von Hieber, Johannes 

Geburtsdatum/-ort: 25.06.1862;  Waldhausen im Remstal
Sterbedatum/-ort: 07.11.1951;  Uhingen
Beruf/Funktion:
  • Theologe, Politiker, württembergischer Kultminister und Staatspräsident
Kurzbiografie: 1885 Erstes Theol. Staatsexamen
1888 Zweites Theol. Staatsexamen
1890–1892 Pfarrer in Tuttlingen
1892–1910 Gymnasialprof. für Religion, hebräische Sprache und philosophische Propädeutik am Karlsgymnasium in Stuttgart
1898–1910 Abgeordneter im Deutschen Reichstag
1921–1924 Abgeordneter im Deutschen Reichstag
1900–1932 Abgeordneter im Württ. Landtag
seit 1910 Vorstand des Ev. Oberschulrats in Württemberg (mit Titel und Rang eines Regierungsdirektors)
7.–9.11.1918 Kultminister im Kabinett Theodor Liesching
29.10.1919–22.6.1920 Kultminister im Kabinett Wilhelm Blos
23.6.1920–8.4.1924 Württ. Staatspräsident und Kultminister
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: preußischer Roter Adlerorden IV. Kl. (1908); Komturkreuz (1910); Ehrenkreuz des Ordens der Württembergischen Krone (1912), womit der persönliche Adelstitel verbunden war, von dem Hieber aber kaum Gebrauch machte; Kommenturkreuz II. Kl. des Friedrichsordens (1916); Ehrendoktor der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim (seit 1922); Ehrensenator der Univ. Tübingen (seit 1924); Ehrendoktor der juristischen Fakultät Univ. Tübingen (1927); Ehrenbürger der Stadt Welzheim (seit 1912); Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde Waldhausen (seit 1922). Die Grund- und Hauptschule in Uhingen wurde nach Hieber benannt.
Verheiratet: 25.8.1890 (Wasseralfingen) Mathilde Auguste, geb. Schmid (geboren 31.5.1871) aus Friedrichstal bei Baiersbronn, Tochter des Rechnungsrates am Hüttenwerk Wasseralfingen
Eltern: Vater: Johannes Hieber (1802–1886), Bauer und Pfarrgemeinderat
Mutter: Margarethe, geb. Kellenbenz (1823–1888)
Geschwister: Keine
Kinder: 6:
Martin (geboren 1892, gestorben 6.7.1917 im Krieg);
Ernst (gestorben 19.4.1915 im Krieg);
Dr. Walter (1895–1976), Chemieprofessor an der TH München;
Gertrud verh. Gerok; Hedwig, Leiterin des Kinderheims Storzeln bei Singen;
Margarete verh. Friz
GND-ID: GND/116796766

Biografie: Peter Schiffer (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 91-94

Hieber entstammte einer angesehenen Bauernfamilie aus Waldhausen (bei Lorch). Auch die Familie der Mutter bestand über Generationen aus Bauern und Handwerkern. Die Lebensverhältnisse in dem kleinen Dorf waren einfach und bescheiden, doch lernte der aufgeweckte und wissbegierige Junge so gut, dass er auf Rat seiner Lehrer und des Pfarrers nach dem Besuch der Volksschule in Waldhausen die Lateinschule im nahe gelegenen Schorndorf besuchte und schließlich das Landexamen als zweiter aller Bewerber des Jahrganges hervorragend bestand.
Obwohl Hieber einziger Sohn war, übernahm er nicht den Hof seines Vaters, sondern strebte eine theologische Laufbahn an. Von 1876 bis1880 besuchte er die evangelisch-theologischen Seminare in Schöntal und Urach, seit Herbst 1880 studierte er Theologie und Philosophie am Stift in Tübingen. Er trat in die Verbindung Normannia ein. Im Frühjahr 1885 legte er das Erste Theologische Staatsexamen ab. Seine 1883 prämierte Arbeit über Staatstheorien wurde 1885 als Dissertation von der Universität Tübingen anerkannt.
Im Anschluss an sein Studium wirkte Hieber als Vikar, zunächst in Süßen (April bis September 1885), dann in Aalen (September 1885 bis Januar 1887) und schließlich in Heilbronn (Oktober 1887 – Mai 1888). Von Januar bis September 1887 unternahm er eine ausgedehnte Reise nach Norddeutschland, die er als „wissenschaftliche Reise“ bezeichnete. In dieser Zeit war er eineinhalb Semester an der Universität Göttingen immatrikuliert und betrieb dogmatische Studien. 1888 wurde er Repetent am Tübinger Stift, was ihm Gelegenheit zur Vorbereitung auf das Zweite Theologische Staatsexamen bot. Als Repetent hielt Hieber auch Vorlesungen, u. a. eine „Einführung in die Philosophie“, die sehr gut besucht wurde. Im April 1889 bestand er das Zweite Theologische Staatsexamen. Er war so erfolgreich, dass einer seiner Professoren ihm vorschlug, eine akademische Laufbahn einzuschlagen.
Im Sommer 1890 trat Hieber die Zweite Stadtpfarrerstelle in Tuttlingen an. Nach eineinhalb Jahren beendete er diese Laufbahn abrupt und wurde Gymnasialprofessor für Religion, hebräische Sprache und philosophische Propädeutik am Karlsgymnasium in Stuttgart.
Schon als Student hatte sich Hieber für Politik interessiert. Er hörte staatspolitische Vorlesungen und in seiner Dissertation über „Die wichtigsten philosophischen Staatstheorien seit der Reformation“ setzte er sich mit Grundlagen der Politik auseinander. Bald begann er, sich auch zu engagieren, zunächst in christlichen Organisationen. Er trat dem 1886 gegründeten „Evangelischen Bund zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen“ bei, zu dessen führenden Köpfen er schnell gehörte. Auch engagierte er sich im Ausschuss des wenig später formierten Evangelisch-Sozialen Kongresses, einer Vereinigung von Theologen, Volkswirtschaftlern, Juristen und Politikern, die in jährlichen Treffen soziale Probleme aus der Sicht der protestantischen Ethik diskutierten. Seit 1894 war er Mitglied der Evangelischen Landessynode in Württemberg.
Hiebers Engagement wurde schließlich politisch. Er schloss er sich der „Deutschen Partei“ (DP) an, wie sich die Nationalliberalen in Württemberg nannten. Er gehörte zum linken Flügel, dem die sozialen Fragen besonders wichtig waren. 1898 wurde Hieber im Wahlkreis Ludwigsburg-Marbach-Cannstatt-Waiblingen als Abgeordneter der Nationalliberalen für den Reichstag gewählt, ebenso 1903 und 1907. Wegen der Belastung durch sein neues Amt als Vorstand des Evangelischen Oberschulrats in Württemberg schied er 1910 vorzeitig aus dem Reichstag aus. Seit 1921 war er wieder für eine Legislaturperiode (bis 1924) Reichstagsabgeordneter. Für den Württembergischen Landtag kandidierte er 1895 im Wahlkreis Oberamt Welzheim, seinem Heimatbezirk. Zunächst unterlag er, konnte aber 1900 nach dem Tod seines Gegenkandidaten durch Stichwahl in den Landtag einrücken. In den Wahlen von 1900, 1906, 1912, 1919, 1924 und 1928 erlangte er jeweils ein Mandat, so dass er von 1900 bis 1932 ununterbrochen Mitglied des württembergischen Landtags war. Bei der Wahl von 1932 trat er nicht mehr an.
Im württembergischen Landtag war Hieber zunächst stellvertretender Fraktionsvorsitzender, seit 1904 Fraktionsvorsitzender der DP. Er wirkte in der Volksschulkommission, in der Staatsrechtlichen Kommission, in der Volkswirtschaftlichen Kommission, in der Verfassungskommission und der Finanzkommission, teilweise auch als Vorsitzender. Schon darin zeigen sich die Schwerpunkte seiner Politik: Die Steuerreform von 1903 führte die progressive Einkommenssteuer ein, eine grundlegende Forderung der DP. Die Reform des württembergischen Volksschulwesens und die Besserstellung der Volksschullehrer forderte noch mehr Hiebers Engagement. 1904 war er Berichterstatter für die Regierungsvorlage, die die Verwendung von Nichtgeistlichen bei der Bezirksaufsicht über die Volksschulen vorsah, was eine Beschränkung der kirchlichen Schulaufsicht bedeutete. Der Gesetzentwurf wurde aber von der Kammer der Standesherren abgelehnt. Hieber verknüpfte daraufhin das Volksschulgesetz mit der Verfassungsreform, die 1906 angenommen wurde: die Zweite Kammer wurde eine reine Volkskammer mit Verhältniswahlrecht. Hierdurch und durch die Wahl von 1906 änderten sich die Mehrheitsverhältnisse so, dass das Volksschulgesetz 1909 verabschiedet werden konnte. Es schränkte die geistliche Schulaufsicht auf Ortsebene ein und schuf mit dem Evangelischen Oberschulrat eine neue Behörde. Durch das Lehrerbesoldungsgesetz von 1911 wurde die Stellung des Volkschullehrers materiell und ideell verbessert. Hieber bewarb sich auf die Stelle des Vorstands des Evangelischen Oberschulrats, wurde aber von vielen abgelehnt. König Wilhelm II. berief ihn 1910 in diese Stellung und ernannte ihn zum Regierungsdirektor. Hieber widmete sich ganz dieser neuen Aufgabe, weshalb er vorübergehend der Tätigkeit im Parlament und Reichstag entsagte. 1912 kandidierte er jedoch wieder für den württembergischen Landtag.
Im Ersten Weltkrieg zeigte Hieber seine vaterländische Gesinnung, vertraute aber allzu sehr der Obersten Heeresleitung. 1914 zeichnete er Kriegsanleihen von seinem Vermögen, so dass nach dem Krieg seine Ersparnisse verloren waren. Schlimmer noch wog der Kriegstod von zwei Söhnen.
Als Oktober 1918 unter Theodor Liesching die Regierung auf eine größere parlamentarische Basis gestellt wurde, übernahm Hieber das württembergische Kultministerium (Ernennung am 7.11.). Seine Amtszeit währte zwei Tage, nur 48 Stunden war er „Königlicher Kultminister“. Infolge der Revolution vom 9. November in Stuttgart bildete der Sozialdemokrat Wilhelm Blos eine neue, bürgerliche Regierung. Hieber wurde Vorsitzender und Berichterstatter des Verfassungsausschusses. Als unter dem Eindruck der Revolution die Deutsche Demokratische Partei als neue demokratische und liberale Partei gegründet wurde, schloss Hieber sich sofort an und erlangte rasch eine führende Stellung in dieser Partei. Er war Mitglied des provisorischen Reichs-Hauptvorstandes von 1919 bis 1922 und von 1915 bis 1930 des Reichs-Parteiausschusses. Oktober 1919 wurde er nach einer Kabinettsumbildung Kultminister im Kabinett Blos.
Die Neuwahlen zum ersten ordentlichen Landtag des Volksstaates Württemberg am 6. Juni 1920 ermöglichten die Bildung einer Minderheitsregierung aus Demokraten und Zentrum mit Unterstützung durch die SPD, die sich nur von November 1921 bis Sommer 1923 selbst an der Regierung beteiligte. Am 23.6. wurde Hieber mit 52 gegen 27 Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt. Als Nachfolger von Blos war er der zweite württembergische Staatspräsident. Das Amt des Kultministers behielt er als Staatspräsident bei.
In der krisengeschüttelten Zeit Anfang der 20er Jahre – Nachkriegssituation, Reparationslasten, wirtschaftliche Schwierigkeiten, Inflation, Kapp Putsch, politische Attentate – blieb Württemberg unter Staatspräsident Hieber ein Hort der Ordnung. Ein Generalstreik im Sommer 1920 wurde durch hartes Eingreifen niedergeschlagen. Ein Übergreifen rechtsradikaler Elemente aus Bayern nach dem Hitlerputsch von 1923 konnte verhindert werden. November 1923 war Hieber gerüchteweise im Gespräch als Reichskanzler einer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP, was zeigt, wie gesichert und angesehen seine Stellung inzwischen war.
In Hiebers Amtszeit fällt der Ankauf der Villa Reitzenstein von der Freiherrin zu Reitzenstein 1922. Die Villa war zunächst als Sitz des neugeschaffenen Reichsverwaltungsgerichts vorgesehen, wurde aber schließlich Sitz des württembergischen Staatspräsidenten bzw. des baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Wichtiges Gesetz war das Kirchengesetz vom 3.3.1924, das die enge Verbindung zwischen Staat und Kirche in Württemberg seit der Reformation auflöste und die Selbstverwaltung und Selbstverfassung der Kirche einführte. Sie wurde damit Körperschaft des öffentlichen Rechts. Hieber versuchte weiterhin, durch eine Verwaltungsvereinfachung Einsparungen zu erreichen, um der damaligen dürftigen Finanzlage des Staates gerecht zu werden. Die vier Kreisregierungen konnten 1923 abgeschafft werden, des Weiteren war eine Reduktion der Zahl der Oberämter beabsichtigt. Sieben der 62 Oberämter sollten aufgelöst werden. Hiergegen erhob sich heftiger Wiederstand, die oppositionellen Kräfte erreichten am 5.4.1924 die Suspendierung der betreffenden Verordnung, woraufhin Hieber kurz vor Ablauf seiner Amtsperiode am 8.4.1924 von den Regierungsämtern zurücktrat.
Damals war Hieber 63 Jahre alt. Bis zu seinem 70sten Lebensjahr (1932) blieb er württembergischer Landtagsabgeordneter. Im dritten Württembergischen Landtag (1928 – 1932) war er Alterspräsident. Unter den Nationalsozialisten wurde seine Ministerpension infolge des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von 1933 rückwirkend auf den einem Regierungsdirektor zustehenden Betrag gekürzt. Staatsminister Mergenthaler verhinderte die Berufung seines Sohnes Walter auf einen Lehrstuhl an der TH Stuttgart. Der Zweite Weltkrieg brachte Hieber den Verlust zweier Enkelsöhne, seines Besitzes und der Stuttgarter Wohnung. 1945 war Hieber Vorstandsmitglied der nordwürttembergischen DVP. Nach der Zerstörung seiner Wohnung in Stuttgart 1943 verbrachte Hieber den Lebensabend mit seiner Frau bei seiner Tochter und seinem Schwiegersohn in Uhingen, wo er am 7.11.1951 im 90. Lebensjahr verstarb. Bestattet wurde er auf dem Waldfriedhof in Stuttgart-Degerloch.
Quellen: Personalakte HStAS E 130 c Bü 50.
Werke: Abschiedspredigt, gehalten am 1. Mai 1892 in der Stadtkirche zu Tuttlingen, o. J. [1892]; Das Gesetz über die Kaufmannsgerichte vom 6. Juli 1904 (Bearbeiter), 1904; Die württembergische Verfassungsreform von 1906. Nebst 2 Anlagen mit dem amtlichen Wortlaut des Verfassungsgesetzes und des Landtagswahlgesetzes vom 16.7.1906, dargestellt von Johannes Hieber, 1906; Die Reichsfinanzreform und die Parteien. Rede des Prof. Dr. Hieber, gehalten auf dem Sommerfest der Nationalliberalen Partei am 18. Juli 1909 zu Echterdingen a. d. F. vor einer nach Tausenden zählenden Versammlung schwäbischer Bauern, Stuttgart: Verlag d. Geschäftsstelle d. Nationalliberalen Partei – Dt. Partei, [1909]; Über die Schulverhältnisse in Frankreich, Belgien und Russland auf Grund von Mitteilungen ausmarschierter württembergischer Volksschullehrer, in: Besondere Beilage des Staatsanzeigers Württemberg Nr. 7, 1915, 97-112; Vom deutschen Krieg. Rede des Landtagsabgeordneten Hieber, 1915; Deutsche Kraft. Rede des Landtagsabgeordneten Dr. Hieber auf dem Goldboden bei Engelberg, 1916; Johannes von Hieber/ Hugo Garnich, Bericht über die Tagung am 8. und 9. Juni 1917: Richtlinien und Einteilung des Aufklärungsdienstes, als Ms. gedr., Stuttgart: Stellv. Generalkommando XIII Kgl. Württ. Armeekorps, 1917; Vor der Entscheidung. Nach einer Rede von Hieber, 1917; Drei Reden aus der Verfassunggebenden Württembergischen Landesversammlung (Bruckmann; Blume; Hieber) (Flugschriften der Deutschen Demokratischen Partei Württembergs, hg. von der Hauptgeschäftsstelle der DDP in Württemberg, Bd. 1), [Selbstverl.] 1919; Die geistigen Kräfte. Die Politik der Regierung und die Nationalversammlung. Reden des Dr. Hieber und des Friedrich Payer (Flugschriften der DDP Württembergs, hg. von der Hauptgeschäftsstelle der DDP in Württemberg, Bd. 5), [Selbstverl.]1920; Die Arbeit in ethischer Sicht, in: Besondere Beilage des Staatsanzeigers Württemberg 8 (1925), 163-168.

Literatur: Eduard Gerok (Schwiegersohn H.s), Johannes Hieber. Theologe, Kultusminister und Staatspräsident 1862 – 1952, in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken, hg. von Robert Uhland, 13. Bd. 1977, 375-407; Heinz Krämer, Johannes von Hieber. Staatspräsident von 1920 – 1924, in: Kurt Gayer/Heinz Krämer/Georg F. Kempter, Die Villa Reitzenstein und ihre Herren. Die Geschichte des Baden-Württembergischen Regierungssitzes, 1988, 65-79; Raberg, Biogr. Handbuch, 354-357; Hermann Ehmer, Johannes Hieber: Theologe, Politiker, württembergischer Staatspräsident, in: Uracher Köpfe, 2009, 203-208.
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