Gmelin, Julius Hermann Gotthelf 

Geburtsdatum/-ort: 28.04.1859;  Ludwigsburg
Sterbedatum/-ort: 29.08.1919;  Großgartach
Beruf/Funktion:
  • ev. Pfarrer und Historiker
Kurzbiografie: Seminarist in Maulbronn und Blaubeuren
Studium der ev. Theologie in Tübingen unständiger Dienst in Plattenhardt und Rohrdorf
1884–1888 Zweiter Stadtpfarrer in Waldenburg
1888–1905 Pfarrer in Großaltdorf
1890 Dr. phil.
1904 Pfleger der Württ. Kommission für Landesgeschichte
1905–1919 Pfarrer in Großgartach
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 21.9.1884 (Cannstatt) Elise, geb. Kriech (26.7.1858–4.5.1935), Tochter des Georg Kriech, Pfarrer
Eltern: Vater: Friedrich August Gmelin (1821–1894), Kaufmann
Mutter: Wilhelmine, geb. Windecker (1832–1866)
Geschwister: 7
Kinder: 11: Wilhelm (1888–1912); Anna (1889–1920); Max (1890–1910); Eugenie (1891–1944); Elise (1891–1971); Adolf (1893–1917); Johanna (1895–1951); Karl (1896–1916); Lina (* 1897); Antonie (1899–1953); Thusnelde (1900–1946)
GND-ID: GND/11668495X

Biografie: Andreas Butz (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 74-75

In Ludwigsburg geboren, verlor Julius Gmelin bereits mit sieben Jahren seine erst 34-jährige Mutter. Als Vermächtnis hinterließ sie ihm zur Konfirmation einen Brief, worin sie unter anderem schrieb: „Wenn du den geistlichen Stand erwählst, stehen Dir nochmals besondere Verheißungen zur Seite. Wenn du aber ein träger Hirte bist, nutzest Du weniger als der schlechteste Taglöhner und versperrst nur anderen den Platz …“. Einen großen inneren Halt gab ihm sein Patenonkel Moriz Gmelin, Archivrat in Karlsruhe, aufgrund dessen Anregung er neben der Theologie auch Geschichte studiert hat. Der Vater verzog 1875 nach Frankfurt am Main.
Seine Frau lernte Julius Gmelin als Vikar in Plattenhardt kennen. Sie war die Tochter des dortigen Pfarrers. Nach seiner Versetzung als Diakon in Waldenburg bei Öhringen konnte er mit ihr seinen Hausstand gründen.
Mit seiner Zeit als Pfarrer in Großaltdorf begann eine Zeit von großer geistiger Produktivität. Gmelin war ein kritischer und engagierter Geistlicher, der in seiner frühen Schrift „Evangelische Freiheit“ bereits zahlreiche Anregungen zu geben versuchte, wie sich die Kirche seiner Meinung nach in der damaligen Gegenwart positionieren sollte und wie sie sich weiterentwickeln könne. Er sah sich als Streiter für dogmatische Freiheit und eine durchgreifende Neuordnung der evangelischen Kirche.
Sein Gerechtigkeitssinn schlug sich in seinen Forschungsinteressen nieder, und er ging deshalb gerne einer Anregung durch Professor Bernhard Kugler nach, durch eine sorgfältige eigene Arbeit das Werk von Hans Prutz über die Prozesse gegen den Templerorden zu widerlegen.
Während seiner Zeit in Großgartach verfasste er auch seine „Hällische Geschichte“, die erste umfangreiche Lokalgeschichte dieser bedeutenden Reichsstadt, allerdings – entgegen dem ursprünglichen Vorhaben – mit deutlichem Schwerpunkt auf dem Mittelalter und der Reformationszeit. Wie er selber einleitend bekannte, wollte er damit ein wissenschaftlich fundiertes, aber auch für eine breite Leserschaft geeignetes Werk vorlegen.
Während seiner Amtszeit als Pfarrer in Großgartach stellte er seine Kräfte in den Dienst der Errichtung eines neuen Gemeindehauses mit Kindergarten, und setzte sich in besonderem Maße für die Verbesserung des dortigen Kirchengebäudes ein, das er bei Amtsantritt in schlechtem Zustand vorfand, und das dann nach Plänen von Prof. Martin Elsässer 1912 bis 1913 im so genannten Stuttgarter Jugendstil grundlegend vergrößert und erneuert werden konnte. Straßen in Großgartach und in Schwäbisch Hall tragen heute seinen Namen. In seiner Freizeit befasste er sich mit Geschichte, Familien- und Völkerkunde, und mit dem Gesangbuchwesen. Seine Losungen waren „Frei und Fromm“ und „Streiten ist nicht gefährlich, aber Schlafen“. In Großgartach gründete er die Zeitung „Warte vom Heuchelberg“, um die geistige Verbindung seiner Gemeindeglieder untereinander und eines Kreises darüber hinaus zu stärken.
Als eifriger Förderer nationalliberaler Einheitsbestrebungen stand er dem Reichstagsabgeordneten Friedrich Naumann nahe, den er übrigens nur um wenige Tage überleben durfte. Mit engagierten Artikeln, Erklärungen und Protesten in der Neckar-Zeitung deren Redaktion von dem Julius Gmelin politisch nahe stehenden Theodor Heuss geleitet wurde, aber auch in anderen Blättern, richtete er sich an die Öffentlichkeit. Es ging ihm dabei um Fragen, die aus seiner Sicht die Freiheitlichkeit der Evangelischen Kirche berührten, etwa die Dienstentlassungen der Pfarrer Christoph Schrempf, Friedrich Steudel und Gottfried Traub. Auch in Bezug zu der seiner Ansicht nach verfehlten Praxis der Veranstaltung von Kirchenbau-Lotterien äußerte er sich kritisch. In politischer Hinsicht war es ihm ein Anliegen, die Öffentlichkeit über – wie er es sah – Mängel bei der Wahlreform aufzuklären. Er sah es als seine Pflicht an, sich kritisch zu äußern, und sich mit seiner Sicht der Dinge nicht unterzuordnen. Damit setzte er sich immer wieder in Gegensatz zu seiner vorgesetzten Behörde, weshalb er mehrfach in disziplinarische Verfahren verwickelt und zu Geldstrafen verurteilt wurde.
Wegen einer 1902 gehaltenen Osterpredigt, in welcher er zum Ausdruck gab, dass er nicht an die leibliche Auferstehung glauben könne, wurde er vom Konsistorium geahndet. Dieser Fall wurde von der nationalen Presse mit Aufmerksamkeit verfolgt.
1911 war er führend an der Gründung der Vereinigung „Freunde evangelischer Freiheit in Württemberg“ beteiligt.
In seiner Schrift „Warum wir nicht siegen durften“ schildert er unter anderem, dass ihm 1917 von der militärischen Zensurbehörde der Abdruck von zwei für das Gemeindeblatt geplanten Aufsätzen, der erste über das Thema „Buße“, der zweite ein Abdruck seiner Predigt zum „Glockenabschied“, verboten wurden. Im weiteren Verlauf, in welchem er auch Informationen über einen als geheim gekennzeichneten, an die Pfarrer gerichteten Erlass an die Presse weitergab, verhängte das Konsistorium gegen ihn zwei Geldstrafen. Julius Gmelin war ein entschiedener Gegner der Zensur. Seine sehr kritische Kenntnisnahme des Völkermordes an den Armeniern brachte ihn in Konflikt mit der Zensurbehörde, und führte auch zur Entfremdung von politischen Freunden. Trotz seiner patriotischen Einstellung war er nicht blind für die Fehlentwicklungen des Ersten Weltkrieges und äußerte sich vor allem kritisch zu den Auswüchsen des Militarismus.
Die Trennung von Staat und Kirche lag ihm besonders am Herzen.
Seinen elf Kindern war er ein liebevoller Vater, und es war ein schwerer Schicksalsschlag, dass er sämtliche vier Söhne früh verlor. Sein Sohn Max, erlag nur wenige Tage nach seiner Auswanderung nach Brasilien in Manaos dem gelben Fieber. Der angehende Tierarzt Wilhelm machte seinem Leben als 20-jähriger selber ein Ende. Die beiden weiteren Söhne des pazifistisch eingestellten Pfarrers wurden beide ein Opfer des Ersten Weltkrieges, einer davon durch eine in Galizien erhaltene Verwundung, der ältere genau ein Jahr darauf nach einem gefährlichen Einsatz als Fliegeroffizier an der Aisne.
Schon vor Beginn des Ersten Weltkrieges war bei ihm ein Herzfehler festgestellt worden, den er nicht genügend beachtete. Julius Gmelin verstarb im Alter von nur 60 Jahren in Großgartach unerwartet an einem nächtlichen Herzschlag.
Quellen: LKAS, A 27, 936.
Werke: Ev. Freiheit. Auch ein Beitrag zur Lösung der sozialen Frage, 1892; Schuld und Unschuld des Templerordens. Kritischer Versuch zur Lösung der Frage, 1893; Die Regel des Templerordens, in: MIÖG 14 (1893), 194–236; Hällische Geschichte, 1896; Die Verwertung der Kirchenbücher, in: Deutsche Geschichtsblätter (1900); Hall im Reformationsjh., 1900; Bevölkerungsbewegung im Hällischen, in: Allgemeines Statistisches Archiv 6 (1902); Hall in der 2. Hälfte des 16. Jhs., 1903; Materialien zur württ. Verfassungsrevision, 1905; Deutschlands Niedergang oder Warum wir nicht siegen durften, 1920.
Nachweis: Bildnachweise: Rolf Eilers, wie Literatur; Gerd Wunder, wie Literatur.

Literatur: Rolf Eilers, Julius Hermann Gotthelf Gmelin (1859–1919), in: Die Familie Gmelin, 60–62; Gerd Wunder, Julius Gmelin, in: Württ. Franken 57 (1973), 306–308.
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