Kunkel, Wolfgang 

Geburtsdatum/-ort: 20.11.1902; Fürth/Hessen
Sterbedatum/-ort: 02.05.1981; München
Beruf/Funktion:
  • Rechtshistoriker
Kurzbiografie: 1920 Abitur in Darmstadt
1920-1923 Studium der Rechtswissenschaft und der Altertumswissenschaft in Frankfurt und Gießen
1923 1. Juristisches Staatsexamen Gießen; kurze Zeit im Referendardienst
1924 Dr. jur. in Freiburg i. Br. Anschließend Fortsetzung des Studiums in Berlin, dort Assistent an der Juristischen Fakultät bei Partsch, dann bei Titze
1926 Habilitation in Freiburg
1927 Rufe auf Extraordinariate in Leipzig und Freiburg
1928 persönlicher Ordinarius in Freiburg
1929 Ordinarius in Göttingen
1936 Berufung nach Bonn
1939-1942 Kriegsdienst, zuletzt als Kriegsgerichtsrat
1942/43 Ruf nach Heidelberg, 1946 Aufnahme der dortigen Lehrtätigkeit
1947/48 Rektor der Universität Heidelberg
1948 als Parteiloser Vorsitzender der FDP-Fraktion des Heidelberger Stadtrats
1950-1952 Präsident der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
1956 Berufung nach München, Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
1969 emeritiert
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1928 Dr. phil. Friedemarie, geb. Wagner
Eltern: Vater: Friedrich Kunkel, Pfarrer, dann Gymnasialprofessor in Darmstadt
Mutter: Marie, geb. Nickel
Kinder: 1 Sohn, 1 Tochter
GND-ID: GND/116610751

Biografie: Wolfgang Leiser (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 204-206

Kunkel verband in herausragender Weise die juristische Romanistik mit der klassischen Philologie und der Alten Geschichte; die Widmung seines wohl originellsten Werkes „Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen“ an seine Lehrer Ernst Levy und Mathias Gelzer zeigt, in welcher Tradition er sich sah. So war er wie kaum ein anderer berufen, auf dem Gebiet des römischen Staatsrechts die Revision des von Mommsen entworfenen Bildes zu unternehmen; der Tod hat die Vollendung dieses Vorhabens vereitelt.
Der junge, früh erfolgreiche Gelehrte war bei der Generation in die Schule gegangen, die durch das Inkrafttreten des BGB die Freiheit gewonnen hatte, das römische als ein historisches Recht zu behandeln. In Freiburg war er noch O. Lenel begegnet und hatte sich jenen angeschlossenen, die mit den Methoden der Textkritik aus der justinianischen Kodifikation das Recht der römischen Klassik zu erschließen suchten. Die 1925 erschienene Dissertation über den Begriff der „Diligentia“ weist mit umsichtiger Gelehrsamkeit nach, daß der Vielgestaltigkeit des älteren Aktionensystems kein einheitliches Bild des haftungsbegründeten Verschuldens entsprochen haben kann; erst die hellenistische Schulphilosophie – nicht erst die Kompilatoren Justinians – führte moralische Erwägungen ein, stellte allgemeinabstrakte Maßstäbe auf und sah die zivilrechtliche Haftungsfrage als Teil der Erziehung der Menschen zum sittlich Guten. Der normative Begriff der diligentia, der im modernen Recht schließlich zum Institut der Verschuldenshaftung schlechthin führte, ist der Klassik fremd. Schon diese Erstlingsarbeit zeigt eine umfassende Beherrschung der Quellen: Nicht nur das Corpus Juris Civilis wird herangezogen, sondern auch Papyri, Germanenrechte der Völkerwanderung, aber auch die Jurisprudenz des Hochmittelalters und der Rezeptionszeit. Die für den Romanisten traditionelle Beschäftigung mit dem Privatrecht wird von Kunkel bis in die letzte Schaffensperiode hinein betrieben, doch wendet sich der Habilitand erstaunlicherweise der Papyrologie zu: Die ihm übertragene Edition einiger hellenistischer Papyri in der Reihe der „Berliner Griechischen Urkunden“ gibt ihm Gelegenheit, neben seiner Befähigung als Althistoriker und Philologe seine Kenntnisse spätantiker Verfassungsgeschichte darzutun; die Arbeit erschien in zwei getrennten Teilen, der philologisch-historische („Verwaltungsakten aus spätptolemäischer Zeit“) 1927 vorab im Archiv für Papyruskunde, der juristische ein Jahr später in der Savigny-Zeitschrift („Über die Veräußerung von Katoekenland“). In der Folge legte Kunkel keine ausgesprochen papyrologischen Arbeiten mehr vor, diese Thematik wird eingebunden in romanistische Studien. Nach mehreren gewichtigen Aufsätzen zum römischen Privatrecht bringt Kunkel unter der Bezeichnung einer Neubearbeitung des Lehrbuchs von Paul Jörs 1935 tatsächlich ein eigenes, groß angelegtes „Römisches Privatrecht“ heraus. In umfassender Quellenkenntnis, auf der Höhe der seither gewonnenen Methode bearbeitet er seinen Gegenstand unter Rücknahme der bislang oft übertriebenen konstruktiven Dogmatik. Das Werk wurde 1949 unverändert neu aufgelegt, eine Neubearbeitung erschien erst 1987, und bis zum Erscheinen des monumentalen Buches von Max Kaser (2. Aufl. 1971-1975) blieb es konkurrenzlos. Das „Römische Privatrecht“ war kaum ausgeliefert, da trat Kunkel mit einer ganz anderen Publikation vor die wissenschaftliche Öffentlichkeit: Eine Studienreform dieser Jahre hatte das Fach der „Neueren Privatrechtsgeschichte“ als Pflichtstoff in den Vorlesungsplan eingeführt. Quellen waren nur in alten zeitgenössischen Ausgaben greifbar, d. h. tatsächlich nicht greifbar, die Forschungsliteratur war noch lückenhaft. Mit den „Quellen zur neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands“ bzw. deren erstem Band legte Kunkel leicht gekürzte Ausgaben der wichtigsten Gesetze des Jahrhunderts der Rezeption vor und regte damit eine bald sehr konzentriert einsetzende Forschung an. Er selbst war daran, abgesehen von den verdienstvollen Anmerkungen in den „Quellen“ und wenigen Aufsätzen, vorwiegend auf die Weise beteiligt, daß er befähigte Schüler auf das Gebiet ansetzte; viele Namen und Buchtitel wären zu nennen, einer mag für alle stehen – Helmut Coing. Die Vielseitigkeit und Arbeitskraft Kunkels ist erstaunlich: Wiederum nur wenige Jahre nach der eben genannten Publikation wendet er sich einer andersartigen Frage seines Faches zu. 1941 erscheint als Aufsatz ein erstes Ergebnis, das in das große Buch von 1952 (2. Aufl. 1967) eingebracht wird: „Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen“. Es sind allerdings nur die Rechtskundigen der Republik und des Prinzipats, letztlich also die Repräsentanten der Klassik, deren Prosopographie unter sozialgeschichtlichem Aspekt geschrieben wird. Rund 130 Personen, zumeist die Respondierjuristen („Staatlich patentierte Juristen“), deren Namen auch in der justinianischen Kodifikation überliefert sind, insgesamt also ein engerer Kreis, als ihn der in der Neuzeit arbeitende Sozialhistoriker gewöhnt ist. Die Aufgabe war indes bei der Spärlichkeit des biographischen Materials von großer Schwierigkeit, da Kunkel weithin auf das noch unausgeschöpfte Material der Inschriften mit ihren eigenen Interpretationsschwierigkeiten verwiesen war. Das Buch ist über seinen Titel hinaus ein hochbedeutsamer Beitrag nicht nur zur Geschichte der Rechtskundigen, sondern der römischen Rechtswissenschaft selbst. In seiner Münchener Zeit befaßte sich Kunkel vorwiegend mit dem römischen Staatsrecht, wie eingangs bemerkt in ständiger Auseinandersetzung mit Mommsen. Die Brücke von seinen bisherigen zu diesen Arbeiten stellte das jus respondendi dar und die Funktion der Juristen im consilium (Beratergremium) der Magistrate. Vordergründig mag es bei diesen Studien um Strafrecht und dergleichen gehen, letzten Endes steht überall die Besonderheit der respublica Romana im Zentrum. Es war Kunkel nicht mehr vergönnt, seine Forschungen in einem Monumentalwerk zusammenzufassen. Akademieabhandlungen liegen vor und ein noch zu seinen Lebzeiten von seinem Schüler H. Niederländer publizierter Band seiner „Kleinen Schriften“. Gerade diese zeigen eine bewundernswerte Meisterschaft, eine Vereinigung überlegener Spezialforschung (vgl. etwa „Die Funktion des Konsiliums in der magistratischen Strafjustiz und im Kaisergericht“) einerseits, großer Gesamtschau andererseits („Über das Wesen des augusteischen Prinzipats“).
Von 1952 bis 1970 war Kunkel Mitherausgeber der Romanistischen Abteilung der Savigny-Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Neben der entsagungsvollen Redaktionstätigkeit ist ihm eine große Zahl von Nachrufen zu danken (insgesamt 28!), die in ihrer sorgfältigen Würdigung der Person wichtige Bausteine der Rechtsgeschichte unseres Jahrhunderts darstellen.
Bei all seiner konzentrierten wissenschaftlichen Arbeit war Kunkel doch kein Mann, der sich in die Gelehrtenklause zurückzog. Er entfaltete insbesondere in den Nachkriegsjahren eine umfängliche öffentliche Tätigkeit für Universität und Wissenschaft, die er im In- und Ausland würdig vertrat.
Er war ein geschätzter akademischer Lehrer, der das menschliche Vertrauen seiner Studenten besaß. Wer dem völlig unprätentiösen, gütigen und humorvollen Manne begegnete, mochte wohl vergessen, daß er einen der Großen seines Faches vor sich hatte, denn ein „Kathederfürst“ war Kunkel nicht. Im Seminar freilich stellte sich bald heraus, welche Maßstäbe hier galten, man bestand nicht eben leicht. Ohne eine Schule zu gründen, hatte Kunkel doch viele Schüler, die er in ihren jeweiligen Interessen liberal und nachhaltig förderte. Kunkel hat das schwierige Jahrzehnt des Wiederaufbaus der Heidelberger Universität nach dem 2. Weltkrieg maßgebend geprägt; als er wie auch andere Heidelberg verließ, markierte das eine Zäsur, deren wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung wohl erst aus größerem Abstand beurteilt werden kann. Kunkel sind zahlreiche Anerkennungen und Ehrungen zuteil geworden; er freute sich über sie, ohne sie wichtig zu nehmen.
Werke: Schriftenverzeichnis in „Gedächtnisschrift für Wolfgang Kunkel“, hg. von Dieter Nörr und Dieter Simon (1984) 611 f.
Nachweis: Bildnachweise: Im Nachruf von H. Coing (siehe oben); Ruperto-Carola, Sonderband: Aus der Geschichte der Universität Heidelberg und ihrer Fakultäten (1961), 16

Literatur: In memoriam Wolfgang Kunkel, Nachruf von Helmut Coing, in: ZSRG, Rom. Abt. Bd. 98, 1981, III f.; Dieter Nörr, Wolfgang Kunkel 20.11.1902-8.5.1981, in: Gedächtnisschrift ..., 9 f.
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