Gradmann, Eugen 

Geburtsdatum/-ort: 13.12.1863;  Lauffen am Neckar
Sterbedatum/-ort: 26.04.1927;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Theologe, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger
Kurzbiografie: 1869–1878 Grundschule Eschental und Realgymnasium Stuttgart
1879 Besuch humanistisches Gymnasium Stuttgart
1881 Konkursprüfung, Tübinger Stift (Theologie und Philologie)
1886, 1888 erste und zweite theol. Dienstprüfung
1887 Promotion in Kunstgeschichte (Thema: Marienkirche Reutlingen)
1889 Pfarrer in Neuenstein
1894–1896 Redaktion Zeitschrift des historischen Vereins für das Württ. Franken
1896 Dettingen an der Erms, Pfarramt und Bezirksschulinspektor Bezirk Urach
1897 Mitarbeit am Landesamt für Denkmalpflege
1899 Landeskonservator von Württ. und Vorstand der Staatssammlung der Kunst- und Altertumsdenkmäler in Stuttgart (bis 1919)
1907–1919 zweiter Vorsitzender des Württ. Geschichts- und Altertumsvereins
1919 Demission vom Vorstand der Altertümersammlung
1920 in den Ruhestand versetzt
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Mitgliedschaften: Mitglied in der Württ. Kommission für Landesgeschichte; Galerieverein; Anthropologischer und Altertumsverein; Bund Heimatschutz; Landesausschuss für Denkmalpflege (1908); Württ. Bund für Heimatschutz (1909); Museumsverein
Verheiratet: 1889 Emma, geb. Tritschler
Eltern: Vater: Gustav Adolf Gradmann (1831–1907), Kaufmann
Mutter: Pauline, geb. Hörlin (1833–1912), Pfarrerstochter
Geschwister: 3: Robert (1865–1950), Theologe, Geograf; Otto (geboren 1868); Else (1879–1880)
Kinder: 2: Gertrud (promov. Kunsthistorikerin); Walter (1893–1914)
GND-ID: GND/116807598

Biografie: Ulrike Plate (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 76-78

Gradmann wuchs seit seinem dritten Lebensjahr im Pfarrhaus seiner Großeltern in Eschental auf, besuchte dort die Grundschule und wurde erst 1871 von seinen Eltern nach Stuttgart geholt, um dort zunächst das vom Schulreformer Christian von Dillmann 1867 gegründete Realgymnasium zu besuchen. Auch nach dem Wechsel auf das humanistische Gymnasium gehörte er stets zu den Besten in seinem Jahrgang. Seine zeichnerische Begabung wurde durch Privatstunden gefördert. Auf den regelmäßigen Wanderungen mit seinem Bruder Robert fertigte er Skizzen, die er später in Tusche und Sepia ausführte. In Tübingen trat er in die Königsgesellschaft (Roigel) ein, eine nicht-schlagende sog. Stiftsverbindung, in der er sich als glänzender Kommersredner und als Dichter und Zeichner in witzigen Kneipzeitungen hervortat. Sein Bruder Robert beschreibt Gradmann als „schlank und gewandt in allen Leibesübungen … und auch künstlerisch hochbegabt, lebhaft, heiter, gesellschaftlich gewandt und voller Phantasie“. Zukunftsweisend war seine Promotion in Kunstgeschichte 1887 zur Baugeschichte der Reutlinger Marienkirche. Gradmann stellte die zahlreichen baugeschichtlichen Informationen in eine klare Übersicht und fasste die großen Entwicklungslinien zusammen. Schon kurz nach Antritt des Pfarramts in Neuenstein erhielt er 1890 einen Verlagsauftrag zur Erarbeitung einer „Geschichte der christlichen Kunst“. Auf eigene Initiative inventarisierte Gradmann die altfränkische Kunst – eine wichtige Grundlage für seine spätere Mitarbeit am Kunstdenkmälerinventar Jagstkreis, zu der ihn Landeskonservator Eduard Paulus d. J. aufforderte. Gradmann modifizierte den Stil der Bände in einen eher sachlich-kritischen Ton, akzentuierte stärker auf wichtige Objekte, erweiterte den Inhalt um das Kunstgewerbe und begann mit der Aufführung von Namen und Daten von Künstlern und Kunsthandwerkern. Es folgen weitere wichtige Forschungsarbeiten zur regionalen Baugeschichte unter verschiedensten Aspekten. Seine bis heute immer wieder aufgelegte, erfolgreichste Publikation sind die „Kunstwanderungen…“ (1914), ein kunsthistorischer Wanderführer.
Weniger berühmt aber umso bedeutender ist Gradmann für die staatliche Denkmalpflege, die er wissenschaftlich und juristisch untermauerte. Die Aufnahme des Denkmalschutzes in die Bauordnung von 1910, die Einrichtung eines Landesausschusses für Natur- und Heimatschutz und eines Denkmalrates 1912 sowie ein erstes Denkmalschutzgesetz 1914 sind nur einige Leistungen. Die „Anweisungen zur Denkmalpflege“ (1912) sind ein erstes, staatlich veröffentlichtes Regelwerk über eine moderne Denkmalpflege. Gradmann war dabei auf der Höhe der Theoriediskussion im Sinne von Konservieren statt Restaurieren und einem modernen Weiterbauen anstelle historischer Stilrekonstruktion. So gelang ihm z. B. die Bewahrung der barocken Ausstattung der Ellwanger Stiftskirche anstelle einer geplanten Reromanisierung. Gradmann vertrat eine Denkmalpflege, die sich neben künstlerischen und architekturhistorischen Werten auch auf kulturgeschichtlich Bedeutendes, auf die Umgebung von Baudenkmalen und auf charakteristische Ortsbilder ausdehnte. Ihm gelang die systematische Fortschreibung der Inventarbände für 47 der 64 Oberämter auf Grundlage der von ihm erarbeiteten Richtlinien. Auch den institutionellen Ausbau verfolgte Gradmann systematisch. Er konnte Gustav Sixt bereits 1899 für vorgeschichtliche Grabungen gewinnen und 1905 mit Peter Goessler eine Assistentenstelle besetzen, die 1909 zu einer zweiten Konservatorenstelle umgewandelt wurde, 1919 gab es mit Oscar Paret erneut einen Assistenten. Gradmann setzte sich systematisch für die Gründung des Landesamtes für Denkmalpflege ein, die 1920 erfolgte. Neben dieser Glanzzeit seines Wirkens trafen Gradmann persönliche Tiefschläge durch eine Rückenwirbelentzündung, die ihn ein Jahr in ein Gipskorsett zwang, sowie eine Gehirnblutung. Seine Demission erfolgte 1920, nach Auskunft seines Bruders ohne Dank und Anerkennung. Die Hintergründe sind aufgrund der im Krieg zerstörten Akten des Kultusministeriums wohl nicht mehr aufzuklären.
Werke: Zur Entstehungsgeschichte der Reutlinger Marienkirche, in: WVjhLG 13 (1890), 47-69; Das Kunstleben der Stauferzeit in Schwaben, in: Württ. Neujahrsblätter 8 (1891); Die Stadtkirche in Reutlingen, in: Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus, 34 (1892), 11, [161]-171; Über frühchristliche Bilderbibeln, in: Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus, 36 (1894), 2, 28-31; Die Wandgemälde zu Burgfelden auf der Schäbischen Alb, in: Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus, 39 (1897), 7, 101-108; Altfränkische Kunst in Württembergisch-Franken, in: Württ. Franken 6 (1897); Geschichte der christlichen Kunst, 1902; Die Reutlinger Marienkirche: eine Denkschrift auf Veranlassung des Reutlinger Kirchenbauvereins und mit Unterstützung von kunstsinnigen Privaten, 1903; Das Bauernhaus in Württemberg, in: Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine (Hg.): Das Bauernhaus im Deutschen Reiche und in seinen Grenzgebieten, 1906; Frühgotische Wandmalereien in der ehemaligen Kapelle zu Münzdorf, in: AchrK 25 (1907), 5-9; Das schwäbische Bauernhaus, in: Mitteilungen des Württ. Kunstgewerbevereins, 1908/09, 109-135: Ill.; Die Kunst- und Altertums-Denkmale der Stadt und des Oberamtes Schwäbisch-Hall, 1907; Schmucksachen einer Württ. Prinzessin aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs, in: Mitteilungen des Württ. Kunstgewerbevereins, 1908/09, 194-197; Das Judenschloss in Talheim an der Schozach, in: WVjhLG NF 16 (1910), 20-30; Kunst- und Altertumsdenkmale in Württemberg, Jagstkreis I, 1907; Volkstümliche Kunst aus Schwaben, 1908 gem. mit P. Schmohl; Gartenkunst und Denkmalpflege, in: Elfter Tag für Denkmalpflege 1910; Heimatschutz und Landschaftspflege 1910; Dorfkirchen in Württemberg. Schriften zur Dorfkirche 4 (1911); Das K. Landeskonservatorium und die Denkmalpflege in Württemberg, in: FS zur Feier des Fünfzigjährigen Bestehens der K. Altertümersammlung in Stuttgart, 1912; Anweisungen zur Denkmalpflege 1912; Einige Baurisse vom Zwiefalter Münster, in: FS zur Feier des Fünfzigjährigen Bestehens der K. Altertümersammlung in Stuttgart, 1912, 85-94; Kunst- und Altertumsdenkmale in Württemberg, Jagstkreis II, 1913; mit Hans Christ/Hans Klaiber, Kunstwanderungen in Württemberg und Hohenzollern, 1914; Altertumswanderungen in Württemberg, in: Hie gut Württemberg allewege! 1916, 76-77; Das Rätsel von Regenbach, in: WVjhLG NF 25 (1916), 1-46; Die Wurmlinger Kapelle, in: Reutlinger Geschichtsblätter, 1918 und 1919; Die Martinskirche in Sindelfingen, in: Blätter für württ. Kirchengeschichte NF 23 (1919), 111-130; Württ. Museen- und Denkmalpflegefragen, in: Der Cicerone 11 (1919), 409-411; Pfeiffer, Bertold, Professor, Kunsthistoriker, 1922 (Sonderdruck); Weinbau und Landschaft, in: Württ. Studien, 1926.
Nachweis: Bildnachweise: Th. Jacob, kgl. Hof-Fotograph Stuttgart; privates Fotoarchiv des Bearbeiters, Repro im Landesamt für Denkmalpflege N13833 (Quelle unbekannt, ca. 1920).

Literatur: Gertrud Kauffmann, Eugen Gradmann, in: ZWLG 1 (1937), 224-248; Robert Gradmann, Lebenserinnerungen. Zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages, in: Karl Heinz Schröder (Hg.), Lebendige Vergangenheit. Zeugnisse und Erinnerungen. (Schriftenreihe des Württ. Geschichts- und Altertumsvereins Stuttgart 1), 1965.
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