Maier, Heinrich Georg 

Geburtsdatum/-ort: 05.02.1867;  Heidenheim an der Brenz
Sterbedatum/-ort: 28.11.1933; Berlin
Beruf/Funktion:
  • Philosoph
Kurzbiografie: 1885–1890 Studium der Philosophie und Theologie am ev. Stift in Tübingen
1892 Promotion zum Dr. phil. in Tübingen
1896 Habilitation
1900 ao., 1901 o. Prof. in Zürich
1902 Prof. für Philosophie in Tübingen
1911 Lehrstuhl an der Univ. in Göttingen
1918 Univ. Heidelberg
ab 1922 Prof. für Philosophie in Berlin
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Auszeichnungen: juristische Ehrendoktorwürde der Univ. Tübingen (1927)
Verheiratet: 5.4.1902 Anna Sofie Elisabeth, geb. Sigwart (geboren 16.9.1870 Tübingen, gestorben 7.7.1953 Tübingen)
Eltern: Vater: Johann Gottlieb Maier (geboren 24.2.1840 Mergelstetten, gestorben 13.7.1921), Seifensieder und Kaufmann
Mutter: Regina Barbara, geb. Zeuner (geboren 17.3.1847 Heidenheim, gestorben 11.7.1921).
Geschwister: 4: Mathilde Katharina (geboren 25.3.1866, gestorben 26.4.1866); Sophie Karoline Luise (geboren 4.3.1874); Otto Carl Christian (geboren 2.9.1877); Karl Emil (geboren 15.12.1878, gestorben 29.6.1910)
Kinder: 2:
Anna Elisabeth Regina (genannt Anneliese)(geboren 17.11.1905 Tübingen, gestorben 2.12.1971, Rom);
Otto Georg Heinrich (geboren 16.4.1907 Tübingen, gestorben Okt. 1945 Baranowitschi/Weißrussland)
GND-ID: GND/116681268

Biografie: Susanne Lange-Greve (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 137-139

Nach dem Besuch der Lateinschule in Heidenheim und der Seminare in Maulbronn und Blaubeuren studierte Maier Philosophie und Theologie am evangelischen Stift in Tübingen. Dort promovierte er 1892 bei Christoph Sigwart über „Die logische Theorie des deduktiven Schlusses“. Vier Jahre später folgte seine Ernennung zum Professor mit dem ersten Teil seiner später weiter ausgeführten Arbeit über die Logik des Aristoteles. Nach einigen Jahren als Privatdozent in Tübingen wechselte Maier nach Zürich, folgte jedoch schon 1902 einem Ruf zurück nach Tübingen. Hier wurde er Nachfolger von Sigwart, dessen Hauptwerk „Logik“ über ein halbes Jahrhundert eines der grundlegenden Lehrbücher aller im evangelischen Stift in Tübingen ausgebildeten Theologen war. Anfang der 20er Jahre edierte Maier eine kommentierte Neuauflage dieses Buches. Mit Sigwart fühlte sich Maier nicht nur durch seine wissenschaftliche Arbeit verbunden, er heiratete 1902 dessen Tochter Anna.
Von 1911 bis 1918 lehrte Maier als Professor für Philosophie in Göttingen. Hier bekam er den Titel „Geheimer Regierungsrat“ verliehen. Seine 1913 veröffentlichte Darstellung des sokratischen Denkens brachte ihm breite wissenschaftliche Anerkennung. Nach einer vierjährigen Lehrtätigkeit in Heidelberg hier wurde 1922 Karl Jaspers sein Nachfolger folgte er dem Ruf an die Berliner Universität, wo er bis zu seinem Tode wirkte.
Maier war Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin, Heidelberg und Kopenhagen. In Berlin leitete er die Redaktion der Akademie-Ausgabe der Werke Kants und Leibniz’ und war bis 1933 Mitglied der „Mittwochsgesellschaft“. Ab Mitte der 20er Jahre war in mehreren Bänden sein Hauptwerk „Philosophie der Wirklichkeit“ erschienen. Den ersten Band mit dem Titel „Wahrheit und Wirklichkeit“ konnte er noch selbst in Druck geben, die folgenden zwei Bände wurden nach seinem Tod von seiner Tochter Anneliese editorisch betreut, die 1930 als Philosophin bei Eduard Spranger promoviert hatte.
Maier und seine Familie gehörten zum Freundeskreis Eduard Sprangers, der in seinem Briefwechsel mit Käthe Hadlich vielfach auf sie Bezug nimmt.
Im Zentrum von Maiers Forschungsinteresse standen Logik und Erkenntnistheorie. Ausgangspunkt war ihm dabei die Frage nach der Wahrheit. Ein starker Impuls zur Klärung logischer Probleme kam damals von den psychologischen Schulen, mit denen sich Maier intensiv auseinandersetzte. 1908 entstand das 900 Seiten umfassende systematische Werk über die „Psychologie des emotionalen Denkens“. Darin verhalf Maier dem „emotionalen Denken“ zu eigener logischer Geltung. Anders als das urteilende Denken kommt es bei Fragen zu Sittlichkeit, Religion und Kunst zur Geltung. Maiers psychologische Analyse des Denkaktes führte ihn zur Grundlegung einer Philosophie der Sprache und des Schönen, die auch kulturkritische Elemente enthält.
In den darauffolgenden Jahren arbeitete Maier insbesondere über Melanchthon, Lavater und David Friedrich Strauß und veröffentlichte diese Abhandlungen unter dem Titel „An der Grenze der Philosophie“. Seine intensive Beschäftigung mit der Geschichte der Philosophie entsprang nicht nur historischer Perspektive, sondern problematisiert das Verhältnis von Glauben und Wissen, das um 1900 heftig diskutiert wurde.
Maier zeigt sich als Vertreter eines liberal-ethischen Persönlichkeits- und Freiheitsbegriffs. Die Tat des freien individuellen Menschen vermag nach Maier das Gute zu verwirklichen. In seiner großangelegten Untersuchung zu Sokrates‘ Leben und Werk stellte Maier diesen als vorbildlichen Philosophen und Erzieher dar, dessen Wirken auf sittliche Selbsterkenntnis ziele. Er erweiterte die Ausschließlichkeit des kantischen sittlichen Imperativs durch eine Akzeptanz des Sinnenglücks und die größere Nähe zur erfahrbaren Bewährung im praktischen Leben. Maier versuchte im Streit zwischen dem damaligen Materialismus und den sich dagegen regenden idealistischen Tendenzen zu vermitteln. Er zielte weder auf starre Systembildung noch auf intuitive Subjektivität, sondern bemühte sich um streng wissenschaftliche, an Einzelfragen orientierte Forschung. Maier betonte die Eigenfunktion von Wille und Gefühl in ihrem Einfluss auf das Denken. Einem kritischen Realismus zugeneigt, ist Wirklichkeit nach Maier immer abhängig von individuellem Vorstellen und Denken.
Maiers Philosophie der Wirklichkeit erschöpfte sich nicht in der Urteilslehre, sondern wurde in seiner Lehre von den Kategorien weitergeführt. Kategorien sind als Elemente einer Grundlagenforschung Erkenntnisprinzipien einer Formalwissenschaft, die die verbindende Grundlage der vielfältigen Natur- und Geisteswissenschaften stiften soll. Auch hier vertritt Maier einen kategorialen Empirismus, die Wirklichkeit tritt für den menschlichen Intellekt als Erscheinungswirklichkeit auf. Sein Kollege Nicolai Hartmann rühmte Maiers Arbeit, da er sich einem der großen Desiderate der systematischen Philosophie jener Zeit angenommen habe, um die Einheit der ins Unübersehbare gespaltenen Wissenschaften wiederherzustellen.
Maiers etwa 2000 Seiten umfassende „Philosophie der Wirklichkeit“ thematisiert und systematisiert die Folgen, die aus der grundsätzlichen Verschiedenheit von Logik (Annahmen und Normen, die unabhängig vom Subjekt gelten sollen) und psychologischen Vorstellungen und Intentionen zu ziehen sind. Auch hier kämpfte er gegen die „Absolutisten“, die Wahrheit losgelöst von den Bedingungen der Erfahrung setzen. Die dingliche Objektwelt bestimme in gleichem Maße die Erkenntnis wie die Seite des wahrnehmenden und urteilenden Subjekts.
Maier vermittelt zwischen den extremen Standpunkten des Psychologismus und den Positionen des Positivismus. Seine Stärke und sein Verdienst liegen in der Fülle und Systematik der dargelegten Unterscheidungen.
Ein Herzschlag riss den 66jährigen Maier mitten aus seiner Semesterarbeit. Begraben wurde er auf dem Waldfriedhof in Dahlem. Sein Schüler Helfried Hartmann würdigte in seinem Nachruf den „wohlwollenden“ und „gütigen“, dabei „temperamentvollen“ Lehrer.
Obwohl einer der anerkannten Philosophen Deutschlands zu seiner Zeit, scheint Maier heute weitgehend vergessen.
Werke: Die Syllogistik des Aristoteles, 1896 – 1900. 1. Teil: Die logische Theorie des Urteils bei Aristoteles, 1896; 2. Teil: Die logische Theorie des Syllogismus und die Entstehung der aristotelischen Logik; 1. Hälfte: Formenlehre und Technik des Syllogismus, 1900; 2. Hälfte: Die Entstehung der aristotelischen Logik, 1900; Psychologie des emotionalen Denkens. 1908, 2. Aufl. 1925; Reprint: 1967; An der Grenze der Philosophie, 1909; Briefe von David Friedrich Strauss an L. Georgii (Hg.), 1912; Sokrates: sein Werk und seine geschichtliche Stellung, 1913; Philosophie der Wirklichkeit, 1926 – 1935; 1. Bd.: Wahrheit und Wirklichkeit, 1926; 2. Bd: Die physische Wirklichkeit; 1. Abt.: Die Realität der physischen Welt, 1933; 2. Abt.: Der Aufbau der physischen Welt, 1934; 3. Bd.: Die psychisch-geistige Wirklichkeit, hg. von Anneliese Maier, 1935.

Literatur: Arthur Liebert, Zur Logik der Gegenwart, in: Kant-Studien 31 (1926), 297-310; Paul Hofmann, Heinrich Maier, Philosoph der Wirklichkeit, in: Deutsche Literaturzeitung 14 (1927), 647-661; Helfried Hartmann, in: Kant-Studien 39 (1934), 237-241; Helfried Hartmann, in: Bätter für Deutsche Philosophie 8 (1934/35), 60-64; Eduard Spranger, Gedächtnisrede auf Heinrich Maier, in: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse (1934), CXV-CXIX; Albert Hofacker, Heinrich Maier, ein schwäbischer Philosoph der Gegenwart, in: Württemberg, 7. Jg., H. 83, (Nov. 1935), 515-520; Otto von Schweinichen, Über den Beitrag von Heinrich Maiers Philosophie der psychisch-geistigen Wirklichkeit zur Sozial- und Rechtsphilosophie der Gegenwart, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 31,2 (Jan. 1938), 210-223; Nicolai Hartmann, Heinrich Maiers Beitrag zum Problem der Kategorien, in: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse (1938) 38-54; Ernst Müller, Heinrich Maier (1867 – 1933), in: ders., Schwäbische Profile (1949) 200-233; Alexander von Varga, Die Dialektik der Objektivität, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung 9 (1955), 624-633; Gerhard Schweier, Namhafte Heidenheimer, Bd. 1, 1968, 40; Klaus-Werner Segreff, Maier, Heinrich, in: NDB 15, 1987, 694-696. (Onlinefassung); Herbert Hummel, Drei Generationen Philosophie: Vater und Sohn Sigwart, Schwiegersohn Heinrich Maier und dessen Tochter Anneliese, in: Hummel, Herbert: Geist und Kirche, 2 (2004) 170-174. Susanne Lange-Greve, An der Grenze der Philosophie – Heinrich Maier 1867 – 1933, 2014.
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