Marx, Max 

Andere Namensformen:
  • bürgerlicher Name: Max Marcus
Geburtsdatum/-ort: 24.01.1874; Wien
Sterbedatum/-ort: 11.11.1939; Wien
Beruf/Funktion:
  • Staatsschauspieler, Komiker, Sänger (Bass, Bariton), Theater- und Operettenregisseur
Kurzbiografie: 1891–1894 Theater in Sarajewo, Olmütz (Olomouc), Salzburg und Gmunden
1894–1895 Deutsches Theater Berlin
1895–1903 Stadttheater Breslau (Wrocław)
1903–1904 Carltheater Wien
1904–1912 Berlin: Deutsches Theater, Lustspielhaus, Neues Operettentheater, Kleines Theater
1.8.1912 Engagement als Schauspieler und Spielleiter am Hoftheater Stuttgart
1918–1919 künstlerische Leitung des Sommerspielbetriebs (Wilhelmatheater)
26.3.1933 letzter Aufritt am Württ. Landestheater
1934–1935 Kammerspiele Wien
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Auszeichnungen: Auszeichnung: Charlottenkreuz (1916)
Verheiratet: Felicita Marcus (Künstlerinnenname: Miz(z)i Marx), Operettensängerin
Eltern: Vater: Bernhard Marcus, Kaufmann
Kinder: 1
GND-ID: GND/116814527

Biografie: Roland Maier (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 140-142

Wenn es in vornationalsozialistischer Zeit in Stuttgart einen Theaterschauspieler gegeben hat, der „typisch jüdische“ Eigenschaften und Verhaltensweisen, wenngleich nicht frei von Stereotypen, mit Witz und Humor verkörperte, so war es der Österreicher Max Marx. Das Multitalent betätigte sich ebenso als Darsteller ernster Rollen wie auch als Sänger und Regisseur.
Früh schon fühlte sich der in der Theaterstadt Wien geborene Sohn eines jüdischen Kaufmanns zur Bühne hingezogen. Er besuchte die Schauspielschule bei Max Otto in Wien und begann als 17-Jähriger seine Bühnenlaufbahn. Anfangs auf die Darstellung ernster Charaktere orientiert, brachte er bald auch sein gesangliches und komödiantisches Talent zur Geltung. 1891 debütierte er als Haussekretär Wurm in Schillers „Kabale und Liebe“. Seine erste größere komische Rolle spielte er im Theater in Sarajewo als „Cacolet“ in „Tricoche und Cacolet“. Nach einem Engagement in Olmütz (Olomouc) kam er zum Stadttheater Salzburg, wo er zusammen mit seinem Altersgenossen Max Reinhardt auf der Bühne stand. In Ludwig Fuldas dramatischem Märchen „Der Talisman“ spielte er den alten Korbflechter Habakuk, in Schillers „Maria Stuart“ den Staatssekretär Wilhelm Davison und im Lustspiel „Großstadtluft“ von Blumenthal/Kadelburg den Bernhard Gempe. Es folgte ein Engagement beim Sommertheater in dem Kurort Gmunden, wo man eher leichte Unterhaltung darbot. Mit Reinhardt, dem späteren Bühnenkönig, ging Marx nach Berlin, wo er mit ihm eine bescheidene Dachgeschosswohnung teilte. Am Deutschen Theater, der unter Otto Brahm führenden Bühne des deutschsprachigen Naturalismus, debütierte Marx als Chirurgus Schmidt in Gerhart Hauptmanns „Die Weber“. Auf Reinhardts Berliner Kabarettbühne „Schall und Rauch“ trat Marx mit eigenen Programmnummern auf. Über Hannover kam Marx erstmals nach Stuttgart, wo er sich als „Wun Hsi“ in der Operette „Geisha“ vorstellte. In erster Linie als Operettensänger trat Marx im Stadttheater von Breslau (Wrocław), hervor. Auch während seiner Stuttgarter Zeit gab Marx dort noch regelmäßig gut bezahlte Gastspiele.
Zu den bekanntesten Rollen des jungen Darstellers zählten die des Hilmar in Ibsens „Stützen der Gesellschaft“, des Lüttchen im Schwank „Zwei glückliche Tage“ von Schönthan/Kadelburg, sowie des Dusterer im „Gwissenswurm“ und des Wurzelsepp im „Der Pfarrer von Kirchfeld“ von Anzengruber. Unter seinen Operettenpartien populär waren der Oberhofhenkersknecht Ko-Ko in der burlesken Operette von Sullivan „Der Mikado“, der reiche Schweinezüchter Zsupán in „Der Zigeunerbaron“ von Johann Strauß, Menelaus in Offenbachs „Die schöne Helena“ sowie der Spätzle in „Die sieben Schwaben“ von Carl Millöcker.
Nach einem Engagement am Carltheater in Wien trat er mehrere Jahre als Schauspieler und Sänger in Berlin auf. So erneut am Deutschen Theater, im Lustspielhaus, am Neuen Operettentheater, am Kleinen Theater. Am Neuen Operettentheater konnte er sich in der Spielzeit 1911/1912 auch als Regisseur profilieren. Empfohlen von Paul Lindau und vermittelt durch das Wiener Theatergeschäftsbüro Richard Laniks, der Marx als „allererstklassigen österreichischen Charakterkomiker, glänzend für Schau und Lustspiel ebenso Operette“ angepriesen hatte, folgte Marx dem Ruf an das Württembergische Hoftheater. Mit seinem August 1912 beginnenden fünfjährigen Dienstvertrag zählte er bei der festlichen Einweihung des neu erbauten Großen und Kleinen Hauses als Hofschauspieler fest zum Stuttgarter Ensemble. Am 25. Februar 1916 wurde Marx mit dem Charlottenkreuz ausgezeichnet.
Als Regisseur widmete er sich vorrangig der sommerlichen Operettenspielzeit. Publikumsrenner war Kálmáns „Csárdásfürstin“, wo Marx der Presse zufolge als Spielleiter „ein rassig bewegliches Gesamtspiel“, mit „glänzend farbensprühender Szenerie“ schuf und in der Buffo-Hauptpartie „stürmische Heiterkeit“ hervorrief. Ende 1917 übertrug die Hoftheaterleitung ihm die künstlerische Leitung des Wilhelmatheaters in Bad Cannstatt. Er versprach, „mit vollstem Feuereifer“ aus dem „in den letzten Jahren arg heruntergekommenen Wilhelmatheater“ ein „erstklassiges Operettentheater“ zu machen, erhielt den Titel eines künstlerischen Direktors und wurde an den Einnahmen prozentual beteiligt. Doch verlegte man den Sommerspielbetrieb ins Kleine Haus in der Stuttgarter Innenstadt. Nach dem politischen Umbruch des November 1918 wurde das Hoftheater als Württembergisches Landestheater unter neuer Intendanz fortgeführt und Marx leitete weiterhin seinen „Operettenmusenstall“. Pressestimmen monierten allerdings den von kommerziellen Interessen bestimmten Operettenspielplan. Ein mit öffentlichen Geldern subventionierter Betrieb dürfe nicht zu einer „Amüsierstätte“ verkommen. Zudem lastete man Marx von chauvinistischer Seite die Verletzung deutsch-nationaler Gefühle durch die Aufführung der Nedbal-Operette „Polenblut“ an. Ab 1920 wurde dann der Sommerbetrieb an einen Unternehmer verpachtet. Nach der „Wilhelmatheaterangelegenheit“ dünnhäutig geworden, fühlte Marx sich häufig durch die Theaterleitung zurückgesetzt. Seltener führte er Regie und verlor schließlich seinen „Operettenehrgeiz“. Marx, vom Ministerium für Kirchen- und Schulwesen im Sommer 1922 mit dem Titel „Staatsschauspieler“ ausgezeichnet, konzentrierte sich nun auf Aufritte im Sprechtheater, was freilich Gesangs- und Tanzeinlagen nicht ausschloss. Als spezifische persönliche Stärke kehrte er seine wienerisch-jüdische Provenienz und Prägung hervor. So brachte er es zum Ruf als „der legitime darstellerische Verwalter des Nestroyschen Erbes“ und ließ sich als verschmitzter schrulliger Kauz zugleich auf seine kulturelle jüdische Identität festlegen. Als in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sogenannte „Judenstücke“ in Mode kamen, gab Marx beispielsweise in dem Lustspiel „Onkel Bernhard“ (1916) von Friedmann/Kottow laut Zeitungsbericht „ein unsagbar drolliges und sehr jüdisches Greislein, über das man nicht ohne Ehrfurcht hell hinauslachte.“ Der Kritiker, angetan von solcher vermeintlichen Authentizität, versäumte nicht, diese umgehend gegen das assimilierte Judentum zu wenden. Marx habe „den echtesten Typen jenes altmodischen patriarchalischen Judentums“ geschaffen, das „zweifellos sympathischer“ sei als „ein gewisses Judentum, das seine Abkunft gern verleugnen möchte und dem doch das Ghetto noch aus allen Knopflöchern herausschaut.“ Marx übernahm immer wieder gerne im „jüdischen Milieu“ spielende Komödienrollen. Im Laufe der 1920er Jahre war Marx wiederholt antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt. Bei dem von Anhängern der NSDAP anlässlich der Aufführung des sozialkritischen Stücks „Schatten über Harlem“ von Ossip Dymow im Herbst 1930 in Stuttgart inszenierten Theaterskandal wurde Marx, der als blinder Koch laut Presse einen „vortrefflich charakterisierten farbigen Biedermann“ spielte, aus dem Zuschauerraum angebrüllt: „Schmeißt die Juden raus!“ Sorge um die Sicherheit der Schauspieler führte zur Absetzung des Stücks.
Der Machtantritt der Nationalsozialisten bedeutete für Marx als Juden das Ende seiner Tätigkeit am Württembergischen Landestheater. Zwar hatte Marx bereits einen neuen Kontrakt für die kommende Spielzeit in der Tasche, doch der am 27. März von dem nationalsozialistischen Kultminister Mergenthaler eingesetzte Generalintendant Otto Krauß ließ umgehend wissen, dass „bei der beabsichtigten Neuordnung der Verhältnisse“ nicht mehr die Absicht bestehe, Marx weiter zu beschäftigen. Sein letzter Bühnenauftritt war am 26. März in der Nachmittagsvorstellung in „Der 18. November“, einem Schauspiel von Walter Erich Schäfer. Vergebens berief Marx sich darauf, dass die Regelung, der zufolge jüdische Beamte, die bereits vor Beginn des Ersten Weltkriegs im Dienst waren, von Zwangspensionierungen ausgenommen waren, nicht minder gelten müsse „für einen ehemaligen Hofschauspieler, der schon 1912 vom württembergischen König ans damalige Hoftheater berufen wurde und 21 Jahre voll und ganz seine Pflicht tat“. Doch hatten Juden am Staatstheater, wie es sich jetzt nannte, nun keinen Platz mehr.
Marx wurde zum Ende der Spielzeit auf 1. August 1933 zur Ruhe gesetzt. Marx, der seine Wohnung in der Innenstadt aufgegeben und nach Sillenbuch gezogen war, verließ spätestens im Oktober 1933 Stuttgart und ging in seine Geburtsstadt Wien, wo er 1934/35 bei den Kammerspielen auftrat. Nochmals einen Erfolg erlebte er als Schulmeister in Grabbes Lustspiel „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“. Während einer Vorstellung erlitt Marx einen Schlaganfall, der eine Lähmung und schließlich den Tod zur Folge hatte. Der verfemte „Schauspieler a.D.“ fand im Nekrolog des vom Präsidenten der Reichstheaterkammer herausgegebenen Deutschen Bühnenjahrbuchs lediglich unter Weglassung der sonst dort üblichen kurzen Angaben zur Person Aufnahme.
Quellen: StAL E 18 V Bü 144, E 18 VI Bü 622, E 18 VII Bü 360, 456, Kritikenbücher.
Werke: Schallplatten G&T.
Nachweis: Bildnachweise: Jb. der württ. Staatstheater, 1928, 1931; Fuhrich, 1987,19; Bauz, 2008, 49; StAL Theaterakten.

Literatur: Deutsches Bühnenjahrbuch 1918, 1919, 1920, 1941; Eisenbergs Großes Biograph. Lexikon der Bühne, 1903, 650; Jürgen-Dieter Waidelich, Vom Stuttgarter Hoftheater zum Württembergischen Staatstheater, 1956; Maria Zelzer, Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden, 1964, 114, 489; W. E. Schäfer, Bühne eines Lebens, 1975, 77; Heinrich Huesmann, Welttheater Reinhardt, 1983, 379, 412, XXIII; Edda Fuhrich/Giesela Prossnitz, Max Reinhardt, eine Dokumentation, 1987; Karl-Josef Kutsch/Leo Riemens, Großes Sängerlexikon, 2003, 2967; Hannes Heer, u. a., Die Vertreibung der „Juden“ aus der Oper 1933 bis 1945. Der Kampf um das Württembergische Landestheater Stuttgart, 2008, 108; Ingrid Bauz/Sigrid Brüggemann/Roland Maier, „Sie brauchen nicht mehr zu kommen!“ Die Verdrängung der Künstlerinnen und Künstler jüdischen Glaubens und jüdischer Abstammung aus dem Stuttgarter Theater- und Musikleben durch die Nationalsozialisten, 2008, 16-24, 49-50.
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