Fuchs, Ernst (bis 1899: Samuel) 

Geburtsdatum/-ort: 15.10.1859;  Weingarten bei Karlsruhe
Sterbedatum/-ort: 10.04.1929;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Rechtsanwalt
Kurzbiografie: 1876 Abitur in Heilbronn (weil das Karlsruher Gymnasium zweimaliges Überspringen einer Klasse nicht gestattete!)
1876-1880 Studium der Rechtswissenschaft in Heidelberg und Straßburg
1880 1. Juristisches Staatsexamen
1884 2. Juristisches Staatsexamen
1884 ff. Rechtsanwalt am Landgericht, seit 1894 am Oberlandesgericht in Karlsruhe
1929 Dr. jur. h. c. in Heidelberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Verheiratet: 1884 Mina, geb. Kaufmann (gest. 1943 in London)
Eltern: Vater: ? (Viehhändler in Weingarten, dann Holzhändler in Karlsruhe)
Mutter: ?
Geschwister: „viele“
Kinder: 3
GND-ID: GND/116843659

Biografie: Wolfgang Leiser (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 1 (1982), 125-127

Der Name von Fuchs ist für immer mit dem „Freirecht“ verbunden. Er war nicht das geistige Haupt dieser einflußreichen Strömung der deutschen Rechtswissenschaft vor dem 1. Weltkrieg, aber ihr bekanntester, lautester und hemmungslosester Propagandist.
Vor einem Jahrzehnt noch hätte man vielleicht aus der sicheren Ruhe der Distanz über Fuchs schreiben können. Das ist jetzt nicht mehr möglich: Die erledigt geglaubten Gedanken feiern fröhliche Urständ, nicht nur theoretisch in den Schriften links-„progressiver“ Juristen, sondern praktisch, in Reformen von Justiz und Ausbildung: Die von Fuchs anstelle der Juristenfakultäten vorgeschlagenen „Rechtskliniken“ (wie die Mediziner ihre Lehrkliniken, sollten die Juristen ihre Lehrgerichte haben) werden derzeit in Gestalt der sogenannten einstufigen Juristenausbildung probeweise verwirklicht.
Das Inkrafttreten des BGB im Jahr 1900 hatte einen Großteil der deutschen Zivilrechtswissenschaft verunsichert: Die Arbeit, die man fast einhundert Jahre lang im Hinblick auf das kommende Gesetz betrieben hatte, war nunmehr gegenstandslos. Wie sollte es weitergehen? Dazu eine allgemeine geistige Erschlaffung: Man beherrschte noch die formale Technik, aber den meisten war sowohl die philosophische Grundlage, wie auch der Zweck, dem die Technik zu dienen hatte, nicht mehr gegenwärtig; die Richter schworen in verba legis (sogenannter Gesetzespositivismus). Kein Wunder, daß öfters törichte, lebensfremde Urteile gesprochen wurden, begreiflich auch, daß man den vehementen Angriffen der Freirechtler zunächst einmal hilflos gegenüberstand. Nach etwa zwanzig Jahren der Verwirrung mündeten die berechtigten Anliegen der „zornigen jungen Männer“ in die Interessen-Jurisprudenz mit ein, wurden dort wissenschaftlich aufbereitet und gehören inzwischen zum Grundbestand der modernen Zivilistik.
Fuchs ereiferte sich bei der Behandlung von Regelungslücken im Gesetz über eine formale Interpretation, die, ohne das Leben zu beachten, sich oft in krause Artistik verstieg und bedenklichen sozialen Entwicklungen blind ihren Lauf ließ. Wer hiergegen polemisiert, darf immer des Beifalls des großen Publikums sicher sein. Den Grund des Mißstands sah Fuchs nicht nur in einer verfehlten Ausbildung an den Universitäten, die statt Soziologie und anderer praktischer Dinge den Studenten Rechtsgeschichte und Philosophie beibrachten, sondern schon im Lehrplan der Gymnasien, wo die jungen Leute mit den Humaniora verdorben würden. Wie modern das klingt! Dabei war Fuchs in seinem eigenen Bildungsgang keineswegs ein Outsider gewesen, sondern hatte den üblichen Weg mit großem Erfolg durchschritten: Er wollte das Arsenal zerstören, aus dem er selbst die Waffen bezog. Die Persönlichkeit dieses Mannes war ungewöhnlich und stark, sein Ethos über jeden Zweifel erhaben; Fuchs verdiente, als Phänomen der Wilhelminischen Ära eingehend (auch psychologisch) erforscht zu werden.
Was ist die Gegenposition dieses juristischen Naturalismus (die ernst zu nehmende, nicht ihre Auswüchse)? Hören wir den Heidelberger E. I. Bekker (der viel zu sehr Kathederfürst war, als daß er sich auf eine Diskussion mit Fuchs eingelassen hätte): Rechtskonflikte sind Konflikte privater Macht. Das Recht ist dazu da, vorgefundene Machtverhältnisse zu ordnen, nicht aber, die Macht in der Gesellschaft neu zu verteilen (das ist Sache der politischen Instanzen). Der Gedanke einer „Rechtsklinik“ ist absurd: In der Klinik sucht der Patient die Hilfe des Arztes, beide verfolgen einmütig dasselbe Ziel; in der Rechtspflege aber setzt sich staatliche Autorität gegen private Machtgelüste durch. – Recht ist Regel, d. h. mit formaler Logik weiterzudenken und hypothetisch vorauszusagen. Die ethischen Grundsätze – nämlich die des deutschen Idealismus – sind implizit im System enthalten; sie brauchen nicht ausgesprochen zu werden, denn sie sind allgegenwärtig, durchdringen unsere ganze Kultur und werden dem jungen Menschen schon in Elternhaus und Schule vermittelt. Die juristische Dogmatik verkörpert einen eigenen Rechtswert: Die Rechtssicherheit, das ist letzten Endes die Gleichheit, denn nur die Dogmatik garantiert gleichmäßige Handhabung des Gesetzes vor der bunten Vielfalt des Lebens. Wohlweislich trägt Justitia eine Binde vor den Augen! Zwar sind formale Schlüsse logisch gleichwertig, auch wenn sie zu entgegengesetzten Ergebnissen führen; die richtige Wahl zu treffen ist die Kunst des „gebildeten“ Juristen.
Dieser Optimismus des deutschen Bildungsbürgertums war naiv und wurde grausam widerlegt. Ob das Vertrauen in den soziologisch geschulten Juristen und Sozialingenieur weniger naiv ist und gerechtfertigt werden wird, dürfte unsere Generation noch erleben.
Nachweis: Bildnachweise: Vgl. Lit., Titelbild

Literatur: E. Fuchs, Gerechtigkeitswissenschaft, hg. von A. S. Foulkes und A. Kaufmann (1965), darin u. a. Biographie aus der Feder seines Sohnes A. S. Foulkes (= Fuchs) und Bibliographie.
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