Sägmüller, Johannes Baptist 

Geburtsdatum/-ort: 24.02.1860;  Winterreute (bei Biberach an der Riß)
Sterbedatum/-ort: 22.10.1942;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • katholischer Geistlicher, Prof. für Kirchenrecht
Kurzbiografie: Als Konviktor Besuch der Gymnasien in Mergentheim und Ehingen
Studium der Philosophie und Theologie in Tübingen
1884 Priesterweihe in Rottenburg Expositurvikar in Alpirsbach
1887 Repetent für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen; Promotion an der Philosophischen Fakultät mit einer Arbeit über „Die Papstwahlen und die Staaten von 1447 bis 1555“
1893 außerordentlicher Prof. für mittelalterliche Geschichte in der Philosophischen Fakultät
1896 Ordinarius für Kirchenrecht und Pädagogik in der Katholisch-Theologischen Fakultät
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Eltern: Vater: Carl Segmiller [sic] (geb. 1822 Ahlen)
Mutter: Emerentia, geb. Ackermann (geb. 1824 Winterreute, gest. 1887 Biberach)
Geschwister: 3 Schwestern, davon 2 im Kindesalter verstorben
GND-ID: GND/116743182

Biografie: Dominik Burkard (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 215-216

In seinem wissenschaftlichen Arbeiten beschritt Sägmüller, der von 1887 an Tübingen kaum verließ, den Weg der geschichtlichen Betrachtung des Kirchenrechts. Darin folgte er seinem Lehrer Franz Quirin Kober und griff zudem ein Element auf, das in besonderer Weise Arbeit und Denken der „Tübinger Theologie“ prägte. In zahllosen kleineren und größeren Aufsätzen publizierte er die Ergebnisse intensiver Detailstudien. Diese mündeten 1904 in ein Lehrbuch für Kirchenrecht, das mehrere Auflagen erlebte und seinen Verfasser berühmt machte. Obwohl historisch orientiert, griff Sägmüller immer wieder in aktuelle Diskussionen ein, etwa bei der Frage nach der Trennung von Kirche und Staat, den Rechtsansprüchen der Kirche auf finanzielle Leistungen des Staates oder in der Nachkriegszeit zum Thema Völkerrecht und Völkerfrieden. Gegen Nikolaus Hilling (1871-1960) u. a. trat Sägmüller für die Identität und Gleichwertigkeit von Konkordat und Konvention ein. Mit Ulrich Stutz (1868-1938) führte er eine Kontroverse über die Stellung und Aufgabe der kirchlichen Rechtsgeschichte. In seinen Publikationen zeigt sich Sägmüllers großes Misstrauen gegenüber allem Modernen. Seine abfälligen Urteile über die katholische Aufklärung (1906) forderten den Protest seines ehemaligen Kollegen im Repetentenkollegium, des Würzburger Kirchenhistorikers Sebastian Merkle (1862-1945), heraus. Die Auseinandersetzung zwischen ihm und Merkle war eine der schärfsten wissenschaftlichen Kontroversen vor der Modernismuskrise. Sie gab der Erforschung der katholischen Aufklärung entscheidende Impulse. Die Kodifizierung des Kirchenrechts 1917 stürzte Sägmüller in eine ernste Krise, da sie seinem rechtshistorischen Denken und Arbeiten entgegenlief. Er litt schwer unter dem Gedanken, die rechtsgeschichtliche Behandlung des Kirchenrechts könne durch eine ausschließliche Rechtsdogmatik verdrängt werden. Die durch den CIC notwendig gewordene Neubearbeitung seines Lehrbuchs nahm Sägmüller zwar in Angriff, konnte sie aber nicht vollenden.
Zähe Energie, Arbeitskraft, militärische Strenge im Lebensstil, Leidenschaftlichkeit und ein cholerisches Temperament waren Charakterzüge des „Urschwaben“ Sägmüller und machten ihn im persönlichen Umgang zu einem unbequemen Zeitgenossen. Kirchenpolitisch war er ein kompromissloser Gegner von „Reformkatholizismus“ und „religiösem Katholizismus“. Nach dem Tod des Kirchenhistorikers Franz Xaver Funk gelang es ihm zunehmend, zum Kopf der Katholisch-Theologischen Fakultät zu werden.
Quellen: DAR (N 16) NL J. B. Sägmüller.
Werke: (Auswahl) Die Papstwahlen und die Staaten von 1447 bis 1555. Eine kirchenrechtlich-historische Untersuchung über den Anfang des staatlichen Rechtes der Exklusive in der Papstwahl, 1890, ND 1967; Die Papstwahlbullen und das staatliche Recht der Exklusive, 1892; Zur Geschichte des Kardinalates. Ein Traktat des Bischofs von Feltre und Treviso Teodoro de Belli über das Verhältnis von Primat und Kardinalat, 1893; Die Synoden von Rom 798 und Aachen 799, in: ThQ 76 (1894), 296-303; Die Entwicklung der Rota bis zur Bulle Johanns XXII.: „Ratio iuris“ a. 1326, in: ebda. 77 (1895), 97-120; Die Tätigkeit und Stellung der Cardinäle bis Papst Bonifaz VIII. Historisch-canonistisch untersucht und dargestellt, 1896; Die Idee Gregors VII. vom Primat in der päpstlichen Kanzlei, in: ebda. 78 (1896), 577-613; Die Entwicklung des Archipresbyterats und Dekanats bis zum Ende des Karolingerreiches, 1898; Die Entstehung und Entwicklung der Kirchenbücher im katholischen Deutschland bis zur Mitte des 18. Jh., in: ThQ 81 (1899), 206-258; Lehrbuch des Katholischen Kirchenrechts, 3 Teile 1900-1904, 2. Aufl. 1909, 3. Aufl. 1913-1914; I/1-4. Aufl. 1925-1934; Die oligarchischen Tendenzen des Kardinalkollegs bis Bonifaz VIII., in: ThQ 83 (1901), 45-93; Die Konstantinische Schenkung im Investiturstreit, in: ebda. 84 (1902), 89-110; Kirche und Staat (Populärwiss. Vorträge 4), 1904; Das philosophisch-theologische Studium innerhalb der Schwäbischen Benediktinerkongregation im 16. und 17. Jahrhundert, in: ThQ 86 (1904), 161-207; Eine Dispens päpstlicher Legaten zur Verehelichung eines Siebenjährigen mit einer Dreijährigen im Jahre 1160, in: ebda. 86 (1904), 556-575; Die formelle Seite der Neukodifikation des kanonischen Rechts, in: ebda. 87 (1905), 401-423; Die kirchliche Aufklärung am Hofe des Herzogs Karl Eugen von Württemberg 1744-1793. Ein Beitrag zur Geschichte der kirchlichen Aufklärung, 1906; Die Trennung von Kirche und Staat. Eine kanonistisch-dogmatische Studie. Mit 13 Beilagen, enth. offizielle Aktenstücke über die Trennung von Kirche und Staat in Frankreich, 1907; Die Bischofswahl bei Gratian (Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland. Sektion für Rechts- und Sozialwissenschaft 1), 1908; Der Tischtitel in der Diözese Rottenburg bis zum Jahr 1848. Ein Beitrag zum Kirchenrecht der Aufklärung, in: ThQ 91 (1909), 481-526; Wissenschaft und Glaube in der kirchlichen Aufklärung (ca. 1750-1850). Zur Erwiderung auf Professor Merkles Rede und Schrift: „Die katholische Beurteilung des Aufklärungszeitalters“ und zur Charakterisierung der kirchlichen Aufklärung, 1910; Unwissenschaftlichkeit und Unglauben in der kirchlichen Aufklärung (ca. 1750-1850). Eine Erwiderung auf Prof. Merkles Schrift: „Die kirchliche Aufklärung im katholischen Deutschland“, 1911; Der Rechtsanspruch der katholischen Kirche in Deutschland auf finanzielle Leistungen seitens des Staates, 1913, 2. Aufl. 1919; Die Idee von der Säkularisation des Kirchenguts im ausgehenden Mittelalter – auch eine der Ursachen der Reformation, in: ThQ 99 (1917/18), 253-310; Der apostolische Stuhl und der Wiederaufbau des Völkerrechts und Völkerfriedens, 1919; Die gemischte Ehe im kirchlichen Gesetzbuch, 1928; Zur Geschichte der Entwicklung des päpstlichen Gesetzgebungsrechtes. Entstehung und Bedeutung der Formel „Salva Sedis Apostolicae auctoritate“ in den päpstlichen Privilegien um die Mitte des 12. Jh.s. Kirchenrechtsgeschichtliche Studie, 2. Aufl. 1937.

Literatur: Jos[eph] Rup[ert]Geiselmann, Nachruf auf Professor D. Dr. J. B. Sägmüller, in: ThQ 123, 1942, 217-222; Wilhelm Sedlmeier, Der silberne Kranz. Gabe zum Priesterjubiläum des Weihejahrgangs 1924 der Diözese Rottenburg, o. J., 21; Heinz Seewald, Die Vertretung der Geschichtswissenschaft an der Univ. Tübingen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1837-1907), 1950, 216-220; August Hagen, Geschichte der Diözese Rottenburg, Bd. 2-3, 1958-1960; ders., Der Reformkatholizismus in der Diözese Rottenburg, 1962, insbes. 153-165; Eugen Heinrich Fischer, J. B. Sägmüller, 1860-1942, in: ThQ 150 (1970), 82-95; Rudolf Reinhardt, Zu den Auseinandersetzungen um den „Modernismus“ an der Univ. Tübingen, in: ders. (Hg.), Tübinger Theologen und ihre Theologie. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen, in: Contubernium 16 (1977), 271-352; Roland Engelhart, „Wir schlugen unter Kämpfen und Opfern dem Neuen Bresche“. Philipp Funk (1884-1937). Leben und Werk (Europäische Hochschulschriften, Reihe III, 695), 1996; Dominik Burkard, Art. Sägmüller, in: BBKL 17, 1177-1186 (Literatur und Bibliographie).
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)