Hegler, August Carl 

Geburtsdatum/-ort: 11.03.1873;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 04.11.1937;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • Jurist, Hochschullehrer
Kurzbiografie: 1891 Abitur am Seminar Blaubeuren.
1891–1893 Eintritt in das Tübinger Stift; Studium der Philosophie in Tübingen
1892–1897 Studium der Rechtswiss. in Tübingen und Leipzig; Abschluss mit erster Dienstprüfung zum Justizreferendar in Stuttgart
1899 Promotion zum Dr. iur. in Tübingen mit dem Thema: Praktische Thätigkeit der Juristenfakultäten des 17. und 18. Jahrhunderts in ihrem Einfluß auf die Entwicklung des deutschen Strafrechts von Carpzov ab; Doktorvater: Hermann von Seeger
1901 Zweite Dienstprüfung zum Justizassessor in Stuttgart; Hilfsrichter am Amtsgericht Tübingen; 1901/02 Habilitation für Strafrecht und Prozessrecht in Tübingen (Beiträge zur Lehre vom prozessualen Anerkenntnis und Verzicht) bei Ernst von Beling
1905 Amtsrichter in Oberndorf am Neckar
1906 ao. Prof. für Strafrecht in Tübingen; Hilfsrichter am Landgericht Tübingen
1913 o. Prof. für Strafrecht in Tübingen
1916 Charlottenkreuz
1923/24 Rektor in Tübingen
1927/28 erneut Rektor in Tübingen
1931–1933 Kanzler der Univ. Tübingen
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1909 Sophie (Sofie), geb. Lamparter, aus Stuttgart (1880–1956)
Eltern: Vater: Alfred Ludwig Hegler (1832–1881), aus Markgröningen, Jurist, Landgerichtsrat in Stuttgart
Mutter: Emilie, geb. Dietzsch, aus Hofen (1840–1916)
Geschwister: 3: Alfred (1863–1902), Dr. theol., Pfarrer, Prof. der Kirchengeschichte in Straßburg und Tübingen; Robert (1867–1900), Dr. phil., Botaniker, Privatdozent in Rostock; Carl (1878–1943), Dr. med., Arzt, Prof. der Medizin in Hamburg
Kinder: 2: Alfred (1909–1962); Dieter (1915–1933)
GND-ID: GND/116572000

Biografie: Martin Otto (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 112-114

Hegler stammte väterlicherseits aus einer schwäbischen Chirurgenfamilie; sein Vater war bereits in den Dienst der württembergischen Justiz getreten und hatte auch zum württembergischen Recht und zum Prozessrecht veröffentlicht (Die Civil-Prozeßordnung für das deutsche Reich, Stuttgart 1877; Die württembergischen Gesetze zur Ausführung der Reichs-Zivilprozeßordnung, Stuttgart 1879; Das Recht der Forderungen nach seiner damaligen Geltung in Württemberg, 2. Aufl. Stuttgart 1887). Mütterlicherseits stammte Hegler von zwei württembergischen Pfarrerfamilien ab; sein Großvater war der auch als nichtpietistischer Erweckungsprediger in Nürtingen bekannte Pfarrer Wilhelm Dietzsch (1799–1851), sein Urgroßvater der Öhringer Dekan und homiletische Schriftsteller Karl Friedrich Dietzsch (1769–1847), ein Onkel des Bonner Theologieprofessors August Dietzsch (1836–1872).
Hegler besuchte bis 1886 das Stuttgarter Karlsgymnasium, anschließend die evangelischen Seminare in Maulbronn und Blaubeuren. Nach seinem Abitur 1891 wurde Hegler in das Tübinger Stift aufgenommen, um zunächst Philosophie zu studieren. 1893 wechselte er zur Rechtswissenschaft, die er, mit einem Semester 1894 in Leipzig, bis 1897 in Tübingen studierte; beide staatlichen Justizdienstprüfungen bestand er mit Auszeichnung. Bei dem Strafrechtler Hermann von Seeger (1829–1903) wurde er mit einer rechtshistorischen Arbeit über die Spruchtätigkeit der Rechtsfakultäten promoviert. Hegler arbeitete zunächst als Richter im württembergischen Justizdienst, aber zugleich an einer prozessrechtlichen Habilitation bei Ernst von Beling (1868–1932), für die er zu Beginn des Wintersemesters 1901/02 für Straf- und Prozessrecht habilitiert wurde. 1906 wurde er als Nachfolger von Otto Geib (1859–1928) auf das teilweise neu bezeichnete Extraordinariat für beide Prozesse, Strafrecht, Konkurs, freiwillige Gerichtsbarkeit, internationales Privatrecht und Forstrecht berufen. Gemeinsam mit Beling und Jakob Weismann (1854–1917) war Hegler an den Vorarbeiten zu einer Strafrechtsreform im Kaiserreich beteiligt und verfasste mit diesen eine vergleichende Darstellung der Delikte Hehlerei, Begünstigung und Urkundenfälschung. 1913 wurde Hegler als Nachfolger seines nach München wechselnden Lehrers Beling auf das zweite Tübinger Ordinariat für Strafrecht und Strafprozeßrecht berufen. In seiner „großen Tübinger Antrittsrede“ (Hans-Heinrich Jescheck), „Die Merkmale des Verbrechens“ von 1915, formulierte Hegler eine zusammenfassende Darstellung des neuen Systems des „neoklassischen Verbechensbegriffs“, der nicht allein auf äußere Tatbestandsmerkmale abstellt, sondern auch die Existenz subjektiver Tatbestandsmerkmale anerkennt. Für die Strafrechtswissenschaft gilt Hegler als „Entdecker der subjektiven Unrechtselemente“ (Eberhard Schmidt). In seiner Antrittsvorlesung legte er dar, dass der Sinn der Strafdrohung nicht in der formellen Rechtswidrigkeit, sondern in der Verletzung öffentlicher Interessen liege. Diese Interessen verletzen könne aber nicht nur ein objektiv erkennbares äußeres Verhalten, es gebe auch Delikte mit „überschießender Innentendenz“. Dieses subjektive „überschießend Innerliche“ gehöre nicht zur Schuld, sondern zur objektiven Rechtswidrigkeit. Die „Erhaltung der staatlichen Gemeinschaft“ war bei Hegler oberster Zweck jeden Rechts. Seit 1925 war er Gründungsmitglied der „Deutschen Strafrechtlichen Gesellschaft“, dem Sammelbecken der Anhänger Karl Bindings (1841–1920), einer Gegengründung zur „Internationalen Kriminalistischen Vereinigung“ der Anhänger Franz von Liszts (1851–1919). Die methodische Position von Hegler wurde auch in einer kritischen Entgegnung auf den 1908 in „Aschaffenburgs Monatsschriften“ erschienenen Aufsatz „Probleme der Strafrechtsvergleichung“ von Hermann Kantorowicz (1877–1940) deutlich; der Liszt-Schüler Gustav Radbruch (1878–1949) schrieb darauf eine positive Besprechung, räumte intern aber die Berechtigung der Kritik von Hegler ein. Während der Beratungen einer Strafrechtsreform in der Weimarer Republik wurde Hegler vom Reichstag als Sachverständiger für die geplante Reform des § 103 StGB (Beleidigung auswärtiger Landesherren und Regenten) hinzugezogen. Zu diesem Thema referierte er auch auf dem internationalen Strafrechtskongress der „Commission Internationale Pénale et Pénitentiaire“ in Prag 1930. Der wissenschaftliche Schwerpunkt von Hegler lag allerdings auf dem Prozessrecht. Hier versuchte er, gemeinsame Merkmale des Zivil- und Strafprozesses herauszuarbeiten („interne Rechtsvergleichung“). Wissenschaftlich war Hegler von der süddeutschen Schule des Neukantianismus beeinflusst. Zu seinen Schülern gehörte insbesondere Edmund Mezger (1883–1962). Die besondere Verbundenheit zu seinem Heimatland Württemberg äußerte sich in Veröffentlichungen zum württembergischen Gerichtsverfahren und Nebenstrafrecht.
Hegler war auch in den Gremien der Selbstverwaltung an der Universität Tübingen engagiert (Senator). Er gehörte neben Carl Sartorius 1920 zu den Gründern der Tübinger Studentenhilfe, deren erster Vorsitzender er bis 1923 war. Daneben war er im Tübinger Universitätsbund und im „Verein Frauenbildung – Frauenstudium“ engagiert. Als Rektor sprach er bei der Grundsteinlegung der Tübinger Neuen Aula 1928, als Vertreter der Universität bei der Einweihung des Denkmals für Albert Schäffle 1931 in Nürtingen. Nach dem Tode des langjährigen Tübinger Universitätskanzlers Max Rümelin 1931 wurde Hegler dessen Nachfolger. Er war der letzte Inhaber dieses Amtes in dessen ausgeprägt württembergischen Funktion als der Professorenschaft weiterhin angehörender Mittelsmann zwischen Universität und Ministerium; am 24. April 1933 erklärte er seinen Rücktritt von dem Amt, „da es der neuen Regierung an Vertrauen zu meiner Person mangelt“. Im selben Jahr wurde das Amt abgeschafft.
Anlässlich der Reichstagswahl 1912 hatte sich Hegler an politischen Volksbildungsvorträgen beteiligt. Politisch vor 1918 ein Mitglied der (nationalliberalen) Deutschen Partei Württembergs, zeitweise auch als stellvertretender Ortsgruppenvorsitzender in Tübingen, gehörte er während der Weimarer Republik bis zu seinem Austritt 1932 der Deutschen Demokratischen Partei an. Von 1911 bis 1925 war er Mitglied der Tübinger Gemeindevertretung. In der Weimarer Republik gehörte Hegler zu den Hochschullehrern, die sich öffentlich hinter die Republik stellten; er beteiligte sich auch an Protestveranstaltungen gegen den Versailler Vertrag und 1932 an einer Kundgebung zur Wiederwahl Hindenburgs. Zur Reichstagswahl 1920 unterzeichnete er einen Wahlaufruf für die Parteien der Weimarer Koalition. Nach 1933 äußerte sich Hegler allerdings ambivalent; so erklärte er im Februar 1933, man habe an der Universität Tübingen vor 1933 „die Judenfrage gelöst, indem man nie davon gesprochen habe.“ Nach 1933 nahm er u. a. zu Änderungen des Strafprozessrechts Stellung. Kurz vor seiner Emeritierung verstarb Hegler schwerkrank 1937 in Tübingen. Lehrstuhlnachfolger wurde Wilhelm Gallas (1903–1989). Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Stadtfriedhof. Das Grab ist noch heute erhalten. Gewohnt hat er in Tübingen bis zu seinem Tode viele Jahre in der Waldhäuser Straße 52.
Quellen: UA Tübingen, PA (UAT 126/264); StadtA Tübingen.
Werke: (Umfangreiches Schriftenverzeichnis in: Der Gerichtssaal 111): Diss. 1899 (wie oben); Habilitation 1903 (wie oben); Prinzipien des internationalen Strafrechts, 1906 (ND 1976); Vergleichende Darstellungen des deutschen und ausländischen Strafrechts. Vorarbeiten zur deutschen Strafrechtsreform, hg. auf Anregung des Reichsjustizamtes von Karl Birkmeyer, Besonderer Teil Bd. 7: Begünstigung und Hehlerei, Urkundenfälschung, Betrug, Nahrungsmittelfälschung (zus. mit Ernst von Beling und Jakob Weismann), 1907; Latente Geistesstörung bei Prozeßbeteiligten, 1907 (zus. mit Johannes Finckh); Das Gemeindegerichtsverfahren in Baden und Württemberg, in: AcP 106 (1910), 52–268; Strafrechtsreform und Laienrechtsprechung, 1911; Zur Stellung der Gerichte im Strafverfahren, in: FS Karl Binding, 1911, Bd. 2, 199–272; Die Merkmale des Verbrechens, in: ZStW 36 (1915), 19–44 und 184–232; Württembergische Strafgesetzgebung, 2. Aufl. 1919; Fragen der studentischen Wirtschaftshilfe, 1923; Die Eidesreform, 1930; Subjektive Rechtswidrigkeitsmomente im Rahmen des allgemeinen Verbrechensbegriffs, in: FS Reinhard von Frank, 1930, 251–338; Zum Gedächtnis von Max von Rümelin, 1931; Zum Aufbau der Systematik des Zivilprozeßrechts, in: Festgabe Philipp Heck, Max Rümelin und Arthur Benno Schmidt, 1931, 217–244; Mittelbare Täterschaft bei nicht rechtswidrigem Handeln der Mittelsperson, in: Festgabe Richard Schmidt, 1932, Bd. 1, 51–78; Rechtsfragen aus dem Eisenbahnwesen, 1933 (zusammen mit Ernst Schluetter); Zur Strafprozeßerneuerung, 1936.
Nachweis: Bildnachweise: Ölgemälde von A. Schmidlin (1924), Univ. Tübingen.

Literatur: R. Wassermann, Rechtsvergleichung und Strafrechtsreform, 1909; E. Kern, Prof. Dr. August Hegler †, in: Der Gerichtssaal 111 (1938), 240–244; E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 1947, 355, 3. Aufl. 1965, 385; E. Conrad, Die Lehrstühle der Univ. Tübingen und ihre Inhaber, 1960, 22 f., 108; H.-H. Jescheck, Die Entwicklung des Verbrechensbegriffs in Deutschland seit Beling im Vergleich mit der österreichischen Lehre, in: ZStW 73 (1961), 179–209 (191f.); ders., Grundfragen der Dogmatik und Kriminalwiss. im Spiegel der Zs. für die gesamte Strafrechtswiss., in: ZStW 93 (1981), 3–67 (12); U.-D. Adam, Hochschule und Nationalsozialismus, 1977, 28, 30, 34, 55; M. Schmidt, Die Tübinger Studentenschaft nach dem Ersten Weltkrieg 1918–1923, 1988, 44, 46, 77 f.; G. Spendel (Hg.), Gustav Radbruch. Briefe I (1898–1918) (Gustav-Radbruch-Gesamtausgabe 17), 1991, 117 f., 355, 358; D. Langewiesche, Die Eberhard-Karls-Univ. Tübingen in der Weimarer Republik, in: ZWLG 51 (1992), 345–381 (354, 356); G. Kotowski, Die öffentliche Univ., 1999, 32, 44, 82, 113 f., 116; 284, R.-U. Kunze, Die Studienstiftung des deutschen Volkes seit 1925, 2001, 26; S. Paletschek, Die permanente Erfindung einer Tradition. Die Univ. Tübingen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, 2001, 43, 187 f., 200, 282, 287, 472, 491; F.-C. Schroeder, Die Anziehungskraft vorgelagerter Gliederungselemente, in: FS Claus Roxin, 2001, 33–43 (33 f.); H. Marcon, 200 Jahre Wirtschafts- und Staatswiss. an der Univ. Tübingen, 2004, 250; H. Heinen, Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes, 2005, 133; S. Emmenegger, Gesetzgebungskunst, 2006, 77, 125; T. Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, 2009, 160.
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