Heymann, Ernst 

Geburtsdatum/-ort: 06.04.1870; Berlin
Sterbedatum/-ort: 02.05.1946;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • Jurist, Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts
Kurzbiografie: 1889 Abitur am Maria-Magdalenengymnasium, Breslau
1889–1892 Studium der Rechtswiss. in Breslau; Abschluss mit preußischem Referendarexamen ebda.
1892–1896 Gerichtspraxis in Breslau
1894 Promotion zum Dr. iur. in Breslau, Thema: „Wird nach römischem Recht die Verjährung von Amts wegen berücksichtigt?;“ bei Doktorvater Otto Fischer
1896 Habilitation für Bürgerliches Recht, Deutsche Rechtsgeschichte und Handelsrecht in Breslau („Die Grundzüge des gesetzlichen Verwandtenerbrechts nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich“) bei Otto Fischer
1897 ao. Prof. für Deutsches Recht und Zivilprozessrecht in Berlin
1902 o. Prof. für Deutsches Recht und Handelsrecht in Königsberg
1903 o. Prof. für Deutsche Rechtsgeschichte, Deutsches Privat-, Handels- und Bürgerliches Recht in Marburg
1913 Geheimer Justizrat (Preußen); Roter Adler-Orden IV. Kl.
1914 o. Prof. für Deutsches Recht in Berlin
1918 Mitgl. der Preußischen Ak. d. Wiss.
1918 Kriegsverdienstkreuz 1914–1918
1919–1928 Dozent Handelshochschule Berlin
1926 Beständiger Sekretär der Philosophisch-Historischen Kl. der Preußischen Ak.; Mitgl. der Zentraldirektion der „Monumenta Germaniae Historica“
1927 Dr. phil. h.c. (Marburg)
1931 Dr. oec. h.c. (Handelshoschschule Berlin)
1932 Goethemedaille
1933 Mitgl. Ak. für Deutsches Recht
1938 Emeritierung
1940 korr. Mitgl. Bayerische Ak. d. Wiss.
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev. (rk. getauft, aus Mischehe)
Auszeichnungen: Ehrungen: Roter Adler-Orden IV. Kl. (1913); Kriegsverdienstkreuz 1914-1918 (1918); Goethemedaille (1932)
Mitgliedschaften: Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften; Mitglied der Zentraldirektion der "Monumenta Germaniae Historica"; Mitglied der Akademie für Deutsches Recht; korr. Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Verheiratet: 1899 Gertrud, geb. Hahn, aus Peltschütz (Kreis Breslau 1874–1954)
Eltern: Vater: Theodor Heymann (1842–1913, rk.), Oberpostrat
Mutter: Marie, geb. Otto (1841–1888, ev.)
Kinder: 4: Dorothea (* 1902), verh. mit Waldemar Grote, Rechtsanwalt und Notar in Bremen; Eva-Maria (* 1905), verh. mit Rudolf Lehmann, Ministerialdirektor im Reichs-/Bundeswirtschaftsministerium, zuletzt Bad Godesberg; Robert Christian (* 1906), Dr. med., zuletzt Arzt in Wittenberg; Lieselotte (* 1907)
GND-ID: GND/116792221

Biografie: Martin Otto (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 122-125

Heymann stammte aus einer alten schlesischen Familie, ursprünglich in Gabersdorf (Grafschaft Glatz) ansässig; die unmittelbaren Vorfahren waren Lehrer, der Großvater Robert Heymann zunächst Unteroffizier, dann Küster und Lehrer in Breslau, der Vater Theodor Heymann nach einem abgebrochenen Jurastudium Postbeamter im höheren Dienst. Sein Großvater mütterlicherseits war der Dresdner Genremaler Ernst Otto (1807–1847), ein Schüler von Moritz Retzsch. Wegen der häufigen Versetzungen seines Vaters besuchte Heymann Schulen in Erfurt, Münster (W.), Berlin (Askanisches Gymnasium) und zuletzt Breslau, wo er nach dem Abitur auch sein gesamtes Studium der Rechtswissenschaften verbrachte; zu seinen Lehrern gehörten Felix Dahn und sein Doktorvater Otto Fischer. Heymann war Mitglied der studentischen Verbindung Wratislavia; zu seinen Bundesbrüdern gehörte der Staatssekretär Hans-Heinrich Lammers (1879–1962). Nach der Privatdozentenzeit in Breslau und einem Extraordinariat in Berlin (Nachfolge Karl Crome) lehrte er an den kleineren preußischen Universitäten Königsberg und Marburg. Die „Marburger Zeit bezeichnete er trotz einiger Trübungen als seine glücklichste.“ (W. Erbe). 1914 erhielt er das Ordinariat des überraschend verstorbenen Konrad Hellweg (1856–1913) an der Universität Berlin, die der Schwerpunkt seines Wirkens bleiben sollte. Als Zivilrechtler war Heymann auch gemessen an den Maßstäben seiner Zeit sehr breit aufgestellt; seine Schwerpunkte lagen im Handelsrecht und der Deutschen Rechtsgeschichte, doch war er durch seine Promotion auch als Romanist ausgewiesen. Ein besonderes Interesse galt dem Internationalen Privatrecht und der Rechtsvergleichung, insbesondere mit dem englischen Recht. Heymann begründete an der Berliner Universität das „Institut für Auslands- und Wirtschaftsrecht“ (später „Institut für Auslandsrecht“). Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs veröffentlichte er den bahnbrechenden Aufsatz „Die Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft als Grundlage des neuen deutschen Industrierechts“, mit dem er zu einem der Wegbereiter eines eigenständigen Wirtschaftsrechts in Deutschland wurde. Während des Krieges war Heymann als Referent in der wissenschaftlichen Abteilung beim Stab des Kriegsamtes tätig. Bereits in Friedenszeiten hatte er als Zweiter Vorsitzender der Preußischen Sachverständigenkommission für Literatur, Kunst, Musik etc. beim Kultusministerium angehört. Als Rechtshistoriker war Heymann ab 1916 Mitherausgeber der Savigny-Zeitschrift für Rechtsgeschichte (Germanistische Abteilung), Nachfolger von Emil Seckel in der „Leges“-Abteilung der „Monumenta Germaniae Historica“ und 1918 Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften (seit 1926 Sekretär der Philosophisch-Historischen Klasse). 1926 wurde er Mitglied des von Ernst Rabel geleiteten „Kaiser-Wilhelm-Instituts für Ausländisches und Internationales Privatrecht“ im Berliner Schloss. Zu seinen Schülern gehörten als Habilitanden Friedrich Klausing, Otto Prausnitz, Walter Erbe, Konrad Zweigert und Paul Heinrich Neuhaus, ferner die erste deutsche Professorin für Zivilrecht, Gertrud Schubart-Fikentscher, die 1929/30 an Heymanns deutschrechtlichem Seminar teilnahm und 1931 über das Brünner Schöffenbuch promoviert wurde. Heymann war politisch ursprünglich am rechten Rand der Nationalliberalen angesiedelt; seit 1889 war er Mitglied im Verein für das Deutschtum im Ausland, seit 1914 Ehrenmitglied des Verbandes der Vereine Deutsche Studenten (VDSt/Kyffhäuserverband), zudem Mitglied des „Reichsverbandes gegen die Sozialdemokratie“ bis zu dessen Auflösung 1919. Mit Harry Bresslau führte er in der MGH eine von intellektuellem oder rassischem Antisemitismus freie Privatkorrespondenz. Von 1919 bis 1930 DVP-Mitglied, bemühte sich Heymann nach 1933, Anschluss an die politische Entwicklung zu gewinnen. Für die Akademie distanzierte er sich im April 1933 offiziell vom „agitatorischen Auftreten“ des Akademiemitglieds Albert Einstein im Ausland. 1937 wurde er zunächst kommissarisch, ab 1938 auch offiziell Nachfolger des aus rassischen Gründen zur Emigration nach England gezwungenen Ernst Rabel als Institutsdirektor. Der Berliner Dekan Wenzel Graf Gleispach bezeichnete Heymann 1940 als in der „neuen Zeit“ „bewährt.“ Von der politischen Einstellung muss Heymann freilich als ein im nationalliberalen Milieu des Kaiserreichs sozialisierter Professor angesehen werden, der, etwa im Industrierecht, gegenüber der Moderne durchaus aufgeschlossen war, aber von der anfangs durchaus bejahten Weimarer Republik zunehmend enttäuscht wurde. Seine Hauptsorge galt dem Kaiser-Wilhelm-Institut, dem er sich auch nach seiner Emeritierung 1938 widmete. Nachdem am 23./24. August 1943 seine Stadtwohnung am Oberhofer Platz 3 – 4 in Berlin-Lichterfelde mitsamt der Bibliothek einem Bombentreffer zum Opfer fiel, zog Heymann, der sich vergeblich an Lammers gewandt hatte, zunächst zu seinem Sohn nach Wittenberg. Als in Folge des 20. Juli 1944 der spätere Tübinger Professor Walter Erbe (1909–1967, seit 1938 Referent am KWI) wegen „staatsabträglicher Bemerkungen“ (Heimtückegesetz) von der Gestapo verhaftet wurde, setzte sich Heymann in zwei Briefen an den Untersuchungsrichter und den Generaldirektor der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft für Erbe ein; er „würde es für ein großes Unglück halten, wenn ein so hervorragender Mann wie Erbe einer kleinlichen häuslichen Denunziation zum Opfer fiele.“ Erbe wurde freigelassen. Ab 1944 evakuierte Heymann unter großem persönlichen Einsatz mit seinen Schülern Konrad Zweigert und Hans-Heinrich Rupp die Institutsbibliothek aus dem Berliner Schloss nach Tübingen (zunächst in die Universitätsbibliothek in der Wilhelmstraße), wo er schließlich auch mit seiner Familie Zuflucht fand. „In der stillen, freundlichen Neckarstadt fand er ein Asyl; aber er scheint es mehr als Exil empfunden zu haben; die Sehnsucht nach seiner Heimat und seiner Tätigkeit, nach dem unzerstörbaren Lebensrhythmus von Berlin ließ ihn nicht los; am liebsten wäre er trotz aller Gefahren zurückgekehrt, um seinen Amtspflichten nachzugehen.“ (H. Mitteis, 1947). Gleichwohl rettete Heymann mit der großen Leistung des Umzugs im Kriege die Bibliothek und legte den Grundstein für die Neugründung des Kaiser-Wilhelm-Instituts als Max-Planck-Institut in Tübingen. Obwohl als Preuße und Schlesier Württemberg nie besonders verbunden, hat sich Heymann so um die Wissenschaftsstadt Tübingen große Verdienste erworben und mit einen Grundstein für den universitären Neubeginn in Tübingen gelegt. Zu seinem 75. Geburtstag am 6. April 1945 erhielt er eine unveröffentlichte Festschrift mit Beiträgen u. a. von Makarov, Zweigert und Rupp. Mit seiner 1954 verstorbenen Frau wohnte Heymann, der im Frühjahr 1946 einem längeren Leiden erlag, zuletzt in der Tübinger Nauklerstraße 19 II. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Stadtfriedhof; den Grabstein finanzierte der mittellosen Witwe 1952 die Max-Planck-Gesellschaft.
Quellen: A der MPG, Berlin; A HU Berlin (PA Heymann).
Werke: Diss. (wie oben), 1894; Habil. (wie oben), 1895; Englisches Privatrecht, in: Holtzendorffs Enzyklopädie der Rechtswiss., 1904; 2. Aufl. 1914; Traditionspapiere, 1905; Geschäftsanwälte und Treuhandgesellschaften als Vermögensverwalter nach deutschem und englischem Recht. Eine rechtsvergleichende und rechtspolitische Betrachtung, 1910; Geschichte der Berliner Juristen-Fakultät, 1910; Die Bedeutung des humanistischen Gymnasiums für die Vorbildung der Juristen, 1911; Das Verschulden beim Erfüllungsverzug. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Obligationenrechts, 1913 (auch in: FS Eneccerus); Das ungarische Privatrecht und der Rechtsausgleich mit Ungarn, 1917; Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte (7. Aufl. des von Heinrich Brunner begr. Werkes), 1919; Josef Kohler zum Gedächtnis, 1920; Die Rechtsformen einer militärischen Kriegswirtschaft als Grundlage des neuen deutschen Industrierechts, 1921; Die AEG-Vorzugsaktie und ihre Umstellung in der Goldbilanz. Zugleich ein Beitrag zur Rechtsbildung unter dem Ermächtigungsgesetz, 1924 (zus. mit. Ernst Wolff und Alfred Friedmann); Recht und Wirtschaft in ihrer Bedeutung für die Ausbildung der Juristen, Nationalökonomen und Techniker, 1926 (auch in: FS Stammler); Handelsmakler, in: Ehrenbergs Handbuch des Handelsrechts, 1926; Gutachten in Sachen der Kontokurrentgeschäfte deutscher Sparkassen, 1926; Zeitliche Begrenzung des Urheberrechts, 1927; Die Reichsbahnkreuzung, 1929; Leibniz’ Plan einer juristischen Studienreform vom Jahre 1667, 1931; Das Zivilrecht Englands in Einzeldarstellungen (Hg. zus. mit Siegfried Goldschmidt), 1931; Die Beziehungen des Handelsrechts zum Zivilrecht, 1932; Bücherprivilegien und Zensur in ihrer Bedeutung für die Sozietätsgründung durch Leibniz im Jahre 1700, 1932; Über die Bedeutung der Philosophie Friedrichs des Großen für seine Rechtspolitik, 1934; Die Haftung der Aktionäre und Dritter für gesellschaftsschädigende Handlungen, in: Beiträge zum Handelsrecht, 1934, 221–240; Über Jacob Grimms Heimat, 1935; Friedrich der Große und Leibniz in ihrer Bedeutung für die Heeresverfassung, 1936; Der Erfinder im neuen deutschen Patentrecht, 1937; Handelsrecht mit Wertpapierrecht und Seerecht, 1938; Über Staat und Volk im Staatsbegriff Friedrichs des Großen, 1938; Das Aktienrecht des Libro del lavoro, 1942; Gedächtnisreden auf Herbert Meyer und Werner Sombart, 1942.
Umfangreiches Werkverzeichnis bis 1928 (mit Lebenslauf) in: Mémoires de l’Academie internationale de droit comparé, 1928; bis 1940 in der FS 1940. Heymann begann eine Autobiographie, die unvollendet (Familienbesitz) ist und nur die Zeit etwa bis zur Habil. umfasst; teilweise veröff. bei Grote (1971; Schwiegersohn).
Nachweis: Bildnachweise: s/w-Fotographien (ca. 1930) in: Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft; ZSRG Germ. LXV (1947) (zw. VIII u. IX); FS 1940.

Literatur: Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft, 1, 1930, 751; Der Große Brockhaus, 8, 1931, 480; W. Erbe, Ernst Heymann †, in: DRZ 1 (1946), 90 f.; H. Mitteis, Ernst Heymann †, in: ZRG (GA) 65 (1947), IX–XXVI; ders., in: Jb. der Bayerischen Ak. der Wiss. 1949, 1950, 114 f.; ders., in: DA 8 (1951), 256; H. Planitz, Ernst Heymann, in: Almanach Österreichische Ak. d. Wiss. 97, 1948, 295–299; H. Thieme, In memoriam Ernst Heymann, in: Rabels Z 21 (1956); W. Grote, Der Rechtsgelehrte Ernst Heymann als Jurastudent in Breslau, in: Jb. der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Univ. zu Breslau XVI (1971), 286–296; G. Schubart-Fikentscher, in: NDB 9 (1972), 88 f.; A. Erler, in: HRG, 2 (1. Aufl. 1978), 147 f.; Catalogus Professorum academiae Marburgensis, 2, 1979, 107; H-B. Kim/W. Marschall von Bieberstein, Zivilrechtslehrer deutscher Sprache, 1988, 517; H. Fuhrmann/M. Wesche, „Sind eben alles Menschen gewesen.“ Gelehrtenleben im 19. und 20. Jh. dargestellt am Beispiel der Monumenta Germaniae Historica und ihrer Mitarbeiter, 1996, 158, 188; R. Lieberwirth, Gertrud Schubart-Fikentscher, in: ders., Rechtshistorische Schriften, 1997, 265–275 (267 f.); M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 3, 1999, 68 ff., 228; C. Zacher, Die Entstehung des Wirtschaftsrechts in Deutschland, 2002, 36 ff., 167 ff.; 297 ff.; R.-U. Kunze, Ernst Rabel und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht: 1926–1945, 2004, 34, 83, 124 f., 140; G. Köbler, Deutsche Rechtshistoriker, 2006, 93 f.
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