichtige Reihe auf, die zwischen 1905 und 1926 erschienen 14 Bände „Handbuch der angewandten physikalischen Chemie in Einzeldarstellungen“. Freunde und Schüler warteten aber vergeblich auf seinen Band über Katalyse in dieser Reihe, den ihm das Schicksal versagte. Der einzige Aufsatz, den Bredig noch nach 1933 verfassen konnte, ist ein Überblick seiner wissenschaftlichen Tätigkeit unter dem Titel „Georg Bredig. Seinen Freunden zur Erinnerung“. Freudenberg, der dieses Heftchen von Bredig bekam und sorgfältig aufbewahrte, schrieb darüber: „Bredig war ein Patriot im allerbesten Sinne. Dass sein Glaube an Deutschland und das deutsche Volk so schwer erschüttert wurde, war wohl der schwerste Stoß, der ihn getroffen hat, und ich kann sagen, dass er bis zuletzt nicht verstehen konnte, dass er als Deutscher von seinem Volk verstoßen wurde.“
Quellen: UA Freiburg A 66/7, B 44/124, S. 164; A d. Humboldt-Univ.-Berlin Matrikelbuch Nr. 36/77, RIS, AZ vom 29.9.1889; UA Leipzig Phil. Fak. Prom. 1375, Personalakte 348, Rep. I/XVI/VII C54, Bd. 2, Nr. 569; UA Heidelberg Personalakte 1388, Rep. 14/131; UB Heidelberg Hs 3833; Sep. S. Krehl, B1746–B1752; UB Karlsruhe IV A 8161; UA Karlsruhe O/1/49; O/1/52; A d. Heidelberger Akad. d. Wiss. 1, 11, Bredig; GLA Karlsruhe 235/1832, 235/4112, 466/5881; Auskünfte von Nachkommen Bredigs aus den USA, 1997.
Werke: W (mit W. Will) Umwandlung von Hyoscyamin in Atropin durch Basen. Beitrag zur Kenntnis d. Massenwirkung, in: Berr. d. Dt. Chem. Ges. 21, 1888, 2777– 2797; I. Beiträge zur Stöchiometrie. Ionenbewegung; II. Über die Affinitätsgrößen d. Basen, Diss. phil. Leipzig 1894, gedr. in: Zs. für physikal. Chemie 13, 1894, 191– 326; Darstellung colloidaler Metalllösungen durch elektrische Zerstäubung, in: Zs. für angew. Chemie H. 41, 1898, 951–953; Anorganische Fermente (Habilitationsschrift), Leipzig, 1901; [Diskussionsrede bezüglich d. Erweiterung d. Ziele d. Dt. Elektrochemischen Ges., in: Zs. für Elektrochemie 7, 1901, 667 f.; (Hg.) Handb. d. angewandten physikal. Chemie in Einzeldarstellungen, 14 Bde., 1905–1926;. Marcelin Berthelot †, in: Zs. für angew. Chemie 20, 1907, 689–694; Altes u. Neues von
d. Katalyse, in: Biochemische Zs. 6, 1907, 283–326; (mit K. Fajans) Zur Stereochemie d. Katalyse, in: Berr. d. Dt. Chem. Ges. 41, 1908, 752–763; Chemische Kinetik des Diazoessigesters u. ihre Anwendungen, in: Verhandlungen des naturhist.-med. Vereins zu Heidelberg 9, 1908, 1–43; Durch Katalysatoren bewirkte asymmetrische Synthese, in: Chemiker-Ztg. 1911, 324 f.;
J. H. van’t Hoff †, in: Zs. für angew. Chemie 24, 1911, 1074-1087; Katalyse, in: Ullmanns Enzyklopädie d. technischen Chemie Bd. 6, 11919, 665–688; Denkmethoden d. Chemie, Rektoratsrede vom 9.12.1922, 1923; (mit M. Minaeff) Asymmetrische Synthese durch Katalysatoren als Modell d. Fermentwirkung, FS anlässlich des 100-jährigen Bestehens d. TH Fridericiana zu Karlsruhe, 1925, 468–475; (mit R. Allolio) Röntgenuntersuchungen an katalytisch wirkenden Metallen, in: Zs. für physik. Chemie 126, 1927, 41–71; Erinnerungen an mein Amsterdamer Studienjahr, in: Chemisch. Weekblad. 24, 1927, 479–481; Wilhelm Ostwald †, in: Karlsruher Akadem. Mitteilungen 1932, 4 f.; G. B. Seinen Freunden zur Erinnerung, 1938 (Privatdruck).
Nachweis: Bildnachweise: UA Heidelberg u. Bibliothek des Chem. Instituts; Zs. für physikal. Chem. Bd. 137, 1928; Hoepke, 1988, 328 u. Wehefritz, 1998, 31.

Literatur: Poggendorffs biogr.-literar. Handwörteb. IV, 1904, 178, V, 1926, 162 f., VI, 1, 1936, 318 u. VIIa, 1, 1956, 261 (mit Bibliographie); Werkverzeichnisse auch in: Chemische Berichte 95, Nr. 11, 1962, bei Kuhn, 1962, u. Wehefritz, 1998 (s. u.) – Auswahl: F. Haber, Zum 60. Geburtstage von Georg Bredig, in: Zs. für Elektrochemie 34, 1928, 677–679; M. Trautz, Das physikal.-chemische Institut d. Univ. Heidelberg, ebd. 36, 1930, 346–354; A. Koenig, Georg Bredig, Die TH Fridericiana, FS zur 125-Jahrfeier, 1950, 27 f.; P. Günther, Der Lehrstuhl für physikalische Chemie, ebd. 150 f.; W. Kuhn, Georg Bredig, in: Chemische Berichte 95, Nr. 11, 1962, XLVII–LXIII; J. R. Partington, A History of Chemistry, vol. IV, 1964, 681; K.-P. Hoepke, Jüdische Gelehrte u. Studierende an d. T. H. Karlsruhe, in: Juden in Karlsruhe, 1988, 328–332 u. 439 f.; Valentin Wehefritz, Pionier d. Physikal. Chemie – Georg Bredig (1868–1944), Universität im Exil, Biogr. Archiv verfolgter Universitätsprofessoren 1933– 1945 an d. UB Dortmund Nr. 3, 1998.
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