Lautenschlager, Karl Albert 

Geburtsdatum/-ort: 15.05.1868;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 06.12.1952;  Stuttgart- Degerloch
Beruf/Funktion:
  • Oberbürgermeister
Kurzbiografie: 1887 Abitur am Karls-Gymnasium in Stuttgart
1888 Einjährig-Freiwilliger
1888–1892 Studium d. Rechts- u. Staatswissenschaften in Tübingen u. Leipzig, Promotion zum Dr. iur.
1897 Amtmann d. Stadtdirektion Stuttgart
1909 Regierungsrat
1911–1933 Oberbürgermeister von Stuttgart
1919 Öffentlicher Aufruf gegen Antisemitismus
1921 Wiederwahl zum Oberbürgermeister von Stuttgart für 10 Jahre
1924 Mitbegründer d. Luftverkehrsgesellschaft
1925 Berufung in den Reichswirtschaftsrat
1927 Eröffnung d. Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung“; Bau d. Weißenhof-Siedlung
1931 Wiederwahl zum Oberbürgermeister von Stuttgart für 15 Jahre mit 69,7 Prozent d. abgeg. Stimmen gegen Kandidaten von NSDAP u. KPD
1933 durch die NSDAP aus dem Amt gedrängt; vorzeitiger Ruhestand
1945 Ehrenbürger d. Stadt Stuttgart
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: Dr.-Ing. E. h. d. TH Stuttgart (1922); Ehrensenator d. Univ. Tübingen (1927); Ehrenbürger von Stuttgart (1945), Ehrenmitgl. d. Präsidiums d. Dt. Städtetages (1948)
Verheiratet: I. 1899 (Stuttgart) Anna (1877–1910), geb. Werlitz;
II. 1912 (Stuttgart) Emma (1881–1966), geb. Rustige
Eltern: Vater: Karl Ernst (1828–1895), Rechtsanwalt, Direktor d. Lebensversicherungs- u. Ersparnisbank in Stuttgart, seit 1866 MdL-(parteilos), 1877 Oberbgm.-Kandidat in Stuttgart
Mutter: Sofie Wilhelmine, geb. Faber (1831–1902)
Geschwister: 2; Ernst (1862–1909), Gewerberichter in Stuttgart, 1899 Oberbgm.-Kandidat in Stuttgart, u. Helene
Kinder: 4; aus I. u. aus II. je zwei Töchter
GND-ID: GND/116769491

Biografie: Jörg Schweigard (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 281-284

Lautenschlager legte nach dem Besuch des Eberhard-Ludwigsund des Karls-Gymnasiums 1887 das Abitur ab. Nach dem Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger studierte er in Tübingen und Leipzig Staats- und Rechtswissenschaften. In Tübingen gehörte er der Studentenverbindung „Akademische Gesellschaft Stuttgardia“ an, einer gemäßigten, konservativ-liberalen Verbindung, die das Mensurwesen ablehnte. Nach dem I. Staatsexamen 1892 war Lautenschlager Referendar in der Stadtdirektion Stuttgart, der Kreisregierung in Ludwigsburg und dem Stadtschultheißenamt Untertürkheim. Seit 1897 war er Amtmann der Stadtdirektion Stuttgart, wo er 1909 zum Regierungsrat avancierte und mit kurzen Unterbrechungen bis zu seiner Wahl zum Oberbürgermeister tätig war.
1911 kandidierte Lautenschlager als Nachfolger des parteilosen Stuttgarter Oberbürgermeisters Heinrich von Gauß (1858–1921). Am 12. Mai 1911 wurde er mit Unterstützung der Konservativen, des katholischen Zentrums und der Nationalliberalen mit knapper Mehrheit vor dem Sozialdemokraten Hugo Lindemann (1867–1949) gewählt. Politisch stand er der liberalen württembergischen DVP nahe, war jedoch nie Mitglied.
Zu Beginn seiner Amtszeit konzentrierte sich Lautenschlager auf die städtische Wasserversorgung, den Bau einer Kläranlage und Vorarbeiten für den Neckarkanal. Auch die Kultur lag ihm am Herzen. Noch vor dem I. Weltkrieg wurden die zwei von der Stadt bezuschussten Häuser des Hoftheaters sowie die Markthalle und das Kunstgebäude eingeweiht. Lautenschlager engagierte sich im Vorstand des Deutschen Auslands-Instituts und förderte die Schwäbische Volksbühne. 1924 initiierte er den schwäbischen Kunstsommer zur Unterstützung notleidender Künstler. Auch im Schwäbischen Kunstverein, bei den Freunden der Kunstakademie und in der Musikhochschule war er in leitenden Ehrenämtern tätig.
Lautenschlager erkannte früh die Bedeutung einer koordinierten Kommunikationspolitik und befürwortete schon vor dem I. Weltkrieg die Einrichtung einer Pressestelle. Besonders der Umstand, dass im Sommer 1913 die Stuttgarter Presse die Stadt wegen des Ankaufs der Villa Berg unverhältnismäßig angegriffen hatte, führte bei ihm zur Einsicht, dass man die Kommunikation verbessern müsse. 1920 gelang es schließlich, einen „Pressedienst“ als eigene Organisation innerhalb der Stadtverwaltung einzurichten. Die nun professionellere Information der Medien erhöhte und veränderte deutlich den Anteil der Presseberichte über den Gemeinderat.
Während der Notzeit des I. Weltkriegs konnte der Städtische Hilfsausschuss unter Vorsitz Lautenschlagers 54 Mio. RM an bedürftige Angehörige der Soldaten verteilen. 1915 war Lautenschlager Mitbegründer der Gesellschaft Nahrungsmittelversorgung Stuttgart mit 29 Gesellschaftern, die wesentlich zur Versorgung der Stuttgarter Bevölkerung im Krieg beitrug.
Anders als auf Landesebene ließ die Revolution im November 1918 die städtische Verwaltung personell unangetastet. Diese Kontinuität in der kommunalen Verwaltung war ein Garant dafür, dass die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Nachkriegszeit bewältigt wurden. Lautenschlager stellte sich den Umwälzungen der Novemberrevolution nicht entgegen und vermied so Blutvergießen und den Zusammenbruch der Nahrungsmittelversorgung. Die Bevölkerung rief er dazu auf, Ruhe und Besonnenheit zu bewahren. Zwar hatte der Aktionsausschuss der Arbeiter- und Soldatenräte am 20. November 1918 beschlossen, die „Stadtverwaltung unter Kontrolle zu nehmen“ (Borst 1986, S. 366); jedoch war dieser Anspruch schon eine Woche später politisch nicht mehr zu halten. 1919 kam es während des Januarputsches erneut zu Angriffen auf das Amt Lautenschlagers, der vorübergehend mitsamt den Gemeindekollegien für abgesetzt erklärt wurde.
Lautenschlager verstand sich als überparteilich, konnte aber auch politisch Position beziehen. So wehrte er sich als Stadtoberhaupt gegen den wachsenden Antisemitismus in Stuttgart: Am 19. Januar 1919, dem Tag vor der Verfassunggebenden Versammlung, erschien in fast allen Stuttgarter Zeitungen eine von Lautenschlager angeführte Anzeige nicht jüdischer Bürger gegen den eskalierenden Antisemitismus. In einer Erklärung Lautenschlagers im „Staatsanzeiger“ verurteilten er und zahlreiche Stuttgarter Bürger die publizistischen Auseinandersetzungen und forderten die „Beilegung der Streitigkeiten über Rasse- und Bekenntnisfragen“. (Weber, 2004, S. 402). Das Bekenntnis war die „einzige bekannt gewordene öffentliche Stellungnahme von Nichtjuden gegen den Antisemitismus in der Weimarer Republik“. (Ulmer, 2011, S. 207).
1921 bestätigten die Stuttgarter Lautenschlager mit klarer Mehrheit für weitere 10 Jahre im Amt, nachdem der einzige ernsthafte Gegner im Wahlkampf, der DDP-Stadtrat und Verwaltungsjurist Fritz Elsas wegen antisemitischer Angriffe seine Kandidatur nicht aufrecht erhielt.
In den 1920er-Jahren legte Lautenschlager sein Augenmerk besonders auf den Ausbau der Infrastruktur in der rasant wachsenden Stadt. Städtebaulich sind hier beispielhaft der neue Hauptbahnhof, der Neckarkanal und die Ausfallstraßen zu nennen. Mehrere Schwimmbäder wurden gebaut, unter anderem 1929 im Stadtteil Heslach eines der größten Hallenbäder Süddeutschlands im Stil der Neuen Sachlichkeit. Nach der Inflation entwickelte sich die Stadt zum wirtschaftlichen Zentrum Südwestdeutschlands. Durch Eingemeindungen stieg die Einwohnerzahl von 290 000 (1911) auf 405 000 (1932). Während die mit den Kriegslasten verbundenen Dienststellen bis 1924 wegfielen, kamen eine Fülle neuer Aufgaben und Handlungsfelder auf die Kommune zu. Ein wichtiger Posten im Haushalt war die städtische Gesundheitspflege. Dazu zählten die drei großen Krankenhäuser Katharinenhospital, Bürgerspital, Städt. Krankenhaus Cannstatt sowie der Aufbau eines städtischen Gesundheitsamtes.
Die gewachsenen Anforderungen und Ausgaben belasteten den Haushalt. Noch 1914 war der Haushalt bei 47 Mio. M. Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen. 1922 musste erstmals in der neueren Stadtgeschichte ein Defizit eingeplant werden. Ein vergrößertes Wohlfahrtsamt hatte allein 1924 über 20 000 Menschen zu versorgen, rund 8 Prozent der Einwohner; dessen Etat wurde damals mit 22 Mio. RM zum größten im städtischen Haushalt.
Der Wohnungsnot konnte die Stadt unter der Ägide Lautenschlagers nur teilweise Abhilfe schaffen. Von 1919 bis 1932 entstanden rund 25 000 neue oder sanierte Wohneinheiten. Die städtischen Betriebe wie Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerk erhöhten ihre Leistungen zum Teil um ein Vielfaches. 1925 wurde das umgebaute Dampfkraftwerk in Betrieb genommen, das von 1921 bis 1929 seine Leistungsfähigkeit von 38 auf 121 Mio. kWh steigerte, auch wenn weiterhin noch Strom bezogen werden musste, um den Bedarf zu decken. Die Wasserversorgung und die hygienischen Verhältnisse wurden besser, die Müllabfuhr deutlich leistungsfähiger. Außerdem fiel die Erweiterung des Straßenbahnstreckennetzes und die Vergrößerung des Wagenparks in Lautenschlagers Amtszeit. Da die Stadt 1933 das deutsche Turnfest ausrichten sollte, förderte Lautenschlager den Bau neuer Turnhallen und Sportplätze.
Der Bau der Weißenhofsiedlung bewies, dass Lautenschlager der Moderne gegenüber aufgeschlossen war und trotz vieler Angriffe von Traditionalisten dieses architektonische Vorhaben mutig umsetzte. Der Stuttgarter Gemeinderat beschloss im Frühjahr 1926 im Rahmen des Wohnungsbauprogramms für die kommenden beiden Jahre rund 60 Wohneinheiten zu errichten. Die geschlossene Siedlung entstand nach den Vorschlägen des Deutschen Werkbundes und war wie weitere städtische Bauprojekte dieser Jahre eine Demonstration Neuen Bauens. Am 23. Juli 1927 eröffnete die Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung“. Das Medienecho im In- und Ausland war positiv, der Publizist Erich Schairer lobte Stadt und Werkbund für die mutige Ausstellung, weil sie zeitgemäßes Bauen bekannt gemacht hatte: „Hier sieht man, dass wir endlich im Begriff sind, Häuser und Wohnungen herzustellen, wie sie zu unserer Zeit gehören, in denen sich heutige Menschen wohl fühlen können.“ (Die Sonntags-Zeitung, 25.9.1927).
Die Kritik der einheimischen Traditionalisten auch an der Person Lautenschlager fiel dagegen harsch aus. Die konservative Presse und auch der Leiter der Stuttgarter Schule Paul Bonatz kritisierten die Siedlung vehement. Werner Hegemann (1881–1936), der Chefredakteur von „Wasmuths Monatshefte für Baukunst“ bezeichnete Lautenschlager wegen der Ausstellung gar als fremdgesteuert und von allen guten Geistern verlassen. (Worbs, 1997, S. 39f.). Der gekränkte Oberbürgermeister ließ darauf eine Beleidigungsklage prüfen, wovon er erst auf Intervention Bonatz’ Abstand nahm.
Die weltweiten Auswirkungen der Finanzkrise bürdeten der Stadt große Lasten auf. Lautenschlager übte deutlich Kritik an der württembergischen Staatsregierung unter Eugen Bolz (1881–1945), die 1930 den Finanzausgleich änderte und Stuttgart zusätzlich mit 1,2 Mio. RM belastete: „Wer so fern den Verhältnissen steht, wer so wenig in die Nöte der heutigen Zeit eingegangen ist, kann fast nicht mehr ernst genommen werden.“ (Müller, 1988, S. 9) Angesichts eines ungedeckten Betrags von 2 Mio. RM versuchte Lautenschlager eine Umlagenerhöhung durchzubringen, scheiterte jedoch an der Stadtratsmehrheit.
Bei seiner dritten Oberbürgermeisterwahl am 26. April 1931 setzte Lautenschlager sich klar gegen die Kandidaten von NSDAP und KPD durch. Alle anderen Parteien, auch die Deutschnationalen, hatten ihn unterstützt. Nach dem Gesetz hätte Lautenschlager nun 15 Jahre amtiert, doch die Nationalsozialisten drängten ihn 1933 aus dem Rathaus. Am 16. März 1933 setzten sie Stadtrat Dr. Karl Strölin als Staatskommissar ein. Lautenschlager verhielt sich passiv und stellte sich seiner Entmachtung nicht in den Weg. Er wurde schließlich „in die Rolle eines privilegierten Sachbearbeiters versetzt, der das Büro des Staatskommissars führen und dessen dienstliche Post mitlesen durfte“. (Müller, 1988, S. 43). Medien des bürgerlichen Lagers kritisierten nun unter anderem mit großer Schärfe Lautenschlagers frühere Nähe zur sozialdemokratischen Fraktion im Rathaus. (Schwäbischer Merkur, 26.3.1933; nach Kohlhaas, 1964, S. 111). Am 15. Mai 1933 schied Lautenschlager aus dem Amt. Er verschloss sich dem NS-Wunsch nach einem schnellen und reibungslosen Machtwechsel nicht. Den Aufsichtsratsvorsitz der Stuttgarter Straßenbahn AG behielt er bei und zog sich keineswegs ganz zurück, sondern blieb in den folgenden Jahren auch in gemeinsamen Auftritten mit Strölin im öffentlichen Leben der Stadt präsent.
Nach dem Ende des II. Weltkriegs war für Lautenschlager aufgrund seines Alters eine erneute Amtsübernahme nicht mehr möglich. Lautenschlager unterstützte beratend den ersten Nachkriegsbürgermeister Arnulf Klett beim Wiederaufbau. Die Stadt verlieh ihm am 21. September 1945 das Ehrenbürgerrecht, wofür er sich in einer Radioansprache bei den Stuttgartern bedankte. In einer Rede im Staatstheater anlässlich einer Kundgebung der DVP im November 1945 gab Lautenschlager der Hoffnung Ausdruck, dass anders als bei der Vielzahl an Weimarer Weltanschauungsparteien künftig „nur wenige Parteien in dem politischen Leben in Erscheinung treten, die sich mit anständigen Mitteln gegenseitig kontrollieren und einig sind in dem Willen, nur dem Volk und seiner Gesamtheit zu dienen.“ (Haslsteiner, 1946, S. 7)
Während seine zweite Frau 1946 für die Freie Wählervereinigung kandidierte und in den Stadtrat gewählt wurde, übernahm Lautenschlager kein öffentliches Amt mehr. Er verstarb in seinem 84. Lebensjahr; sein Ehrengrab befindet sich auf dem Waldfriedhof.
Quellen: HStAS J 191, Lautenschlager, Karl, Dr., M 430/1 Bü 1607; StadtA Stuttgart, Bestand Depot A, Sign. B VII 5 c Bd. 6 Nr. 17/17a.
Werke: Kurt Haslsteiner u.a., Wege zur Demokratie: Vier Reden von Dr. Wolfgang Haussmann, Dr. Karl Lautenschlager, Henry Bernhard [u.] Dr. Theodor Heuss [1946].
Nachweis: Bildnachweise: Kohlhaas, 1964, Bildanhang (vgl. Literatur).

Literatur: Fritz Elsas (Hg.), Stuttgart, 1925; Wilhelm Kohlhaas, Chronik d. Stadt Stuttgart 1918–1933, [1964]; Ludwig Luckemeyer, Lautenschlager, Karl, in: NDB 13, 1982, 733 f; Otto Borst, Stuttgart, 3. Aufl. 1986; Roland Müller, Stuttgart zur Zeit des Nationalsozialismus, 1988; Amtsblatt vom 21.5.1993; Dietrich Worbs, Stuttgarter Schule u. Neues Bauen im Stuttgart d. zwanziger Jahre, in: Stuttgart, Stadt im Wandel, hgg. von Andreas Brunold, 1997, 35-45; Reinhold Weber, Bürgerpartei u. Bauernbund in Württemberg, 2004; Martin Ulmer, Antisemitismus in Stuttgart 1871–1933, 2011; Jörg Schweigard, Stuttgart in den Roaring Twenties, 2012.
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