Küster, William 

Geburtsdatum/-ort: 23.09.1863; Leipzig
Sterbedatum/-ort: 05.03.1929;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • o. Prof. für Organische und Pharmazeutische Chemie an der TH Stuttgart
Kurzbiografie: 1874–1882 Kgl. Wilhelms-Gymnasium und später Dorotheenstädtisches Realgymnasium in Berlin
1882–1883 Studium der Mathematik und Naturwiss. in Tübingen
1883–1889 Studium der Chemie in Berlin und Leipzig
1889 Promotion bei J. Wislicenus in Leipzig
1890–1903 Assistent und Dozent am physiologisch-chemischen Institut der Univ. Tübingen
1896 Habilitation für physiologische Chemie in Tübingen
1903 Berufung an die Tierärztliche Hochschule in Stuttgart
1913 Aufgabe der Tierärztlichen Hochschule durch die Regierung auf Grund von Sparmaßnahmen
1914 Berufung auf den Lehrstuhl für organische und pharmazeutische Chemie der TH Stuttgart als Nachfolger von Carl Magnus Hell
1927 Ehrendoktor der Medizin, Univ. Bern
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1906 (Stuttgart) Rosa, geb. Albers, (* 15.3.1882, † 24.12.1965)
Eltern: Vater: Richard Küster (* 7.2.1823 Leipzig, † 2.5.1909 Berlin), Kaufmann
Mutter: Ottilie, geb. Wigand (* 6.8.1828 Pest (Ungarn), † 5.3.1901 Berlin)
Geschwister: 2: Richard jun. (1854–1930); Camilla von Bardeleben (1855–1933)
GND-ID: GND/116592761

Biografie: Franz Effenberger (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 164-166

Am 20. Januar 1928, d. h. gut ein Jahr vor seinem unerwarteten Tod hat William Küster einen Vortrag in der Stuttgarter Pharmazeutischem Gesellschaft: „Chemisches und Menschliches aus meinem Leben“ gehalten, der in der Süddeutschen Apothekerzeitung, Jahrgang 1929 publiziert worden ist. Dieser umfangreiche Vortrag dokumentiert in beeindruckender Weise die Entwicklung seines wissenschaftlichen Lebenswerks – die Aufklärung der Struktur des Blutfarbstoffs – von den ersten Anfängen in den 1890er Jahren in Tübingen bis zur endgültigen Klärung 1912 in Stuttgart.
Durch Vermittlung seines Doktorvaters J. Wislicenus erhielt Küster 1890 eine Assistentenstelle bei G. Hüfner am physiologisch-chemischen Institut der Universität Tübingen. Hüfner beschäftigte sich zu dieser Zeit intensiv mit den physikalischen Eigenschaften des Blutfarbstoffs, dessen optische Daten und die Absorptionsfähigkeit seiner Lösung für Gase. Küster wählte für seine eigenen wissenschaftlichen Arbeiten ebenfalls den Blutfarbstoff, das Hämatin, aus, konzentrierte sich jedoch ganz auf sein chemisches Verhalten um zu Aussagen über seine Struktur zu kommen.
Mit Hilfe der von Küster 1896 veröffentlichten Oxidationsmethode konnte er das komplizierte Molekül des Hämatins in kleinere eindeutig definierte Bruchstücke zerlegen und damit eine Reihe experimenteller Befunde, die es über einen Blutfarbstoff zu dieser Zeit gab, plausibel deuten.
Schon 1910 entwarf Küster ein Bild vom Bau des Hämatins bzw. Hämins, das alle damals vorliegenden Beobachtungen über diesen wichtigen Naturstoff, seine eigenen und die anderer Forscher, erklärten. Demnach ist Hämin eine aus Pyrrolkernen aufgebaute Substanz in der das Eisen 3-wertig ist und das Chlor am Eisen sitzt. Mit seinen beiden anderen Valenzen haftet das Eisen an zwei Stickstoffatomen, damit also zwei Wasserstoffe an zwei Pyrrolringen ersetzend, ist aber außerdem komplex mit Nebenvalenzen an die beiden anderen Pyrrolstickstoffe gebunden. 1912 trat Küster mit dieser neuen, ebenso kühn wie genial entworfenen Strukturformel für den Blutfarbstoff vor die Fachwelt. Die wegen ihrer wundervollen Symmetrie des Porphin-Gerüsts so einleuchtende Struktur, mit der sich praktisch alle bekannten experimentellen Beobachtungen erklären ließen, stieß in der Fachwelt auf fast einhellige Ablehnung. Besonders fatal für Küster war es, dass der allseits geschätzte Nobelpreisträger Richard Willstätter, der sonst Küsters Arbeiten freimutig anerkannt hatte, die Küster’sche Formel mit kurzer Kritik ablehnte. Er publizierte dagegen eine ganz andere Formel für das Hämin, die den damaligen Strukturvorstellungen der klassischen Chemie viel mehr entsprach. Die Angriffe der Fachkollegen, insbesondere die des einflussreichen R. Willstätter, haben den sensiblen William Küster nicht nur seelisch belastet, sondern hatten auch zur Folge, dass seine Forschungsarbeiten praktisch nicht mehr öffentlich gefördert wurden.
Der Streit der Meinungen wogte über die Jahre hin und her, bis schließlich im Jahre 1927 von Hans Fischer und Mitarbeitern so viel gewichtiges experimentelles Material beigebracht worden war, dass an der grundsätzlichen Richtigkeit des Küster’schen Vorschlags nicht mehr ernstlich zu zweifeln war. H. Fischer und K. Zelle ist es Ende 1928 vollends gelungen, die Totalsynthese des Blutfarbstoffs zu verwirklichen. Küsters geniale Überlegungen und sein Strukturvorschlag von 1912 waren nun in vollem Umfang bestätigt.
1903 war Küster an die Tierärztliche Hochschule in Stuttgart berufen worden. Da er neben den Vorlesungen in Chemie und Pharmakognosie für Tierärzte auch noch einen Lehrauftrag in pharmazeutischer Chemie an der Technischen Hochschule Stuttgart wahrnahm, war seine Belastung mit Vorlesungen außerordentlich groß. Da außerdem die Laboreinrichtungen an der Tierärztlichen Hochschule kläglich waren, ist es geradezu bewunderungswürdig, dass Küster eine Reihe seiner wichtigsten Arbeiten auf einem experimentell so schwierigen Gebiet in diesen ersten Stuttgarter Jahren vollenden konnte. Die völlig unerwartete Auflösung der Tierärztlichen Hochschule im Jahre 1913 unterbrach nicht nur seine wissenschaftlichen Arbeiten, sondern war auch persönlich ein schwerer Schlag, da er jung verheiratet war und eine Familie gegründet hatte. Er wurde als Extraordinarius an die Technische Hochschule Stuttgart versetzt und glücklicherweise 1914 als Nachfolger von Carl Magnus Hell zum Ordinarius für organische und pharmazeutische Chemie ernannt.
Nachdem in den ersten Jahren die räumlichen Verhältnisse an der Technischen Hochschule ebenfalls noch sehr beengt waren, verbesserte sich die Situation nach dem Kriege jedoch deutlich, so dass er zunehmend gute Arbeitsmöglichkeiten hatte und den Mitarbeiterkreis vergrößern konnte. Neben den fundamentalen Arbeiten über den Blutfarbstoff hat sich Küster auch erfolgreich mit der Aufklärung des Gallenfarbstoffs Bilirubin und den übrigen Bestandteilen der Gallensteine beschäftigt, die strukturell mit dem Hämatin eng verwandt sind. Die größere Mitarbeiterzahl ermöglichte es Küster in den letzten Jahren seines Lebens, ganz neue Arbeitsrichtungen zu erschließen, die sich an seinem Interesse für physiologisch-biochemische Fragestellungen orientierten. Dazu gehörten Arbeiten über Kohlenhydrate, Abbaumethoden für das Lignin und Untersuchungen über Eiweißstoffe.
Küster hat leider die Tragik des Wissenschaftlers auskosten müssen, der erst in höherem Alter in eine Position kommt, in der er seine Fähigkeiten richtig entfalten konnte. Der tiefere Grund, dass er erst in den späteren Jahren wissenschaftliche Anerkennung gefunden hat, lag wohl aber auch wesentlich daran, dass Küaster es gewagt hatte, von den geraden Pfaden der reinen Chemie abzuweichen und in die viel verschlungeneren Wege biochemischer Forschung einzudringen. Er war damit bei einem Grenzgebiet der Wissenschaft eingeordnet, dessen Wichtigkeit zwar niemand zu bestreiten wagte, für das sich aber in jenen Jahren weder die reine Chemie noch die klassische Medizin verantwortlich fühlten und damit dafür auch keine ausreichenden Forschungsmittel zur Verfügung gestellt wurden.
Schon 1912 war Küster für den Nobelpreis vorgeschlagen worden. Es gehört zur Tragik dieses Forscherlebens, dass er den Triumph, mit dem Nobelpreis 1930 ausgezeichnet zu werden, nicht mehr erlebte. Während der Vorbereitung zu seiner Vorlesung erlag er am 5. März 1929 in den Armen seines langjährigen Vorlesungsassistenten Felix Schoder einem Herzinfarkt. Hans Fischer erhielt daraufhin 1930 alleine den Nobelpreis für die Aufklärung der Struktur des Blutfarbstoffs. Erst Jahre nach Küsters Tod hat man bei der Erforschung der Strukturen des Chlorophylls und des Vitamins B12 wiederum das gleiche Strukturprinzip gefunden, das Küster 1912 erstmalig für den Blutfarbstoff vorgeschlagen hatte.
Aus heutiger Sicht ist es bedauerlich und nicht nachvollziehbar, dass die Kreise um Richard Willstätter und Hans Fischer auch noch nach dem Tode von William Küster nicht die Größe hatten, seine bahnbrechenden wissenschaftlichen Leistungen anzuerkennen und zu würdigen. Eine Rehabilitation der Forscherpersönlichkeit William Küster erscheint deshalb in höchstem Maße geboten.
Quellen: NL William Küster, UA Stuttgart, SN 15; Redemanuskript „Leben und Wirken von William Küster 1863–1929“ von Paul Schlack, UA Stuttgart, 57 Nr. 111.
Werke: Zs. für Physiologische Chemie 82 (1912), 469; Chemisches und Menschliches aus meinem Leben, in: Süddeutsche Apotheker-Zeitg. 1929, 5–29; Gesammelte Abhandlungen und Vorträge von William Küster, 3 Bde., 1929 (= UA Stuttgart, SN 15 Nr. 7–9).

Literatur: P. Brigl, Nachruf auf William Küster, in: Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 1931, A, 15–36; Franz Effenberger, Die Chemie an der Univ. Stuttgart von den Anfängen bis zur Gegenwart, in: Wechselwirkungen. Jb. 1986. Aus Lehre und Forschung der Univ. Stuttgart, 1986, 67–75; Franz Effenberger, Was haben Bopserbrunnen, Blutfarbstoff und Perlonstrümpfe gemeinsam? Portraits dreier Stuttgarter Chemiker. Abschiedsvorlesung am 2. Juni 1999, in: Reden und Aufsätze, 60, 1999, 47–72.
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