Rieker, Karl Eugen 

Geburtsdatum/-ort: 27.03.1857;  Urach
Sterbedatum/-ort: 28.11.1927; Erlangen
Beruf/Funktion:
  • Kirchenrechtler, Staats- und Verwaltungsrechtler, Rechtshistoriker (Germanist)
Kurzbiografie: Schulbesuch in Biberach und Esslingen
1871 evangelisch-theologisches Seminar Maulbronn
1873 evangelisch-theologisches Seminar Blaubeuren
1875 Eintritt in das Tübinger Stift
1875-1879 Studium der Philosophie und Theologie in Tübingen und in Berlin
1879 28. Sep. Ordination
1879-1880 Vikar in Schwaikheim und in Schwieberdingen
1881 Repetent an der Theologischen Fakultät der Universität Tübingen
1884-1890 Diakon in Brackenheim
1887 Promotion zum Lic. theol. in Tübingen
1889-1891 Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig
1891 Dr. iur. und Habilitation im Kirchenrecht an der Universität Leipzig
1891/92 Privatdozent für Rechte an der Universität Leipzig
1893 außerordentlicher Prof. für Kirchenrecht, Staats-und Verwaltungsrecht und Allgemeine Rechtslehre an der Universität Leipzig
1903 ordentlicher Prof. für Staats-und Verwaltungsrecht, Deutsche und Bayerische Rechtsgeschichte an der Universität Erlangen
1910 Prokanzler
1913 Dr. theol. h. c. der Universität Königsberg in Preußen
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.-luth.
Auszeichnungen: Verdienstorden vom Heiligen Michael 4. Klasse mit Krone (1910); Orden der lippeschen Rose für Kunst und Wissenschaft 1. Klasse (1917); Verdienstorden vom heiligen Michael 3. Klasse (1918); Bayerischer Geheimer Justizrat (1924)
Verheiratet: 1885 Maria, geb. Lust
Eltern: Vater: Heinrich Ludwig Rieker, Königlicher Gerichtsnotar
Mutter: Emilia, geb. Gaupp (geb. 1829), Schwester des württembergischen Staatsrats Robert von Gaupp (1836-1908)
Kinder: Dr. iur. Karlheinrich (geb. 1894)
GND-ID: GND/116541598

Biografie: Karl Heinz Burmeister (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 210-212

Riekers wissenschaftliche Karriere ist nicht geradlinig verlaufen. Nach dem Studium der Theologie als Zögling des Wilhelm-Stifts in Tübingen und einer zehnjährigen praktischen Tätigkeit im Kirchendienst fand er erst spät als Quereinsteiger den Weg zur Jurisprudenz über das Kirchenrecht. Wie viele andere zeitgenössischen Kirchenrechtler nahm er seinen Ausgang von Leipzig. Seine wissenschaftlichen Leistungen liegen darin, dass er mehrere wichtige Werke zum evangelischen Kirchenrecht verfasst hat. Insbesondere sicherte er sich mit seinem Hauptwerk über die rechtliche Stellung der evangelischen Kirche Deutschlands (1893), das sich sowohl durch umfangreiche Literatur- und Stoffkenntnis, als auch durch seine Gedankenfülle auszeichnete, den Ruf eines hervorragenden Kenners der protestantischen Kirchengeschichte. Rieker erweiterte in der Folge mit seinen Abhandlungen „Staat und Kirche nach lutherischer, reformierter und moderner Auffassung“ (1898) und „Grundsätze reformierter Kirchenverfassung“ (1899) sein Forschungsgebiet durch die Einbeziehung des reformierten Rechtskreises. Rieker, der sich vom genossenschaftlichen Gedanken keinen Segen für die Kirche erhoffte, sah vor allem im Staat die entscheidende Institution, von dem die rechtliche Gestaltung der Kirche auszugehen hatte. Das Problem der Kirche und ihres Verhältnisses zum Staat rückte für Rieker in den Mittelpunkt; er versuchte in mehreren Arbeiten wie „Die Krisis des landesherrlichen Kirchenregiments in Preußen“ (1901), „Sinn und Bedeutung des landesherrlichen Kirchenregiments“ (1902) und „Das landesherrliche Kirchenregiment in Bayern“ (1913) die rechtliche Leitung der Kirche durch den Staat, das „Staatsregiment“, theologisch, historisch und juristisch zu rechtfertigen. Auch nach dem Zusammenbruch des Summepiskopats in der Folge des Ersten Weltkriegs hielt Rieker an seinem Verfassungsideal des landesherrlichen Kirchenregiments fest wie seine Schrift „Zur Neugestaltung der protestantischen Kirchenverfassung in Deutschland“ (1919) zeigt.
Mit der Übernahme des Ordinariats in Erlangen waren allerdings Riekers Amtspflichten im Rahmen der universitären Selbstverwaltung (Prokanzler, Mitglied des Verwaltungsausschusses, Dekan) gestiegen, sodass seine literarische Produktion merklich zurücktrat. 1910 bekleidete Rieker das Amt des aus der Juristischen Fakultät zu wählenden Prokanzlers, das große praktische Bedeutung hatte. Als solcher repräsentierte Rieker am 3. Juli 1910, gemeinsam mit dem Prorektor, im Talar die Universität bei der Ankunft des Prinzen Ludwig anlässlich der Universitätsfeiern. 1913 war Rieker Dekan der Juristischen Fakultät.
Als Vertreter des Staatsrechts war Rieker in der universitären Selbstverwaltung besonders gefordert. So setzte er sich 1911 für die geheime Wahl des Prorektors ein. Große Beachtung fand Riekers hochaktueller Vortrag zur künftigen deutschen Verfassung am 28. 1. 1919, nur wenige Tage vor dem Zusammentritt der Weimarer Verfassunggebenden Nationalversammlung. Im November 1919 wurde über eine neue Universitätsverfassung beraten, mit deren Ausarbeitung auf der Basis von Vorschlägen einer Reformkommission Rieker beauftragt wurde. So ganz glücklich war er allerdings mit den Reformideen nicht. Noch 1894 war er entschieden einer Parlamentarisierung des Reiches entgegengetreten; doch vertrat er jetzt nach dem Umbruch die Auffassung, dass auf den demokratischen Geist der Zeit Rücksicht zu nehmen sei. Die neue Universitäts-Verfassung trat 1920 in Kraft; sie beseitigte die ausgesprochen monarchischen Elemente: So wurde statt der Bezeichnung Prorektor jetzt Rektor eingeführt, nachdem bisher der Monarch Rektor gewesen war.
Auch sonst übernahm Rieker eine Reihe von öffentlichen Funktionen: So wurde er 1914 Mitglied der Kirchenverwaltung in Erlangen-Neustadt und 1920 Vorsitzender des städtischen Mieteinigungsamtes. 1920 wurde er in die Sachverständigenkommission zur Ausarbeitung des Entwurfs einer Kirchenverfassung für die Protestantische Kirche rechts des Rheins gewählt. Rieker war auch Mitglied der Gesellschaft für fränkische Geschichte.
Riekers einziger Sohn Karlheinrich (geb. 1894), 1920 an der Universität Erlangen mit einer Dissertation „Das Dauerverbrechen“ zum Dr. iur. promoviert, trat publizistisch in die Fußstapfen seines Vaters; er veröffentlichte besonders in den 1950er und 1960er Jahren eine Reihe von Büchern und Aufsätzen mit wirtschaftswissenschaftlichem, statistischem, aber auch historischem Inhalt. Nur beispielhaft seien genannt „Ein Mann verliert einen Weltkrieg“ (1955) oder „Er ward geboren, nahm ein Weib und starb. Der gezählte Mensch“ (1965).
Quellen: UA Tübingen 130/317; UA Erlangen T. II, Pos. 1, Nr. 38 Lit. R (PA); ebda., Goldenes Buch Nr. 54, Eintrag vom 7. 2. 1904; HStA München MK 17916 (PA).
Werke: Die ev. Kirche Württembergs in ihrem Verhältnis zum Staat, 1887; Die rechtliche Natur des ev. Pfarramtes, 1891; Die rechtliche Stellung der ev. Kirche Deutschlands in ihrer geschichtlichen Entwicklung bis zur Gegenwart, 1893; Die rechtliche Natur der modernen Volksvertretung, in: Zs. für Literatur und Geschichte der Staatswissenschaft 2 (1894), 14-67; Die Stellung des modernen Staates zur Religion und Kirche, 1895; Grundsätze reformierter Kirchenverfassung, 1899; Die Krisis des landesherrlichen Kirchenregiments in Preußen 1848-1850 und ihre kirchenrechtliche Bedeutung, in: Deutsche Zs. für Kirchenrecht 10, 1901, 1 ff.; Sinn und Bedeutung des landesherrlichen Kirchenregiments, 1902; Der Ursprung von Staat und Kirche, in: FG für Emil Friedberg, 1908, 39-72; Das landesherrliche Kirchenregiment in Bayern, 1913 (Sonderdruck aus ZKG); Die Entstehung und geschichtliche Bedeutung des Kirchenbegriffs, in: FG für Rudolf Sohm; Das neue bayerische Armenrecht, 1915, 2. Aufl. 1916; Zur Neugestaltung der protestantischen Kirchenverfassung in Deutschland, 1919.
Nachweis: Bildnachweise: Porträtsammlung UB Erlangen.

Literatur: H. A. L. Degener, Wer ist's? 1912-1928; Kürschner 1925, 827; 1926, 1562 f.; ebda., 1928/1929, 2799; J. Heckel, Nachruf, in: ZSRG 48 Kan. 17 (1928), 708-710; M. Leube, Das Tübinger Stift, 1954, 712; H. Liermann, Die Friedrich-Alexander-Univ. Erlangen 1910-1920, 1977, passim; Rieker Wittern, Die Prof. und Dozenten der Univ. Erlangen 1743-1960, 1993, I, 155 f. (mit weiteren Literaturhinweisen); O. Willett, Sozialgeschichte Erlanger Prof., 2001.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)