Gillen, Otto 

Geburtsdatum/-ort: 26.10.1899; Greiz/Thüringen
Sterbedatum/-ort: 27.02.1986;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Kunsthistoriker, Journalist, Schriftsteller
Kurzbiografie: Jugend- und Schuljahre in Bad Godesberg
1919 Kriegsabitur am Gymnasium Carolinum Osnabrück
1920 Schwarze Reichswehr, Garde-Schützendivision in Berlin-Lichterfelde
1922-1925 Studienreisen
1926-1929 Studium Geschichte, Philosophie, Germanistik, Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte in Berlin, Köln und Kiel, dort 1929 Promotion zum Dr. phil., Staatsexamen in Bonn
1930-1940 Theater- und Kunstkritiker in Bielefeld, Plauen, Remscheid, Bad Godesberg, Wien
1941-1942 Dozent an der Kunstakademie Stuttgart
1943-1946 Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft
1946 Niederlassung in Karlsruhe
1948-1973 Redakteur, Ressortleiter Kultur bei den BNN. Ehrenamtliche Tätigkeiten bei mehreren kulturellen Institutionen
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet: 1946 Elisabeth, geb. May
Eltern: Vater: Peter Gillen (1866-1947), Buchdrucker, Redakteur
Mutter: Wilhelmine, geb. Kraft (1875-1965)
Geschwister: 3 Brüder
Kinder: Eckhart (geb. 1947), Kunsthistoriker
GND-ID: GND/116625392

Biografie: Karlheinz Ebert (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 114-116

Als im Dezember 1979 in der Pfälzischen Verlagsanstalt Neustadt eines der bedeutenden Kulturdokumente des Mittelalters, der „Hortus deliciarum“ der Herrad von Landsberg, Äbtissin des elsässischen Klosters Hohenburg auf dem Odilienberg, erstmals in einer vollständigen deutschen Ausgabe erschien, hatte sich für den damals achtzigjährigen Gillen ein Kreis geschlossen. Diese Handschrift, deren Veröffentlichung er als Herausgeber mit einer Einführung und mit umfangreichen Kommentaren zu den rund 100 Miniaturen begleitete, war 50 Jahre früher Gegenstand seiner Doktorarbeit gewesen. Rückblickend fällt von Anfang und Ende dieser Zeitspanne eines halben Jahrhunderts ein bezeichnendes Licht auf das kunstwissenschaftliche und literarische Schaffen Gillens insgesamt. Wurzelte es doch in einer unverbrüchlichen christlich-katholischen Glaubensgewißheit und wäre es auch dort, wo es sich nicht unmittelbar mit religiösen Themen befaßte, kaum denkbar gewesen ohne seine Herkunft aus einer tief religiösen Weltsicht. Der Kunsthistoriker, der Gillen in erster Linie war und der neben dem „Hortus deliciarum“ auch dem Goslarer Evangeliar eingehende Studien gewidmet hatte, arbeitete unter anderem am Reallexikon der Deutschen Kunstgeschichte und an dem bei Herder erschienenen Lexikon der christlichen Ikonographie mit. Als Journalist und Leiter des Kulturressorts der Badischen Neuesten Nachrichten in Karlsruhe äußerte er sich über das Tagesgeschäft der Literatur-, Theater- und Kunstkritik hinaus immer wieder auch zu Grundfragen der Kunst, deren Wege zu neuen Ufern er aus seiner eher konservativen Haltung heraus verständnisvoll und fördernd begleitete, freilich auch mit dem Mut, auf Irrwege kritisch aufmerksam zu machen und Scheingrößen des Kulturbetriebs als solche zu entlarven. Mit deren „aufgeblasener Selbstgefälligkeit“, mit dem „Radikalismus der Frechheit“, wie er das seiner Denkweise Mißliebige griffig kennzeichnete, ging Gillen ungeniert ins Gericht, wohl wissend, daß er sich damit nicht nur Freundschaft einhandelte.
Den weiten geistigen Horizont, den offenen Blick über den Tellerrand der Schulweisheit hinaus hatten ihm vor allem seine ausgedehnten Studienreisen in den Jahren 1922 bis 1925 vermittelt. Sie führten ihn unter anderem nach Italien (darin eingeschlossen zwei Semester Kunststudium in Florenz), nach Griechenland und Skandinavien. Was Gillen hier wie dort an Erfahrungen sammelte und an Kenntnissen erlangte, ist gewiß nicht nur der Intensität und dem Ertrag seines nachfolgenden Studiums in Berlin, Köln und Kiel zugute gekommen, das er 1929 mit der Promotion in Kiel und mit dem Staatsexamen in Bonn abschloß. Es hat auch den Menschen geprägt, hat, wie wir wissen, seine Erlebniswelt so sehr bereichert, daß er in seinen schriftstellerischen Arbeiten immer wieder neu aus ihr schöpfen konnte.
Für diesen Teil der spannungsvollen Doppelrolle eines Journalisten für den Tag und eines Schriftstellers über den Tag hinaus war Gillen schon 1954 mit dem Literaturpreis der Stadt Karlsruhe ausgezeichnet worden, der er auch als Mitglied des Städtischen Kulturausschusses, als 1. Vorsitzender des Karlsruher Kulturforums und noch auf andere mittelbare oder unmittelbare Weise tätig verbunden war. Zu erinnern ist an die vielen rhetorisch brillanten Vorträge, die Gillen noch bis in sein letztes Lebensjahrzehnt hinein hielt – vornehmlich zu Themen der Kunst und der Kunstgeschichte, doch auch zu solchen, die den Literaten in ihm beschäftigten.
Um mit ihm, dem Dichter, diesen kurzen Lebensabriß abzuschließen: Da ist einerseits auf die gedanken- und bilderreiche, dabei behutsam durchformte Prosa einer stattlichen Reihe von Erzählungen zu verweisen. Einige von ihnen machen das religiöse Engagement ihres Autors unmittelbar am Stoff fest: So etwa, wenn Gillen vom „Bruder Heinrich“, dem am Bodensee beheimateten mittelalterlichen Mystiker Heinrich Seuse, ein andermal von dessen schlesischem Bruder im Geiste, Angelus Silesius, erzählt, oder wenn er unter dem Titel „Maria am Spinnrad“ Altüberliefertes oder Neuerdichtetes zu einem bezaubernden Strauß von Marienlegenden bindet. Das umfangreiche Werk des Lyrikers Gillen fand nicht nur bei einer anonymen Leserschaft, sondern auch bei seinesgleichen wie Manfred Hausmann, Hermann Hesse oder Werner Bergengruen lebendigen Widerhall: Kein Akrobat der Modeworte, der irrlichternden Satzfetzen, des verschlüsselten Sinns – und insofern gewiß ein Unzeitgemäßer. Doch immerhin einer, der aus Geschehnissen und aus Geschichten zwischen Tag und Traum Gedanken freisetzte, die über das Gemeine hinausweisen, zu mythischen Wahrheiten hinführen, aber auch das Tröstende nahe sein lassen, wo vom Leid die Rede ist.
„Das Gedicht ist eine kristallene Kugel, in der das Geheimnis der Welt ruht. Wenn man sie in das Licht der Erkenntnis hebt, blitzt auf ihr der Schöpfergeist auf“, sagte Gillen einmal. Und bekannte im selben Atemzug, daß ein Lyriker des 20. Jahrhunderts nicht im Märchenwald aufgewachsen ist. Was ihn freilich nicht davon abbrachte, das Ewige für das allezeit Aktuellste zu halten.
Werke: (in Auswahl) Christus. Der Urkristall. Dramen, Leipzig 1923; Ikonographische Studien zum Hortus deliciarum. Kunstwissenschaftliche Studien Bd. 9, Berlin 1931; Das Goslarer Evangeliar. Studie über die Ikonographie und die kunsthistorische Stellung der Handschrift im 13. Jahrhundert, Goslar-Stade 1932; Die blaue Stunde. Gedichte, Klosterreichenbach 1933; Maria am Spinnrad. Legenden, Innsbruck 1936, Freiburg/Breisgau 1954; Am Ufer der Dinge. Gedichte, Tübingen 1958; Alles Schöne ist ein Gleichnis. Gedichte und Prosa, Zürich 1959; Wie selig ist der Mensch. Der mystische Weg zur Vollkommenheit im „Cherubinischen Wandersmann“ des Angelus Silesius, Buxheim 1961; Bleibender Reichtum. Gedichte und Prosa. Mit Abbildungen gotischer Plastik, Zürich 1961; Zwischen Himmel und Abgrund. Der Weg des Menschen in unserer Zeit. Essays, Aphorismen, Gedichte, Augsburg 1963; Aus Tiefen steigt mir Bild um Bild. Buch der Erinnerung, Zürich 1965; Mensch im Spiegel. Meditationen, Gedanken, Erfahrungen, Stuttgart 1974; Blind sind die Liebenden. Novelle einer Ehe, Stuttgart 1976; Hortus deliciarum der Herrad von Landsberg. Neu hg. von Otto Gillen, Neustadt/Weinstraße 1979; Brannte nicht unser Herz. Außersinnliche Wahrnehmungen in christlicher Sicht, Stein am Rhein 1979; Alles kreist um eine Mitte. Gedichte aus sechs Jahrzehnten, Neustadt/Weinstraße 1980; ... nichts als Lobgesang, Stein am Rhein 1982; Damit einer vom anderen lerne. Vom guten Miteinander, Konstanz 1983; Der Mystiker vom Bodensee. Heinrich Seuses Reise von Konstanz nach Köln, Stein am Rhein 1984; Himera. Lose Blätter einer Liebe. Novelle, Neustadt/Weinstraße 1984; Der Mensch in Gottes Hand, Stein am Rhein 1984
Nachweis: Bildnachweise: Porträts – von Oskar Hagemann, Karlsruhe-Durlach; Siegfried Rischar, Aschaffenburg; Theo Sand, Karlsruhe; Hofer, Wien – alle im Besitz der Witwe Elisabeth Gillen, Karlsruhe

Literatur: Georg Richter, Otto Gillen, in: Welt am Oberrhein 1959; Otto Ernst Sutter, Karlsruhe heute und morgen, in: ebda. 9, 1969, 272 f.; Friedrich Bentmann, Otto Gillen zum 75. Geburtstag, in: Ekkhart 1975, 61-65; Franz Josef Wehinger, Um Gründe und Abgründe unseres Seins. Zum 80. Geburtstag des Dichters Otto Gillen, in: Konradsblatt 63. Jg. 1979, Nr. 43, 15; Arnold Amann, Otto Gillen, Dichter, Journalist und Kunsthistoriker, in: Ekkhart 1980, 95 f.; Franz J. Wehinger, ... zum Ableben ... (von) Otto Gillen, in: BH 1986, 302 f.
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